Müde, ausgebrannt, lustlos: Die Zahl der Beschäftigten, die unter arbeitsbedingten psychischen Belastungen leiden oder „Dienst nach Vorschrift“ machen, ist erschreckend hoch. Dies sorgt in den Unternehmen für immense Kosten. Kann ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) einen Ausweg bieten? Wir sprachen mit Gesundheitsmanager Olaf Buschikowski über den Zusammenhang von Arbeitszufriedenheit und BGM, die Rolle der Führungskräfte und „Feel Good-Manager“.
Herr Buschikowski, in regelmäßigen Abständen erscheinen Untersuchungen, deren Ergebnisse auf eine Arbeitsunzufriedenheit bei den Beschäftigten in Deutschland hinweisen. Häufig ist von „innerer Kündigung“ die Rede, von chronischem Stress, sogar von Doping im Job. Wo liegen Ihrer Auffassung nach die Ursachen?
Olaf Buschikowski: Die beruflichen Anforderungen haben sich verlagert: Wir sind weniger körperlich, dafür aber umso stärker geistig gefordert. In vielen Befragungen und statistischen Untersuchungen klagen die Befragten über Zeitdruck und Arbeitsverdichtung. Die Arbeitszeit muss immer effizienter genutzt werden, Pufferzeiten werden reduziert, das Arbeitstempo steigt. Gleichzeitig gestalten sich die Regenerationsphasen anders als früher. Viele Beschäftigte können nicht mehr abschalten, weil sie zum Beispiel um ihre Arbeitsstelle fürchten und Existenzängste haben. Außerdem wirkt sich die persönliche Lebenssituation heute viel stärker als früher auf die Arbeitswelt aus. Diese Einflüsse müssen deshalb größere Beachtung finden. Wer zum Beispiel plötzlich die eigenen Eltern zu pflegen hat, alleinerziehend ist oder Nebenjobs im Niedriglohnbereich annehmen muss, benötigt erheblich mehr persönliche Ressourcen. Wir können heute eine deutliche Verschiebung des Krankheitspanoramas beobachten. Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychische Erkrankungen gehören mittlerweile zu den Spitzenreitern.
Eine zufriedene Belegschaft ist der größte Trumpf, den ein Unternehmen haben kann: Wer zufrieden ist, geht motivierter zur Arbeit, ist produktiver und häufig auch weniger krank. Wie entsteht Arbeitsunzufriedenheit und wo können Unternehmen ansetzen, um diese zu verhindern?
Olaf Buschikowski: Theoretisch betrachtet, entsteht Arbeitsunzufriedenheit dann, wenn unterschiedliche Ansprüche nicht im Gleichklang stehen und miteinander kollidieren. Beschäftigte sind dann zufriedener, wenn sich die drei Faktoren „Wollen“, „Sollen“ und „Können“ in einem idealen persönlichen Ausgewogenheitszustand befinden.
Können Sie bitte diesen Gedanken etwas weiter ausführen?
Olaf Buschikowski: Der Begriff „Wollen“ umschreibt den eigenen Anspruch an sich selbst, der Begriff „Sollen“ verweist auf die Ansprüche, die ein Betrieb an einen Beschäftigten stellt. Mit „Können“ sind die persönlichen Ressourcen gemeint. Aus dem eigenen Anspruch an sich selbst und den persönlichen Ressourcen resultiert die Motivation. So neigt ein Mitarbeiter, der mehr will als er kann, zum Burnout. Ein anderer, der mehr kann als er will, reagiert eher mit Resignation. Aus den persönlichen Ressourcen und den betrieblichen Ansprüchen ergibt sich die Eignung für eine bestimmte Tätigkeit. Über- oder Unterforderung entsteht durch ein Ungleichgewicht zwischen Können und Sollen. Der aktuelle Gallup Engagement Index 2014 zeigt deutlich, dass Führungskräfte einen erheblichen Einfluss auf diese Zustände und Entwicklungen haben.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen einem BGM einerseits und der Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten andererseits?
