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Willkommen auf dem Holodeck!

Virtueller Blick auf die Risiken der neuen Arbeitswelt
Willkommen auf dem Holodeck!

In der Fernsehserie Star Trek ging die Mannschaft des Raum­schiffs Enter­prise öfters mal durch die com­put­er­erzeugten Land­schaften des Holodecks – in Sankt Augustin bei Bonn ist das jet­zt auch möglich. Dort wer­den im „Virtuellen Labor“ des Insti­tuts für Arbeitss­chutz der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung (IFA) zukün­ftige Arbeit­sprozesse, Anla­gen und Pro­duk­tion­sumge­bun­gen simuliert, um die Gefährdungspoten­ziale und Unfall­ge­fahren in der späteren Real­ität auf ein Min­i­mum reduzieren zu kön­nen. Dabei lassen sich selb­st Großpro­jek­te wie der Umbau ein­er Schiff­ss­chleuse im Inter­ak­tion­sraum bis ins Detail analysieren.

Joerg Hen­siek

Die Arbeitswelt wird in den kom­menden Jahren durch einen noch nie dagewe­se­nen Automa­tisierungss­chub rev­o­lu­tion­iert wer­den. Der Begriff „Rev­o­lu­tion“ ist nicht zu hoch gegrif­f­en, denn erst­mals wer­den sich durch die Dig­i­tal­isierung auch die Beruf­swelt in den Büros drastisch ändern, bish­erige Berufs­bilder ins Wanken ger­at­en und damit auch viele Berufe in diesem Bere­ich teil­weise über­flüs­sig. In der indus­triellen Pro­duk­tion wird neben der steigen­den Automa­tisierung und der Mas­chine-zu-Mas­chine-Kom­mu­nika­tion vor allem ein Phänomen beacht­enswert sein, das den Arbeitss­chutz vor große Her­aus­forderun­gen stellen wird: Mit der Men­sch-Robot­er-Kol­lab­o­ra­tion (MRK) wird auch die Zusam­me­nar­beit von Men­sch und Mas­chine völ­lig neu definiert. Dabei sollen durch die Inter­ak­tion men­schlich­er Fähigkeit­en und Fer­tigkeit­en mit den Funk­tio­nen des Robot­ers vol­lkom­men neue Pro­duk­tion­s­stan­dards und Qual­ität­sniveaus real­isiert werden.
Neue Gefährdun­gen
Durch den Ein­satz kol­la­bori­eren­der Robot­er­sys­teme wird eine vol­lkom­men neue Arbeit­sumge­bung für den Men­schen entste­hen, bei der es noch nicht ein­deutig abse­hbar ist, ob sie für den betrieblichen Arbeits- und Gesund­heitss­chutz langfris-tig mehr pos­i­tive oder vor­rangig neg­a­tive Auswirkun­gen haben wird. Ein­er­seits wird die MRK-Tech­nolo­gie in erhe­blichem Maße dazu beitra­gen, dass ins­beson­dere Gefährdun­gen und ergonomis­che Prob­leme, die durch sich ständig wieder­holende, monot­o­ne, kör­per­lich belas­tende und ein­seit­ige Tätigkeit­en verur-sacht wer­den, bald schon der Ver­gan­gen-heit ange­hören könnten.
Die Kehr­seite der Medaille: Durch MRK entste­hen natür­lich auch neue, völ­lig ander­sar­tige Sicher­heit­srisiken. Um nur ein Beispiel zu nen­nen: Kol­li­sio­nen zwis­chen Men­sch und Robot­er am gemein­samen Arbeit­splatz. Denn bei der engen Zusam­me­nar­beit von Men­sch und Mas­chine wird es keine tren­nen­den Schutzein­rich­tun­gen mehr geben. Da Robot­er ihre Bewe­gun­gen mit viel Energie und Geschwindigkeit aus­führen kön­nen, kann das für den Maschi­nen­part­ner Men­sch selb­stre­dend böse Fol­gen haben. Diesen neuen Gefährdun­gen will die MRK-Tech­nolo­gie vor allem durch den Ein­satz von per­fekt funk­tion­ieren­den Sicher­heitss­teuerun­gen begeg­nen. Diese sollen alle Bewe­gun­gen des Robot­ers gezielt überwachen und die gesamte Anlage bei uner­laubten Posi­tio­nen und Kol­li­sion­s­ge­fahr sofort zum Still­stand bringen.
