„Trauer ist ein sehr aktuelles Thema bei uns im Betrieb. Erst vor einer Woche haben wir zwei Kollegen beerdigt. Der eine Kollege war seit drei Jahren gesundheitsbedingt in Rente, jeder kannte ihn und er war bei den Kollegen beliebt. Der andere Mitarbeiter war bei uns als Schichtmeister tätig, allen bekannt und auch sehr beliebt. Er hat wegen Unwohlsein die Fahrt zur Spätschicht abgebrochen und von zuhause angerufen um Bescheid zu geben, dass er nicht zur Arbeit kommt. Zwei Stunden später haben ihn die Angehörigen tot aufgefunden. Herzinfarkt! Hilfe von außen wäre wünschenswert, aber der Sparzwang ist so extrem, dass so etwas derzeit nie genehmigt wird.“ schreibt J. Kirmes, langjähriger Betriebsratsvorsitzender und Sicherheitsfachkraft eines 800-Mann starken Produktionsunternehmens.
Ulrich Welzel
Arbeitgeber, Führungskräfte und Mitarbeiter hoffen, der oben geschilderten Situation nie ausgesetzt zu sein. Aber es trifft viele. Denn: Seit zehn Jahren entwickeln sich die Sterbezahlen nach oben. 2014 verstarben in Deutschland 868.325 Menschen, davon 130.223 Menschen im berufsfähigen Alter. In den Zahlen ist die große Anzahl der Fehlgeburten nicht berücksichtigt. Mediziner rechnen mit 180- bis 200.000 Fehl- und Totgeburten pro Jahr.
Ansprechpartner Führungskraft
Versterben oder trauern Mitarbeiter, sind Führungskräfte oftmals die ersten Ansprechpartner im Unternehmen, von denen Hilfe und Unterstützung erwartet wird. Doch viele Mitarbeiter fühlen sich am Arbeitsplatz mit ihrer Trauer allein gelassen.
Für Trauernde rücken die Unternehmens- oder Produktionsziele in den Hintergrund, weil im Trauerfall Emotionen im Vordergrund stehen. Führungskräfte sehen sich dann in solchen Extremsituationen oft mit der Wut, Erschöpfung und Unkonzentriertheit von Trauernden konfrontiert. Missverständnisse, Konflikte im Team, Produktionsverzögerun-gen und im schlimmsten Fall zusätzliche Arbeitsunfälle können die Folge sein. Sprechen Sicherheitsfachkräfte über psychische Gefährdungsfaktoren, sollten daher auch Themen wie Tod und Trauer berücksichtigt werden. In Trauerfällen gilt es, Gefährdungsbeurteilungen neu zu bewerten. Denn unkonzentrierte Mitarbeiter können zu einem Sicherheitsrisiko für sich und andere werden.
Entscheidend wie schwerstkranke und trauernde Mitarbeiter ihren Verlust und ihr Leben bewältigen, ist auch die Art und Weise, wie sich das berufliche Umfeld verhält. Deshalb ist es sinnvoll Führungskräfte zu befähigen, Menschen im Umgang mit Krankheit, Tod und Trauer am Arbeitsplatz zu begleiten.
Aber Achtung: Führungs- oder Sicherheitsfachkräfte sollen nicht zu Therapeuten werden! Mitarbeiter der Personalabteilung, des betrieblichen Eingliederungsmanagements, Betriebsärzte, Betriebsräte, Sicherheitsfachkräfte und direkte Vorgesetzte können eine unterstützende Funktion einnehmen – mehr aber auch nicht. Sinnvoll ist es, wenn in diesen Situationen externe Kräfte hinzugezogen werden, weil diese emotional Abstand haben.
Prinzipiell ist es sinnvoll, eine Betriebskultur zu schaffen, die Menschen dazu ermutigt, befähigt und stärkt, sich menschlich und empathisch zu verhalten.
Mit folgenden Reaktionen sollten Führungskräfte rechnen, wenn Mitarbeiter trauern:
- Denken/Fühlen: In der Schockphase können Unglaube, deprimierende Gedanken, Konzentrationsprobleme und das verharren in der Opferrolle an der Tagesordnung sein.
- Körperliche Symptome: Das Spektrum der körperlichen Symptome und Erkrankungen ist vielfältig. Beispielsweise können Kopf- und Muskelschmerzen, Müdigkeit, erhöhter Blutdruck, Angst davor, verrückt zu werden oder Entpersönlichung auftreten.
