Preußen 1854. In den Regierungsbezirken Aachen, Arnsberg und Düsseldorf ist die industrielle Revolution angekommen. Die ersten drei Fabrikinspektoren nehmen ihre Tätigkeit auf. Ihre Aufgabe beschränkt sich auf die Überwachung der Bestimmungen des 1839 verabschiedeten „Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken“. Konkret heißt das: Kontrolle der Beschäftigungsverbote, der Arbeitszeit- und Pausenregelungen sowie der gesundheit- lichen und sicherheitstechnischen Verhältnisse der Betriebe – soweit jugendliche Arbeiter betroffen sind.
Die gesetzliche Grundlage für die Arbeit der Fabrikinspektoren bildete das 1853 verabschiedete „Ergänzungsgesetz zum Regulativ“. Es war nötig geworden, weil die Beschränkungen der Kinderarbeit von den Fabrikherren zunächst kaum beachtet worden waren. Nach wie vor arbeiteten nicht nur viele Kinder unter neun Jahren in Fabriken und Bergwerken, sie taten es auch länger als die Polizei erlaubte. Verwunderlich war das nicht, fehlte es doch an einer wirksamen Institution, welche die Einhaltung der Bestimmungen kontrollierte. So waren für die Kontrolle nach dem Wortlaut des Regulativs eigentlich die örtlichen Polizei- und Schulbehörden verantwortlich. Aber sowohl Ortspolizeiverwaltungen als auch die Bürgermeister hatten sich als viel zu abhängig von den örtlichen Fabrikbesitzern erwiesen, um die gesetzlichen Bestimmungen mit dem nötigen Nachdruck umzusetzen. Schließlich ging es oft gegen die einflussreichsten Bürger einer Gemeinde, die Fabrikherrn. „Übereifrige“ Bürgermeister liefen hier immer Gefahr, schnell ans Ende ihrer Karriere zu gelangen.
Die wenig zufriedenstellende Beachtung des Regulativs war selbstverständlich auch den Behörden nicht entgangen. So formulierte z. B. der Aachener Regierungspräsident in einer Stellungnahme zur Umsetzung des Regulativs 1844:
- „Es ist wahrgenommen worden, daß die über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken bestehenden Vorschriften nicht überall beachtet werden und da, wo dies geschieht, nicht immer mit der erforderlichen Sorgfalt und Energie gehandhabt werden.“
Diese Erfahrungen machten deutlich: Nur eine staatliche und damit unabhängige Behörde konnte die Bestimmungen zur Einschränkung der Kinderarbeit in den Fabriken mit der gehörigen Autorität durchsetzen.
Die ersten Fabrikinspektoren
Das Ergänzungsgesetz zum Regulativ verschärfte nun nicht nur die Bestimmungen zur Einschränkung der Kinderarbeit, es sah auch die Einstellung von Fabrikinspektoren dort vor, „wo Bedarf besteht“. Dieser bestand offensichtlich in den industriereichen Bezirken Aachen, Arnsberg und Düsseldorf. Dort traten 1854 die ersten Fabrikinspektoren ihren Dienst an. Deren Aufgaben bestanden in der
- Überwachung der Regelungen bezüglich der Alterseinschränkungen
- Überwachung der Arbeitszeit bei den Kindern und Jugendlichen
- Überwachung der Pausenregelungen für die Fabrikkinder
- Überwachung der gesundheitlichen und sicherheitstechnischen Verhältnisse der Betriebe, soweit jugendliche Arbeiter betroffen waren
Wenig Bereitschaft zur Kooperation
Dass der Dienst in der Fabrikaufsicht nicht immer ein angenehmer war, ist in den Jahresberichten der Fabrikinspektoren nachzulesen. 1858 teilte z. B. der Aachener Beamte seine Erfahrungen mit:
- „Die Fabrikanten zeigten mit wenigen Ausnahmen sich nicht geneigt, mit der Befolgung des Gesetzes Ernst zu machen. Es gab sich dagegen im allgemeinen ein Unwillen kund. Da die Revisionen oft wiederholt und dabei Übertretungen entdeckt wurden, so zeigten sich die Fabrikanten um so mehr gereizt, als es gelang, ihre Vorkehrungen zur Signalisierung der Ankunft des Revisionsbeamten durch eigens angebrachte Schellenzüge, aufgestellte Posten und dergl. zu entdecken und ihnen auszuweichen. (…) In anderen Fällen waren die Portiers angewiesen, niemanden, auch nicht den Fabrikinspektor, in die Fabrik zu lassen, bevor derselbe dem Chef angemeldet worden war. Ich wurde wohl auch mit beleidigenden Äußerungen und Spitzfindigkeiten empfangen, die jedoch mit ruhigem Verhalten und Schweigen entgegnet wurden.“
Nach 1860 ging die Kinderarbeit in den Fabriken stark zurück. Zweifellos hatten daran die Fabrikinspektoren mit ihren Revisionen und Kontrollen großen Anteil, zugleich war aber auch die technische Entwicklung verantwortlich für das Auslaufen der Kinderarbeit. Die Maschinen wurden zu groß, die Arbeit zu anstrengend, das Tempo und die notwendige Konzentration so hoch, dass Kinder einfach nicht mehr mithalten konnten. Waren damit die Fabrikinspektoren überflüssig? Keineswegs.
