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Achtung bei Unfalluntersuchungen

Intern ist nicht geheim
Achtung bei Unfalluntersuchungen

Achtung bei Unfalluntersuchungen
Können Unternehmen interne Untersuchungen komplett vor der Staatsanwaltschaft geheim halten? Foto: © wildworx - stock.adobe.com

Wer aus Schaden klug wer­den will, muss sich über die Ursache(n) des Schadens im Klaren sein. Und dazu gehört, dass er oder sie im Nach­hinein nach den Ursachen und Hin­ter­grün­den sucht –  möglichst, um so etwas in Zukun­ft zu ver­hin­dern. Auch nach Arbeit­sun­fällen ist es üblich, dass unternehmensin­tern Unter­suchun­gen angestellt wer­den. Ist intern dabei auch wirk­lich intern? Wie und wann darf der Staat, die Staat­san­waltschaft mitle­sen und dies nutzen?

Trotz hoher Sicher­heits­stan­dards für tech­nis­che Anla­gen kann es auch bei opti­maler Ausle­gung und ein­wand­freiem Betrieb zu Betrieb­sun­fällen kom­men. Dann ste­ht die Frage nach dem Warum im Raum, um Schutz­maß­nah­men gegen eine Wieder­hol­ung zu tre­f­fen. Dies fol­gt nicht nur aus den Recht­spflicht­en des Arbeit­ge­bers im Hin­blick auf den Arbeitss­chutz, son­dern entspricht bei schw­er­eren Unfällen oft auch dem men­schlichen Bedürf­nis, das Schick­sal von Kol­legin­nen und Kol­le­gen zu ver­ste­hen. Oft ver­lan­gen auch die zuständi­gen Behör­den eine Aufk­lärung, seien es die Auf­sichts­be­hör­den (etwa für den Immis­sions- und Arbeitss­chutz) oder gar die Staatsanwaltschaft.

Unternehmen stoßen deshalb in solchen Fällen zunehmend selb­st Unfal­lun­ter­suchun­gen an, sei es durch eigenes Per­son­al oder durch externe Experten. Interne Unfal­lun­ter­suchun­gen sind allerd­ings nicht nur eine tech­nis­che Her­aus­forderung, son­dern bergen auch einige juris­tis­che Fall­en. Eine davon hat es jet­zt sog­ar bis an das Bun­desver­fas­sungs­gericht geschafft. Um eine tech­nis­che Prob­lematik ging es dabei nur mit­tel­bar, aber die Ker­naus­sagen sind übertragbar.

Die Rede ist vom „Diesel­skan­dal“. Hier hat­te die VW AG eine weltweit tätige Recht­san­walt­skan­zlei mit ein­er umfassenden Unter­suchung beauf­tragt, unter anderem bei der Audi AG. Die Kan­zlei analysierte viele interne Doku­mente und befragte konz­ern­weit Mitar­beit­er. Im Zuge dessen ent­stand eine ganze Rei­he von Doku­menten bei der Recht­san­walt­skan­zlei. Dieses Mate­r­i­al wollte die wegen Betrugsver­dachts ermit­tel­nde Staat­san­waltschaft nutzen und beschlagnahmte in der Kan­zlei 185 Aktenord­ner und Hefter sowie einen umfan­gre­ichen Bestand an elek­tro­n­is­chen Dat­en. Gegen diese Durch­suchung wen­de­ten sich die Auto­mo­bil­her­steller genau wie die Recht­san­walt­skan­zlei, und zwar im Kern mit dem Argu­ment, die Unter­la­gen seien „anwaltliche Arbeit­spro­duk­te“ und als solche gegen Beschlagnahme geschützt. Im Hin­blick auf die Audi AG gehe der Schutz sog­ar noch weit­er, weil es sich um Vertei­di­gung­sun­ter­la­gen han­dele. Diese Argu­men­ta­tion scheit­erte durch alle Instanzen. Es gibt im deutschen Recht kein umfassendes „legal priv­i­lege“, wie man es vielle­icht im angloamerikanis­chen Recht­sraum vorfind­et und wie oft gemeint wird. Recht­san­wälte sind zwar vor staatlichen Zugrif­f­en stärk­er geschützt als andere Per­so­n­en, aber das heißt nicht, dass alles, was sie tun, unan­tast­bar wäre. Das kann auch nicht sein, argu­men­tiert das Bun­desver­fas­sungs­gericht, denn anson­sten kön­nten Beschuldigte alles belas­tende Mate­r­i­al ein­fach zu ein­er Anwalt­skan­zlei schaf­fen und damit die Ermit­tlun­gen tor­pedieren. Vor ein­er Beschlagnahme sind deshalb nur Doku­mente geschützt, die sich auf ein konkretes Ver­hält­nis zwis­chen einem Vertei­di­ger und seinem indi­vidu­ellen Man­dan­ten beziehen. Wie weit dieser Schutz genau reicht, brauchte das Gericht gar nicht her­auszuar­beit­en, weil Audi selb­st nicht Man­dan­tin der Recht­san­walt­skan­zlei war – die Unter­suchung wurde im Auf­trag von VW durchgeführt.

