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Gewalt in der Pflege

Tabuthema
Gewalt in der Pflege

Gewalt in der Pflege
Foto: © CHW – Fotolia.com
Seit mehreren Jahren klagte die demen­zkranke Pati­entin eines Altenheims ihrem Sohn gegenüber, von ein­er Altenpflegerin geschla­gen zu wer­den. Der instal­lierte eine ver­steck­te Kam­era und sah, dass die Rent­ner­in jeden Abend an den Haaren gezo­gen, angeschrien, geschub­st und geschla­gen wurde. Die Altenpflegerin wurde angeklagt, ges­tand ihre Gewalt­tätigkeit­en und wurde vom Amts­gericht zu 2.000 Euro Geld­strafe ohne Berufsver­bot verurteilt.

Thomas Bossel­mann

Gewalt im Altenheim gegen Patien­ten ist schein­bar in Deutsch­land nichts Außergewöhn­lich­es. Sucht man bei Google unter den entsprechen­den Stich­wörtern „Mis­shand­lung im Altenheim“, kommt man auf rund 30.000 Ein­träge. „Wehe, wenn Du alt und hil­f­los bist!“ titelt die Bild-Zeitung und berichtet – gar nicht reißerisch – über die Zustände in deutschen Altenheimen.
Hin­ter den Kulissen
Natür­lich ist es vor allem dem Pflegenot­stand geschuldet, dass Senioren in der Pflege eher lei­den­schaft­s­los und in zunehmen­dem Maße unem­pathisch „abgear­beit­et“ wer­den. Gewalt, Bedro­hung und Mis­shand­lung dür­fen jedoch keines­falls als Folge ein­er Über­forderung des Pflegeper­son­als geduldet wer­den. Dabei reicht die Form der Mis­shand­lung von eher psy­chis­ch­er Gewalt bis hin zu mas­siv­en kör­per­lichen Übergriffen.
Ger­ade Demen­zkranke sind auf einen fre­undlichen und zuwen­dung­sori­en­tierten Umgang angewiesen, sind sie doch psy­chisch und emo­tionell stets in ein­er sen­si­blen Aus­nahme­si­t­u­a­tion, erleben Kränkun­gen in inten­siverem Maße als Gesunde und kön­nen physis­che Über­griffe als Reak­tio­nen auf schein­bar „unangemessenes Ver­hal­ten“ als kausal kog­ni­tiv nicht mehr nachvol­lziehen. Demen­zkranke sind wie Kinder, selb­stvergessen, liebebedürftig und in den meis­ten Fällen für ihr Ver­hal­ten der Umwelt gegenüber nicht mehr ver­ant­wortlich zu machen.
Mis­shand­lun­gen an Altenheim­be­wohn­ern wer­den natür­lich im Altenheim selb­st und in den jew­eils tra­gen­den Insti­tu­tio­nen tot­geschwiegen. Es kann eben nicht sein, was nicht sein darf. Pfle­gende wer­den von ihren Kol­le­gen und Vorge­set­zten gedeckt; die Ange­höri­gen selb­st glauben ihren dementen Ver­wandten oft­mals nicht, wenn diese von Über­grif­f­en bericht­en. „Blaue Fleck­en“ (Hämatome) wer­den von den Ange­höri­gen ignori­ert oder ein­er eben „robusten“ Altenpflege zuge­ord­net. Altenheim­be­wohn­er trauen sich oft­mals nicht, von ihrer Sit­u­a­tion zu bericht­en, aus Angst vor Repres­salien oder der Befürch­tung als „empfind­liche“ Zeitgenossen dargestellt zu werden.
So umfassend die Prob­leme sind, die unter Gewalt gegen alte Men­schen sub­sum­iert wer­den, so vielfältig sind auch die Anze­ichen dafür. Nicht erk­lär­bare Ver­let­zun­gen, die Nicht-Behand­lung von gesund­heitlichen Prob­le­men, schlechte Hygiene, Unter­ernährung, Dehy­drata­tion, Depres­sion, Rück­zug und Ängstlichkeit, erzwun­gene kör­per­liche und soziale Isolierung, wider­sprüch­liche Infor­ma­tio­nen von Seit­en der Fam­i­lie oder des Pflegebedürfti­gen sowie Ver­gabe von Über­do­sis an Medika­menten beziehungsweise deren Miss­brauch kön­nen wichtige Warnsignale sein.
