Immer mehr Kinder leiden heutzutage an chronischen und allergischen Erkrankungen wie Neurodermitis, Diabetes, Asthma und epileptischen Anfallsleiden. Die betroffenen Kinder sind auf die regelmäßige Einnahme von Medikamenten angewiesen. Aus diesem Grund werden Erzieherinnen und Erzieher immer häufiger mit dem Wunsch der Eltern konfrontiert, Kindern während der Betreuungszeit in der Kindertageseinrichtung verschiedenste Medikamente zu verabreichen. Damit verbunden ist die Diskussion, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Kita-Mitarbeiter Arzneimittel verabreichen dürfen.
Regelmäßig stellt sich die Frage, inwiefern es überhaupt eine rechtliche Basis zur Medikamentengabe in Kindertageseinrichtungen gibt. Der folgende Beitrag soll allen Beteiligten helfen, Verunsicherungen abzubauen und Entscheidungen in Kenntnis der herrschenden Rahmenbedingungen zu treffen.
Autor: Steffen Pluntke
Keine Medikamentenabgabe im Rahmen der Ersten Hilfe
Der Ersthelfer ist ein ausgebildeter Laie, der am Notfallort einfach zu erlernende Maßnahmen ergreifen kann, um akute Gefahren für Leben und Gesundheit abzuwenden. Seine Aufgaben ergeben sich aus Art und Umfang seiner Ausbildung zum Ersthelfer und seiner Weiterbildung. Der Ersthelfer bleibt trotz seiner Unterweisung Laie. Er darf auf dem Gebiet der Ersten Hilfe nur das tun, was seinem Ausbildungsstand entspricht. Der Lehrkatalog zur Qualifizierung zum betrieblichen Ersthelfer ist Bestandteil der Schrift Berufsgenossenschaftliche Grundsätze (BGG) 948. Gemäß diesem Regelwerk ist die Medikamentengabe weder Aus- noch Fortbildungsinhalt, da Erste Hilfe durch Laien immer nur ein Notbehelf darstellt und kein Ersatz für ärztliche Maßnahmen ist.
Zwar zählen nach der Technischen Regel für Arbeitsstätten (ASR) 4.3 zu den Mitteln der Ersten Hilfe nicht nur Verbandstoffe, sondern auch „gemäß der Gefährdungsbeurteilung erforderliche … Arzneimittel (z. B. Antidot [Anmerk. des Autors: Gegengift])“, doch ist deren Nutzung ausschließlich speziell eingewiesenem Personal und einem Arzt vorbehalten. Dies ist insbesondere in Unternehmen der Fall, in denen aufgrund der Betriebsart besondere Gesundheitsgefahren (z.B. spezifische Vergiftungsrisiken) herrschen und der Betriebsarzt aufgrund der Gefährdungsanalyse eine Bereitstellung verfügt. In Kindertagesstätten ist von derartigen Risiken nicht auszugehen. Arzneimittel, die nicht für diese spezifische Erste Hilfe-Leistung notwendig sind, gehören nach ASR 4.3 Abschnitt 4 Nr. 5 nicht in den Verbandkasten.
Ersthelfer dürfen nicht
Die Gabe von Medikamenten in der Notfallversorgung ist eine ärztliche Maßnahme. Mit der Medikamentengabe durch Ersthelfer würde die ärztliche Diagnose erschwert werden. Medikamente können aber auch unerwünschte Nebenwirkungen wie allergische Reaktionen, Organfunktionsstörungen oder abnormale Reaktionen auslösen. Ebenso können Überdosierungen zu gefährlichen Nebenwirkungen führen. Letztlich wird ebenso eine eigenmächtige Heilbehandlung mit Diagnosestellung und Therapieauswahl eingeleitet, was außerhalb des Arzt-Patienten-Verhältnisses den Straftatbestand der Körperverletzung nach § 223 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllen würde. Daher ist es auf keinen Fall Angelegenheit des Ersthelfers Medikamente – mögen sie in ihrer Wirkung für den Laien auch noch so harmlos erscheinen (z.B. Kopfschmerztabletten) – an Betriebsangehörige auszugeben. Dies gilt nicht nur für verschreibungspflichtige, sondern auch für apothekenpflichtige Medikamente. Medikamente dürfen auch dann nicht verabreicht werden, wenn der Betroffene sein eigenes Arzneimittel vergessen hat und der Ersthelfer zufällig dasselbe oder ein ähnliches Präparat mit sich führt. Die Erste Hilfe muss sich auf die Wundversorgung, Durchführung von bestimmten Lagerungsarten, Betreuung und andere in der Aus- und Fortbildung geübten Maßnahmen beschränken.
