Jährlich sterben in Deutschland rund 130.000 Menschen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren. Die meisten von ihnen sind erwerbstätig. Ihr Tod trifft also auch ihre Kollegen. Im Betrieb macht sich dann meist Sprachlosigkeit breit.
Bettina Brucker
Gestern war Willi P., 48 Jahre, noch mit auf dem Dach. Es war heiß und der Dachdeckergeselle war zusammen mit den Kollegen im Neubaugebiet an einem Haus im Einsatz. Heute ist Willi nicht zur Arbeit gekommen. Dafür steht der Chef mit bleichem Gesicht vor seinen Leuten und ringt mit den Worten. Er hat gerade einen Anruf bekommen. Willi P. hatte am Abend einen Herzinfarkt und ist noch in der Nacht verstorben. Gerade hat seine Frau angerufen und dies mitgeteilt.
Die Kollegen schauen sich betreten an. Keiner weiß, was er sagen soll. Alle mochten sie Willi und keiner kann sich vorstellen, dass sein polterndes Gelächter nie mehr zu hören sein wird, dass sein großer Wissensschatz ihnen nicht mehr helfen wird, wenn es eine knifflige Aufgabe zu bewältigen gibt. Schon jetzt vermissen sie seine ruhige und bedachte Art.
Mit dem plötzlichen Tod hatte niemand gerechnet. Nur wenige Unternehmen sind auf diese Situation vorbereitet. Tod und Trauer zählen in Deutschland zu den Tabuthemen. Darüber spricht man nicht, dazu gibt es keine Regelungen und Anweisungen. Doch wenn sich ein tödlicher Arbeitsunfall ereignet, ein Mitarbeiter nach schwerer Krankheit stirbt oder Selbstmord begeht, kommt zur Betroffenheit noch das Gefühl der formalen Hilflosigkeit.
Bis jetzt hat das Thema Trauer in kaum einem Unternehmen seinen Platz gefunden. Dabei hat Trauer am Arbeitsplatz auch sehr viel mit Arbeitsschutz zu tun. Denn wer trauert, ist oft unkonzentriert und weniger leistungsfähig. Das Risiko eines Arbeitsunfalles steigt enorm, vor allem in der Produktion, wenn mit gefährlichen Stoffen gearbeitet wird oder wenn der Arbeitsplatz in luftiger Höhe ist.
Korrekte Vorgehensweise
Beim Tod eines Mitarbeiters sollte die Geschäftsleitung folgendermaßen vorgehen:
- Die Hinterbliebenen besuchen und ihnen kondolieren.
- Das Kondolenzschreiben persönlich verfassen und von Hand schreiben.
- Eine Traueranzeige in der Zeitung schalten.
- Kranz oder Blumen fürs Grab besorgen.
- Direkte Kollegen für die Beerdigung bzw. Trauerfeier freistellen.
- An der Beerdigung bzw. Trauerfeier selbst teilnehmen.
- In Absprache mit den Hinterbliebenen eine Trauerrede vorbereiten.
- Mit den Hinterbliebenen nach ein bis zwei Wochen die Formalitäten besprechen.
- Noch offene Vergütungsansprüche des Verstorbenen großzügig regeln.
Ein plötzlicher Todesfall löst so etwas wie eine Betriebsstörung aus. Jeder der Belegschaft ist plötzlich in einem inneren Ausnahmezustand. Konzentrationsfähigkeit und Leistungsfähigkeit lassen nach. Aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes kann dieser Zustand gefährlich für die Tätigkeit werden. Deshalb ist es wichtig, der Belegschaft Zeit zum Trauern und zum Abschiednehmen zu geben.
Anteilnahme kann auch innerhalb der Belegschaft wichtig sein. Vor allem nahe Kollegen leiden unter dem Verlust auf einer sehr persönlichen und emotionalen Ebene. Die Trauer sollte man respektieren und rücksichtsvoll mit dem trauernden Kollegen umgehen. Als Abschiedszeremonie kann man am Arbeitsplatz eine Kerze aufstellen, Zettel mit Abschiedsgrüßen schreiben oder ein Kondolenzbuch auslegen. Auch die Möglichkeit von Gesprächen sollte gegeben sein beziehungsweise angeboten werden, so der Rat von Ulrich Welzel, Unternehmensberater und ehrenamtlicher Hospizbegleiter.
