Mit der steigenden Bedeutung der sozialen Medien ändert sich unser Informationsund Kommunikationverhalten grundlegend. Durch das Web 2.0 erschließen sich auch für Unternehmen neue Wege des Kundendialogs, der Informationsverbreitung sowie der Medienbeobachtung. Größere Firmen nutzen dieses Potenzial bereits mit unterschiedlichen Ansätzen und Zielen. Viele kleine und mittlere Unternehmen hingegen zögern noch.
Die sozialen Medien – sprich Mediendienstleistungen auf Webseiten, die Interaktionen und aktive Inhaltserstellung durch die Nutzer ermöglichen – sind längst keine vorübergehende Modeerscheinung mehr. Über 700 Millionen Menschen weltweit und über 20 Millionen Menschen in Deutschland nutzen Social Media Portale wie Facebook, Twitter oder YouTube – Tendenz steigend. Facebook verzeichnete im Januar 2010 allein in Deutschland über fünfeinhalb Millionen Mitglieder.
Aus dem Internet ist ein Mitmach-Medium geworden. Jedermann kann im Netz Bilder, selbstgedrehte Filme, Informationen, Meinungen oder Themen verbreiten, abrufen und austauschen. Viele benötigen dazu nicht einmal ein festes Büro, sondern sind durch den Einsatz moderner Kommunikationsmedien (Smartphone, IPad, Subnote mit UMTS etc.) von jedem Ort aus dazu in der Lage. Insbesondere für Unternehmen entstehen dadurch neue Herausforderungen. Sie können – ob sie es wollen oder nicht – plötzlich ins Visier der so genannten „Jedermannjournalisten“ geraten. Diskussionen über ein Produkt, ein Projekt oder ein kritisches Ereignis verlagern sich immer häufiger ins Netz. Allzu oft (leider noch) ohne Kenntnis und Teilhabe des betroffenen Unternehmens.
Deshalb treten immer mehr deutsche Firmen die Flucht nach vorn an und versuchen, ihre Zielgruppen im Social Web zu erreichen. Laut einer aktuellen Studie der Universität Oldenburg nutzen etwa 60 Prozent der größten Markenuntenehmen Deutschlands aktiv Social Media. Dabei ist Twitter mit 39 Prozent der beliebteste Dienst, gefolgt von YouTube mit 37 Prozent, Facebook mit 28 Prozent und Corporate Blogs mit 12 Prozent.
Hinzu kommt, dass eine „neue“ Mediengeneration mit einem „neuen“ Informations- und Kommunikationsverhalten heranwächst. Etwa 70 Prozent der Deutschen über 14 Jahre bewegen sich im Internet und zählen bereits zu den Social Media Nutzern (z.B. SchülerVZ, ICQ). Von daher kommen Unternehmen nicht umhin, sich den neuen Kommunikationsgewohnheiten anzupassen.
Unterschiedliche Möglichkeiten
Eigentlich hat fast jeder die sozialen Medien schon mal in Anspruch genommen – ob bewusst oder unbewusst. Das Angebot der Social Media Dienste im Internet ist sehr unterschiedlich und zielgruppenorientiert. Je nachdem, was man tun möchte oder sucht, findet sich immer ein Dienst (siehe auch Abb. 1). Es fängt im privaten Bereich mit dem Vernetzen von Freunden, dem Informationsaustausch oder der Informationsbeschaffung an (z.B. StayFriends, Facebook, Google, Youtube, Wikipedia). Bei der Mitarbeitersuche gehen viele Unternehmen dorthin, wo ihre Zielgruppen sind (z.B. Xing, Facebook). Möchten Unternehmen mit ihren Kunden in Dialog treten, gibt es zahlreiche Plattformen. In Blogs und Wikis, in Foren, auf Netzwerkseiten, über Video- und Podcasts, auf firmeneigenen Seviceseiten informieren Unternehmen über sich und ihre Dienstleistungen bzw. Produkte, reagieren auf Anregungen, Kritik oder Wünsche und beantworten Fragen. Für Menschen oder Unternehmen, die ihre Zielgruppen in SMS-Form mit maximal 140 Zeichen erreichen möchten, gibt es seit 2006 den Microblogging-Dienst Twitter. Dieser Dienst erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Twitter bietet weitere Möglichkeiten, um News in Form von Kurznachrichten zu „teasern“ und um Verlinkungen mit Webseiten herzustellen. Über Experten-Foren und Presse-Portale werden Fachartikel, Pressemitteilungen oder Vorträge direkt im Internet zur Verfügung gestellt. In Politik und Sport gehören die sozialen Medien längst zum Kommunikationsalltag. Und bei Journalisten ist die Nutzung der sozialen Medien vor allem bei der Recherche unverzichtbar. Die Bandbreite der Nutzungsmöglichkeiten ist jedoch noch weitaus größer.