Recht­san­wälte haben daher zwar weitre­ichende Zeug­nisver­weigerungsrechte (sie müssen also vor Ermit­tlungs­be­hör­den nur eingeschränkt über das aus­sagen, was sie im Zuge ihrer Beruf­sausübung erfahren haben), aber mit­nicht­en ist der staatliche Zugriff auf jedes „anwaltliche Arbeit­spro­dukt“ ges­per­rt. Hinzu kam noch, dass eine inter­na­tionale Recht­san­walts­ge­sellschaft bis auf Aus­nah­men keinen Schutz durch die Grun­drechte der deutschen Ver­fas­sung genießt; das ergibt sich aus Art. 19 Abs. 3 GG.

Recht und interne Untersuchungen

Diese Entschei­dung hat zu einem Auf­schrei geführt, und es wer­den Strate­gien disku­tiert, wie man in Zukun­ft interne Unter­suchun­gen noch führen könne. Zum Teil war sog­ar von ein­er „höchst beden­klichen und unfairen“ Recht­sauf­fas­sung die Rede. Dabei kon­nte das Ergeb­nis im Grunde genom­men nie­man­den über­raschen, denn die Gerichte und auch die über­wiegende Mei­n­ung in den juris­tis­chen Kom­mentaren sah es im Ergeb­nis schon immer so, wie es das Bun­desver­fas­sungs­gericht nun bestätigt hat. Und die Prämisse dieser Beschw­er­den ist schlicht und ergreifend falsch: Wer einen Unfall im Auf­trag des Unternehmens unter­sucht, hat eben einen Unter­suchungsauf­trag und ist nicht Verteidiger.

Interne Unter­suchun­gen kön­nen die Auf­gabe haben, zum Schutz des Unternehmens und sein­er Mitar­beit­er aus Fehlern zu ler­nen und Risiken zu entschär­fen. Und sie kön­nen dazu dienen, Schuldige zu suchen und Grund­la­gen für Kündi­gung und Schadenser­satzansprüche zu leg­en. Bei­de Ziele sind auch real­isier­bar, wenn Abschluss­berichte oder andere Doku­mente staatlichen Behör­den zur Ver­fü­gung stehen.

Natür­lich führt dies zu ein­er schwieri­gen Lage, denn vor der Unter­suchung weiß man nicht, was dabei her­auskommt: Uner­freuliche Unter­suchungsergeb­nisse kön­nen schlimm­sten­falls zur Grund­lage für Vor­würfe wer­den. Angesichts dieses Risikos wer­den sich Mitar­beit­er zweimal über­legen, ob sie in einem Inter­view frank und frei Auskun­ft erteilen. Also was tun?

Um das Ver­trauen der Mitar­beit­er zu stärken, kön­nen Unternehmen regeln, dass die Unter­such­er eine Ver­schwiegen­heit­serk­lärung abgeben. Die Einzel­heit­en ein­er solchen Erk­lärung müssen natür­lich auf den Einzelfall zugeschnit­ten wer­den; das Unternehmen muss ja über die Ergeb­nisse der Unfal­lun­ter­suchung noch informiert wer­den kön­nen. Deshalb schei­det eine all­ge­meine Schweigeklausel aus. Fern­er kann die Geschäfts­führung Nachteile für das per­sön­liche Fortkom­men von Mitar­beit­ern vor­ab auss­chließen. Auch dies kann Mitar­beit­er ermuti­gen, indi­vidu­elle Fehler bekan­nt zu machen, die aus men­schlich­er Nach­läs­sigkeit immer wieder geschehen kön­nen. Über diese Dinge muss man im Einzelfall entscheiden.