Zwischen Mitgefühl und Pflichtbewusstsein
Auch wenn jemand um den Tod seines Partners oder Kindes trauert, bringt er seine Trauer mit an den Arbeitsplatz. Da Familien heute instabiler sind als früher und sich Familienstrukturen häufig ändern, kann sich der Trauernde allein gelassen oder zu wenig aufgefangen fühlen und eine gewisse Anspruchshaltung gegenüber den Kollegen haben, in ihnen sozusagen die Ersatzfamilie sehen. Doch Vorgesetzte und Kollegen können kaum Trauerarbeit leisten. Oft wissen sie noch nicht einmal, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Zudem herrscht bei der Arbeit vielmals Stress und Zeitdruck. Beides erträgt ein Trauernder kaum. Und so werden die Kollegen auf eine harte Probe gestellt. Denn einerseits wollen sie den Kollegen schonen, andererseits muss die Arbeit erledigt werden.
Trauert ein Mitarbeiter oder Kollege, verschlimmern Sprachlosigkeit die Situation für alle nur noch mehr. Man sollte besser
- sein Mitgefühl ausdrücken und
- eine persönliche Kondolenzkarte schreiben.
- Den Trauernden nicht alleine lassen, sondern zusammen eine Zigarette rauchen oder einen Kaffee trinken gehen oder ihn beim Mittagessen mit an den Tisch holen.
Trauernde brauchen sehr viel
- Verständnis,
- Rücksichtnahme,
- Geduld und eine
- einfühlsame Begleitung.
Wer trauert, ist besonders sensibel. Die Verletzlichkeit ist sehr hoch und dauert lange an. Wenn Vorgesetzte und Kollegen ihre Hilflosigkeit, Schwäche oder Betroffenheit äußern, kommt das bei den Betroffenen meistens gut an. „Ich bin hilflos, lieber Kollege Schmidt. Ich weiß gar nicht, was ich zu deiner Situation sagen soll.“
In Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen ist festgelegt, für welche Personen ein Arbeitnehmer im Trauerfall wie viel Zeit frei nehmen darf. Für Chefs oder Vorgesetzte ist zudem folgende Vorgehensweise bei einem Trauerfall zu empfehlen:
- trauernden Mitarbeiter für die Beerdigung freistellen,
- Sonderurlaub zum Trauern und Abschiednehmen großzügig einräumen,
- Kollegen auf die Rückkehr des trauernden Mitarbeiters vorbereiten,
- eventuell die Arbeitszeit des Trauernden reduzieren,
- immer wieder das Gespräch suchen bzw. anbieten,
- auf Hilfsangebote wie Beratungsstellen oder Seelsorger hinweisen.
Für manche Mitarbeiter ist es nach einem Trauerfall wichtig, regelmäßig arbeiten zu gehen. Doch manchmal funktionieren in den ersten Wochen nur halbe Arbeitstage. Hier ist das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement gefragt.
Trauer- und Krisenbegleitung am Arbeitsplatz
Trauert ein Mitarbeiter, wollen der Chef und die Kollegen im ersten Moment gerne helfen. Fällt der Mitarbeiter wegen seiner Trauer allerdings für längere Zeit aus, belastet das den betrieblichen Alltag und das Team, vor allem in einem kleineren Betrieb. Auch wirtschaftlich kann die Situation zur Belastung werden. Die Handwerkskammer und die Bezirksärztekammer in Koblenz haben deshalb das Angebot „Trauer und Krisen gemeinsam meistern“ entwickelt, das Handwerksbetriebe bei einem Trauerfall unterstützt, zu helfen und erfolgreichen weiterzuarbeiten.
