Die Zeiten, in denen Kalk, Zement, Sand und Wasser noch die einzigen Stoffe am Bau waren, sind vorbei. Die Bauwirtschaft verwendet im großen Umfang und mit steigender Tendenz Produkte der Bau-Chemie. Für diese Produkte müssen oft gefährliche Stoffe eingesetzt werden, auf die auch in Zukunft kaum verzichtet werden kann. Aus der Verarbeitung von Bau-Chemikalien können daher erhebliche Gesundheitsgefahren der Verwender resultieren.
BG BAU Herrn Norbert Kluger GISBAU Hungener Straße 6 60389 Frankfurt BG BAU Herrn Thomas Lucks Kommunikation An der Festeburg 27–29 60389 Frankfurt am Main
Zum Schutz der Gesundheit der Verarbeiter und der Umwelt sind daher vielfältige Vorschriften zu beachten. Die Umsetzung dieser Vorschriften in die betriebliche Praxis ist eine schwierige und anspruchsvolle Aufgabe. Gerade in den Klein- und Mittelbetrieben der Bauwirtschaft ist spezielles chemisches oder gar toxikologisches Wissen nicht vorhanden. Diese Betriebe sind nicht in der Lage, ohne Unterstützung die Anforderungen der Vorschriften zum Schutz ihrer Beschäftigten vor Gefahrstoffen umzusetzen.
Vor diesem Hintergrund hat die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft – BG BAU bereits vor 20 Jahren das Gefahrstoff-Informationssystem GISBAU aufgebaut. Dieses hat es geschafft, die komplexe Materie in für die Praxis einfache und verständliche Informationen zusammenzufassen.
GISBAU – wie alles begann
Doch wie begann eigentlich alles? Was waren die Gründe dafür, dass ein Informationssystem über Gefahrstoffe entwickelt wurde, das nach allgemeiner Meinung doch wohl eher in den Bereich der Chemie anzusiedeln ist? Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen.
Schon immer gab es in der Arbeitswelt gefährliche Arbeitsstoffe. Die bitteren Erfahrungen mit dem einstigen Wunderstoff Asbest hatten gerade die Baubranche besonders getroffen. So etwas sollte nie wieder passieren! Vorschriften zum Schutz der Beschäftigten beim Umgang mit gefährlichen Stoffen gab es auch bereits Anfang der 80er Jahre. Doch ganz offensichtlich fiel es ungeheuer schwer, die Arbeits- und Gesundheitsschutzziele im Bereich der Gefahrstoffe in die Betriebe zu transportieren. Woran liegt das?
Besonderheiten der Branche
Einer der Gründe liegt ohne Frage in der Betriebsstruktur der Unternehmen in der Bauwirtschaft begründet. Bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft sind gegenwärtig weit über 2,6 Mio. Beschäftigte in 419.000 Unternehmen versichert. Bei diesen Unternehmen handelt es sich ganz überwiegend um Kleinbetriebe mit handwerklicher Struktur. Chemische oder gar toxikologische Kenntnisse sind nicht vorhanden. Es ist daher den Unternehmen in der Regel nicht möglich, die Gefahren, die von der Verarbeitung chemischer Stoffe ausgehen, zu erkennen und zu beurteilen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Umgebungsbedingungen der Arbeitsplätze einem stetigen Wechsel unterworfen. Zu den ohnehin hohen Risiken auf Baustellen kommen nun noch die Gefährdungen, die sich aus der offenen, großflächigen Verwendung von Chemikalien ergeben. Technische Schutzmaßnahmen sind an den wechselnden Arbeitsplätzen in der Bauwirtschaft kaum einsetzbar.
Start von GISBAU
Vor dem Hintergrund dieser Situation ist zu Beginn der 80er Jahre der Gedanke aufgekommen, sich verstärkt mit dem Thema „Gefahrstoffe in der Bauwirtschaft“ zu beschäftigen. Die Vielzahl der eingesetzten Stoffe und Gemische machte es dem Arbeitgeber schwer, die damit verbundenen spezifischen Gefahren zu erkennen und die notwendigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. In dieser Situation hatten die damaligen Berufsgenossenschaften für die Bauwirtschaft die Idee zum Aufbau eines zentralen Informationssystems für ihre Mitgliedsunternehmen.
