Zum 1. Januar 2015 werden die Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter mit allen fünf Verkehrsträgern routinemäßig erneut geändert. Der folgende Beitrag beschränkt sich auf die Vorschriften für den Transport gefährlicher Güter im Straßenverkehr („ADR“), und hier auf eine – subjektive – Auswahl von für die betriebliche Versand‑, Verlade- und Transportpraxis bedeutsamen Änderungen.1
Motive für die Änderungen der Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter sind:
- Beschlüsse der Vereinten Nationen aus den Jahren 2011 und 2012 (= 18. Aus-gabe des „Orange Book“, 2. Ergänzung der 5. überarbeiteten Ausgabe des Handbuchs „Prüfungen und Kriterien“)
- Erkenntnisse zur Notwendigkeit der Änderung von Vorschriften, insbesondere aufgrund von Unfällen
- Übernahme internationaler und nationaler Ausnahmen in die Regelwerke
ADR Teil 1: Allgemeines
Unterabschnitt 1.1.3.3 (= Freistellungen, hier im Zusammenhang mit der Beförderung von flüssigen Kraftstoffen wie Benzin und Diesel):
- a) Hier gibt es eine Ergänzung dahingehend, daß die Beförderung nur dann nicht dem ADR unterliegt, wenn der beförderte Kraftstoff während der Beförderung verwendet wird oder für den Gebrauch während der Beförderung bestimmt ist. Das entspricht dem Wording des Unterabschnitts 1.1.3.7 b) und ist wichtig für die Abgrenzung zur bzw. Anwendung der Sondervorschrift 363.
- Neu: c): „Kraftstoff in Behältern von als Ladung beförderten mobilen Maschinen und Geräten, wenn er für den Antrieb oder den Betrieb einer ihrer Einrichtungen dient. Der Kraftstoff darf in befestigten Kraftstoffbehältern, die direkt mit dem Fahrzeugmotor und/oder der Einrichtung verbunden sind und den gesetzlichen Vorschriften entsprechen, befördert werden. Soweit erforderlich müssen diese Maschinen oder Geräte aufrecht verladen und gegen Umfallen gesichert werden.“ Hierunter fallen solche Maschinen und Geräte, die nicht zur Beförderung von Personen oder Gütern auf der Straße bestimmt sind und in die ein Verbrennungsmotor eingebaut ist. Im Ergebnis unterliegt die Beförderung von mobilen Maschinen und Geräten mit Kraftstoffen (i.d.R. Dieselöl) mit oder auf Fahrzeugen, z.B. auf Tiefladern (s. Abb. 1), nicht der Sondervorschrift 363 und damit nicht dem ADR.
Unterabschnitt 1.6.1.1 (= allgemeine Übergangsvorschrift): Das ADR i.d.F.
- 2013 kann noch bis 30.06.2015 angewendet werden
- 2015 kann ab 01.01.2015/muss ab 01.07.2015 angewendet werden, wenn es keine besondere Übergangsfrist im Kapitel 1.6 gibt.
Unterabschnitt 1.6.1.20 (= alte besondere Übergangsvorschrift betr. gefährliche Güter in begrenzten Mengen („Limited Quantities“)): Die Zulässigkeit der Anwendung des Kapitels 3.4 ADR i.d.F. 2009 läuft am 30.06.2015 ab. Spätestens ab 01.07.2015 dürf(t)en z.B. die alten LQ-Kennzeichen auf Versandstücken, Beförderungseinheiten und Containern nicht mehr anzutreffen sein:
01.07.2015:
Sondern nur noch:
Unterabschnitt 1.6.3.44 ADR (= neue besondere Übergangsvorschrift betr. festverbundene Tanks (Tankfahrzeuge) und Aufsetztanks): Tanks, die bereits mit Additivierungseinrichtungen ausgerüstet sind, dürfen bis zur nächsten nach dem 01.07.2015 liegenden wiederkehrenden Prüfung des Tanks weiter verwendet werden. Stellt sich dann heraus, daß die Additivierungseinrichtung der neuen Sondervorschrift 664 nicht entspricht, muß die zuständige Behörde bzw. müssen bei grenzüberschreitenden Beförderungen die zuständigen Behörden der Weiterverwendung zustimmen.