Bei einem Trauerfall kann der Handwerksbetrieb die Handwerkskammer Koblenz anrufen. Dort bekommt er die Unterstützung, die er braucht. Im oben beschrieben Trauerfall könnte der Dachdeckermeister dort anrufen und sich erkundigen, wie er seiner Belegschaft helfen kann, wenn er zum Beispiel bemerkt, dass er seinen Vorarbeiter nicht aufs Dach schicken kann, da er durch den Todesfall nicht einsatzfähig ist. Das Beratungsteam aus Ärzten, Arbeitsmedizinern, Betriebsberatern, Psychologen, Theologen, Trauerberatern, Sozialarbeitern und Psychotherapeuten erarbeitet dann speziell für diese Trauer- und Krisensituation ein individuelles Unterstützungspaket.
Professionelle Unterstützung kann sowohl der Trauerende als auch der betroffene Betrieb brauchen. Denn Trauernde funktionieren oft für längere Zeit nicht so, wie man es von ihnen bei der Arbeit gewohnt und wie es ihre arbeitsvertragliche Pflicht ist.
Oft tragen Trauernde nur eingeschränkt bei zur
- Produktivität und
- Qualitätssicherung.
Die Folgen der Trauer können das Arbeitsverhältnis belasten durch
-
- Unkonzentriertheit und vermehrte Fehler bei der Arbeit,
- Verspätungen,
- emotionale Reaktionen wie Weinen, Aggression, Passivität,
- häufige Krankschreibungen.
Führungskräfte zum Tabuthema Tod schulen
- „Trauer am Arbeitsplatz hat viele Gesichter und Geschichten: Da hat eine Mitarbeiterin eine Fehlgeburt erlitten oder die Tochter eines Mitarbeiters begeht Selbstmord. Kindstod und Suizid sind besonders schwierige Situationen. Vorgesetzte und Kollegen wissen oft nicht, ob überhaupt oder wie sie die betroffenen Person danach ansprechen sollen. Wir reden immer davon, dass Tod und Trauer Tabuthemen seien. Doch ich denke es geht vor allem darum, dass wir nicht wissen, wie wir mit den Betroffenen darüber reden sollen“, so Ulrich Welzel.
Selten läuft es so vorbildlich: Nach vier Wochen Krankschreibung kommt Carola P. das erste Mal wieder zur Arbeit. Eigentlich wollten ihre Kolleginnen und Kollegen heute mit ihr die Geburt ihres Sohnes feiern. Doch Carola P. hatte eine Todgeburt. Ihre Vorgesetzte hatte deshalb in der Woche vor der Rückkehr der Kollegin mit dem Team eine Besprechung abgehalten. Jeder der wollte, durfte eine Karte aussuchen und eine stille Nachricht darauf schreiben. So konnte jeder sein Mitgefühl ausdrücken. Es wurde auch besprochen, wer sich in den nächsten 14 Tagen darum kümmert, dass Carola P. zum Mittagessen begleitet wird und wer ihr welche Hilfe anbieten will. Die Vorgesetzte empfängt Carola P. und spricht zunächst unter vier Augen mit ihr. Sie bietet ihr an, sich jederzeit in den Ruheraum zurückziehen zu können oder mit ihr das Gespräch zu suchen.
Bei einem Trauerfall ist es für die Mitarbeiter wichtig, dass sie in dieser schwierigen Situation zur Geschäftsleitung oder zum Vorgesetzten gehen können und unterstützt werden. Wer als Unternehmer nicht auf den Tod eines Mitarbeiters oder nahen Angehörigen reagiert, verspielt das Vertrauen seiner Belegschaft und das Ansehen im gesellschaftlichen Umfeld.
Fürsorge hat auch Grenzen. Oft gehen Helfer kaputt, weil sie sich selbst zu wenig schützen.
Deshalb ist es wichtig, sich gut auf das Gespräche vorzubereiten und den richtigen Rahmen zu gestalten. Nur so ist es gewährleistet, in aller Ruhe mitfühlen zu können und trotzdem den Arbeitsalltag nicht aus den Augen zu verlieren.
Teilen: