Viele Branchen verwenden Biozide, für die die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) vorschreibt: „Bei Tätigkeiten mit Biozid-Produkten ist ordnungsgemäß und nach guter fachlicher Praxis zu verfahren“ (§ 9 Absatz 11). Der Artikel – mit Beginn der Produktzulassung nach der europäischen Richtlinie 98/8/EG (Biocidal Product Directive, BPD [1]) – erläutert, was unter „Bioziden“ zu verstehen ist, was das Zulassungsverfahren leistet, wo zuverlässige Informationen zu finden sind und wie das gesundheitliche Risiko, das von diesen Produkten ausgeht, eingeschätzt wird.
BAuA Frau Monika Krause Friedrich-Henkel-Weg 1–25 44149 Dortmund
1. Was sind Biozide?
„Biozid“ ist eine griechisch-lateinische Wortschöpfung (Bios = Leben, caedere = töten) für chemische Produkte, die Schadorganismen – Insekten, Nagetiere, Algen, Muscheln, Schimmelpilze und Bakterien – unschädlich machen, um die Gesundheit und Produkte des Menschen (außer in der Landwirtschaft) zu schützen [1]. Insbesondere handelt es sich um:
- 1. Desinfektionsmittel, die zum Beispiel in Hygienezentren wie Krankenhäusern, Küchen, Pflegeeinrichtungen, in der Lebensmittelindustrie, bei Trinkwasserversorgern, in Schwimmbädern sowie Entsorgungsbetrieben eingesetzt werden,
- 2. Schutzmittel (für Farben, Holz, Textilen, Kühl- und Schmiermittel usw.) in der Holz- und Lackindustrie sowie in Malerbetrieben, der Papierherstellung, in Werkstätten und bei Metallverarbeitern und in Klimaanlagen,
- 3. Schädlingsbekämpfungsmittel bei Schädlingsbekämpfern, in Museen und Frachtcontainern aus Übersee [2] sowie
- 4. „Sonstige“, z.B. Einbalsamierungs- und „Antifoulingmittel“ gegen Muschelbewuchs auf Schiffsrümpfen.
EU-weit wird von ca. 50.000 Produkten ausgegangen [3]. Auf dem deutschen Markt befinden sich derzeit ca. 26.000 Biozidprodukte [4]. Auch für private Verbraucher versetzt die Industrie viele Produkte mit Bioziden und bewirbt sie als „antibakteriell“ oder „sanitized“: z.B. Putzmittel, Wandfarben, Bettwäsche, Decken, Socken und Sportkleidung, Teppiche, Wannen- und Gymnastikmatten, Müllbeutel, WC-Brillen und Kühlschränke.
1.1 Biozide im Vergleich zu Pflanzenschutzmitteln
Die Wirkstoffe in Bioziden sind oft die gleichen wie in Pflanzenschutzmitteln, denn beide schützen vor Nagetieren, Insekten und Mikroorganismen usw. Weil deren Wirksamkeit so wichtig ist, wurde das deutsche Pflanzenschutzgesetz schon 1937 erlassen. Seit 1968 schreibt es die Zulassung für Pflanzenschutzmittel vor.
Eine eigene Richtlinie für Biozide wurde nötig, da das Schutzziel der Pflanzenschutzmittel ausschließlich Pflanzen sind – auf dem Feld, im Forst und Lager. Biozide werden aber im Haus und sogar am Menschen eingesetzt. Daher soll ihr Risiko gesondert bewertet werden.
Zur Abgrenzung der Biozide von Pflanzenschutzmitteln, Kosmetika, Medizinprodukten und Arzneimitteln u.a. veröffentlicht die EU-Kommission so genannte ‚Manual of Decisions’ und ‚Borderline-Papiere’ [5, 6].
