1 Monat GRATIS testen, danach für nur 3,90€/Monat!
Startseite » Gesundheitsschutz » Unternehmenskultur » Führung »

Die „neue“ Sifa: Betriebliches Gesundheitsmanagement muss gelebt werden

Interview
Die „neue“ Sifa: Betriebliches Gesundheitsmanagement muss gelebt werden

Die Rolle der Fachkraft für Arbeitssicher­heit (Sifa) hat sich in den ver­gan­genen Jahren stark verän­dert: Gefragt sind führungs- und kom­mu­nika­tion­sstarke Per­sön­lichkeit­en, die betriebliche Prozesse in Gang set­zen und aktiv gestal­ten. Im Inter­view schildert der VDSI-Vor­standsvor­sitzende Pro­fes­sor Dr. Rain­er von Kipars­ki, welch­es Pro­fil die Sifa benötigt, um erfol­gre­ich wirken zu kön­nen, zum Beispiel im Hin­blick auf das Betriebliche Gesund­heits­man­age­ment (BGM) und arbeits­be­d­ingte psy­chis­che Belastungen.

Es wird viel darüber disku­tiert, dass sich die Sifa zum Man­ag­er für Sicher­heit und Gesund­heit entwick­eln soll. Wenn Sie die hiesige Unternehmensland­schaft betra­cht­en: Gibt es diesen neuen „Man­ager­ty­pus“ bere­its und wo hat er sich vor allem durchgesetzt?