Vor dem Hintergrund des heutigen Erfolges sollten aber die Schwierigkeiten in den Anfangsjahren nicht vergessen werden. GISBAUs offene Informationspolitik über Produkte der chemischen Industrie lösten Anfang der 90er Jahre insbesondere bei den Herstellern Sorgen hinsichtlich der Absatzchancen ihrer Produkte aus.
Bestritten wurden sowohl die Zuständigkeit und als auch die Fachkompetenz von GISBAU. Manchmal war es schwierig, Informationen (zum Beispiel Sicherheitsdatenblätter) über die eingesetzten Bau-Chemikalien zu erhalten. Klageverfahren wurden angestrengt, Gerichtstermine erzwungen. Eine turbulente Zeit, die viel Rückgrat erforderte!
Rückblickend war es richtig, den Widerständen nicht nachgegeben zu haben.
Technologie ändert sich
Aber auch die technologischen Rahmenbedingungen haben sich Anfang der 90er Jahre völlig von den heutigen Möglichkeiten unterschieden. Flächendeckender Einsatz von Computern und Internet? Fehlanzeige. Der wichtigste und oftmals einzig verfügbare Träger von Informationen war das Papier. Die einzig öffentlich zugänglichen Informationsquellen zu den eingesetzten chemischen Produkten waren in dieser Zeit die sogenannten DIN-Sicherheitsdatenblätter, die auf freiwilliger Basis von einigen Herstellern chemischer Produkte geliefert wurden; der Informationsgehalt eines DIN-Sicherheitsdatenblattes war – moderat ausgedrückt – eher dürftig.
Unterstützungsmaßnahmen
Aufgabe und Zielsetzung von GISBAU war und ist es, den Betrieben vor allem eine Hilfestellung bei der Umsetzung der Gefahrstoffverordnung im Betrieb zu geben und zugleich zum sicheren Umgang mit Gefahrstoffen anzuleiten. Zur Bewältigung dieser komplexen Aufgabe wurden sehr unterschiedliche Wege und Strategien für die einzelnen Baubereiche gewählt. Der klassische Weg war zunächst die Verbreitung von Gefahrstoffinformationen in Merkblattform, also auf Papier. In rund 20 Informationsbausteinen wurden hierbei für alle bauchemischen Produkte einfach formulierte Hinweise zum Arbeits- und Gesundheitsschutz gegeben. Ähnlich wie Beipackzettel von Medikamenten klären GISBAU-Informationen über Gefährdungen, Nebenwirkungen und die richtigen Schutzmaßnahmen auf.
Gefahrstoff-Software – WINGIS
Nachdem GISBAU einige hundert Produkt-Informationen in Papierform erarbeitet hatte, kam aus der Praxis schnell der Wunsch, diese auch auf Datenträger anzubieten. Im April 1993 war es soweit: Die erste Pilot-Version von WINGIS konnte versandt werden. Wie damals üblich, kam diese Version in einem dicken Schuber verteilt auf 13 Disketten im 3,5 Zoll Format in die Hände der Nutzer. WINGIS steht heute als CD-ROM Version den Mitgliedsbetrieben kostenfrei zur Verfügung.
Produktgruppen-Informationen
Akzeptanz in der Praxis zu gewinnen, war und ist immer noch eine große Herausforderung für ein Informationssystem. Nur einfache Vorgehensweisen, die den Betrieben glaubhaft verdeutlichen, dass sich die Ziele des Arbeits- und Gesundheitsschutzes mit wenig Aufwand erreichen lassen, haben eine Chance auf Umsetzung. Als überaus effektives Hilfsmittel der Unterstützung im Rahmen von GISBAU haben sich hierbei sogenannte Produktgruppen-Informationen bewährt. Um die Informationsflut beim Umgang mit gefährlichen Zubereitungen einzuschränken und zugleich ein leicht handhabbares System der Informationsweitergabe zu entwickeln, wurden mit unterschiedlichen Herstellerverbänden von Bau-Chemikalien sogenannte Produktgruppen-Informationen als Branchenlösung erarbeitet.
