Wer aus Schaden klug werden will, muss sich über die Ursache(n) des Schadens im Klaren sein. Und dazu gehört, dass er oder sie im Nachhinein nach den Ursachen und Hintergründen sucht – möglichst, um so etwas in Zukunft zu verhindern. Auch nach Arbeitsunfällen ist es üblich, dass unternehmensintern Untersuchungen angestellt werden. Ist intern dabei auch wirklich intern? Wie und wann darf der Staat, die Staatsanwaltschaft mitlesen und dies nutzen?
Trotz hoher Sicherheitsstandards für technische Anlagen kann es auch bei optimaler Auslegung und einwandfreiem Betrieb zu Betriebsunfällen kommen. Dann steht die Frage nach dem Warum im Raum, um Schutzmaßnahmen gegen eine Wiederholung zu treffen. Dies folgt nicht nur aus den Rechtspflichten des Arbeitgebers im Hinblick auf den Arbeitsschutz, sondern entspricht bei schwereren Unfällen oft auch dem menschlichen Bedürfnis, das Schicksal von Kolleginnen und Kollegen zu verstehen. Oft verlangen auch die zuständigen Behörden eine Aufklärung, seien es die Aufsichtsbehörden (etwa für den Immissions- und Arbeitsschutz) oder gar die Staatsanwaltschaft.
Unternehmen stoßen deshalb in solchen Fällen zunehmend selbst Unfalluntersuchungen an, sei es durch eigenes Personal oder durch externe Experten. Interne Unfalluntersuchungen sind allerdings nicht nur eine technische Herausforderung, sondern bergen auch einige juristische Fallen. Eine davon hat es jetzt sogar bis an das Bundesverfassungsgericht geschafft. Um eine technische Problematik ging es dabei nur mittelbar, aber die Kernaussagen sind übertragbar.
Die Rede ist vom „Dieselskandal“. Hier hatte die VW AG eine weltweit tätige Rechtsanwaltskanzlei mit einer umfassenden Untersuchung beauftragt, unter anderem bei der Audi AG. Die Kanzlei analysierte viele interne Dokumente und befragte konzernweit Mitarbeiter. Im Zuge dessen entstand eine ganze Reihe von Dokumenten bei der Rechtsanwaltskanzlei. Dieses Material wollte die wegen Betrugsverdachts ermittelnde Staatsanwaltschaft nutzen und beschlagnahmte in der Kanzlei 185 Aktenordner und Hefter sowie einen umfangreichen Bestand an elektronischen Daten. Gegen diese Durchsuchung wendeten sich die Automobilhersteller genau wie die Rechtsanwaltskanzlei, und zwar im Kern mit dem Argument, die Unterlagen seien „anwaltliche Arbeitsprodukte“ und als solche gegen Beschlagnahme geschützt. Im Hinblick auf die Audi AG gehe der Schutz sogar noch weiter, weil es sich um Verteidigungsunterlagen handele. Diese Argumentation scheiterte durch alle Instanzen. Es gibt im deutschen Recht kein umfassendes „legal privilege“, wie man es vielleicht im angloamerikanischen Rechtsraum vorfindet und wie oft gemeint wird. Rechtsanwälte sind zwar vor staatlichen Zugriffen stärker geschützt als andere Personen, aber das heißt nicht, dass alles, was sie tun, unantastbar wäre. Das kann auch nicht sein, argumentiert das Bundesverfassungsgericht, denn ansonsten könnten Beschuldigte alles belastende Material einfach zu einer Anwaltskanzlei schaffen und damit die Ermittlungen torpedieren. Vor einer Beschlagnahme sind deshalb nur Dokumente geschützt, die sich auf ein konkretes Verhältnis zwischen einem Verteidiger und seinem individuellen Mandanten beziehen. Wie weit dieser Schutz genau reicht, brauchte das Gericht gar nicht herauszuarbeiten, weil Audi selbst nicht Mandantin der Rechtsanwaltskanzlei war – die Untersuchung wurde im Auftrag von VW durchgeführt.
Rechtsanwälte haben daher zwar weitreichende Zeugnisverweigerungsrechte (sie müssen also vor Ermittlungsbehörden nur eingeschränkt über das aussagen, was sie im Zuge ihrer Berufsausübung erfahren haben), aber mitnichten ist der staatliche Zugriff auf jedes „anwaltliche Arbeitsprodukt“ gesperrt. Hinzu kam noch, dass eine internationale Rechtsanwaltsgesellschaft bis auf Ausnahmen keinen Schutz durch die Grundrechte der deutschen Verfassung genießt; das ergibt sich aus Art. 19 Abs. 3 GG.
Recht und interne Untersuchungen
Diese Entscheidung hat zu einem Aufschrei geführt, und es werden Strategien diskutiert, wie man in Zukunft interne Untersuchungen noch führen könne. Zum Teil war sogar von einer „höchst bedenklichen und unfairen“ Rechtsauffassung die Rede. Dabei konnte das Ergebnis im Grunde genommen niemanden überraschen, denn die Gerichte und auch die überwiegende Meinung in den juristischen Kommentaren sah es im Ergebnis schon immer so, wie es das Bundesverfassungsgericht nun bestätigt hat. Und die Prämisse dieser Beschwerden ist schlicht und ergreifend falsch: Wer einen Unfall im Auftrag des Unternehmens untersucht, hat eben einen Untersuchungsauftrag und ist nicht Verteidiger.