1.2 Die Geschichte der Biozide
Schon die Wikinger imprägnierten ihre Drachenboote mit Teerölen – eine biozide Anwendung. Im zweiten Weltkrieg wurden die US-Truppen mit DDT (Dichlor-Diphenyl-Trichlorethan) entlaust, um sie vor Typhus und Malaria zu schützen. Wegen dieser Schlacht-entscheidenden Wirkung wurde dem DDT-Entdecker P.H. Müller 1948 sogar der Nobelpreis verliehen. Aber in den 1950ern – nach ausgiebiger Anwendung in der Landwirtschaft – wurden die Insekten resistent. Immer mehr DDT musste ausgebracht werden, wodurch Vögel und Fische ebenfalls verendeten. 1962 rüttelte Rachel Carsons Buch „Stummer Frühling“ die Öffentlichkeit auf. 1970 war Schweden das erste Land, das DDT als Pflanzenschutzmittel verboten hat.
In Deutschland sollten die „in den Haushalten verwendeten Schädlingsbekämpfungsmittel“ bereits 1969 in das geplante Giftgesetz einbezogen werden [7]. 1978, unter dem Eindruck des „Holzschutzmittelskandals“ [8], kündigte das Bundesgesundheitsministerium erneut an, „wie bisher bereits bei Pflanzenbehandlungsmitteln – auch Holzschutzmittel auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit prüfen zu lassen“ [9]. Ende 1989 wurde der Holzschutzmittel-Wirkstoff PCP (Pentachlorphenol) in Deutschland endgültig verboten, was aber gegen die Vertriebsinteressen anderer Mitglied- staaten vor dem EU-Gerichtshof verteidigt werden musste [10].
Auslöser der BPD war schließlich Frankreichs Verbot von Tributylzinn (TBT) als Antifoulingmittel von 1982, dem sich England und Irland anschlossen [11]: der Stoff hatte nicht nur den Bewuchs an den behandelten Schiffsrümpfen bekämpft, sondern auch die Austernzucht beendet. 1989 forderte der EU-Rat, die „Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet“ zu regeln [12].
2. Entstehung und Inhalt der BPD
Den ersten offiziellen Entwurf legte die EU-Kommission 1993 dem Parlament und dem Umweltminister-Rat vor. Erlassen wurde die BPD fünf Jahre später unter der Nummer „98/8/EG“ [1]: In Kraft trat sie am 14. Mai 1998 (Artikel 35 BPD), wonach die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit hatten, sie in die nationale Gesetzgebung umzusetzen – in Deutschland u.a. im Chemikaliengesetz (§ 12a‑j). Inhaltlich beschreibt der überwiegende Teil der BPD
- 1. die Überprüfung der Wirkstoffe, die im Erfolgsfall in eine Positivliste – den „Anhang I“ der BPD – aufgenommen werden, und
- 2. die Zulassung der Produkte mit diesen Wirkstoffen,
um festzustellen, ob und wie ein Produkt mit solchen Wirkstoffen sicher verwendet werden kann. Regelungsbereich der BPD ist das Inverkehrbringen – nicht die Herstellung und die Verwendung. Nur über das Etikett (Art. 20 Absatz 3) und ggf. behördliche Auflagen (Art. 5 Abs. 3) macht die BPD indirekt auch Vorgaben zur „ordnungsgemäßen Verwendung“, (Art. 3 Abs. 7).
Ergänzt wird die BPD durch
- die Durchführungs- bzw. Review-Verordnungen Nr. 1896/2000 und Nr. 1451/2007 [13], die – wie alle EU-Verordnungen – unmittelbar in allen Mitgliedstaaten galten (ohne vorherige Umsetzung in nationales Recht), und
- Leitfäden (Technical Notes for Guidance [14]), die die europäischen Behörden erstellen und nicht rechtsverbindlich sind, aber die praktische Umsetzung der BPD-Vorgaben erläutern sollen.
2.1 Was bedeutet „Zulassung“?
Gemäß dem Marktzugangsverfahren der Zulassung sind zunächst alle Stoffe bzw. Produkte präventiv verboten. Nach Beantragung und erfolgreicher Prüfung wird die Vermarktung erlaubt („Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“). Dabei entsteht eine Positiv-Liste.
