Die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und die Zweite Sprengstoffverordnung (2. SprengV) wurden geändert (vgl. BGBl I 59, S. 1643), und zwar mit Wirkung 1. Dezember 2010. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) hatte den Entwurf der Änderungen bereits vor über einem Jahr vorgelegt, der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates hatte aber in der letzten Minute noch 30 Seiten Änderungen der Änderungen vorgeschlagen.
Dr. Norbert Müller
Zunächst zur GefStoffV: Die letzte Fassung datierte vom Dezember 2004. Folgendes ist neu:
- Bestimmung der Begriffe „fachkundig“ (Paragraf 2 Absatz 12; bislang nur in der TRGS 514 Nr. 2.11 definiert) und „sachkundig“ (Paragraf 2 Absatz 13).
- Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt gelten nicht mehr per se als fachkundig (Paragraf 7 Absatz 7 GefStoffV a.F.), sondern nur noch als potenziell (Paragraf 6 Absatz 9 GefStoffV n.F.).
- Das Gefahrstoffverzeichnis muss nicht mehr nur die Bezeichnungen der Gefahrstoffe enthalten, sondern auch deren Einstufung ( ↦ TRGS 400 Nr. 4.7) und die Mengen- und Arbeitsbereiche (Paragraf 7 Absatz 8 GefStoffV a.F., Paragraf 6 Absatz 10 GefStoffV n.F.).
- Die Forderung, dass Personen fachkundig oder besonders unterwiesen sein müssen, gilt jetzt nicht mehr nur für die Lagerung von sehr giftigen und giftigen Stoffen und Zubereitungen (Paragraf 10 Absatz 3 Satz 2 GefStoffV a.F., TRGS 514 Nr. 2.11), sondern für alle Tätigkeiten mit sehr giftigen und giftigen Stoffen und Zubereitungen (Paragraf 8 Absatz 7 Satz 2 GefStoffV n.F.).
- Neu ist, dass der Arbeitgeber die durch Gefahrstoffe verunreinigte Arbeitskleidung zu reinigen hat (Paragraf 9 Absatz 5 Satz 2 GefStoffV n.F.). Das ist eine Erkenntnis aus folgendem Fall: Ein Entsorgungsunternehmen in Dortmund recycelte von 2007 bis 2010 mehr als 10000 PCB-haltige Kondensatoren aus Kasachstan. Leiharbeitnehmer nahmen ihre schmutzige Arbeitskleidung mit nach Hause, wo sie mit der Privatkleidung anderer Familienmitglieder gewaschen wurde. Dadurch wurde das Gift verbreitet. Die PCB-Konzentrationen im Blut sprengen die Referenzwerte in der Spitze um mehr als das 250.00fache. Das betroffene Unternehmen wurde im Mai 2010 still gelegt. Ein Verstoß gegen die neue Vorschrift ist allerdings keine Ordnungswidrigkeit.
- Neu ist weiter ein eigener Paragraf für „Tätigkeiten mit explosionsgefährlichen Stoffen und organischen Peroxiden“ (Paragraf 12 GefStoffV n.F.). Hier kann das Ergreifen zusätzlicher besonderer Maßnahmen erforderlich werden, insbesondere verfahrenstechnischer, organisatorischer und baulicher Schutzmaßnahmen einschließlich einzuhaltender Abstände.
- Der Arbeitgeber hat bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden, erbgutverändernden oder fruchtbarkeitsschädigenden Gefahrstoffen der Kategorie 1 oder 2 (= R 45, 46, 49, 60, 61) u.a. sicherzustellen, dass ein aktualisiertes Verzeichnis über die Beschäftigten geführt wird, die Tätigkeiten ausüben, bei denen die Gefährdungsbeurteilung nach Paragraf 7 GefStoffV a.F. / Paragraf 6 GefStoffV n.F. eine Gefährdung der Gesundheit oder der Sicherheit der Beschäftigten ergeben hat (Paragraf 14 Absatz 4 Nummer 3 GefStoffV a.F., Paragraf 14 Absatz 3 Nummer 3 GefStoffV n.F.). Neu ist, dass dieses aktualisierte Verzeichnis vierzig Jahre nach Ende der Exposition aufbewahrt werden muss. Ein Verstoß dagegen ist eine Ordnungswidrigkeit.
- Eine Abweichung von einer TRGS muss weiter in der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung begründet werden (Paragraf 8 Absatz 1 Satz 6 GefStoffV a.F., Paragraf 6 Absatz 8 Nummer 5 GefStoffV n.F.).