Ausnahme Bedarfsmedikamente
Eine Ausnahme von der Regel „Keine Medikamentengabe durch Ersthelfer“ gilt nur dann, wenn die hilfsbedürftige Person ein Medikament genau für die vorliegende Situation verordnet bekam (Bedarfsmedikament). Häufig ist dies bei Asthmatikern und Herzpatienten der Fall. In dieser speziellen Situation darf der Ersthelfer den Hilfesuchenden bei der Einnahme unterstützen, wobei sich das Unterstützen auf das Zureichen des Präparates beschränkt. Gleichzeitig sind folgende Punkte zu überprüfen:
- Ist das Verfallsdatum abgelaufen?
- Ist das Medikament für die vorliegende Situation vorgesehen?
- Werden die Einnahmevorschriften eingehalten?
- Werden Warnhinweise beachtet?
- Wird die empfohlene Höchstdosis nicht überschritten?
- Gibt es offensichtliche Fehlanwendungen?
Nicht alle Punkte können vom Ersthelfer geprüft oder beurteilt werden. Insofern liegt die Verantwortung weiterhin beim Betroffenen.
Mit der Übergabe an den Rettungsdienst sind die Fachkräfte grundsätzlich über Name, Menge und Zeitpunkt der Einnahme des Medikamentes zu informieren.
Spannungsfeld Medikamentenabgabe in Kindertagesstätten
Die Verabreichung von Medikamenten in Kindertageseinrichtungen stellt keine Erste-Hilfe-Leistung im Sinne der Unfallversicherungsträger dar und wird daher von diesen auch nicht geregelt.
Prinzipiell sollten akut erkrankte Kinder keine Kindertagesstätte besuchen. In der Regel ist dies schon im Betreuungsvertrag festgeschrieben. Aber es gibt auch eine wachsende Zahl allergisch oder chronisch erkrankter Kinder, die systematisch vom Besuch der Tageseinrichtung ausgeschlossen werden würde. Daher sollte es das gemeinsame Ziel der Eltern, der Kindertageseinrichtung und der behandelnden Ärzte sein, unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Aspekte zum Wohle und im Interesse der Kinder diese so uneingeschränkt wie möglich am täglichen Leben partizipieren zu lassen. Keine Betreuungseinrichtung, die auf der einen Seite ihren Versorgungs- und Betreuungsauftrag und auf der anderen Seite die Interessen von Eltern und Kinder ernst nimmt, wird sich – trotz fehlender aussagekräftiger gesetzlicher Vorschriften, die diesen Sonderfall explizit regeln – nicht grundsätzlich der Gabe von Medikamenten verweigern können. Diese zum Teil pädagogisch-humanistisch geprägte Auffassung wird an anderer Stelle – bei der es um die Erlaubnis für den Betrieb einer Kindertageseinrichtung geht – noch einmal forciert. Die Gewährleistung des Wohles von Kindern und Jugendlichen umfasst nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b des SGB VIII auch die Förderung der gesundheitlichen Vorsorge und der medizinischen Betreuung. Eine eindeutige rechtliche Verpflichtung zur Verabreichung von Medikamenten während des Aufenthaltes in der Betreuungseinrichtung gibt es allerdings nicht. Es liegt daher im Ermessen des Trägers der Einrichtung, ob er dem Wunsch der Personensorgeberechtigten zur Medikamentengabe entspricht.