Um einen Überblick über die z. T. sehr breiten Produktpaletten zu gewinnen, drängt sich eine Zusammenfassung vergleichbarer Produkte zu Produktgruppen auf. Die Gruppen fassen also solche Produkte zusammen, die im Hinblick auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz vergleichbar sind; eine Beurteilung jedes Einzelproduktes kann somit entfallen.
Hierdurch gelingt es, über die Vielzahl bauchemischer Produkte in Form einer überschaubaren Anzahl von verständlichen Gruppen-Informationen zu informieren. Die Zuordnung einer Produktgruppen-Information zu dem auf der Baustelle eingesetzten Produkt geschieht über einen Code (z.B. GISCODE), der von den Herstellern in den Preislisten, Sicherheitsdatenblättern und auf dem Gebinde angegeben wird.
Klebstoffe machen den Anfang
Pionierarbeit beim Erstellen von Produktgruppen-Informationen wurde im Bereich der Vorstriche und Klebstoffe für den Bodenbereich geleistet. Dieses erste Produktgruppensystem wurde Anfang der 90er Jahre durch eine enge Zusammenarbeit mit der Technischen Kommission Bauklebstoffe (TKB) des Industrieverbandes Klebstoffe möglich. Die TKB hat hierbei sowohl den Namen GISCODE entwickelt als auch sehr schnell die entsprechenden Beschriftungen auf Sicherheitsdatenblättern, Preislisten und vor allem auf Gebinden vorgenommen. Der Verband der Bauklebstoff-Hersteller hat den GISCODE bereits Ende 1993 in die Praxis umgesetzt. Auf allen Gebinden, die von diesem Verband in Deutschland vermarktet werden, sind Angaben zum GISCODE aufgeführt. In den vergangenen Jahren konnten für viele Bereiche der Bauwirtschaft solche Produktgruppen-Informationen gemeinsam mit Herstellern und Verarbeitern erstellt werden. Heute stehen sie für nahezu alle Bereiche der Bauwirtschaft zur Verfügung.
Erfolge für die Prävention
Neben dem Aufbau und der ständigen Weiterentwicklung eines branchenspezifischen Informationssystems ist GISBAU vor allem auch wegen seiner Aktivitäten zu wichtigen Präventionsthemen bekannt geworden. An erster Stelle stehen hier – ohne Frage – die jahrzehntelangen Bemühungen um die Einführung chromatarmer Zemente in Deutschland.
Ausgelöst durch die GISBAU-Aktivitäten hat die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft seit Anfang der 90er Jahre gefordert, ausschließlich chromatarme Zemente zu vermarkten. Erstmals hatten sich im Jahr 1998 daraufhin alle Akteure im Rahmen einer Branchenregelung auf wirksame gemeinsame Maßnahmen verständigt.
Kernstück dieser freiwilligen Selbstverpflichtung war die bundesweite Einführung chromatarmer Sackzemente ab dem Jahr 2000. Seit Januar 2005 dürfen in ganz Europa nur noch chromatarmer Zement und chromatarme zementhaltige Produkte verkauft oder verwendet werden. Eine EU Richtlinie verbietet seit Januar 2005 europaweit das Allergie auslösende Chromat sowohl im Zement als auch in allen zementhaltigen Produkten wie Mörtel und Beton.
Staubarme Maschinen und Produkte
Auch wenn zu Beginn der Arbeiten von GISBAU die Information über Bau-Chemikalien im Fokus der Aktivitäten standen, zeigte sich durch die Erfolge beim Thema Zement rasch, dass GISBAU auch Lösungen für klassische Themen erfolgreich bearbeiten kann.
Gerade unter den klassischen Tätigkeiten der Bauwirtschaft finden sich viele Arbeiten mit hoher Staubbelastung. Aber Staub, der eingeatmet wird, kann krank machen. Und nicht allein Asbest- oder Quarzstäube können die Atmungsorgane schädigen und schwere Gesundheitsschäden auslösen. Die Erkrankungen der Atemwege allgemein stehen mit an der Spitze der anerkannten Berufskrankheiten. Doch das muss nicht mehr sein. Bereits heute stehen in etlichen Bereichen Techniken, Bearbeitungssysteme sowie Baustoffe zur Verfügung, die eine deutliche Reduzierung der üblichen Staubbelastung garantieren.