Ein für den Arbeits- und Gesund­heitss­chutz aber noch inter­es­san­ter­er, weil präven­tiv­er Weg der Gefährdungsver­mei­dung klingt für den Laien dage­gen noch wie Sci­ence Fic­tion, ist aber teil­weise schon Real­ität: Die Sim­u­la­tion von zukün­fti­gen Arbeit­sprozessen und ‑plätzen durch Vir­tu­al Real­i­ty (VR). Mit anderen Worten: Indem ganze Arbeit­sumge­bun­gen real­itäts­ge­treu dig­i­tal erzeugt und simuliert wer­den kön­nen, lassen sich Gefährdun­gen auss­chließen beziehungsweise zumin­d­est reduzieren, bevor die Anla­gen und Arbeit­splätze in der Real­ität über­haupt erst aufge­baut und ein­gerichtet wurden.
Die Real­ität simulieren
Am Insti­tut für Arbeitss­chutz der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung (IFA) in Sankt Augustin bei Bonn kann man sich bere­its anse­hen, wie VR für den Arbeitss­chutz funk­tion­iert. Dr. Peter Nick­el, zuständig für das Sachge­bi­et Men­sch-Sys­tem-Inter­ak­tion, stellt den „virtuellen Inter­ak­tion­sraum“ und die dazu gehöri­gen Sim­u­la­tion­stech­nolo­gien vor, die in ihrem Zusam­men­spiel das SUTAVE-Labor aus­machen. SUTAVE ste­ht für „Safe­ty and Usabil­i­ty Through Appli­ca­tions in Vir­tu­al Envi­ron­ments” [www.dguv.de/ifa/sutave]. Nick­el erk­lärt: „Wir set­zen virtuelle Real­ität ein, um Arbeitssys­teme gebrauch­stauglich und sicher­heits­gerecht zu gestal­ten. Im SUTAVE-Labor testen wir, ob bei tech­nis­chen Anla­gen oder Arbeit­sprozessen Gefährdun­gen und Risiken auftreten und entwick­eln und über­prüfen poten­tielle Maß­nah­men zu ihrer Reduzierung.“
Auf­tragge­ber von Nick­el und seinem Team sind ins­beson­dere die Unfal­lver­sicherungsträger. Die VR-Sim­u­la­tio­nen bear­beit­en im Bere­ich des Arbeitss­chutzes vor allem Pro­jek­te zur Unfal­lver­hü­tung und Pro­duk­t­sicher­heit während des gesamten Pro­duk­tleben­szyk­lus, die Men­sch-Sys­tem-Inter­ak­tion in ver­schiede­nen Nutzungs- und Gefährdungssi­t­u­a­tio­nen sowie Risiko- und Gefährdungs­beurteilun­gen von Anla­gen und Arbeit­sprozessen. „Für die Prob­lem­lö­sun­gen“, so Nick­el, „nutzen wir meist gemis­chte Real­itäten, das heißt reale Gegen­stände wer­den mit virtuellen kom­biniert und es entste­ht dann eine virtuelle Welt, die für den Nutzer noch näher an der Real­ität ist.“
So funk­tion­iert das SUTAVE-Labor
Im VR-Inter­ak­tion­sraum des IFA wer­den Arbeit­sprozesse dynamisch und in 3D-Tech­nik auf eine Fläche von acht Meter Bre­ite und drei Meter Höhe pro­jiziert. Die Pro­jek­tions­fläche ist auf einem 164 Grad-Kreis­seg­ment mit einem Radius von 2,80 Meter aufges­pan­nt. Der Inter­ak­tion­sraum von sieben Quadrat­metern wird dadurch virtuell erweit­ert. Das Blick­feld eines Beschäftigten in der virtuellen Welt wird voll­ständig abgedeckt, und durch die gebo­gene Pro­jek­tions­fläche ergeben sich auch keine stören­den Stoßkan­ten in der virtuellen Welt. Die VR bedi­ent die visuelle und akustis­che Infor­ma­tionsver­ar­beitung des Men­schen während der Arbeit­sprozesse kon­tinuier­lich und in Echtzeit. Weit­ere Sinne des Men­schen wer­den durch eine Inte­gra­tion real­er Arbeitsmit­tel in die VR angesprochen.