2.2 Chronologie der Biozid-Zulassung
Die Überprüfung von Bioziden ist in drei Phasen unterteilt: 1. Bestandsaufnahme, 2. Wirkstoffprüfung, 3. Produktzulassung:
- 1. Welche Wirkstoffe in Biozidprodukten eingesetzt werden, war in Deutschland bis zum Jahr 2000 fast unbekannt. Deshalb schrieb die erste Review-Verordnung Nr. 1896/2000 die Registrierung (so genannte Identifikation) der Wirkstoffe vor. Nicht-registrierte Wirkstoffe waren ab dem 14. Dezember 2003 verboten. Gleichzeitig mussten die Hersteller mitteilen (notifizieren), ob sie einen Wirkstoff weiterhin vertreiben und deshalb überprüfen lassen wollten.
- 2. Die Wirkstoffprüfung begann im Jahr 2004. Wirkstoffe, die die Hersteller nicht zur Prüfung angemeldet hatten, waren seit dem 1. September 2006 verboten. Für einige Wirkstoffe wurden die nötigen Untersuchungen nicht eingereicht, so dass sie ab dem 22. August 2008 verboten wurden. Abgeschlossen sein soll die Alt-Wirkstoffprüfung im Jahr 2014.
- 3. Die Produktzulassung begann Ende Dezember 2008: Die Zulassungsanträge für die bereits vermarkteten Produkte müssen – gemäß § 28 Absatz 4 Satz 4, Chemikaliengesetz – innerhalb von 24 Monaten nach Veröffentlichung der Aufnahmerichtlinie des Wirkstoffs [15] im EU-Amtsblatt (das heißt vor Aufnahme in den Anhang I) gestellt werden, um die Vermarktungserlaubnis zu behalten.
2.3 Beteiligte Behörden
„Zulassungsstelle“ für Biozide ist die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund, die die Bewertung der Wirkstoffe und Produkte koordiniert, wohingegen Pflanzenschutzmittel, Lebensmittelzusatzstoffe, Industriechemikalien und Arzneimittel jeweils von einer europäischen Behörde zugelassen werden können (EFSA, ECHA, EMA). Abbildung 1 führt die Biozide bewertenden und die beratenden Behörden sowie deren Ministerien in Deutschland auf.
Die Zulassungsstelle sendet den Bewertungsbericht des Wirkstoffs an die EU-Kommission, die ihn den Mitgliedsstaaten zur Kommentierung schickt. Auf regelmäßigen Treffen beim European Commission Joint Research Centre (Ex-ECB) in Italien wird dieser unter Beteiligung des Stoffherstellers abgestimmt.
3. Ermittlung des Risikos
Zur Überprüfung eines Stoffs bzw. Produkts müssen Unterlagen eingereicht werden, deren Art und Umfang in jedem Zulassungsverfahren (z.B. Biozide oder Pflanzenschutzmittel) gesondert festgelegt werden. Neben administrativen Angaben sind dies insbesondere:
- Stoff-Identität (z.B. Reinheit, physikalisch-chemische Eigenschaften, Kennzeichnung, Nachweismethoden),
- Wirksamkeit und
- Risiko für Mensch und Umwelt.
Im Folgenden wird nur die Ermittlung des „Risikos“ für den Menschen betrachtet.
Während „Gefährdung“ in Deutschland die „Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne bestimmte Anforderungen an deren Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit“ meint, die nach § 7, GefStoffV, systematisch ermittelt und bewertet werden muss [16], bezeichnet das „Risiko“ auf EU-Ebene „die Wahrscheinlichkeit, dass der potentielle Schaden unter den gegebenen Verwendungs- und/oder Expositionsbedingungen auftritt“ [17]. Das heißt, die Exposition wird abgeschätzt und mit der höchsten Stoffmenge, die im Tierkörper keinen nachteiligen gesundheitlichen Effekt bewirkt (Toxikologie), verglichen. In Abbildung 2 ist die Risikoermittlung dargestellt.
