Die Entscheidungsfreiheit ist groß, wenn es darum geht, ob und mit welcher Schutzkleidung man Mitarbeiter gegen Risiken schützt. Gesetze und Rechtsverordnungen lassen dem Arbeitgeber viel Spielraum. Doch wie findet man eine geeignete Ausstattung? PSA, die schützt und gern getragen wird?
Media Contor Agentur für Kommunikation Frau Bonni Narjes Friedensallee 27 22765 Hamburg MEWA Textil-Service AG & Co. Frau Silvia Mertens John‑F.-Kennedy-Straße 4 65189 Wiesbaden
Welche Schutzkleidung ist die beste?
Quednau: Ganz einfach: Die geeignete. Aber leider ist es unmöglich, pauschal und theoretisch festzulegen, wie jemand gut und richtig an einem Arbeitsplatz angezogen ist. Dies lässt sich nur betriebsbezogen und Schritt für Schritt herausfinden. Hier müssen die Verantwortlichen für die Arbeitssicherheit in einem Unternehmen genauso vorgehen, wie sie es sonst auch tun. Grundlage ist die Erstellung einer exakten Beurteilung der Gefährdungen. Erst mit ihrer Hilfe können mögliche Gefahren am Arbeitsplatz erkannt, bewertet und in konkrete Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Anschließend ist es möglich, den erforderlichen Schutzumfang der Schutzbekleidung zu bestimmen. Die Grundlage dafür bildet die Richtlinie 89/656/EWG vom 30. November 1989 für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung persönlicher Schutzausrüstung durch Arbeitnehmer bei der Arbeit, die in Deutschland mit dem Arbeitsschutzgesetz von 1996 umgesetzt wurde.
Mertens: Diese große Handlungsfreiheit hat übrigens die Sorgsamkeit hinsichtlich der Mitarbeitersicherheit erhöht. In der Produktentwicklung registrieren wir bei MEWA zwei Resultate, die sich aus der gewachsenen Eigenverantwortung des Arbeitgebers ergeben haben. Zum einen werden die Nachfragen seitens der Einkäufer komplexer, wenn es darum geht, Schutzkleidung auszuwählen. Auf Kundenseite wird von uns eine absolut professionelle Unterstützung erwartet. Aber dafür ist man auch bereit, unseren Rat anzunehmen und mehr Zeit in den optimalen Schutz zu investieren. Das geht sogar bis hin zu Spezialkonfektionen, die wir gemeinsam mit Kunden entwickeln. Oft für hochgefährliche Bereiche, für die es bisher nur unzureichende Schutzkleidung auf dem Markt gab. Jüngstes Beispiel ist eine Hitze- und Flammschutzkleidung, die wir für das so genannte „heiße Ende“ in der Glasproduktion konzipiert haben. Dort geht es darum, die Gefahr auszuschließen, sich durch den Kontakt mit glühendem Glas Verbrennungen an den Unterarmen zuzuziehen.
Der Trend geht also von Standardkollektionen zu Spezialanfertigungen?
Mertens: Nun, in vielen Fällen ist eine erprobte Schutzkleidungslinie sicher passend. Doch manchmal ist die Spezialisierung viel besser. Es geht darum, sich im Vorfeld intensiv beraten zu lassen, welche Bekleidung den größten Nutzen bietet. Wir erhalten zum Beispiel viele Anfragen zu Multifunktionskleidung. Also Kleidung, die möglichst vielen Normen entspricht. Das ist zurzeit ein großer Trend. Aber nicht immer ist eine Kleidung, die viele Schutzfunktionen aufweist, auch die richtige. Es kann sein, dass eine Schutzfunktion, die für den angefragten Tätigkeitsbereich besonders wichtig ist, durch Multifunktionskleidung nur unzureichend abgedeckt wird. Sie aber andererseits Funktionen aufweist, die dort gar nicht erforderlich sind. Es gibt leider keine Kleidung, die sich für alles eignet.
Herr Quednau, Sie arbeiten in vielen Normierungsgremien mit. Ist man auf der sicheren Seite, wenn man der Norm entsprechende Kleidung einsetzt?
Quednau: Normen sind ein Stand der Technik, die in der Auswahl von PSA einen positiv unterstützenden Beitrag leisten. Aber Normen sind nicht alles. Sie sind immer in Relation zur Situation vor Ort zu setzen und wie der dort erforderliche Schutzumfang ausgeprägt sein muss. Nehmen wir Hitze- und Flammschutzkleidung. Sie ist mit ca. 45% das größte Segment im Markt der Schutzbekleidung. Zwei der für dieses Segment bedeutendsten Normen wurden in einer jeweils aktualisierten Version veröffentlicht. Im Jahr 2008 wurde aus der EN 470–1 die ISO 11611 (Schutzkleidung für Schweißen und verwandte Verfahren), im Jahr 2009 aus der EN 531 – Schutzkleidung für hitzeexponierte Industriearbeiter, die ISO 11612 – Kleidung zum Schutz gegen Hitze und Flammen. Während die ISO 11612 mit sehr vielen sinnvollen Details ergänzt wurde, kann man das von der ISO 11611 durchaus in Frage stellen – zumindest auf den vorgesehenen Einsatzbereich. Doch das entlässt den für die Arbeitssicherheit Verantwortlichen nicht aus der Pflicht, die Inhalte vor dem Hintergrund seines Bedarfs zu bewerten. Es sollte übrigens auch das Kriterium „Ergonomie“ nicht vergessen werden.
