Der Großteil der tödlichen Fußgängerunfälle ereignet sich bei Nacht – und das, obwohl nachts weniger Menschen zu Fuß unterwegs sind. Ein häufiges Problem ist, dass die Personen dunkel gekleidet sind und daher zu spät von den Autofahrern gesehen werden. Doch wie kann man die Sichtbarkeit im Straßenverkehr erhöhen? Müssen es Warnwesten sein oder reichen vielleicht auch kleine Reflektoren? Diesen Fragen ist eine Studie der Technischen Universität Berlin gemeinsam mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung nachgegangen.
Wer nachts zu Fuß am Straßenverkehr teilnimmt, lebt gefährlich. Etwa 60 Prozent der tödlichen Fußgängerunfälle ereignen sich bei Nacht und mehr als 80 Prozent der Verunfallten sind dabei dunkel gekleidet. Auch in der dunklen Jahreszeit nehmen die Fußgänger-Unfälle zu. Die Unfallzahlen würden wahrscheinlich sinken, wenn die Fußgänger und Fußgängerinnen besser sichtbar wären. Hier können retroreflektierende Materialien helfen. Sie sind auch Bestandteil von Warnkleidung. In gewerblichen Bereichen, beispielsweise im Rettungsdienst, bei der Sicherung von Baustellen oder bei Straßenreinigungsarbeiten ist die Unfallgefahr schon seit vielen Jahren bekannt. Dort gibt es bereits seit längerem die Tragepflicht von Warnkleidung. Auch für private PKWs gilt seit dem 1. Juli Warnwestenpflicht. Pro Fahrzeug muss nach der neuen Vorschrift eine Warnweste vorhanden sein. Der Fahrer oder die Fahrerin muss sie tragen, wenn er oder sie das Fahrzeug auf öffentlichen Straßen verlässt, wie es zum Beispiel nach einer Panne oder einem Unfall der Fall ist. Warnkleidung besteht aus Mindestflächen an retroreflektierenden und fluoreszierenden Materialien. In der DIN EN ISO 20471 sind die Anforderungen an hochsichtbare Warnkleidung festgelegt [1].
Die Warnwesten für private PKWs gehören laut Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) zu hochsichtbarer Warnkleidung und müssen somit der Norm EN ISO 20471 entsprechen.
Bei normaler Alltagskleidung findet man inzwischen manchmal kleinere retroreflektierende Applikationen – vor allem auf Jacken und Schuhen. Doch reichen solche Applikationen aus, um besser gesehen zu werden? Um die Sichtbarkeit unterschiedlicher Materialien und Anordnungen zu überprüfen, hat das Fachgebiet Lichttechnik der Technischen Universität (TU) Berlin eine entsprechende Untersuchung durchgeführt. Sie wurde von der Forschungsförderung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) finanziert und vom Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA), dem Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) und vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) begleitet.
Test unter realen Bedingungen
Das Besondere an der Studie war, dass die Materialien in realen Bedingungen – also im Straßenverkehr – untersucht wurden und nicht wie sonst üblich auf ablenkungsarmen abgesperrten Teststrecken. Hierzu fuhren die Testpersonen in einem Auto an Fußgängern in sechs Kleidungsvarianten vorbei [2]. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die untersuchten Kleidungsstücke. Es handelte sich um folgende Varianten:
- vollständig schwarze Kleidung
- Langarmhemd mit kleinflächigem, laminiertem Reflektormotiv auf der Brust,
- Jacke mit einer Konturmarkierung an Armen und Torso,
- Weste aus vollflächig retroreflektierendem Garn (speziell für die Untersuchung hergestellt)
- Warnweste nach DIN EN ISO 20471
- Warnweste nach DIN EN ISO 20471, von der die Retroreflektorstreifen entfernt worden waren
Die vollständig schwarze Kleidung diente als Kontrollbedingung.
Die Fahrer und Fahrerinnen fuhren eine vordefinierte Strecke im Stadtgebiet von Berlin, wobei sie im Vorfeld nicht wussten, dass es um die Sichtbarkeit unterschiedlicher Kleidungsstücke ging. In die Untersuchung eingeweihte Personen wurden mit der jeweiligen Kleidung an folgenden Verkehrssituationen positioniert:
- zweispurig ausgebaute, gut beleuchtete Hauptstraße
- wenig befahrene Anwohnerstraße
- unbeleuchteter Außerortsabschnitt
Um zu überprüfen, wann die unterschiedlichen Kleidungsstücke gesehen wurden, wurde ein Blickverfolger eingesetzt. Hiermit können die Blickbewegungen einer Person aufgezeichnet werden. Im Wesentlichen besteht ein Blickverfolger aus zwei Kameras. Die so genannte Szenenkamera zeichnet die Umgebung auf, auf die die Person schaut, und die so genannte Augenkamera zeichnet die Pupille auf. Aus dem Zusammenspiel der Szenenkamera und der Augenkamera kann berechnet werden, wann eine Person wie lange wohin geschaut hat.
Testsieger und ‑verlierer
Abbildung 2 zeigt die Detektionsentfernungen für die unterschiedlichen Kleidungsvarianten. Es zeigt sich, dass der Blick zu den Personen mit der Warnkleidung bei deutlich unterschiedlichen Entfernungen erfolgte. Während bei der Warnweste nach DIN EN ISO 20471 und der speziell hergestellten Weste aus vollflächig retroreflektierendem Garn der Blick bereits bei einer Entfernung von durchschnittlich 134 Metern erfolgte, war dies bei der Kleidung mit dem Reflektormotiv erst bei durchschnittlich 97 Metern der Fall und bei schwarzer Kleidung erst bei 63 Metern.
Insgesamt zeigte sich, dass dunkle Kleidung und Kleidung mit kleinflächigen Reflektoren besonders schlecht erkannt wird. Die Weste aus vollflächig retroreflektierendem Garn und die Warnweste nach DIN EN ISO 20471 schnitten am besten ab. Bei genaueren Auswertungen ließ sich aber auch feststellen, dass Lichtverhältnisse und Verkehrsdichte ebenfalls einen starken Einfluss auf die Sichtbarkeit haben.
Trügerische Sicherheit durch Reflektormotive
Wenn man die eigene Sichtbarkeit im Straßenverkehr verbessern will, ist es am besten eine Warnweste nach DIN EN ISO 20471 zu tragen. Die Gefahr von Applikationen besteht darin, dass man sich in falscher Sicherheit wiegt. Unser Tipp: Legen Sie nicht nur eine Warnweste in Ihr Auto, sondern hängen Sie auch eine an Ihre Garderobe. Dann müssen Sie sie „nur noch“ tragen.
Dr. Hiltraut Paridon, Dresden, Dipl.-Ing. Corina Walther, Dr. Detlef Mewes, Sankt Augustin, Dr. Michael Böhm, Berlin
Literatur
[1] DIN EN ISO 20471: Hochsichtbare Warnkleidung – Prüfverfahren und Anforderungen. Beuth, Berlin (2013)
[2] Mewes, D., Walther, C., Böhm, M. & Paridon, H. (2014). Sichtbarkeit von Verkehrsteilnehmern. Technische Sicherheit, 4, 42 – 46.
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