Über­raschen­der­weise ist die Prob­lematik der Über­griffe von Pfle­gen­den in Altenheimen kaum Gegen­stand von aktuellen wis­senschaftlichen Unter­suchun­gen. Kaum eine Forschungsin­sti­tu­tion im Gesund­heits­di­enst und in der Wohlfahrt scheint sich dem The­ma gerne anzunehmen und ver­lässliche Stu­di­en oder Unter­suchun­gen zu diesem The­ma zu initiieren.
Dabei geht Gewalt in der Pflege nicht immer nur von den Pfle­gen­den, son­dern oft auch von den Patien­ten aus. Ger­ade Demen­zkranke neigen im fort­geschrit­te­nen Sta­di­um ihrer Krankheit ver­stärkt zu unkon­trol­lierten Aggres­sio­nen. Dies ist die Folge ein­er mit der Krankheit zunehmenden Iso­la­tion, Ent­frem­dung und wach­senden Ein­schätzung­sun­fähigkeit das eigene, angemessene Reagieren betreffend.
In ein­er Zusam­men­fas­sung aus der Lit­er­atur weisen ver­schiedene Autoren auf die vielfälti­gen Ursachen des aggres­siv­en Ver­hal­tens hin:
  • Krankheits­be­zo­gene Gründe,
  • Psy­chi­a­trische Symp­tome, ins­beson­dere Wahn, Hal­luz­i­na­tion und Fehlwahrnehmungen,
  • Medika­mente,
  • Schmerzen,
  • Insti­tu­tions­be­zo­gene Ursachen,
  • Physis­che Umweltfaktoren,
  • ins­beson­dere Über- bzw. Unterstimulierung.
Gut aus­ge­bildete Pflegekräfte wer­den in dieser Prob­lematik geschult; es gibt Broschüren, Lehrfilme und entsprechende Vor­lesun­gen an den Pflegeschulen. Sog­ar Selb­stvertei­di­gungs-Sem­i­nare wer­den ange­boten, um auf physis­che Über­griffe durch auf­fäl­lige Patien­ten entsprechend selb­stschützend reagieren zu kön­nen. In den deutschen Psy­chi­a­trien wer­den Reak­tion­spläne im Umgang mit gewalt­täti­gen Patien­ten entwick­elt; es befind­en sich Notfall-„Knöpfe“ auf jedem Patien­ten­z­im­mer, sodass im Ern­st­fall entsprechend schnell Hil­fe ange­fordert wer­den kann.
Um in der Sit­u­a­tion eines tätlichen Angriffs die eige­nen Emo­tio­nen unter Kon­trolle zu bewahren beziehungsweise wieder bekom­men, hat Feldt et al. (1992) fol­gende Strate­gie für Pflegekräfte entwickelt:
S.T.O.P. Strat­e­gy
  • S – Slow down (Werde langsamer)
  • T – Think about what hap­pen­ing (Über­denke das Geschehen)
  • O – Options (Wahlmöglichkeit­en)
  • P – Plan to have some time for your­self (Plane Zeit für dich zu haben).
Prob­lema­tisch ist allerd­ings die „Ruhig­stel­lung“ aggres­siv­er Patien­ten durch entsprechen dosierte, hochwirk­same Psy­chophar­ma­ka mit zum Teil erschreck­enden Neben­wirkun­gen. Aggres­sive Patien­ten wer­den zum Beispiel oft­mals mit dem Psy­chophar­makum beziehungsweise Anti-Psy­chotikum „Risperdal“ ruhig gestellt. Dies führt bei entsprechen­der Dosierung nicht nur zu Kreis­laufzusam­men­brüchen, son­dern ver­wan­delt die Patien­ten in lebende „Zom­bies“, die völ­lig entrückt von ihrer Umwelt teil­nahm­s­los vor sich hin vegetieren.
Oft­mals wer­den auf­fäl­lige Patien­ten auch nicht-medika­men­tös mit entsprechen­den Ther­a­pi­en behan­delt. Dies ist in der Regel dem Ein­satz „har­ter“ Psy­chophar­ma­ka vorzuziehen. Musik­ther­a­pie, Tanz- und Bewe­gungs­ther­a­pie sowie Beschäf­ti­gungs- beziehungsweise Kun­st­ther­a­pie sind aus­geze­ich­nete Mit­tel aggres­sive Patien­ten zu beruhi­gen. Diese Ther­a­pi­en dauern in der Regel 1,5 Stun­den und wer­den mehrmals wöchentlich ange­boten. Als Lit­er­atur sei hier das Buch „Psy­cho­sen aus dem schiz­o­phre­nen For­menkreis“ (2. Auflage) von dem Psy­chi­ater PD. Dr. med. Josef Bäuml empfohlen.
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