Fluch oder Segen?
Durch die sozialen Medien erschließen sich zusätzliche Wege (Abb. 3), um direkt und schnell mit Menschen in Kontakt zu kommen – für Privatpersonen und Unternehmen gleichermaßen. Einerseits bieten sich vielfältige Chancen wie zum Beispiel die schnelle Verbreitung von aktuellen Informationen, das ungefilterte Feedback bei Aktionen und Informationen, die Platzierung von Botschaften, die Reaktion auf Kritik, der Dialog mit Zielgruppen, die Rekrutierung neuer Mitarbeiter, die Suche nach alten Freunden, das Erkennen aufkommender „Issues“ (s. nächste Seite) oder das Einholen von Informationen.
Andererseits kann aber auch jeder seine Meinung zu jedem Thema jederzeit äußern, indem er in die Rolle des „Jedermannjournalisten“ schlüpft. Die Macht des Einzelnen, sich über soziale Medien und Netzwerke Meinungen auszutauschen, zu verbreiten und zu multiplizieren, kann Marken, Produkte und Projekte positiv beeinflussen, aber auch schwer beschädigen. Denn diese Meinungen können wiederum das Akzeptanz- und Kaufverhalten vieler anderer Menschen signifikant beeinflussen. Erst im März dieses Jahres erwischte es den weltweit größten Lebensmittelkonzern schwer. Ein Konzern, der bislang eine kontrollierte Kommunikation gewohnt war, scheiterte an den „Jedermannjournalisten“ und erlitt dabei einen empfindlichen Reputationsverlust. Einem britischen Ölkonzern könnte aktuell ein ähnliches Schicksal drohen.
Immer mehr Nichtregierungsorganisationen (kurz: NGOs) setzen auf politische Protestaktionen im Netz. Bei Greenpeace und dem BUND zum Beispiel sind Social Media Aktivitäten fester Bestandteil ihrer Kampagnenplanung. Diese Umweltorganisationen verbinden heutzutage Aktivitäten auf der Straße mit Aktivitäten im Netz und erzeugen so eine neue Form von Veränderungsdruck auf Industrie und Politik. Diese NGOs bedienen die klassischen Medien erfolgreich weiter und entwickeln zusätzlich ihre eigenen und externen Angebote im Netz unter anderem bei Facebook, Twitter oder YouTube. Neue Wege, um wichtige Multiplikatoren und neue Meinungsbildner zu erreichen.
Datenschutz ist sehr wichtig
Unbestritten, soziale Netzwerke können faszinieren oder sogar süchtig machen. Doch die Zeiten der uneingeschränkten Begeisterung gehören der Vergangenheit an. Denn die Einwände vieler Kritiker, Datenschützer und Nutzer nehmen zu. Seit geraumer Zeit stellen sich immer wieder die drängenden Kernfragen des Online-Datenschutzes: Wer entscheidet darüber, was mit den persönlichen Daten geschieht? Wer darf welche Daten nutzen und an Dritte weiter geben? Wer hat die Kontrolle? Diese und andere Datenschutzaspekte dürfen auf keinen Fall außer Acht gelassen werden: Datenschutz versus Datenschatz. Aber eins steht auch fest: Es ist immer wieder der Nutzer selbst, der bestimmen kann (muss), welche Informationen er an wen weiter gibt.
Innovative Unternehmen, die bei diesem Thema etwas weiter sind, nehmen die Risiken der sozialen Medien besonders ernst. Sie haben eigene Social Media Regeln eingeführt, die sich an den Richtlinien der Unternehmenskommunikation orientieren. Außerdem schulen sie ihre Mitarbeiter im Umgang mit den sozialen Medien.