- Verhalten: Das Verhalten kann geprägt sein von geistiger Abwesenheit bis hin zur Hyperaktivität. Unruhe, übermäßiger Genuss von Alkohol, Drogen, Nikotin und Medikamenten oder Vermeidung all dessen, was an den Verlust erinnert, kann zu Tage treten. Wenn es einen Arbeitsunfall mit Todesfolge gab, der aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen und ‑organisation entstanden ist, und wo die Schuld beim Arbeitgeber zu suchen ist, sind Sicherheitsfachkräfte oft mit Aggressionen von Betroffenen konfrontiert.
Besonders Fehlgeburten, Kindstod oder Selbsttötungen im familiären Umfeld können zu sozialer Isolation von direkt Betroffenen führen. Alltägliche Vorgänge wie die gemeinsame Fahrt zur Arbeit, das Zusammentreffen in der Umkleidekabine oder die Raucherpause können für beide Seiten sehr anstrengend sein. „Der Kollege bog in meinen Arbeitsgang ein, sah mich und ging einen anderen Weg zur Maschine“ sagt ein trauernder Vater, dessen Sohn beim Autounfall ums Leben kam. Dieses Verhalten löst bei Betroffenen oft Enttäuschung aus. Im Falle von Selbsttötungen kommen neben der Trauer oft Schuld- und Schamgefühle wie auch Selbstvorwürfe hinzu.
„Jeden Tag haben meine Kollegen mich gefragt wie es meiner Frau nach dem plötzlichen Kindstod unserer Tochter geht. Keiner hat mich gefragt. Aber ich als Vater trauere doch auch!“ sagt Jürgen B. unter Tränen dem extern hinzugezogenen Spezialisten.
Wie lange darf Trauer dauern?
„Sie haben eine harte Zeit hinter sich, das wird schon wieder“ sagt der Produktionsleiter dem Trauernden, der drei Wochen nach einem Todesfall in seiner Familie an seinen Arbeitsplatz zurückehrt. Doch wie lange getrauert wird, bestimmt der Betroffene. Bei Vorversterben, zum Beispiel bei Kindstod oder wenn erwachsene Kinder vor den Eltern versterben, ist mit langen, manchmal auch mit sehr langen Trauerzeiten von über 20, 30 Jahren zu rechnen. Besonders an den Geburtstagen, Todestagen oder Weihnachten kommt die Trauer verstärkt auf.
Vorgehen im Todesfall
Verstirbt ein Mitarbeiter im Unternehmen, sollten die präventiv erarbeiteten Meldeketten in Gang gesetzt werden. Wichtig bei der Kommunikation nach Außen: Mit nur einer Stimme sprechen!
Die Geschäftsleitung sollte die Angehörigen persönlich informieren, sich Zeit nehmen und Unterstützung anbieten. Die übrigen Mitarbeiter sollten vor der Presse informiert werden. Nichts ist für Mitarbeiter schlimmer, als wenn sie vom Tod des Kollegen aus der Presse erfahren.
Bei Großschadensereignissen stehen Kriseninterventionsteams (K.I.T) der Berufsgenossenschaften, Unfallkassen und kirchlichen Träger für durchschnittlich 123 Minuten zur Verfügung. Danach stehen Unternehmensleitung und Führungskräfte alleine da. Unternehmen sollten präventiv ein betriebliches Notfallmanagement aufbauen, das Lösungen zur Trauerbewältigung mit einbezieht.
Interne Rituale
Der Trauer einen Raum zu geben ist sehr wichtig für die Kollegen wie für die Angehörigen. Das Gedenken an den Verstorbenen kann das am Arbeitsplatz aufgestellte Foto, ein kleiner Strauß Blumen, eine brennende Kerze (als Alternative gibt es LED-Kerzen) und ein Kondolenzbuch sein. Abschiedsrituale zeugen von Wertschätzung, die von vielen Mitarbeitern und Angehörigen positiv aufgenommen wird. Im Notfallmanagement sollte festgelegt sein, wer für diesen Bereich als Pate ernannt wird und wie lange die Möglichkeit zum Abschiednehmen öffentlich sichtbar bleibt.
Geschäftliche Kondolenz
Die schriftliche Kondolenz ist das Stiefkind der deutschen Unternehmenskultur. Trauerkarten gelten im beruflichen Umfeld als einfach, schnell und unpersönlich. Wer als Unternehmens‑, Abteilungs‑, oder Teamleitung kondoliert, sollte folgende sinnvolle Gliederung nutzen:
- Angemessene Anrede
- Beginn und Einleitung
- Tröstende Worte
- Persönliche Würdigung
- Ehrlich gemeintes Beileid
- Unterstützung und Hilfsangebot
- Aufrichtigen Abschied
Wer einen neutralen Briefbogen, mit einem dezent zurückgenommenen Firmenlogo nutzt, liegt richtig. Der mit Füller geschriebene Kondolenzbrief sollte frei von Floskeln und Heuchelei sein. Statt der Frankiermaschine sollte das neutrale Kuvert mit einer Briefmarke versehen werden!