Neue Aufgaben: der Gefahrenschutz
1869 wurde die „Einheitliche Gewerbeordnung der Staaten des Norddeutschen Bundes“ verabschiedet. Sie enthielt mit dem §107 eine Bestimmung, die für die weitere Entwicklung der Fabrikaufsicht und des Arbeitsschutzes von entscheidender Bedeutung werden sollte. Denn nun war jeder Gewerbeunternehmer verpflichtet, „auf seine Kosten alle diejenigen Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, welche mit Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit des Gewerbe-Betriebes und der Betriebsstätte zu thunlichster Sicherung der Arbeiter gegen Gefahr für Leben und Gesundheit nothwendig sind.“
Wer aber sollte bestimmen, was für die Sicherheit „nothwendig“ ist? Und wer sollte das kontrollieren? Eigentlich eine Aufgabe für die Fabrikinspektoren. Die gab es aber zu dieser Zeit weder in den Bundesstaaten noch in den meisten preußischen Landesteilen. Folglich musste die Fabrikinspektion personell aufgestockt werden; entsprechend stieg die Zahl der überwiegend akademisch-technisch ausgebildeten Fabrikinspektoren in Preußen zwischen 1873 und 1876 von drei auf immerhin sechzehn.
Von der freiwilligen zur verbindlichen Fabrikaufsicht
Mit der Novelle zur Gewerbeordnung von 1878 wurde die Fabrikaufsicht in allen deutschen Bundesstaaten verbindlich: Ein wichtiger Schritt in Richtung eines besseren Arbeitsschutzes, wenngleich vorher mehr geplant war, als später im Gesetz stand. So sollte den Gewerbeinspektoren ursprünglich der Gefahrenschutz gesetzlich übertragen werden, bei dem sie bis dato nur beratend tätig waren. Vor allem sah der Gesetzentwurf vor, ihnen mehr Befugnisse und Autorität zu verleihen. So sollten sie Anordnungen treffen dürfen, die für die Fabrikherrn verbindlich gewesen wären. Beides scheiterte am Veto des Reichskanzlers Otto von Bismarck, der um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie im Falle von strengeren Auflagen und Gesetzen fürchtete.
Zwar konnte Bismarck die Einführung der Fabrikinspektion in den einzelnen Bundesländern nicht verhindern, wohl aber setzte er sich mit der Beschneidung der Eingriffsrechte für die Inspektoren durch. Danach konnten die Beamten Maßnahmen zum Gefahrenschutz nicht selbstständig und verbindlich anordnen. Jeder Einzelfall erforderte ein langwieriges Verfahren, bei dem die ordentlichen Gerichte das letzte Wort hatten. Damit waren den Fabrikinspektoren vor Ort nach wie vor die Hände gebunden. Sie hatten sich weiterhin darauf zu beschränken, die als „notwendig“ erachteten Maßnahmen den Fabrikherren „ans Herz zu legen“. Bei der Hoffnung auf deren Befolgung blieb es dann häufig auch.
Von der Fabrikinspektion zur Gewerbeaufsicht
Weniger zahnlos präsentierte sich die Fabrikaufsicht erst nach 1891. Zu verdanken hatte sie das dem frisch inthronisierten Kaiser Wilhelm II, der sich durch den Ausbau der Sozialgesetzgebung bei der Arbeiterschaft als „sozialer Monarch“ zu empfehlen versuchte. Mit der Neufassung der Reichsgewerbeordnung 1891 ließ er der Absicht Taten folgen. Die Fabrikinspektion erhielt ganz neue Aufgaben, wie z. B.
- die Aufsicht über die Sonntagsruhe,
- die Kontrolle des Frauenarbeitsschutzes,
- die Überwachung aller gewerblichen Anlagen, nicht nur der Fabriken, sowie
- die Überwachung der Dampfkessel.
Damit entwuchs die Fabrikinspektion endgültig ihren Kinderschuhen. Sie wurde als „Gewerbeaufsicht“ zu einem wirksamen Instrument für mehr Arbeitssicherheit. Hilfreich dabei war vor allem die Neuregelung der Eingriffsmöglichkeiten beim Gefahrenschutz. Die Beamten der Gewerbeaufsicht konnten jetzt mittels polizeilicher Verfügung Missstände in den Betrieben schnell abstellen lassen. Rund vierzig Jahre nach Einführung der fakultativen Fabrikaufsicht hatten die Beamten ihre lediglich beratende Rolle endgültig verlassen, die Gewerbeaufsicht war zu einer festen Größe geworden.
Gewerbeaufsicht heute
Heute ist die staatliche Arbeitsschutzaufsicht umfassend für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz zuständig. Das Aufgabenfeld ist groß, es umfasst im Wesentlichen den Sicherheits- und Gesundheitsschutz, also z. B. die Gerätesicherheit, die Arbeitsstättengestaltung, den Schutz vor gefährlichen Stoffen, die Aufsicht über das Sprengstoffwesen den Strahlenschutz, die Überwachung der Arbeitszeitvorschriften sowie der Bestimmungen für schutzbedürftige Personen und anderes mehr. Zudem ist die „Gewerbeaufsicht“, die in vielen Bundesländern auch Amt für Arbeitsschutz heißt, für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger tätig, u. a. durch die Überwachung der Lenk- und Ruhezeiten des Fahrpersonals oder auch durch die Überprüfung von Maschinen und Geräten für den Haushalt. Darüber hinaus obliegen ihr in den meisten Bundesländern auch Aufgaben im Bereich Umweltschutz, z. B. der Immissionsschutz, oder die Mitwirkung bei der Flächennutzungsplanung.
Auch das Selbstverständnis der Behörde hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Stand früher die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften eindeutig im Vordergrund, so versteht man sich heute auch als Beratungsinstitution rund um den Arbeitsschutz. Davon unberührt bleiben natürlich alle Eingriffsbefugnisse der staatlichen Arbeitsschutzaufsicht.
Autoren: Michael Fiedler, Stephan Oster
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