Mith­il­fe von Rech­n­er­sys­te­men, Track­ingsys­tem und Pro­jek­tion­stech­nik entste­ht somit eine virtuelle, drei­di­men­sion­ale, dynamis­che Arbeit­sumge­bung. Bewe­gun­gen in der Umge­bung lassen sich von Maschi­nen und Beschäftigten direkt steuern. Per­spek­tive, Blick­winkel und Akustik ändern sich abhängig davon, wo der Men­sch ste­ht und wie er sich bewegt. Die VR-Tech­nik liefert ihm Infor­ma­tio­nen annäh­ernd so, wie er sie in der Real­ität wahrn­immt, ver­ar­beit­et und umset­zt. In virtuellen Arbeitswel­ten lässt sich ähn­lich wie in Real­ität arbeit­en und es lassen sich Unter­suchun­gen in gefährlichen Arbeitssi­t­u­a­tio­nen machen, ohne dabei Test­per­so­n­en in Gefahr brin­gen zu müssen oder kosten- und zeitaufwendig Arbeit­sumge­bun­gen aufzubauen.
Ins­ge­samt schränkt Nick­el die Möglichkeit­en durch Vir­tu­al Real­i­ty etwas ein: „VR ist nur eine Sim­u­la­tion, die die Real­ität nicht voll­ständig mod­el­lieren kann. Somit sind auch unsere Ergeb­nisse nicht ein­fach so 1:1 auf reale Arbeit­splätze zu über­tra­gen. Die Umset­zung am Arbeit­splatz bleibt das Maß für Arbeitssicher­heit und Gesund­heitss­chutz, mith­il­fe von VR wer­den manche Unter­suchun­gen über­haupt erst möglich und manch­er Aufwand lässt sich deut­lich verringern.“
Virtuelle Anla­gen­bege­hung
Mit dem VR-Labor kön­nen nicht nur Risiko- und Gefährdungs­analy­sen für kleine Anla­gen und räum­lich ein­fach zu über­schauende Arbeit­sumge­bun­gen durchge­führt wer­den. Selb­st Großan­la­gen wie eine Schiff­ss­chleuse, die rechtlich auch als Mas­chine gilt, lassen sich durch die VR-Tech­nik in der Pla­nungsphase auf ihre Maschi­nen­sicher­heit präven­tiv auf Herz und Nieren prüfen, indem sie im VR-Labor virtuell „bege­hbar“ gemacht wird. Nicht erst bei Anla­gen in dieser Größenord­nung lohne sich laut Nick­el der Ein­satz eines dynamis­chen virtuellen Pla­nungsmod­ells wegen der Reduzierung oder Ver­mei­dung von Unfall­ge­fahren, son­dern auch aus Kosten­grün­den: „Durch eine Risikobeurteilung in frühen Pla­nungs- und Entwick­lungsphasen kön­nen Her­steller, Betreiber und weit­ere Beteiligte aufwendi­ge Nachar­beit­en ver­mei­den. Denn mit unser­er Tech­nolo­gie kön­nen wir nicht nur die Arbeit­sprozesse real­ität­snah nach­bilden, son­dern eben­so die späteren Nutzungskontexte.“
Aktuelles Beispiel ist die Schleuse­nan­lage Kochen­dorf. Sie soll als erste von 26 Neckarschleusen für über­große Güter­mo­torschiffe (135 Meter Länge) ver­längert wer­den. Mith­il­fe des Labor sollte eine Risikobeurteilung der zukün­fti­gen Schleuse­nan­lage unter­stützt wer­den, damit auch alle rel­e­van­ten dynamis­chen Prozesse (z.B. Bergschleusung) in unter­schiedlichen Nutzungskon­tex­ten (z.B. Durch­leitung von Güter­verkehr, Sportverkehr) und Betrieb­szustän­den (z.B. Nor­mal­be­trieb, Instand­hal­tung) über­prüft wer­den kön­nen. Die Dat­en für das virtuelle Mod­ell wur­den aus der Bege­hung der gegen­wär­ti­gen Schleuse, den Pla­nungsze­ich­nun­gen und den 3D CAD-Mod­ellen zu Anla­genkom­po­nen­ten der orig­i­nalen Pla­nungs­dat­en entwick­elt und im VR-Labor des IFA als zukün­ftige Schleuse­nan­lage im Maßstab 1:1 bege­hbar umgesetzt.