von Kipars­ki: Es gibt diesen neuen Man­ager­ty­pus ins­beson­dere in inter­na­tion­al agieren­den Unternehmen. Ein wichtiger Indika­tor sind Stel­lenanzeigen in über­re­gionalen Zeitun­gen. Dort wird ver­stärkt nach Spezial­is­ten in den Bere­ichen Sicher­heit, Gesund­heit und Umwelt gesucht, die als EHS‑, SHE- oder HSE-Man­ag­er beze­ich­net wer­den (Kürzel für engl. Envi­ron­ment, Health, Safe­ty, Anm. d. Red.). An diese Ter­mi­nolo­gie hat sich auch der VDSI angelehnt, indem wir für den deutschen Sprachraum den Begriff des Man­agers für Sicher­heit und Gesund-heit einge­führt haben. In kleinen und mit­tleren Unternehmen ist die Beze­ich­nung EHS-Man­ag­er allerd­ings nicht üblich. Den­noch ist fest­stell­bar, dass sich das Auf­gaben­spek­trum der hier täti­gen Fachkräfte für Arbeitssicher­heit immer mehr dem Pro­fil der EHS-Man­ag­er annähert. Die Fachkräfte für Arbeitssicher­heit in kleinen und mit­tleren Unternehmen sind oft alleinige betriebliche Ansprech­part­ner zu allen Fra­gen rund um Sicher­heit, Gesund­heit und Umweltschutz bei der Arbeit. Sie wach­sen also automa­tisch in eine Man­ager­rolle hinein, da es in vie­len Betrieben keine weit­eren Fach­leute für diese Diszi­plinen gibt. Ein ganz aktuelles Beispiel ist der Betrieb­särzte­man­gel, von dem mit­tler­weile sehr viele Unternehmen in Deutsch­land betrof­fen sind. Laut ein­er Studie der Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin (BAuA) aus dem Jahr 2014 beträgt die gegen­wär­tig wahrgenommene Betreu­ungslücke bei den Betrieb­särzten rund 4,7 Mio. Stun­den pro Jahr. Wenn die Neuan­erken­nung von Ärzten auf dem gegen­wär­tigem Niveau stag­niert, wird diese Lücke in den kom­menden zehn Jahren auf 6,8 Mio. Stun­den pro Jahr steigen. Schon allein auf­grund dieser per­son­ellen Kon­stel­la­tion füllen Fachkräfte für Arbeitssicher­heit die Rolle eines Man­agers für Sicher­heit und Gesund­heit aus.
Es gibt eine ganze Rei­he von Fach­leuten, die im BGM aktiv sind. Wo lässt sich in diesem Umfeld die Sifa verorten – ger­ade vor dem Hin­ter­grund des skizzierten beru­flichen Selbstverständnisses?
von Kipars­ki: Die Fachkraft für Arbeitssicher­heit übern­immt, auch auf­grund der oben geschilderten per­son­ellen Sit­u­a­tion im Unternehmen, oft die alleinige Koor­di­na­tion von BGM-Pro­jek­ten. In den Unternehmen, in denen es Betrieb­särzte gibt, erledigt sie diese Auf­gabe gemein­sam mit dem Betrieb­sarzt – häu­fig ste­ht sie diesem bera­tend zur Seite. Die Fachkraft für Arbeitssicher­heit hat einen entschei­den-den Vorteil gegenüber allen anderen Fach­leuten im BGM: Diese sind oft nur pro­jek­t­be­zo­gen im Unternehmen tätig und deshalb bei weit­em nicht so tief in den betrieblichen Abläufen ver­ankert wie die Sifa selb­st. Daraus leit­et sich die zen­trale Bedeu­tung der Fachkraft für Arbeitssicher­heit für das BGM ab. Um die damit ver­bun­de­nen Chan­cen auch wahrnehmen zu kön­nen, gibt es zwei unab-ding­bare Voraus­set­zun­gen: Erstens muss sich die Fachkraft für Arbeitssicher­heit in den bei­den Bere­ichen Gesund­heit und Umweltschutz weit­er­bilden und zweit­ens muss sie mehr Ver­ant­wor­tung übernehmen wollen.
Ein BGM aufzubauen ist eine Sache – sys­tem­a­tisch und nach­haltig geeignete Maß­nah­men durchzuführen eine andere. Welche Auf­gaben fall­en Ihrer Ansicht nach in den Zuständigkeits­bere­ich der Sifa?
von Kipars­ki: Zunächst ein­mal gehört es in den Auf­gaben­bere­ich der Fachkraft für Arbeitssicher­heit, dafür zu sor­gen, dass die Grund­la­gen für ein BGM bere­its im Betrieb vorhan­den sind. Dazu zählen Gefährdungs­beurteilun­gen, Unter­weisun­gen und alle anderen Ele­mente, die für ein mod­ernes Arbeitss­chutzsys­tem uner­lässlich sind. Weit­er­hin sollte sie sich dafür ein­set­zen, dass ein BGM nicht isoliert von anderen betrieblichen Sys­te­men einge­führt wird. Vielmehr muss es kom­pat­i­bel zu den anderen Man­age­mentsys­te­men im Unternehmen sein, zum Beispiel zu Qual­itäts­man­age­ment- und Umweltschutzsys­te­men. Es ist