Olaf Buschikowski: Die DIN SPEC 91020 stellt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einem BGM, einer verbesserten Gesundheit sowie einer höheren Arbeitszufriedenheit und Motivation her. Als weitere positive Effekte werden unter anderem eine Stärkung der Eigenverantwortung, ein verbessertes Betriebsklima, eine Reduzierung der Arbeitsbelastungen sowie eine verbesserte Identifikation mit den Aufgaben und dem Unternehmen genannt. Meiner Erfahrung nach hängen die Wirkungen ganz wesentlich davon ab, wie ein BGM verstanden und umgesetzt wird. Zu den wesentlichen Voraussetzungen gehört, dass sich ein Unternehmen zu einer Sicherheits- und Gesundheitsschutzkultur bekennt und diese auch auf alle Führungskräfte überträgt. Alle gesundheitsorientierten Themen sollten miteinander verzahnt und die Umsetzung von Maßnahmen kontrolliert werden.
Wie definieren Sie den Begriff BGM?
Olaf Buschikowski: Ein BGM ist ein übergreifendes Managementsystem, das von den beiden Fragen „Was hält gesund?“ und „Was macht krank?“ ausgeht. Es sorgt für eine gesundheitsorientierte Unternehmenskultur, in dem es entsprechende Werte, Leitlinien, Strukturen und Prozesse schafft. Durch geeignete Maßnahmen werden einerseits gesunderhaltende und gesundheitsfördernde Effekte erzielt, andererseits krankheitsbewirkende Beanspruchungsfolgen vermieden. Ein BGM kann verhaltensbezogen beim Menschen, in der Organisation als auch verhältnisbezogen bei der Arbeit ansetzen.
Und wie grenzen Sie Ihre Tätigkeit als Gesundheitsmanager von anderen Akteuren in diesem Feld ab? So wird ja derzeit unter anderem über „Feel Good-Manager“ berichtet, die für eine angenehme, motivierende Arbeitsatmos- phäre in den Unternehmen sorgen und damit begehrte Fachkräfte im Betrieb halten sollen…
Olaf Buschikowski: Als Gesundheitsmanager sehen wir das Thema BGM aus einer ganzheitlichen Perspektive. Wir haben viele bestehende Modelle und Aktivitäten aus den Bereichen Sicherheit und Gesundheit in einem ganzheitlichen Modell zusammengeführt, das auch in klein- und mittelständischen Unternehmen umsetzbar ist. Grundlage für unsere Tätigkeit sind die bereits erwähnte DIN SPEC 91020, die Qualitätskriterien im Präventionsfeld „Gesundheit im Betrieb“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), Orientierungshilfen der Initiative Gesundheit Arbeit (iga), der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) und der Offensive Mittelstand sowie Förderrichtlinien. Außerdem orientieren wir uns an den Kernelementen eines Managementsystems. Der Erfolg ähnelt einem Puzzle: Je mehr Teile aus sicherheits‑, krankheits- und gesundheitsorientierten Themenfeldern zusammen- gefügt werden, desto klarer wird das Gesamtbild. Die von Ihnen erwähnten Feel Good-Manager sehe ich nicht als Konkurrenz: Diese übernehmen Aufgaben, die eigentlich die Führungskräfte wahrnehmen sollten.
Können Sie diesen Gedanken näher ausführen?