In Bezug auf Doku­mente eignet sich dieser Weg nicht. Alle Unter­la­gen, Berichte und Noti­zen von (Arbeits)Unfalluntersuchungen sind für Strafver­fol­gungs- und Auf­sichts­be­hör­den zugänglich. Alle Fak­ten, die sich aus bere­its existieren­den Doku­menten ergeben, brauchen freilich keinen beson­deren Schutz. Sie müssen ver­traulich behan­delt wer­den, aber es gibt keinen Grund, zu „mauern“, wenn es um vor dem Unfall ent­standene Unter­la­gen geht – zumal es nicht im wohlver­stande­nen Inter­esse des Unternehmens liegt, Missstände zu verschleiern.

Bezüglich solch­er Doku­mente kann es eine sin­nvolle Option sein, mit den Behör­den zu kooperieren. Nie­mand kann wollen, dass es zu ein­er Durch­suchung kommt, um Papiere mitzunehmen, die sowieso nicht zurück­ge­hal­ten wer­den kön­nten. Anders sieht es mit Unter­la­gen aus, die noch gar nicht existieren. Was nicht in der Welt ist, kann auch nicht beschlagnahmt wer­den, und daraus ergibt sich: erst über­legen, dann auf­schreiben. Auswer­tungs­berichte kön­nen missver­ständlich sein, oft nur in Nuan­cen, auf die es aber rechtlich wom­öglich ankommt. Es ist deshalb auch legit­im, offene Fra­gen als solche zu kennze­ich­nen und Bew­er­tun­gen nur vor­sichtig anzustellen, anstatt eine schein­bare Gewis­sheit auszu­drück­en. Die Kor­rek­tur eines unzutr­e­f­fend­en ersten Ein­drucks kann erhe­blichen Aufwand erfordern.

Diese Über­legung gilt auch für Inter­views von Beteiligten. Wenn Mitar­beit­er einen Schuld­vor­wurf zu erwarten haben kön­nten, müssen Unter­such­er über­legen, ob sie Befra­gung­spro­tokolle pro­duzieren, in denen sich die Mitar­beit­er möglicher­weise selb­st belas­ten. Jeden­falls im Straf­prozess muss das nie­mand tun. Dieses Recht kann nut­z­los wer­den, wenn eine Befra­gung durchge­führt wird, von der es ein aus­sagekräftiges Pro­tokoll und möglicher­weise drei oder vier Zeu­gen gibt. Außer­dem kön­nen die an inter­nen Unter­suchun­gen beteiligten Per­so­n­en durch Behör­den befragt wer­den und müssen dann wahrheits­gemäß Auskun­ft über ihre Erken­nt­nisse geben. Selb­st wenn sie den von ihnen ver­nomme­nen Per­so­n­en Ver­traulichkeit zusich­ern – gegenüber Behör­den lässt sich dies nicht durch­hal­ten. Ein all­ge­meines Zeug­nisver­weigerungsrecht ken­nt das deutsche Recht nur für bes­timmte Beruf­s­grup­pen (zum Beispiel medi­zinis­ches Per­son­al, Anwälte, Psy­chother­a­peuten oder Priester). Ver­lässlich geschützt sind mündliche Aus­sagen also nur, wenn sie gegenüber schweige­berechtigten Per­so­n­en gemacht wer­den. Unter diesem Gesicht­spunkt muss also auch über­legt wer­den, wer Inter­views durch­führt und wie diese in die Unfal­lun­ter­suchung einge­bracht werden.

Fazit

Interne Unter­suchun­gen kön­nen viel für den Arbeitss­chutz und das Ver­trauen der Mitar­beit­er in eine sichere Umge­bung tun – aber bevor sie starten, sind einige kurze Über­legun­gen dazu erforder­lich, ob ein Unfall ein juris­tis­ches Nach­spiel haben kön­nte. Falls ja, muss man das Vorge­hen sorgfältig planen.

Bun­desver­fas­sungs­gericht, Beschlüsse vom 27. Juni 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, 2 BvR 1562/17, 2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17.


Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift “Sicher­heitsin­ge­nieur”. Hier kön­nen Sie zwei aktuelle Aus­gaben kosten­los bestellen


Autor: RA Dr. Michael Neupert

Küm­mer­lein, Simon & Part­ner Recht­san­wälte mbB
www.kuemmerlein.de

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