also wichtig, ein inte­gri­ertes Sys­tem im Unternehmen zu etablieren, in dem alle Teil­sys­teme und deren Ele­mente aufeinan­der abges­timmt sind. Die Fachkraft für Arbeitssicher­heit kann hier wesentlich zur Inte­gra­tion der Prozesse beitra­gen. Hierzu ein Beispiel: Es macht wenig Sinn – je nach Anzahl der einge­führten Man­age­mentsys­teme – drei oder vier ver­schiedene Unter­weisun­gen zum gle­ichen The­ma für die Beschäftigten durchzuführen. Vielmehr müssen die Inhalte miteinan­der im Rah­men ein­er Unter­weisung kom­biniert wer­den, damit die Mitar­beit­er die Zusam­men­hänge erken­nen und dementsprechend han­deln kön­nen. Darüber hin­aus kann die Fachkraft für Arbeitssicher­heit die Kom­mu­nika­tion des Arbeits- und Gesund­heitss­chutzes im Unternehmen mit Inhal­ten füllen und steuern sowie andere Mul­ti­p­lika­tor­funk­tio­nen ausüben. Dazu gehört vor allem, dass sie Beschäftigte über Arbeits- und Gesund­heitss­chutz informiert, sen­si­bil­isiert und aktiviert.
… und wie kann die Sifa sich­er­stellen, dass BGM nicht zur „Ein­tags­fliege“ wird?
von Kipars­ki: Die angestoße­nen Prozesse müssen nach­haltig sein. In der Prax­is kommt es immer wieder vor, dass ein Unternehmen ein beispiel­sweise drei­monatiges Pro­jekt mit BGM-Maß­nah­men durch­führt, sich aber im Anschluss – wenn die hier­für eigens engagierten exter­nen Berater nicht mehr vor Ort sind – nie­mand um die Aufrechter­hal­tung und Weit­er­führung der neu aufge­baut­en Struk­turen und Prozesse küm­mert. Ein BGM ist ein kon­tinuier­lich­er Prozess, bei dem der Unternehmer stetig Beratung benötigt: Die durchge­führten Maß­nah­men müssen laufend analysiert und angepasst wer­den. Die Fachkraft für Arbeitssicher­heit muss also die „Flamme am Bren­nen hal­ten“: Sie muss die Geschäfts­führung und alle rel­e­van­ten Führungskräfte immer wieder neu davon überzeu­gen, wie wichtig es ist, nicht im Sta­tus quo zu ver­har­ren, son­dern weit­er an der Opti­mierung des BGM zu arbeiten.
Bei der Ein­führung der DGUV Vorschrift 2 zeigten sich einige Fach­leute – darunter auch Sie – opti­mistisch, dass die Vorschrift die Kom­mu­nika­tion zwis­chen Geschäfts­führung und Fachkraft für Arbeitssicher­heit verbessert. Dies kön­nte der Sifa auch neue Chan­cen eröff­nen, eine Qual­itätsverbesserung im gesamten Arbeits- und Gesund­heitss­chutz – und damit auch im BGM – durchzuset­zen. Wie ist Ihre Mei­n­ung dazu?
von Kipars­ki: Die DGUV Vorschrift 2 hat uns viel gebracht. Sicher­lich ist die Vorschrift noch nicht in allen Betrieben angekom­men – alles braucht schließlich seine Zeit. Aber aus Unternehmen, in denen die DGUV Vorschrift 2 umge­set­zt wird, habe ich sehr viel Pos­i­tives gehört. Die Vorschrift sieht vor, dass der Unternehmer jährlich zusam­men mit der Fachkraft für Arbeitssicher­heit und dem Betrieb­sarzt unter Beteili­gung des Betrieb­srates Ziele zum Arbeits- und Gesund­heitss­chutz vere­in­bart. Diese Zielvere­in­barun­gen – in Kom­bi­na­tion mit der im Vor­feld vol­l­zo­ge­nen Analyse der Maß­nah­men des ver­gan­genen Jahres – führen mein­er Auf­fas­sung nach zu ein­er ganz ein­deuti­gen Qual­itätsverbesserung. Bei den Zielvere­in­barun­gen geht es um ganz konkrete Pro­jek­te, die für ein Unternehmen rel­e­vant sind und bei denen alle Beteiligten kooperieren müssen. Dies ver­hin­dert den früher in vie­len Unternehmen dominieren­den „Par­tiku­lar­is­mus“ oder dämmt diesen zumin­d­est stark ein. Durch eine kon­se­quente Umset­zung der DGUV Vorschrift 2 kön­nen Vertreter der einzel­nen Diszi­plinen eben nicht mehr ein­fach „ihr“ Pro­jekt durch­führen und die anderen Ver­ant­wortlichen wed­er informieren noch beteiligten. Mit der DGUV Vorschrift 2 wird trans­par­ent fest­gelegt: Wer macht was? Wer hat welche Kapaz­itäten, Kom­pe­ten­zen und Ver­ant­wortlichkeit­en? Und wer ver­fol­gt welche Inter­essen? Natür­lich hat der Unternehmer dabei immer noch das let­zte Wort, schließlich geht es auch um die Budgetplanung.