3.1 Toxikologische Untersuchungen
Ziel toxikologischer Studien ist die Ableitung eines Referenzwerts, bis zu dem die Aufnahme des Stoffs gesundheitlich vertretbar ist: dem „Acceptable-exposure-level“ (AEL). Erfahrungen am Menschen (arbeitsmedizinische Untersuchungen/epidemiologische Studien, Unfälle) werden bevorzugt berücksichtigt. Im Allgemeinen bildet aber ein Basissatz von Tier- bzw. Zellkulturuntersuchungen die Grundlage [18]. Die höchste Konzentration, die über Atmung und Haut in den Tierkörper gelangt und keinen nachteiligen Effekt zeigt (No-observed-adverse-effect- level, NOAEL), wird je nach Güte der Datenlage durch entsprechende Sicherheitsfaktoren, meist Faktor 100, reduziert.
Auf welche Effekte ein Wirkstoff zu untersuchen ist, gibt der Basis-Datensatz in Anhang IIA der BPD vor:
- 1. akute Giftwirkung,
- 2. (Schleim-) Hautreizung bzw. ‑ätzung und Sensibilisierung,
- 3. chronische Giftwirkung,
- 4. krebserzeugendes Potenzial,
- 5. Erbgutschädigung (die ggf. zu Krebs oder vererbbaren Schäden führt),
- 6. Fruchtbarkeits- und/oder Entwicklungsschäden bei den Nachkommen.
Untersuchungen auf Nerven- oder Immunsystemschäden und hormonelle Wirkungen sind nicht vorgeschrieben, könnten bei entsprechenden Hinweisen aber nachgefordert werden. Andererseits können einzelne Prüfungen entfallen, wenn der Hersteller die Verzichtbarkeit oder Nicht-Durchführbarkeit gut begründet (so genanntes ‚waiving’, Art. 8 Abs. 5 BPD).
Für das Biozidprodukt fordert Anhang IIB nur die Untersuchung der ersten zwei Punkte. Für gegebenenfalls enthaltene „bedenkliche“ bzw. „toxikologisch relevante“ Beistoffe können die Behörden Untersuchungen nachfordern (Anhang IIB, Nr.6.5 und 6.6 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. e).
3.2 Gute fachliche Praxis und Exposition
Die Gute fachliche Praxis (§ 9 Abs. 11, GefStoffV) ist für die Biozidanwendung – im Gegensatz zum Pflanzenschutz – noch nicht umfassend definiert [19]. Zu beachten sind allerdings die entsprechenden TRGS [20], z.B. zur Schädlingsbekämpfung, Begasung oder Desinfektion. Darüber hinaus bieten die Schutzleitfäden des „Einfachen Maßnahmenkonzepts“ (EMKG) [21] sowie Forschungsberichte der BAuA [22] und die englischen, biozidspezifischen Control Guiding Sheets [23] sowie die Giscodes der Berufsgenossenschaften Anleitung [24].
Für die Expositionsermittlung im Rahmen der Zulassung wird allerdings ein realistisches Anwendungsszenario unter ungünstigen Bedingungen (realistic worst-case) angenommen.
Methodisch kann die Exposition durch Messungen während einer Biozid-Anwendung bestimmt werden. Weniger aufwändig und kostenintensiv, aber auch weniger genau sind IT-Modelle wie BEAT (Bayesian Exposure Assessment Toolkit), das zur Berechnung der dermalen Biozid-Exposition, sowie ConsExpo, das zur Bestimmung der inhalativen Exposition verwendet wird [25]. Wie Abbildung 3 zeigt, verrechnen sie die Produkteigenschaften mit den Anwendungsbedingungen auf Basis von Messdaten bei vergleichbaren Tätigkeiten:
Anleitung bietet der von den Behörden aller EU-Mitgliedsstaaten erstellte Biozid-Leitfaden „TNsG on Human Exposure“, den der Artikel von J. Auffahrt et al. erläutert [14].