Neue Herausforderungen
Einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 1984 zu Folge existieren für 82 % der eingesetzten Stoffe keine toxikologischen Informationen. Nur für 10 % der eingesetzten Substanzen war damals eine vollständige Abschätzung der Gesundheitsgefahren möglich. Wesentlich verbessert hat sich diese Situation bis heute leider nicht.
Die gewerbliche Wirtschaft verwendet etwa 30.000 verschiedene Stoffe. Aber nach wie vor sind nur zu rund 100 Stoffen alle Eigenschaften bekannt. Damit dies nicht so bleibt, hat die Europäische Kommission im Jahr 2006 nach langen Verhandlungen als Meilenstein in der Geschichte der europäischen Chemikalienpolitik REACH auf den Weg gebracht. Nach dem Grundprinzip: – No data = No market – müssen die Hersteller von Chemikalien nun in den kommenden Jahren die toxikologischen Eigenschaften ihrer vermarkteten Stoffe ermitteln. Durch die Vorgaben von REACH werden ab Ende 2010 vermehrt neue Daten und Erkenntnisse zu Stoffen verfügbar sein.
Wichtiges Instrument zur Kommunikation in der Lieferkette von Chemikalien ist nach der REACH-Verordnung das Sicherheitsdatenblatt. Die mehrseitigen Dokumente sollen eigentlich nach den Vorstellungen der EU-Kommission die Unternehmen bei der Umsetzung aller Maßnahmen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz unterstützen. Doch viele Untersuchungen der letzten Jahre zeigen, dass Sicherheitsdatenblätter häufig von geringer Qualität sind (2004 waren 75 % fehlerhaft) und nicht den ihnen zugedachten Zweck erfüllen. Auch in diesem Bereich hat GISBAU sich engagiert und durch viele Veranstaltungen zum Thema und durch das Internet-Portal „Sicherheitsdatenblatt@online“ zur Steigerung der Qualität beigetragen. Eine Aufbereitung der REACH-Sicherheitsdatenblätter in für die Praxis verwertbaren Informationen wie in den Gründungsjahren von GISBAU ist leider notwendiger denn je.
Als weiterer Meilenstein in der europäischen Chemikalienpolitik ist sicherlich die Einführung von GHS (Globally Harmonised System) in der EU am 20. Januar 2009 zu sehen. Die weltweit einheitliche Einstufung und Kennzeichnung wird damit bis 2015 mehr und mehr Wirklichkeit. Doch zunächst wird die Umstellung auf die neuen Gefahrenpiktogramme viel Verunsicherung und Beratungsbedarf entstehen lassen. Auch hierzu hat sich GISBAU frühzeitig angenommen. Bereits die WINGIS-Version 2.9 enthält für reine Stoffe neben der alten orangefarbenen „EU“- Kennzeichnung die „neuen“ GHS- Piktogramme. In den nächsten Versionen werden dann auch die Produkt-Informationen auf die neue Symbolik umgestellt.
Online und Zukunft
Die so genannten „Neuen“ Medien und Kommunikationsmittel sind zwischenzeitlich gar nicht mehr so neu. Selbstverständlich sind auch die Informationen von GISBAU seit 1999 mit WINGIS-online im Internet verfügbar. Doch der Trend geht hin zu den mobilen Geräten, und so ist es nur konsequent, dass eine WINGIS-Version für iPAD und iPhone seit dem 23. Februar 2010 zur Verfügung steht. Damit sind die Informationen jetzt so verfügbar, dass Anwender damit direkt am Regal im Baumarkt Informationen zum Gesundheitsschutz von Produkten abfragen können. So können sie auch flexibel für weniger gefährliche Produkte entscheiden. Und wenn alles nichts hilft und aus technischen Gründen auf z. B. Lösemittel nicht verzichtet werden kann, kann mit dem iPhone gleich die richtige Schutzausrüstung erfragt werden.
Transparenter und anwendungsfreundlicher kann Informationsbeschaffung kaum sein.
BG BAU Prävention, Leiter GISBAU
E‑Mail: norbert.kluger@bgbau.de
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