Krisenkommunikation und Social Media
Heutzutage kommt bei der Krisenkommunikation fast kein Unternehmen mehr um die Einbeziehung des Internets und um die sozialen Medien herum. Das gilt auch für Behörden, Berufsgenossenschaften, Institutionen, Kommunen und Organisationen. Insbesondere Aktualität, Anonymität, Schnelligkeit und Reichweite verleihen dem Internet die Doppelfunktion des Feuerlöschers und des Brandbeschleunigers. Fluch oder Segen? In Blogs, Chats und Diskussionsforen können Menschen ihre Ängste, Informationen, Meinungen oder Gerüchte in Windeseile verbreiten. Unternehmen, die nicht in der Lage sind darauf rechtzeitig zu reagieren, können schnell ins Hintertreffen geraten. Umgekehrt bietet das Internet den Unternehmen aber auch eine ideale Informations‑, Dialog- und Beobachtungsplattform für die eigene Krisenkommunikation, so dass Fakten zeitnah eingestellt sowie Gerüchte oder Falschmeldungen schnell wieder richtig gestellt werden können.
Unternehmen sollten im Rahmen ihres „Issues Management“ auch diese Medien intensiv beobachten. Das Instrument ist ein wichtiger Teil des antizipativen Krisenmanagements. Das „Issues Management“ ist bereits seit den 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts in den USA ein wichtiges Management-Thema und findet seit Ende der 90er Jahre im europäischen Raum ebenfalls Anwendung.
Die Bezeichnung „Issue“ entstammt dem angelsächsischen Sprachraum. Eine wörtliche Übersetzung ins Deutsche wäre „Thema, Angelegenheit etc.“, darunter versteht man in diesem Zusammenhang insbesondere ein Thema öffentlichen Interesses mit hohem Konfliktpotenzial. Issues Management dient als Früherkennungssystem für schwache Signale aus dem Unternehmensumfeld.
Durch das „Issues Management“ hat ein Unternehmen also die Möglichkeit, schnell, flexibel und vor allem sensibel auf jede Nachricht und Entwicklung zu reagieren, die für die Identität und Wahrnehmung der Unternehmensmarke wichtig ist und bei Nichtbeachtung Krisenpotenzial entwickeln kann.
Das Issues Management lässt sich dabei in fünf Phasen unterteilen:
- „Scanning“: Die Identifikation von Issues als grundlegende und somit fast schon wichtigste Phase
- „Issues Monitoring“: Analyse und Beobachtung der öffentlichen Meinung und Medien (dazu zählen mittlerweile natürlich auch die „Social Media“)
- „Strategic issue diagnosis“: Die strategische Prüfung und Einstufung
- „Message Formating“: Wahl der grundlegenden Reaktion/Antwort auf strategische Issues. Hierbei kann noch mal zwischen einem proaktivem und reaktivem Vorgehen unterschieden werden
- „Incorporation into strategic plan“: Integration in die strategische Planung.
Issues durchlaufen im öffentliche Fokus einen Lebenszyklus: Je weiter das Issue in seinem Lebenszyklus voranschreitet, desto geringer wird gleichzeitig die Einflussmöglichkeit des betroffenen Unternehmens. In den USA gilt das Issues Management mittlerweile als Selbstverständlichkeit, in Deutschland hingegen hinkt man dieser Entwicklung noch hinterher.
Arbeitsschutz goes Social Media
Immer mehr Arbeits- und Gesundheitsschutzakteure entdecken zunehmend die sozialen Medien, um sich zu informieren, auszutauschen oder um mit anderen über Themen zu diskutieren. Ein Positivbeispiel ist die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), die im Rahmen der aktuellen Präventionskampagne „Risiko raus“ die Social Media Plattform Facebook zur Meinungseinholung und ‑bildung einsetzt (s. Abb. 2).
Als weiteres Positivbeispiel wird die A+A, das größte Informations- und Diskussionsforum für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sowie die weltgrößte Fachmesse zu diesem Themenspektrum, angeführt. Seit Kurzem präsentiert sich die A+A neben ihrem „traditionellen“ Auftritt im Internet auch auf der sozialen Plattform Facebook. Darüber hinaus werden zahlreiche Videos über eine Verlinkung mit YouTube zur Verfügung gestellt. Schließlich werden interessierte Kreise auf der Startseite Besucher-Service zum Twittern eingeladen.