Die äußere Exposition wird in eine innere Körperbelastung umgerechnet, indem der jeweils aufgenommene Anteil (Absorptionsfaktoren) über Atemwege und Haut bestimmt wird. Überschreitet die Gesamtbelastung im Körper des Biozidanwenders den AEL, werden in einem zweiten Schritt („Tier 2“) realistische Schutzmaßnahmen eingerechnet.
3.2.1 Arbeitsschutzmaßnahmen
Bei der Auswahl von Schutzmaßnahmen sind die Gefahrstoffe bzw. Expositionen gemäß dem „STOP-Prinzip“ der GefStoffV, § 9 zu vermindern:
- 1. das „S“ steht für Substitution durch weniger gefährliche – oder zumindest in geringerer Menge zu verwendende – Stoffe oder Techniken (GefStoffV § 9 Abs. 11), die bevorzugt anzuwenden ist. Dabei hilft die TRGS 600 [20].
- 2. „T“ steht für technische Maßnahmen, z. B. geschlossene Systeme, Lüftung oder ein sicheres Produktdesign, die bei nicht-ersetzbaren Gefahrstoffen umzusetzen sind.
- 3. Die verbleibende Exposition ist durch „O“, wie organisatorische Maßnahmen, z.B. räumliche Trennung, Anwenderschulungen oder einen Hautschutzplan, zu reduzieren.
- 4. „P“ – Persönliche Schutzausrüstung (PSA) sollte nur zur Verringerung des noch verbliebenen Risikos empfohlen werden, da falsche oder falsch angewandte PSA kontraproduktiv wirkt (beispielsweise lange Tragezeiten von Handschuhen oder sorgloser Umgang durch überschätzte Schutzwirkung). Durch die vielgestaltige, ortsunabhängige Anwendung von Bioziden ist PSA aber oft unverzichtbar.
Wenn die Exposition mit Schutzmaßnahmen den Referenzwert (AEL) unterschreitet, wird der Wirkstoff mit entsprechenden Auflagen in die Positivliste aufgenommen bzw. die Produktzulassung unter Auflagen erteilt, z.B. die Kennzeichnung von Schutzmaßnahmen, Portionspackungen oder eine beschränkte Packungsgröße.
3.3 Ergebnis der Bewertung: die Positivliste
Wenn der Quotient aus innerer Belastung (siehe Abb. 4) und AEL in mindestens einem konkreten Anwendungsszenario kleiner ist als 1, wird der Wirkstoff in eine Positivliste – den „Anhang I“ der BPD – aufgenommen; und zwar unter folgenden Bedingungen:
- nur für die beantragte und überprüfte Produktart (gemäß Anhang V BPD), z.B. Holzschutzmittel,
- unter den Bedingungen, die im Rahmen der Wirkstoffbewertung für erforderlich befunden wurden (gemäß Art. 10 Abs. 2 BPD),
- für maximal zehn Jahre (wonach er erneut geprüft und ggf. zugelassen werden kann; Ausnahme einige Rodentizide: fünf Jahre).
Auf der Anhang-I-Internetseite der EU-Kommission können die Wirkstoff-Bewertungsberichte der Behörden – Assessment-Reports – eingesehen werden [15]. Produkte, die abgelehnte oder vom Hersteller nicht mehr unterstützte Wirkstoffe enthalten, dürfen in Deutschland nach Veröffentlichung der Nicht-Aufnahme-Richtlinie [26] nicht mehr in den Verkehr gebracht werden (gemäß § 28 Abs. 8, Chemikaliengesetz und [13]). Allerdings erhalten bestimmte Wirkstoffe, für die es keine Alternativen gibt, trotz nicht bestandener Prüfung für einen reduzierten Zeitraum und eine streng regulierte Verwendung eine Vermarktungserlaubnis.