Mit Erlaubnis: Ja
Grundsätzlich ist es jedoch zulässig, dass die Sorgeberechtigten Dritte mit der Medikamentengabe betrauen dürfen. Gemäß 1626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) umfasst die elterliche Sorge die Personen- und Vermögenssorge. Die Personensorge umfasst insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen und zu beaufsichtigen (§ 1631 Abs. 1 BGB). Die Pflege des Kindes schließt auch die Fürsorge für die Gesundheit des Kindes mit ein. Mit der Aufnahme des Kindes in eine Kinderbetreuungseinrichtung werden – meistens stillschweigend – Teile der Personensorge auf den Träger der Einrichtung übertragen. In welchem Umfang dies geschieht, ist nicht zuletzt abhängig von der individuellen Vereinbarung zwischen Eltern und Betreuungsträger. Der Träger der Betreuungseinrichtung gibt die ihm übertragenen Rechte und Pflichten an seine Mitarbeiter weiter. Demzufolge haben die Mitarbeiter auch Aufgaben der Fürsorge für die Gesundheit eines Kindes zu übernehmen. Die Aufgabenübertragung darf nur an eine geeignete Person, die vor allem gewissenhaft und zuverlässig ist, erfolgen. Auch aus arzneirechtlicher Perspektive bestehen keine Bedenken, dass eine Erzieherin in einer Kindertagesstätte ein ärztlich verschriebenes Medikament einem bestimmten Kind verabreicht, da es sich um keine medizinische Handlung im engeren Sinn handelt, welche nur u.a. von Ärzten vorgenommen werden darf.
Rechtsstatus bei der Medikamentenabgabe
Bei der Übertragung der Aufgabe der Medikamentengabe handelt es sich um eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen der Kindertagesstätte und den Sorgeberechtigten. Für den Fall einer Aufnahme der Medikamentengabe in den Betreuungsvertrag als Einzelfallregelung können u.a. nach Rechtsauffassung der Unfallkasse Thüringen zivil- oder strafrechtliche Folgen, u.a. durch mögliche Fehler bei der Verabreichung oder durch Verletzung des Kindes, in der Regel ausgeschlossen werden. Nach aktualisierter Rechtsprechung besteht jedoch grundsätzlich Unfallversicherungsschutz, wenn es infolge einer Medikamentengabe zu einem Gesundheitsschaden beim Kind (z.B. falsche Dosierung, Infektion etc.) oder einem Kollegen (bspw. Verletzung) kommt. Der Unfallversicherungsträger kann bei dem Mitarbeiter nur dann Schadensersatz fordern, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat (§ 110 Abs. 1 SGB VII). In der Praxis ist davon auszugehen, dass der beauftragte Mitarbeiter in guter Absicht und im Interesse des Kindes handelt. In der Regel sind die Beauftragten sogar extrem vorsichtig, so dass Fehler dieser Art mit an Gewissheit angrenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können.
Da die Verabreichung von Medikamenten in Kindertagesstätten keine Erste Hilfe darstellt und somit auch nicht von den Unfallversicherungsträgern geregelt wird, ist es umso wichtiger, dass die Rahmenbedingungen der Medikamentengabe zwischen dem Träger der Betreuungseinrichtung und dem verantwortlichen Mitarbeiter, welcher das Präparat verabreicht, eindeutig definiert und schriftlich fixiert werden. Nach Rechtsauffassung des Landesjugendamtes des Landes Brandenburg ist der gesetzliche Unfallversicherungsschutz für den medikamentenverabreichenden Mitarbeiter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII nur gegeben, wenn die getroffenen vertraglichen Regelungen die Medikamentengabe als Pflichttätigkeit im Rahmen des Arbeits- und Dienstverhältnisses vorsehen.
Kita: Umgang mit Medikamenten
In jedem Fall sollte im Vorfeld geklärt werden, ob das oder die Medikamente nicht zu Hause eingenommen werden können. Im günstigsten Fall erübrigt sich die Einnahme während des Aufenthaltes in der Betreuungseinrichtung. Nur wenn eine Einnahme im häuslichen Umfeld nicht möglich ist, sollte die Kindertagesstätte im Einzelfall die Medikamentengabe übernehmen. Als Voraussetzung gilt eine eindeutige schriftliche Medikation des Arztes und schriftliche Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten. Es kann sein, dass der behandelnde Arzt für das Ausfüllen der Bescheinigung eine Gebühr verlangt, weil es eine ärztliche Leistung nach der Gebührenordnung ist. Diese Gebühr wird von den Kitas in der Regel nicht übernommen.