Interne Untersuchungen können die Aufgabe haben, zum Schutz des Unternehmens und seiner Mitarbeiter aus Fehlern zu lernen und Risiken zu entschärfen. Und sie können dazu dienen, Schuldige zu suchen und Grundlagen für Kündigung und Schadensersatzansprüche zu legen. Beide Ziele sind auch realisierbar, wenn Abschlussberichte oder andere Dokumente staatlichen Behörden zur Verfügung stehen.
Natürlich führt dies zu einer schwierigen Lage, denn vor der Untersuchung weiß man nicht, was dabei herauskommt: Unerfreuliche Untersuchungsergebnisse können schlimmstenfalls zur Grundlage für Vorwürfe werden. Angesichts dieses Risikos werden sich Mitarbeiter zweimal überlegen, ob sie in einem Interview frank und frei Auskunft erteilen. Also was tun?
Um das Vertrauen der Mitarbeiter zu stärken, können Unternehmen regeln, dass die Untersucher eine Verschwiegenheitserklärung abgeben. Die Einzelheiten einer solchen Erklärung müssen natürlich auf den Einzelfall zugeschnitten werden; das Unternehmen muss ja über die Ergebnisse der Unfalluntersuchung noch informiert werden können. Deshalb scheidet eine allgemeine Schweigeklausel aus. Ferner kann die Geschäftsführung Nachteile für das persönliche Fortkommen von Mitarbeitern vorab ausschließen. Auch dies kann Mitarbeiter ermutigen, individuelle Fehler bekannt zu machen, die aus menschlicher Nachlässigkeit immer wieder geschehen können. Über diese Dinge muss man im Einzelfall entscheiden.
In Bezug auf Dokumente eignet sich dieser Weg nicht. Alle Unterlagen, Berichte und Notizen von (Arbeits)Unfalluntersuchungen sind für Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden zugänglich. Alle Fakten, die sich aus bereits existierenden Dokumenten ergeben, brauchen freilich keinen besonderen Schutz. Sie müssen vertraulich behandelt werden, aber es gibt keinen Grund, zu „mauern“, wenn es um vor dem Unfall entstandene Unterlagen geht – zumal es nicht im wohlverstandenen Interesse des Unternehmens liegt, Missstände zu verschleiern.
Bezüglich solcher Dokumente kann es eine sinnvolle Option sein, mit den Behörden zu kooperieren. Niemand kann wollen, dass es zu einer Durchsuchung kommt, um Papiere mitzunehmen, die sowieso nicht zurückgehalten werden könnten. Anders sieht es mit Unterlagen aus, die noch gar nicht existieren. Was nicht in der Welt ist, kann auch nicht beschlagnahmt werden, und daraus ergibt sich: erst überlegen, dann aufschreiben. Auswertungsberichte können missverständlich sein, oft nur in Nuancen, auf die es aber rechtlich womöglich ankommt. Es ist deshalb auch legitim, offene Fragen als solche zu kennzeichnen und Bewertungen nur vorsichtig anzustellen, anstatt eine scheinbare Gewissheit auszudrücken. Die Korrektur eines unzutreffenden ersten Eindrucks kann erheblichen Aufwand erfordern.
Diese Überlegung gilt auch für Interviews von Beteiligten. Wenn Mitarbeiter einen Schuldvorwurf zu erwarten haben könnten, müssen Untersucher überlegen, ob sie Befragungsprotokolle produzieren, in denen sich die Mitarbeiter möglicherweise selbst belasten. Jedenfalls im Strafprozess muss das niemand tun. Dieses Recht kann nutzlos werden, wenn eine Befragung durchgeführt wird, von der es ein aussagekräftiges Protokoll und möglicherweise drei oder vier Zeugen gibt. Außerdem können die an internen Untersuchungen beteiligten Personen durch Behörden befragt werden und müssen dann wahrheitsgemäß Auskunft über ihre Erkenntnisse geben. Selbst wenn sie den von ihnen vernommenen Personen Vertraulichkeit zusichern – gegenüber Behörden lässt sich dies nicht durchhalten. Ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht kennt das deutsche Recht nur für bestimmte Berufsgruppen (zum Beispiel medizinisches Personal, Anwälte, Psychotherapeuten oder Priester). Verlässlich geschützt sind mündliche Aussagen also nur, wenn sie gegenüber schweigeberechtigten Personen gemacht werden. Unter diesem Gesichtspunkt muss also auch überlegt werden, wer Interviews durchführt und wie diese in die Unfalluntersuchung eingebracht werden.
Fazit
Interne Untersuchungen können viel für den Arbeitsschutz und das Vertrauen der Mitarbeiter in eine sichere Umgebung tun – aber bevor sie starten, sind einige kurze Überlegungen dazu erforderlich, ob ein Unfall ein juristisches Nachspiel haben könnte. Falls ja, muss man das Vorgehen sorgfältig planen.
Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 27. Juni 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, 2 BvR 1562/17, 2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17.
Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift “Sicherheitsingenieur”. Hier können Sie zwei aktuelle Ausgaben kostenlos bestellen.
Autor: RA Dr. Michael Neupert
Kümmerlein, Simon & Partner Rechtsanwälte mbB
www.kuemmerlein.de