ADR Teil 2: Klassifizierung
Abschnitt 2.1.5 (= neu, betrifft die neue UN 3509): „Leere“ ungereinigte Verpackungen einschließlich Großpackmittel (IBC) und Großverpackungen (LP) oder sogar nur Teile davon können unter der neuen UN 3509 zur Entsorgung befördert werden. „Leere“ ungereinigte Verpackungen dürfen unter UN 3509 nur dann befördert werden, wenn sie so weit entleert wurden, daß bei der Übergabe zur Beförderung nur noch an den Verpackungsteilen anhaftende Rückstände gefährlicher Güter vorhanden sind.
ADR Teil 3: Stoffverzeichnis(se), Sondervorschriften, begrenzte Mengen, freigestellte Mengen
Abschnitt 3.2.1, Erläuterungen der Spalten 1 bis 20, hier Erläuterung der Spalte 17 „Lose Schüttung“: Weil der Code VV durch VC und AP ersetzt wurde, mußten auch die Erläuterungen an dieser Stelle angepaßt werden.
Abschnitt 3.2.1, Tabelle A (= Verzeichnis der Gefahrgüter in UN-numerischer Reihenfolge):
Bei vorhandenen UN-Nummern gibt es zahlreiche Änderungen. Einige Beispiele:
- UN 0503: Die bisherigen drei Benennungen wurden ersetzt durch „SICHERHEITSEINRICHTUNGEN, PYROTECHNISCH“.
- UN 1202, 1203, 1223, 1268, 1863 und 3475: neu: Sondervorschrift 664.
- UN 3077 und 3082: neu: Sondervorschrift 375.
- UN 3090, 3091, 3480 und 3481: neu wie folgt im Änderungsmodus:
- UN 3268: Die bisherigen drei Benennungen wurden ersetzt durch „SICHERHEITSEINRICHTUNGEN, elektrische Auslösung“.
- Bei allen UN-Nummern, die zur Beförderung in loser Schüttung zugelassen sind, wurden die Sondervorschriften VV1 bis VV17 durch VC1 bis VC3 und die neuen ergänzenden Vorschriften AP1 bis AP10 ersetzt.
Es gibt 20 neue UN-Nummern in den Spalten 1, 2, 4, 5, 6 und 8 der Tabelle A (s. Seite 26 oben). 17 der 20 neuen UN-Nummern beziehen sich auf adsorbierte Gase.
Abschnitt 3.3.1 (= Sondervorschriften)
Bei bestehenden Sondervorschriften gibt es zahlreiche Änderungen.
Neu sind u.a. die folgenden Sondervorschriften (SV):
- SV375 (betr. UN 3077 bzw. 3082 in Verpackungen # 5 kg bzw. l): Unterliegen im Wesentlichen nicht mehr den Gefahrgutvorschriften, d.h. keine Baumusterzulassung, Kennzeichnung und Bezettelung der Verpackung, kein Beförderungspapier usw. mehr erforderlich. Bislang galt nur die Privilegierung betr. des Kennzeichens „umweltgefährdend“ gemäß Absatz 5.2.1.8.1. Die Einträge in der Spalte 7a der Tabelle A (5 kg bzw. l) kann man also getrost ignorieren. Die Vorschriften der CLP-Verordnung betr. Kennzeichnung mit dem Gefahrenpiktogramm „Fisch/Baum“ sind natürlich weiterhin zu beachten.
- SV376 (betr. beschädigte/defekte UN 3090, 3091, 3480 und 3481) (ersetzt bisherige SV661).
- SV377 (betr. UN 3090, 3091, 3480 und 3481 Abfall). Bemerkung: Mit „Entsorgung“ ist „Beseitigung“ und mit „Re-cycling“ ist „Verwertung“ gemeint. Das Aufkommen an Abfalllithiumionenbatterien wird sich in Deutschland von z.Z. 471 t auf 3.649 t im Jahr 2020 verachtfachen.