Ähnlich verhält es sich mit der für die Lagerung explosionsgefährlicher Stoffe maßgebenden 2. SprengV: Die letzte Fassung datierte vom September 2002. Die Lagerung sogenannter kleiner Mengen, für die keine Genehmigung gemäß Paragraf 17 des SprengG benötigt wird und bei der „nur“ die Anforderungen der Nummern 4.1 und 4.2 des Anhangs der 2. SprengV i.V.m. der SprengLR 410 beachtet werden müssen, wurde am Beispiel der Kleinst- und Kleinfeuerwerkskörper wie folgt neu sortiert:
- Lagerung in Räumen, s. Tabelle (NEM = Nettoexplosivstoffmasse).
- Lagerung im Freien in Containern: Hier wurde die erlaubte Menge von 1000 kg brutto/Betriebsgelände auf 350 kg NEM/Betriebsgelände geändert. Das BMAS hatte 1050 kg NEM/Betriebsgelände vorgeschlagen; das war den Bundesländern aber zuviel.
Zu Hause dürfen max. 1 kg NEM Kleinst- und Kleinfeuerwerkskörper aufbewahrt werden; bislang war nur 1 kg brutto zulässig. Das BMAS wollte das auf 0 setzen, was wiederum die Bundesländer nicht wollten.
Doch das ist erst der Anfang
Die neue Technische Regel für Gefahrstoffe „Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern“ (TRGS 510) löst die Technischen Regeln für Gefahrstoffe „Lagerung von sehr giftigen und giftigen Stoffen“ (TRGS 514) und „Lagerung von brandfördernden Stoffen“ (TRGS 515) und die die Lagerung betreffenden Teile der Technischen Regeln Druckgase „Druckgasbehälter“ (TRG 280), „Druckgaspackungen“ (TRG 300) und „Druckgaskartuschen“ (TRG 301) und der Technischen Regel für brennbare Flüssigkeiten „Läger“ (TRbF 20) ab.
Wer die GefStoffV aufmerksam studiert, wird feststellen, dass die Themen Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von gefährlichen Stoffen und Zubereitungen/Gemischen geregelt sind, aber nicht die Verstöße gegen diese Vorschriften. Das ist nämlich bereits im ChemG erledigt. Zur Zeit können nur Hersteller, Einführer und Händler wegen Verstößen gegen die Vorschriften betreffend die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen und Zubereitungen/Gemischen ordnungswidrigkeitenrechtlich belangt werden. Das soll sich nach dem Willen des Gesetzgebers ändern: Der Entwurf des ChemG-ÄndG vom Mai 2010 sieht nämlich vor, dass jeder „Akteur der Lieferkette“ belangt werden kann, z.B. auch ein Lagerer. Das bedeutet, dass in Zukunft z.B. einem Lagerhalter bei einem Verstoß gegen die Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften der GefStoffV ein Bußgeld von bis zu 50000 Euro droht.
Die Arbeiten an der nächsten GefStoffV-ÄndV haben bereits begonnen:
- Anhang I Nummer 1 „Brand- und Explosionsgefährdungen“: Das Ex-Schutzdokument und die Ex-Schutzzoneneinteilung sollen aus der BetrSichV hierher überführt werden.
- Anhang I Nr. 5 „Ammoniumnitrat“ i.V.m. TRGS 511: Analyse, was in Deutschland noch aktuell ist bzw. gebraucht wird.
- Ein neuer Anhang III „Gase“ und eine neue TRGS XYZ, die die TRG und TRAC ablösen soll. Das ist gemäß GefStoffV bis spätestens 31.12.2012 zu erledigen.
- Ein neuer Anhang IV „Explosionsgefährliche Stoffe“ und zwei neue TRGS XYZ „Explosionsgefährliche Stoffe“ und 741 „Organische Peroxide“. Die neue TRGS 741 soll die BGV B4 ablösen.
Die TRGS 201 „Einstufung/Kennzeichnung von Abfällen zur Beseitigung“ und 520 „Sammelstellen für Abfälle“ sind in der Überarbeitung, ebenfalls die Ausnahme 20 „Abfälle“ der GGAV.
In der Erarbeitung befindet sich die TRGS XYZ „Lagerung von Gefahrstoffen in ortsfesten Behältern“ (als Nachfolgeregelung für die TRbF 20 und die TRB). Die neue TRGS 800 „Brandschutzmaßnahmen“ wird Anfang 2011 veröffentlicht.
Über Langeweile werden sich Fachkräfte für Arbeitsschutz und Sicherheitsingenieure bestimmt nicht beklagen können.
Autor
Dr. Norbert Müller Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Gefahrguttransport und ‑lagerung, Duisburg
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