Sowohl bei der schriftlichen Einverständniserklärung als auch bei der Verabreichung eines Medikamentes sind folgende Punkte zu beachten bzw. zu klären:
- Es sollte eine aktuelle schriftliche Medikation (Verordnung) des Arztes vorliegen, die die Bezeichnung des Medikaments beinhaltet.
- Name und Telefonnummer des behandelnden Arztes sind zu dokumentieren.
- Der Träger legt im gegenseitigen Einvernehmen den Mitarbeiter fest, der das Medikament verabreicht. Dabei sind Urlaubs- und Krankheitszeiten zu beachten. Eine Vereinbarung kann auch eine Regelung enthalten, die besagt, dass ein Kind die Betreuungseinrichtung nicht besuchen darf, wenn die Medikamentengabe durch Ausfallzeiten nicht sichergestellt ist.
- Mitarbeiter, die sich bereit erklären, die Medikamentengabe durchzuführen, benötigen ggf. eine fachkundige Einweisung (z.B. bei Injektionen, rektal einzuführenden Medikamenten).
- Das Arzneimittel ist mit dem Namen des Kindes zu versehen, um Verwechslungen auszuschließen.
- Die Verabreichungsform (bspw. Tabletten, Injektion), Dosierung, Uhrzeit der Medikamentengabe ist zu klären.
- Die Lagerungsbedingungen des Präparates gemäß Herstellerangaben sind zu beachten.
- Grundsätzlich ist vor jeder Verabreichung das Verfallsdatum zu kontrollieren.
- Die Einrichtung hat dafür Sorge zu tragen, dass die Medikamente sicher vor dem Zugriff von Kindern aufbewahrt werden. Das Medikament darf nicht im Verbandkasten gelagert werden.
- Medikamente sind nur in der Originalverpackung, inkl. Packungsbeilage anzunehmen.
- Jede Medikamentengabe ist schriftlich zu dokumentieren.
- Restbestände nicht mehr benötigter Medikamente an die Eltern zurückgeben.
Aufgrund der gesetzlichen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 2 BGB sollte der Träger die Unterlagen über die jeweilige Verabreichung von Medikamenten 30 Jahre aufbewahren.
Fazit
Eine Medikamentengabe ist keine Erste Hilfe und daher grundsätzlich möglich. Unverzichtbare Voraussetzung dafür ist die schriftliche Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten und eine schriftliche Medikation des behandelnden Arztes. Der verantwortliche Mitarbeiter muss ggf. eine detaillierte Einweisung in die Verabreichung des Medikamentes erhalten. Das Arzneimittel ist sicher aufzubewahren. Jede Verabreichung wird dokumentiert.
Literatur
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (Hrsg.): BGG 948 – Grundsatz Ermächtigung von Stellen für die Aus- und Fortbildung in der Ersten Hilfe. Berlin 2009
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (Hrsg.): BGI 509 – Erste Hilfe im Betrieb. Berlin 2009
- Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Hamburg-Harburg e.V.: Gesund und munter in der Kita – Kleiner Leitfaden für Eltern zum Thema Gesundheitsvorsorge im Kita-Alltag.
- Empfehlungen des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales zur Medikamentengabe in Kindertageseinrichtungen im Freistaat Sachsen vom 27.04.2005
- Informationsblatt zur Medikamentengabe in Kindertageseinrichtungen des Optimierten Regiebetriebes Kommunale Kindertagesstätten Jena KKJ
- Köhler, P.: Tabletten, Kügelchen & Co. – Medikamente in Kindertageseinrichtungen. in: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. 9, 2009
- Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung Landesjugendamt des Landes Rheinland Pfalz: Verabreichung von Medikamenten in Tageseinrichtungen für Kinder
- Pluntke, S.: Richtiges Verhalten bei Notfall, Unfall und Beinaheunfall am Arbeitsplatz. Berlin 2010
- Unfallkasse Thüringen (Hrsg.): Infa – Informationen für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. 1, 2010
- Unfallkasse Berlin (Hrsg.): Medikamentengabe in Kindertagesstätten. Berlin. Juli 2010
- Unfallkasse Sachsen (Hrsg.): Erste Hilfe in Kindertageseinrichtungen. Meißen 2004
Sicherheitsbeauftragter 02/2012