Erstmals in ein EU-Stoffrecht aufgenommen wurde bei den Bioziden das – auf dem Vorsorgeprinzip beruhende – Substitutionsgebot: Von zwei vergleichbaren, zugelassenen Wirkstoffen soll nur derjenige, der „ein erheblich geringeres Risiko für die Gesundheit oder die Umwelt“ darstellt, nach Ablauf der 10 Jahre erneut in Anhang I der BPD aufgenommen werden (Art. 10, Abs. 5, ‚vergleichende Bewertung’).
4. Produktzulassung
Die Zulassung von Biozid-Produkten begann Ende 2008 mit der Einreichung eines Antrags in Schweden. Ein Hersteller kann sich aussuchen, in welchem EU-Staat er die Zulassung beantragt. Dem Mitgliedsstaat stehen – wie für die Wirkstoffe – zwölf Monate zur Prüfung zur Verfügung. Welche Unterlagen dafür einzureichen sind, ist neben der BPD auch dem deutschen Leitfaden zu entnehmen [27].
Zugelassen werden Produkte, für die die Prüfung der gelieferten Angaben ergibt, dass „das Biozid-Produkt … keine … unannehmbaren Wirkungen … hat“ (Art.5 Abs. 1 BPD). „Unannehmbar“ wäre z.B. eine Überschreitung des AEL-Referenzwertes für den Wirkstoff bzw. für eventuell enthaltene „bedenkliche Stoffe“ (Art. 2 Abs.1 Buchst. e und Anhang IIB Nr. 6.5 und 6.6 BPD).
4.1 Gegenseitige Anerkennung
Nach der Zulassung im ersten Mitgliedsstaat braucht der Hersteller in den übrigen EU-Staaten nur noch die „gegenseitige Anerkennung“ zu beantragen. Den anderen Mitgliedsstaaten stehen für eine Prüfung des Produkts auf besondere nationale Vorgaben 120 Tage zur Verfügung. Abgelehnt werden kann eine gegenseitige Anerkennung nur, wenn dem Erstzulasser ein Verstoß gegen die Zulassungsbedingungen (Art. 5 Abs. 1 BPD) nachgewiesen würde (Art. 4 BPD).
5. Fazit
Die Biozid-Richtlinie verfolgt ein doppeltes Ziel: Biozidprodukte sollen sicherer werden, indem Produkte mit „unannehmbaren Wirkungen“ vom Markt genommen werden und die Verwendungsvorgaben auf Etikett und im Sicherheitsdatenblatt verbessert werden. Gleichzeitig muss aber eine ausreichende Zahl wirksamer Desinfektions‑, Schutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel zur Verfügung stehen.
Nachteil jeder Marktregulierung ist, dass nicht-zugelassene Produkte im EU-Ausland weiter hergestellt werden können und in damit ausgerüsteten Erzeugnissen – wie z.B. PCP in Lederprodukten [28] oder Dimethyl-Fumarat auf diesen beiligenden Trockenbeuteln [29] – in die EU zurückkehren. Dem soll in der künftigen Biozid-Verordnung [30] Rechnung getragen werden.
Für die Hersteller verringert der finanzielle Aufwand für die Überprüfung der Wirkstoffe bis 2014 den Gewinn und damit die Mittel für die Entwicklung neuer Wirkstoffe. Andererseits bietet sich ihnen ein einheitlicher, großer Markt, und die Zulassung reduziert ihr Risiko vor Imageverlust und Schadensersatz wie im deutschen „Holzschutzmittelskandal“ der 1980er und 90er Jahre geschehen [8].
Für den Anwender stehen von ehemals knapp 950 vermarkteten Wirkstoffen maximal noch 273 zur Verfügung – weil die Untersuchungsergebnisse ungünstige Eigenschaften auswiesen oder die Zulassungskosten der Industrie zu hoch erschienen.