Blick­en wir auf ein anderes The­ma: In den ver­gan­genen Jahren hat sich die Zahl der Arbeit­nehmer, die über arbeits­be­d­ingte psy­chis­che Belas­tun­gen kla­gen, sprung­haft erhöht. Wie kön­nen sich Sifas bei dieser Prob­lematik wirkungsvoller einbringen?
von Kipars­ki: Die Auseinan­der­set­zung mit der arbeits­be­d­ingten psy­chis­chen Belas­tung der Beschäftigten ist in erster Lin­ie Sache der Geschäfts­führung und der Vorge­set­zten im Betrieb. Der fach­liche Umgang damit sollte vor­rangig in den Hän­den der Betrieb­särzte liegen, falls diese hier­für Ken­nt­nisse und Inter­esse mit­brin­gen und vor allem, wenn sie über­haupt ver­füg­bar sind. Es ist der Sache aber nur förder­lich, wenn sich auch andere Fach­leute im Unternehmen mit dieser The­matik auseinan­der­set­zen. Der VDSI leis­tet im Übri­gen auch seinen Beitrag, um arbeits­be­d­ingte psy­chis­che Belas­tun­gen in den Betrieben in den kom­menden Jahren effek­tiv­er reduzieren zu kön­nen. Wir haben zusam­men mit dem Insti­tut für ange­wandte Arbeitswis­senschaft (ifaa) in Düs­sel­dorf, den Gew­erkschaften sowie der Gemein­samen Deutschen Arbeitss­chutzs­trate­gie (GDA) einen Lehrgang zum The­ma konzip­iert, mit dem wir uns an inter­essierte Fachkräfte für Arbeitssicher­heit wen­den, die sich in ihren Unternehmen der Ermit­tlung, Analyse und Reduzierung psy­chis­ch­er Belas­tun­gen wid­men wollen. Ziel ist es, die Fachkräfte für Arbeitssicher­heit für diese The­matik weit­er zu sen­si­bil­isieren, zu aktivieren und ihnen fach­liche Unter­stützung zu geben. Die Lehrgang­sun­ter­la­gen dazu sind bere­its fer­tig erstellt und kön­nen im Inter­net unter www.gda-psyche.de auch schon einge­se­hen wer­den. In eini­gen ein­schlägi­gen Stu­di­engän­gen, wie etwa in Wup­per­tal und Dres­den, wer­den darüber hin­aus arbeit­spsy­chol­o­gis­che Inhalte ange­boten, das heißt, es wer­den bere­its während der Aus­bil­dung die Grund­la­gen der Ermit­tlung psy­chis­ch­er Gefährdun­gen und Prob­lem­felder im Betrieb ver­mit­telt. Fachkräfte für Arbeitssicher­heit soll­ten sich außer­dem mit arbeits­be­d­ingten psy­chis­chen Belas­tun­gen auseinan­der­set­zen, weil sie aus­geze­ich­nete Ken­ner der Betrieb­sprozesse sind. Diese Prob­lematik ist ganzheitlich zu betra­cht­en: Arbeits­be­d­ingte psy­chis­che Prob­leme entste­hen auf­grund von bes­timmten per­son­ellen, organ­isatorischen, pro­duk­tion­stech­nisch-en und zeitlichen Umstän­den im Unternehmen und lassen sich nicht von diesen los­gelöst sehen und angehen.
Lassen Sie uns zum Schluss noch ein­mal auf das The­ma Aus­bil­dung zu sprechen kom­men: Hier wird der Grund­stein gelegt, damit eine Sifa später ihre Rolle als Man­ag­er für Sicher­heit und Gesund­heit opti­mal aus­füllen kann. Wo gibt es entsprechende Ange­bote und inwieweit wird der VDSI in dieser Hin­sicht aktiv?
von Kipars­ki: Es gibt eine Rei­he von Stu­di­engän­gen, in denen die rel­e­van­ten Inhalte ver­mit­telt wer­den. Beispiele sind die Hochschulen in Wup­per­tal und Furt­wan­gen. In Dres­den wird ein Mas­ter­stu­di­en-gang der Dres­den Inter­na­tion­al Uni­ver­si­ty (DIU) ange­boten, der in Koop­er­a­tion mit der DGUV aufgelegt wurde. Auch der VDSI ist aktiv, vor allem durch die Wis­sens­man­age­ment-Ange­bote im Inter­net unter www.vdsi.de. Im Rah­men dieses Wis­sens­man­age­ment-Ser­vices kön­nen sich unsere Mit­glieder einen Überblick ver­schaf­fen, welche Aus­bil­dungsmod­ule und Stu­di­engänge in Deutsch­land bere­its existieren und welche bezüglich ihrer Qual­ität und Inhalte zu empfehlen sind.
Vie­len Dank für das Gespräch.
Das Inter­view führte Joerg Hensiek.
Unsere Webi­nar-Empfehlung
Newsletter

Jet­zt unseren Newslet­ter abonnieren

Webinar-Aufzeichnungen

Webcast

Jobs
Sicherheitsbeauftragter
Titelbild Sicherheitsbeauftragter 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Sicherheitsingenieur
Titelbild Sicherheitsingenieur 3
Ausgabe
3.2024
LESEN
ABO
Special
Titelbild  Spezial zur A+A 2023
Spezial zur A+A 2023
Download

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de