Persönliche Kondolenz
Als eine der größten Herausforderungen für Führungskräfte gilt die persönliche Kondolenz. Es verlangt ein hohes Maß an Empathie diese Situation zu meistern. Für sicheres Auftreten bei einer Trauerrede ist eine sehr gute Vorbereitung wichtig. Der Kondolierende sollte vorher wissen, was er inhaltlich, in welchem Tonfall sagen will.
Beerdigung
Für jeden Mitarbeiter sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, auf die Trauerfeier gehen zu dürfen. Führungskräfte und Teamleitungen stehen sogar in der Pflicht, da auch gesehen wird, wer nicht bei der Beerdigung dabei war.
Trauer einen Raum geben
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) und Trauer
Ist ein Mitarbeiter im Jahr länger als sechs Wochen erkrankt, hat er einen gesetzlichen Anspruch auf BEM. Die Konzentration des BEM liegt in der Ermittlung, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden und Fehlzeiten reduziert werden können. 2013 wurde das Arbeitsschutzgesetz geändert. Im Rahmen der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung gilt es explizit, die Gefährdungen, die sich durch psychische Belastungen bei der Arbeit ergeben, zu ermitteln und zu beurteilen (§ 5 ArbSchG).
Da es im BEM kein Modul betriebliches Trauermanagement (BTM) gibt, empfiehlt es sich, präventiv Maßnahmen zu entwickeln, beziehungsweise das BEM dahingehend zu erweitern. Einmal gemacht und formuliert, was zu tun und zu bedenken ist, hilft dann im konkreten Fall enorm.
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gehört es, akut und stark trauernde Mitarbeiter dort einzusetzen, wo eine Selbst-und Fremdgefährdung ausgeschlossen ist.
Neben den bekannten internen Lösungen haben sich in der Vergangenheit externe Angebote zur Trauerbewältigung als sinnvoll erwiesen.
Wichtige arbeitsbezogene Entscheidungen sollten verschoben werden, weil es Trauernden oft schwer fällt, Entscheidungen zu treffen. Trauernde Mitarbeiter erholen sich langsamer.
Perfekte Gesprächsvorbereitung
Kommunikation
BEM-Gespräche, die Trauer zur Grundlage haben, sollten von der Führungskraft perfekt vorbereitet sein. Wichtig sind die Auswahl des Ortes sowie des Raumes, die Anzahl der Teilnehmer und ein angemessener Gesprächseinstieg. Wertschätzende Kommunikation bedeutet in diesem Fall mit aller Aufmerksamkeit, ernstgemeinter Anteilnahme und einer inneren Bereitschaft zum Dialog teilzunehmen. Körpersprache, Stimme, Gestik und Mimik sind wichtige Parameter, auf die zu achten ist. Es kann sinnvoll sein, das Erstgespräch anfangs unter vier Augen zu führen und weitere Personen später hinzuzuziehen. Die Leitung durch einen externen Moderator empfiehlt sich, wenn damit gerechnet werden muss, dass es massive Vorwürfe in Richtung Unternehmensleitung geben kann.
Fazit
Ignorierte Trauer, fehlende Unterstützung und mangelnde Wertschätzung bei der Wiedereingliederung trauernder Mitarbeiter führen oft zu Missverständnissen, Konflikten im Team und sogar zu Kündigungen. Um eine Wiedereingliederung positiv zu fördern hat es sich bewährt, wenn die Unternehmensleitung den Kontakt zum Betroffenen hält.
Ist absehbar, dass ein länger trauernder Mitarbeiter zurück ins Unternehmen, in die Abteilung oder das Team kommt, hat es sich als sinnvoll erwiesen, das engste Team im Umgang mit dem Betroffenen kommunikativ vorzubereiten.
Die Punkte sollten im Kontext mit Trauer und auch in einem BEM-Gespräch berücksichtigt werde:
- Trauer ist individuell, einzigartig und vielfältig,
- Bewerten Sie nichts! Sie wissen nichts! Fragen Sie!
- Schriftliche Kondolenz optimieren,
- Gesprächsführung mit Wertschätzung und Empathie,
- Schaffen Sie eine Atmosphäre von Hilfsbereitschaft und Vertrauen,
- Bieten Sie veränderte Arbeitszeitmodelle an,
- Unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter und deren Familie,
- Halten Sie den Kontakt zu den Betroffenen,
- Überwältigende Emotionen sollten zu allen Zeiten und an allen Orten möglich sein.
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