- – SV663: betr. neue UN 3509:
zulässige Rückstände: aus Klassen
- 3 außer VG I und Klassifizierungs-code D
- 4.1 außer VG I und Klassifizierungs-codes D und SR
- 5.1 außer VG I
- 6.1 außer VG I
- 8 außer VG I
- 9 außer UN 2212, 2315, 2590, 3151, 3152 und 3432.
Es dürfen nur Rückstände gefährlicher Güter vorhanden sein, die an den Verpackungen innen und/oder außen anhaften.
Die Verpackungen müssen nicht vollständig sein, d.h. es dürfen z.B. die Verschlüsse fehlen.
Zusammenpack-/-ladeverbot mit Verpackungen mit Gefahrzettel 5.1.
Bei leeren Verpackungen, ungereinigt von UN 1263, ist die Sondervorschrift 650 d) zu beachten.
- SV664 ADR (betrifft UN 1202, 1203, 1223, 1268, 1863 und 3475 in Tanks mit Additivierungseinrichtungen): Erstmalige Regelung im ADR siehe untere Tabelle auf der folgenden Seite.
- Drei Sondervorschriften (namentlich 580, 585 und 661) wurden gestrichen.
ADR Teil 4: Umschließungsmittel: Verwendung
Zahlreiche Verpackungsanweisungen wurden geändert, und neue Verpackungsanweisungen wurden aufgenommen.
ADR Teil 5: Versand
Die wichtigste Änderung betrifft den Abschnitt 5.5.3, wo es um die Verwendung von Gefahrgütern, insbesondere von Trockeneis, zum Kühlen oder Konditionieren von anderen Transportgütern (wie Lebensmittel, Pharmazeutika) während der Beförderung geht. In den Absatz 5.5.3.1.4 werden nämlich zwei neue Sätze aufgenommen, die es in sich haben: Die Unterabschnitte 5.5.3.6 (= Kennzeichnung Fahrzeug/Container mit dem Warnkennzeichen) und 5.5.3.7 (= Dokumentation) finden nur dann Anwendung, wenn eine „tatsächliche Erstickungsgefahr“ im Fahrzeug/Container besteht. Den Betroffenen (= Verlader und Fahrer bzgl. der Kennzeichnung Fahrzeug/Container, Auftraggeber des Absenders, Absender und Beförderer bzgl. der Dokumentation) obliegt es nun, dieses Risiko unter Berücksichtigung der von den für die Kühlung oder Konditionierung verwendeten Stoffen ausgehenden Gefahren, der Menge der zu befördernden Stoffe, der Dauer der Beförderung und der zu verwendenden Umschließungsarten zu beurteilen („Risikobeurteilung“). Ein ursprünglich beabsichtigter Satz 3 „In der Regel ist davon auszugehen, daß von Versandstücken, die Trockeneis (UN 1845) als Kühlmittel enthalten, kein diesbezügliches Risiko ausgeht“ wurde im Licht der Erkenntnisse zweier Unfälle mit tödlichem Ausgang dann doch nicht aufgenommen. Wer also daran interessiert ist, die Kennzeichnung des Fahrzeugs/Containers mit dem Warnkennzeichen „Erstickungsgefahr“ und die Dokumentation wegzulassen, muß für z.B. Trockeneis Folgendes beurteilen: Bei
- welcher Menge Trockeneis [kg] (Bem.: Gemäß ADR muß die Menge nirgends angegeben sein)
- welcher Art von Verpackung (nicht isoliert/isoliert)
- welchem Nettoladeraumvolumen (= Laderaumbruttovolumen minus Ladegutvolumen) [m³]
- welcher Nettoladeraumfläche (= Lade-raumbruttofläche minus Ladegutfläche) [m²]
- welcher Dauer der Beförderung [h]
- welcher Temperatur während der Beförderung [° C]
wird im Laderaum eines „gut“ belüfteten Fahrzeugs/Containers (vgl. Absatz 5.5.3.3.3 ADR) bei einer Sublimationsrate von 2 % CO2 je Stunde für nicht isolierte Verpackungen bzw. von 1 % CO2 je Stunde für isolierte Verpackungen die für die Atmung kritische Konzentration von 8 Vol.-% CO2 erreicht?