Schutzkleidung soll vor Verletzungen schützen. Ist es überhaupt wichtig, dass sie auch bequem ist?
Mertens: Diese Frage kann ich aus meiner Erfahrung heraus mit ja beantworten. Wer passende Schutzkleidung für ein Team auswählt, muss immer einen Spagat schaffen: Die Mitarbeiter selbst legen viel Wert darauf, sich in ihrer Arbeitskleidung wohlzufühlen. Derjenige, der für den Arbeitschutz im Unternehmen verantwortlich ist, will natürlich, dass die Träger gegen Gefährdungen am Arbeitsplatz optimal geschützt sind.
Quednau: Und darauf sollte er auch bestehen. Ein Arbeitgeber hat die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes in seinem Betrieb umgesetzt und eingehalten werden. Er trägt grundsätzlich die Gesamtverantwortung und haftet bei Arbeitsunfällen. Bestmögliche Schutzfunktionen sind und bleiben die Top-Kriterien bei der Auswahl von Schutzkleidung.
Mertens: Das stimmt. Aber so ganz darf man die Anforderungen der Basis nicht vernachlässigen. Denn ein Arbeitgeber sollte nie vergessen, dass es mit der Anschaffung der Schutzbekleidung nicht getan ist. Er hat dafür zu sorgen, dass die Schutzbekleidung wie vorgeschrieben getragen wird. Und selbst wenn die Kleidung beim Kauf die Normen erfüllt, kann sie ungeeignet für den Praxiseinsatz sein. Unbequemlichkeit ist ein Grund dafür. Viele schwere Unfälle passieren nur deshalb, weil Schutzbekleidung nicht wie vorgeschrieben getragen wurde. Wer Schutzbekleidung anschafft, achtet deshalb am besten auf ein verhältnismäßig weiches und angenehmes Gewebe. Unzureichender Tragekomfort kann auch vorliegen, wenn bei der Konfektion der Kleidung am Material gespart wurde. Liegt die Kleidung dicht am Körper an und bringt den Träger zusätzlich ins Schwitzen, sinkt die Trageakzeptanz.
Für den Einsatz von Schutzbekleidung muss eine Arbeitsanweisung erstellt werden, die alle erforderlichen Angaben für deren sicheren Einsatz enthält. Sind die Träger damit ausreichend informiert?
Quednau: Betriebsanweisungen und Unterweisungen sind Pflicht. Aber wir wissen alle, wie schnell im Berufsalltag Vorschriften und Anweisungen in Vergessenheit geraten. In der Regel passiert es, wenn man glaubt, jeden Handgriff zu kennen und deshalb schon nichts schief gehen wird. Das haben wir alle doch schon mal gedacht – oder? Fakt ist: Schutzkleidung, die bei der Arbeit hinderlich ist und den Tragekomfort einer Ritterrüstung bietet, wird ungern und leider nur allzu oft nicht vorschriftsmäßig getragen. Deshalb rate ich dazu, die Mitarbeiter die Kleidung Probe tragen zu lassen. Bevor man sich abschließend für eine bestimmte PSA entscheidet.
Sind Tragetests sehr aufwändig?
Mertens: Nicht, wenn man bedenkt, welche Anschaffung man gerade tätigt. Die Einbeziehung der zukünftigen Benutzer der Kleidung finde ich ganz entscheidend. Ihre Rückmeldung bietet nicht nur wertvolle Informationen bezüglich des praktischen Nutzens der Schutzbekleidung, sie fördert auch die Akzeptanz. „Wie schnell und einfach lassen sich die Kleidungsstücke an- und ausziehen?“, „Wie ist die Akzeptanz bezüglich Tragekomfort und Gewicht?“, „Sind die Kleidungsstücke mit allen anderen Elementen der PSA, wie zum Beispiel . Handschuhe, Sicherheitsschuhe, vereinbar?“, „Können alle zu erwartenden Aufgaben und Tätigkeiten ungehindert und ohne Schwierigkeiten durchgeführt werden?“ – Das sind alles Fragen, die möglichst positiv beantwortet werden sollten. Je höher der Komfort einer Schutzkleidung, umso besser wird sie schützen.
Die Autoren:
Silvia Mertens, Abteilungsleiterin Produktentwicklung bei der MEWA Textil-Service AG&Co. silvia.mertens@mewa.de Wolfgang Quednau, Geschäftsführer der BTTA GmbH E‑Mail: wolfgang.quednau@btta.de
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