Olaf Buschikowski: Laut Gallup-Studie sind Fachkompetenz und Erfahrung die häufigsten Gründe für die Beförderung in Führungspositionen. Rund jede zweite Führungskraft hat Führungsverantwortung erhalten, weil sie viele Erfahrungen in ihrem Arbeitsgebiet gesammelt hat und schon längere Zeit im Unternehmen beschäftigt ist. Dies sagt aber noch nichts darüber aus, ob diese Person tatsächlich als Führungskraft geeignet ist. Die wesentliche Aufgabe von Führungskräften besteht ja darin, die Beschäftigten durch Motivation und Begeisterung auf ein Unternehmensziel hin zu bewegen. Diese Fähigkeit besitzen viele Führungskräfte nicht, weil ihnen hierfür wichtige Persönlichkeitsmerkmale fehlen. Viele von ihnen sind stärker auf Zahlen, Daten und Fakten ausgerichtet. Würde man bei der Führungskräfteauswahl noch andere Kriterien und Persönlichkeitsmerkmale berücksichtigen, könnte man meiner Einschätzung nach auf Feel Good-Manager verzichten: Die Führungskräfte können selbst die Unternehmenskultur positiv beeinflussen.
Und welche Erfahrungen sollten Ihrer Erfahrung nach die Führungskräfte mitbringen?
Olaf Buschikowski: Die Führungskräfte benötigen eine klare Vorstellung, was sie innerhalb des BGM leisten sollen. Aufgaben und Verantwortung müssen klar geregelt sein. Neben einer systematischen Herangehensweise ist es wichtig, die Beschäftigten umfassend einzubeziehen. Sie sollten von „Betroffenen“ zu „Beteiligten“ werden. Dafür sind eine gute interne Kommunikation, transparente Planungen und nachvollziehbare, langfristige Planungen vonnöten.
Können Sie ein typisches Beispiel geben, wie ein BGM in der betrieblichen Praxis implementiert wird?
Olaf Buschikowski: In der Regel fragt ein Mitarbeiter, der für dieses Thema innerbetrieblich verantwortlich ist oder der damit beauftragt wurde, bei einem externen Berater an. Wir erleben immer wieder, dass viele Unternehmen bereits einzelne Maßnahmen umsetzen, ohne eine klare Zielvorstellung zu haben, was eigentlich erreicht werden soll. Die Maßnahmen beziehen sich oft auf Betriebliche Gesundheitsförderung im Sinne von § 20 SGB V, das heißt, es gibt einzelne Angebote in den Handlungsfeldern Bewegung, Ernährung, Stressbewältigung, Entspannung oder Raucherentwöhnung. Eine ganzheitliche Ausrichtung fehlt, ebenso wie eine klare Vorstellung davon, was ein BGM eigentlich ist. Unsere Aufgabe besteht dann zunächst einmal darin, den Ist-Zustand zu ermitteln, daraus klare Zielvorstellungen abzuleiten und ein Maßnahmenkonzept zu erstellen.
Bitte fassen Sie die fünf wichtigsten Schritte zusammen, damit der Aufbau eines BGM in der Praxis gelingt.
Olaf Buschikowski: In einem ersten Schritt sollte man sich klar darüber werden, was ein BGM ist, was man damit erreichen möchte und wie man es innerbetrieblich umsetzen will. Dabei ist eine ganzheitliche Ausrichtung des BGM empfehlenswert. In der Praxis erlebe ich immer wieder, dass es Unternehmen gibt, die einen Auftrag zur Implementierung eines BGM vergeben, ohne diese Punkte hinreichend geklärt zu haben. Zweitens sollte man den Ist-Zustand zu allen sicherheits- und gesundheitsrelevanten Themen ermitteln. Drittens sollte ein Konzept ausgearbeitet werden, das den gewünschten Soll-Zustand beschreibt. Dafür sollten, viertens, geeignete Vorschläge und Maßnahmen entwickelt und festgelegt werden. Fünftens geht es darum, den erstellen Projektplan umzusetzen, die erzielten Ergebnisse zu evaluieren und Verbesserungen kontinuierlich fortzuschreiben. Außerdem sollte ein Unternehmen bereit sein, im Zweifelsfall auch externe Beratung in Anspruch zu nehmen.
Herr Buschikowski, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Nina Sawodny.
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