Ein Beispiel für eine solche Risikobeur- teilung: 20‘-Container:
- V20‘-Container = 33 m³
- VLadung = 26 m³
- Vfrei = 7 m³
- Fläche20‘-Container = 14 m²
- FlächeLadung = 11 m²
- Flächefrei = 3 m²
- MTrockeneis = 4 kg:
- Art der Verpackung: nicht isoliert
- Sublimationsrate = 2 %/h bbbb50 h = 100 %
- Temperatur = 21 °C
- Lüftung20‘-Container = 4 x 9 Löcher in Deckennähe
Nach 16 Stunden ist in dem freien Laderaum (7 m³) auf der freien Fläche (3 m²) die Konzentration von 8 Vol.-% CO2 überschritten: Es bestünde „tatsächliche Erstickungsgefahr“ – allerdings nur bei vollständiger Durchmischung, denn tatsächlich ist CO2 1,5 mal schwerer und viel kälter als die Raumluft. Deshalb steigt die Konzentration des CO2 in der Luft von unten nach oben. In einer Höhe von mehr als 50 cm über dem Boden wird die CO2-Konzentration sicher die 8 %-Grenze noch nicht erreichen.
Es ist vollkommen klar, daß 99 % der Interessenten mit der Risikobeurteilung hoffnungslos überfordert sein dürften. Insofern stellt der Satz 2 des neuen Absatzes 5.5.3.1.4 nur ein hypothetisches Angebot dar, das von den allermeisten Interessenten mangels Fachkenntnissen gar nicht genutzt werden kann.
ADR Teil 6: Umschließungsmittel: Bau und Prüfung
Im Teil 6 gibt es zahlreiche Änderungen bei den Vorschriften für den Bau und die Prüfung von Umschließungsmitteln.
ADR Teil 7: Be-/Entladung, Handhabung
Abschnitt 7.3.3 (= lose Schüttung: Nicht-Schüttgutcontainer: Sondervorschriften): Die bisherigen Sondervorschriften VV1 bis VV17 werden durch die zusätzlichen Vorschriften VC1 bis VC3 ersetzt; ergänzend gibt es neu die Vorschriften AP1 bis AP10. Beispiel: UN 3175: Darf nun auch in bedeckten Kleincontainern und in gedeckten Fahrzeugen und (Klein-/Groß-)Containern (mit „angemessener“ Belüftung) befördert werden.
ADR Teil 8: Ausrüstung, Fahrer, Tunnel
Kapitel 8.5 (= zusätzliche Vorschriften):
– S1 (= Klasse 1)
- Absatz 3 (= Rauchverbot): Gilt nun auch für elektronische Zigaretten oder ähnliche Geräte (Bem.: siehe auch Unterabschnitt 5.4.3.4 Seite 1 und Abschnitte 7.5.9 und 8.3.5).
– S12 (= Klasse 7, UN 2915 und 3332, ^Versandstücke je Beförderungseinheit # 10, ^TI # 3): Klarstellung: kein Basiskurs, kein Aufbaukurs Klasse 7, sondern nur Schulung + Bescheinigung durch Arbeitgeber. Konsequenz: Zwar Warntafeln + Großzettel 7D am Fahrzeug, aber keine ADR-Bescheinigung für Fahrer.
ADR Teil 9: Fahrzeuge: Bau und Prüfung
Keine signikanten Änderungen.
Fazit
Die Änderungen bei den Gefahrguttransportvorschriften erschöpfen sich immer mehr im „Klein-Klein“. Woher sollte auch größerer Änderungsbedarf resultieren? Wenn das Materielle gefestigt ist, bleibt nur noch Raum für Änderungen an Formalien. Trotzdem bleibt es den Betroffenen nicht erspart, die Änderungen daraufhin zu überprüfen, ob das eigene Unternehmen davon betroffen ist – oder nicht.
1 Den vollständigen Text der Änderungen findet man hier: http://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/2557/Gefahrgut_Entwurf-ADR_de.pdf
Autor
Prof. Dr. Norbert Müller, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Gefahrguttransport und ‑lagerung, Duisburg
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