Auch bei einzelnen Behörden, Berufsgenossenschaften und Unfallkassen ist der Trend hin zu den sozialen Medien bereits erkennbar.
Zusammenfassung und Ausblick
Durch den Einzug der sozialen Medien ist neben den klassischen PR- und Medien-Kanälen ein neuer, facettenreicher Kommunikationsbypass hinzugekommen. In diesem Zusammenhang wird auch der Bedarf an „Social Media Experten“ mittelfristig zunehmen. Viele Akteure zögern derzeit noch, weil ihnen nicht ganz klar ist, welchen konkreten Nutzen die sozialen Medien bei ihrer täglichen Arbeit erzeugen können. Neue Kommunikationsansätze und vor allem Mut zum Herantasten sind dabei gefragt.
Entscheider sollten sich mit der Bedeutung der sozialen Medien für ihre Behörde, ihre Berufsgenossenschaft, ihre Institution, ihre Kommune, ihre Organisation und ihr auseinander setzen. Basisschritte sind dabei, Chancen und Herausforderungen abzuwägen, Zielgruppen zu definieren, die richtige Medienwahl zu überdenken und im Sinne einer mittelfristigen Zielsetzung eine klare Position einzunehmen. Schließlich geht es auch darum, nicht den Anschluss zu verlieren. Denn in einigen Jahren wird niemand mehr von Social Media reden, weil es zum Alltag geworden ist. Darüber sind sich mittlerweile viele Kommunikationsexperten und Nutzer einig.
Literatur
- 1. Ditges, F., Höbel, P., Hofmann, Th.: „Krisenkommunikation“, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz, 2008, ISBN 978–3–89669–508–6.
- 2. Fries, J.: „Lösemittel-Recyclingfirma im Vollbrand“, WFV INFO März 2010, S. 23–32, ISSN 1618–6962.
- 3. Hagebölling, V.: „Technisches Risikomanagement“, TÜV Media GmbH, Köln, 1. Auflage 2009, ISBN 978–3–8249–1101–1.
- 4. Möhrle, H.: „Krisen-PR“, F.A.Z.-Institut, Frankfurt, 2. Auflage 2007, ISBN 978–3–89981–135–3.
- 5. Pachurka, C., Siegmann, S., Rudolph, W., Hagebölling, V.: „Technische Krisenprävention – Ereigniskommunikation: Eine Praxishilfe für KMU – Teil 3“, Verlag Technik & Information, Bochum, 1. Auflage 2010, ISBN 978–3–941441–10–1.
- 6. Pachurka, C, Siegmann, S., Rudolph, W., Hagebölling, V.: „Krisenkommunikation und Prinzip Hoffnung“, Sicherheitsingenieur 10/2009, S. 38–41, ISSN 0300–3329.
- 7. Siegmann, S., Pachurka, C., Rudolph, W., Hagebölling, V.: „Risiko-/ Ereignis- und Krisenkommunikation: Ein altes, neues Thema, Praktische Arbeitsmedizin, Februar 2010, S. 36–40, ISSN 1861–6704.
- 8. Tenckhoff, B., Siegmann, S.: „Vernetztes Betriebssicherheitsmanagement“, Dr. Curt Haefner-Verlag GmbH, Heidelberg, 1. Auflage 2009, ISBN 978–3–87284–061–5.
- 9. Universität Oldenburg und construktiv GmbH: „Wie nutzen Deutschlands größte Marken Social Media?“, Eine empirische Studie, Dezember 2009.
Autoren
Dipl.-Ing. M.Sc. BSM Claus Pachurka, Maschinenbau- und Metall-BG, Düsseldorf, Fachausschuss FA MHHW, Arbeitskreis Technische Krisenprävention (AK TKP)
Dipl.-Min. M.Sc. BSM Silvester Siegmann, Vorsitzender des Arbeitskreises Betriebssicherheitsmanagement (AK BSM) im VDSI siegmann@uni-duesseldorf.de
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