Das Pro­jekt Kochen­dorf ist im VR-Labor mit­tler­weile abgeschlossen. Es kon­nten unter anderem fol­gende Gefährdun­gen und Risiken bei der „virtuellen Bege­hung“ ermit­telt wer­den und dazu entsprechende Maß­nah­men zur Risiko­re­duk­tion an die Pla­nung­sor­gan­i­sa­tio­nen weit­ergeleit­et werden:
    • Quetschstellen mit beweglichen Teilen von Maschi­nen (Schleusen­tore). Maß­nahme: Ver­schiebung des Maschi­nen­haus­es auf Seitenmole.
    • Kol­li­sio­nen von Absturzsicherun­gen auf Schleusen­toren mit jenen ent­lang der Kam­mer. Maß­nah­men: Schleusen­tor ohne Pas­sage oder geän­derte Absturzsicherung auf Schleusen­tor oder an Treppe.
    • Verkehr­sweg­bre­ite eingeschränkt. Maß­nahme: Neue Platzierung des Kameramasts.
    • Fehlende Absturzsicherun­gen am Kam­mer­rand. Maß­nahme: Absturzsicherun­gen einplanen.
    • Nicht aus­re­ichen­der Platz in ein­er Kav­erne, um manuelle Wartungsar­beit­en an Torantrieben mit Werkzeug durch­führen zu kön­nen. Maß­nahme: Ver­größerung der Kaverne.
    • Sichtein­schränkun­gen auf Aus­fahrtsig­nal durch Platzierung des Kam­era­masts. Maß­nahme: andere Platzierung des Kameramasts.
Faz­it
  • Die tech­nol­o­gis­chen Möglichkeit­en des SUTAVE-Labors lassen sich abhängig von den spez­i­fis­chen Fragestel­lun­gen und Anforderun­gen des jew­eili­gen Pro­jek­ts – und damit auch Großpro­jek­ten wie ein­er Schiff­ss­chleuse – ständig weit­er aus­bauen, ein wichtiger Plus­punkt des Labors. Peter Nick­el erzählt: „Die Pro­jek­te stim­men wir eng mit den Unfal­lver­sicherungsträgern und weit­eren Part­nern ab. Die Prob­lem- und die Fragestel­lung müssen natür­lich im Voraus allen klar sein. Wir über­legen dann in welchem Umfang VR-Sim­u­la­tio­nen sin­nvoll genutzt wer­den kön­nen. Im Fokus eines Pro­jek­ts, bei dem SUTAVE-Labor, Head-Mount­ed Dis­play oder andere Unter­suchun­gen durchge­führt wer­den, ste­hen Ergeb­nisse, die betrieb­sprak­tis­che Rel­e­vanz und Nutzen im Arbeitss­chutz haben sollen.“ Aus der Per­spek­tive des Arbeitss­chutzes aber beson­ders wichtig: Auch wenn die Her­aus­forderun­gen der Arbeitswelt von Indus­trie 4.0 nicht ger­ing sein wer­den, mit Tech­nolo­gien wie dem SUTAVE-Labor ste­hen bere­its jet­zt wirk­same Instru­mente zur Ver­fü­gung, die schon heute helfen Maschi­nen und Anla­gen sowie Men­sch-Sys­tem-Inter­ak­tio­nen sich­er und gebrauch­stauglich für mor­gen zu gestalten.
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