Sicherer können Biozidprodukte werden, risikolos aber – auch bei Anwendung der guten fachlichen Praxis – nicht, weil sie bestimmungsgemäß schädlich sein sollen. Folglich bleibt es Aufgabe der Arbeitgeber, Sicherheitsfachleute und Anwender, Biozide zu erkennen und durch physikalisch-mechanische Maßnahmen zu ersetzen oder optimale Schutzmaßnahmen zu ergreifen:
- Dazu lohnt ein Blick auf die Behördenseite, die derzeit aufgebaut wird: http://www.Biozid-portal.de bzw. auf die Internetseite der Zulassungsstelle: www.zulassungsstelle-biozide.de
- Im „Assessment-Report“ [15] der Wirkstoffe wird ein konkretes Anwendungsszenario betrachtet, das der Sicherheitsingenieur mit Blick auf den Wirkstoff wie eine „mitgelieferte Gefährdungsbeurteilung“ nach § 7 Absatz 7 GefStoffV verwenden kann.
Literatur
- 1. BPD 98/8/EG: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L :1998:123:0001:0063:DE:PDF
- 2. „Nachgasen von Schädlingsbekämpfungsmitteln aus Containergütern“, RIVM-Bericht 609021034/2005, Knol T, Broekman M H, van Putten E M, Uiterwijk J W, Ramlal M R, Bloemen H J T, http://www.uke.de/institute/arbeitsmedizin/index_14284.php (Link ganz unten: letzter Punkt)
- 3. StoffRecht 3/2008, Gärtner, S., Redeker, Ch., „Revision der EG-BPD – Erwartungen der betroffenen Kreise“, Lexxion Verlagsgesellschaft mbH, Berlin, S.119–125
- 4. Deutscher Biozidmarkt in 2005 gemäß Meldeverordnung: http://www.baua.de/nn_14552/de/Chemikaliengesetz-Biozidverfahren/Dokumente/Biozid-Meldeverordnung_20-_20Umsetzung_20und_20Ergebnisse.pdf ;
- 5. Manual of Decisions: http://ec.europa.eu/environment/biocides/pdf/mod.pdf ; Boderlinepapiere: http://ec.europa.eu/environment/biocides/borderline.htm
- 6. Weitere Abgrenzung von Pestiziden und Bioziden http://ec.europa.eu/food/plant/protection/evaluation/borderline_de.htm
- 7. Spiegel 50/1969, „Das Risiko ist sicher unbestritten“, S.188: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d‑45520397.html
- 8. Spiegel 21/1992, S. 120–125, „Beide Unternehmen ruinieren“, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d‑13680769.html
- 9. Presseverlautbarung BMJFG vom 09.02.1978, zitiert nach: Vahrenholt F., „Seveso ist überall“, S.201
- 10. 94/783/EG: Entscheidung der Kommission vom 14.09.1994 über das von Deutschland gemeldete Verbot von Pentachlorphenol, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX: 31994D0783:DE:HTML
- 11. StoffRecht, Gärtner S., Lahl U., „Revision der EG-BPD“, Lexxion Verlagsgesellschaft mbH, Berlin 6/2007, S.257: http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/biozide_stoffr_6_2007.pdf und Europ. Umweltbüro (EEB) „Späte Lehren aus frühen Warnungen“, 2001, S.155–170: http://www.umweltbundesamt.de/uba-info-medien/dateien/2697.html
- 12. Richtlinie 89/677/EWG (8. Änderung der Richtlinie 76/769/EWG; ABl. L 398 vom 30.12.1989, S. 19): vorletzter Absatz der Erwägungsgründe (und Beratungen über die Richtlinie 91/414/EWG), zitiert in Erwägungsgrund 2 der BPD 98/8/EG
- 13. Verordnung Nr. 1896/2000: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2000R1896: 20031214:DE:PDF , Verordnung Nr. 1451/2007: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ: L:2007:325:0001:0002:DE:PDF
- 14. Leitfäden/Technical Notes for Guidance (TNsG), erläutert in: Auffarth J, Macho K, Holthenrich D, Schlüter U, Lechtenberg-Auffarth E, „Zulassung von Biozid-Produkten: Exposition und Maßnahmen“, in: Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft 63 (2003), Nr. 11/12, S. 455–459: http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/artikel06.html
- 15. Wirkstoff-Positivliste (Anhang I der BPD): http://ec.europa.eu/environment/biocides/annexi_and_ia.htm
- 16. Begriffsglossar „zu den Regelwerken … der Gefahrstoffverordnung“: http://www.baua.de/cae/servlet/contentblob/666136/publicationFile/49852/Begriffsglossar.pdf
- 17. EU-Richtlinie 98/24/EG „zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische Arbeitsstoffe bei der Arbeit“ (Agenzien-Richtlinie), Art.2 Buchst. g, h: http://eur-lex.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1998:131:0011:0023:DE:PDF
- 18. Verordnung (EG) 440/2008: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2008:142:0001:0739:DE:PDF
- 19. Gute fachliche Praxis im Pflanzenschutz: http://www.bmelv.de/cae/servlet/contentblob/376896/publicationFile/26466/GutePraxisPflanzenschutz.pdf
- 20. Technische Regeln für Gefahrstoffe, TRGS: http://www.baua.de/cln_135/de/Themen-von-A‑Z/Gefahrstoffe/TRGS/TRGS.html
- 21. EMKG-Schutzleitfäden (BauA): http://www.baua.de/de/Themen-von-A‑Z/Gefahrstoffe/EMKG/Schutzleitfaeden.html
- 22. BAuA-Forschungsberichte zu Bioziden: F 1702: Versprühen: http://www.baua.de/nn_5846/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd35.html , F 1703: Umgang mit Biozidkonzentraten: http://www.baua.de/nn_11598/de/Publikationen/Fachbeitraege/F1703,xv=vt.pdf , F 1922: Exposition bei Molluskiziden, Insektiziden, Repellentien/Lockmitteln: http://www.baua.de/nn_5846/de/Publikationen/Fachbeitraege/F1922.html F 1809: Exposition durch Holzschutzmittel: http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/F1809.html F 2136: Exposition durch Antifoulingmittel: http://www.baua.de/nn_5846/de/Publikationen/Fachbeitraege/F2136.html
- 23. Coshh-essentials „control guidance sheets“
- 24. Gis-Codes: http://www.gisbau.de/giscodes/Liste/INDEX.HTM
- 25. Beat: http://www.tno.nl/content.cfm?context=markten&content=product&laag1=177&laag2=333&item_id=1155&Taal=2 ; ConsExpo (Consumer Exposition Modeling tool): http://www.consexpo.nl
- 26. Nicht-Aufnahme-Liste: http://ec.europa.eu/environment/biocides/pdf/list_dates_product_phasing_out.pdf
- 27. Leitfaden zur Produktzulassung in Deutschland: http://www.baua.de/nn_8584/de/Chemikaliengesetz-Biozidverfahren/Dokumente/Leitfaden-Biozide.pdf
- 28. Pentachlorphenol in Lederprodukten: http://www.vis.bayern.de/global/script/drucken.php?www.vis.bayern.de/produktsicherheit/technik_chemie_basis/pcp.htm?
- 29. Dimethyl-Fumarat in Trockenbeuteln: http://www.bmas.de/portal/33256/2009_05_08_entscheidung_zu_dimethylfumarat_umgesetzt.html
- 30. Entwurf der Biozidverordnung: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2009:0267:FIN:DE:PDF
- 31. Biozid-Broschüre der Zulassungsstelle: http://www.baua.de/nn_99366/de/Publikationen/Broschueren/Biozid-Info/Biozid-Info-01,xv=vt.pdf
Autorin
Monika Krause, Promoventin der Bergischen Universität Wuppertal
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