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Befreiung von der Maskenpflicht

Wann der Gesundheitsschutz den Datenschutz aussticht
Befreiung von Maskenpflicht nur bei Glaubhaftmachung durch aussagekräftiges Attest mit Diagnose

Befreiung von Maskenpflicht nur bei Glaubhaftmachung durch aussagekräftiges Attest mit Diagnose
Foto: © Ramona Heim - stock.adobe.com

Eine Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung muss nur zum Aus­druck brin­gen, dass der Arbeit­nehmer arbeit­sun­fähig ist und seine ver­traglich geschuldete Tätigkeit infolge ein­er Erkrankung nicht erbrin­gen kann. Einen Krankheits­be­fund oder Angaben zu Ursachen der Erkrankung braucht sie nicht zu enthal­ten. Anders ist das nach neuester Recht­sprechung bei ärztlichen Attesten zur Befreiung von der Maskenpflicht in der Schule.

Eine Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung muss nur dann konkrete Angaben enthal­ten, wenn es um hochansteck­ende Krankheit­en geht, um dem Arbeit­ge­ber zu ermöglichen, Schutz­maß­nah­men zu ergreifen[1]. Ein ähn­lich­er Gedanke ist Hin­ter­grund für die gerichtliche Forderung, dass ärztliche Atteste, die der Befreiung eines Schülers von der Masken­tra­gungspflicht im Unter­richt dienen, „nachvol­lziehbare Befund­tat­sachen sowie eine Diag­nose“ enthal­ten, um dem Arbeit­ge­ber die Über­prü­fung der Voraus­set­zun­gen zu ermöglichen.

Das sagte zunächst das Oberver­wal­tungs­gericht Nor­drhein-West­falen[2] zu Attesten, die „(lediglich) fest­stell­ten, dass die Schüler aus gesund­heitlichen Grün­den von der Maskenpflicht befre­it seien. Diese kön­nen schon deshalb nicht Grund­lage ein­er von der Schulleitung zu tre­f­fend­en Befreiungsentschei­dung sein, weil sie ohne jede nähere Begrün­dung die Notwendigkeit ein­er Befreiung aussprechen“; damit sind „keine für den Befreiungstatbe­stand maßge­blichen medi­zinis­chen Gründe glaub­haft gemacht“.

Glaubhaftmachung

Doch welche inhaltlichen Anforderun­gen sind an ein Attest zu stellen? Das Gesetz spricht von Glaub­haft­machung. Anders als bei einem Beweis genügt bei Glaub­haft­machung – so der Bun­des­gericht­shof[3] – ein „gerin­ger­er Grad der richter­lichen Überzeu­gungs­bil­dung; die Behaup­tung ist glaub­haft gemacht, sofern eine über­wiegende Wahrschein­lichkeit dafür beste­ht, dass sie zutrifft. Die Fest­stel­lung der über­wiegen­den Wahrschein­lichkeit unter­liegt dem Grund­satz der freien Würdi­gung des gesamten Vor­brin­gens“. Anders –aber nicht ger­ade ein­fach­er – heißt es: es ist „glaub­haft gemacht, wenn die auf die Hil­f­s­tat­sachen gestützte Schlussfol­gerung über­wiegend wahrschein­lich erscheint, ohne dass dadurch bere­its alle anderen Möglichkeit­en prak­tisch aus­geschlossen sein müssen“[4]. Das Ver­wal­tungs­gericht Würzburg meinte in einem Masken-Fall: „Zur Glaub­haft­machung kann auch eine eidesstaatliche Ver­sicherung aus­re­ichen“[5].

Befreiungsvorschriften in der bayerischen Infektionsschutzverordnung

Doch in einem Fall, der bis zum Bay­erischen Ver­wal­tungs­gericht­shof gelangte, reichte das nicht[6]. In Bay­ern ver­weist die 7. Baylf­S­MV) für den „Befreiungstatbe­stand“ in § 18 Abs. 2 Satz 1 auf § 1 Abs. 2 Nr. 2.


Siebte Bay­erische Infek­tion­ss­chutz­maß­nah­men­verord­nung (7. BaylfSMV) 

§ 1 All­ge­meines Abstands­ge­bot, Mund-Nasen-Bedeckung 

(2) Soweit in dieser Verord­nung die Verpflich­tung vorge­se­hen ist, eine Mund-Nasen-Bedeck­ung zu tra­gen (Maskenpflicht), gilt:

  1. Kinder sind bis zum sech­sten Geburt­stag von der Tragepflicht befreit.
  2. Per­so­n­en, die glaub­haft machen kön­nen, dass ihnen das Tra­gen ein­er Mund-Nasen-Bedeck­ung auf­grund ein­er Behin­derung oder aus gesund­heitlichen Grün­den nicht möglich oder unzu­mut­bar ist, sind von der Tragev­erpflich­tung befreit

§ 18 Schulen

(2) Auf dem Schul­gelände beste­ht Maskenpflicht. Unbeschadet des § 1 Abs. 2 sind von dieser Pflicht ausgenommen …


„Nachvollziehbare Befundtatsachen“ = aussagekräftiges Attest?

Das Gericht sagte, die im konkreten Fall vorgelegten Atteste waren „dem Grunde nach nicht geeignet, einen entsprechen­den Befreiungs­grund von der Pflicht zum Tra­gen ein­er Mund-Nase-Bedeck­ung glaub­haft zu machen. Hier­für ist vielmehr die Vor­lage ein­er ärztlichen Bescheini­gung, welche nachvol­lziehbare Befund­tat­sachen sowie eine Diag­nose enthält, erforder­lich“. Denn „die rechtliche Sit­u­a­tion ist nicht ver­gle­ich­bar mit der Vor­lage ein­er Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung gegenüber einem Arbeit­ge­ber. Mith­il­fe der ärztlichen Bescheini­gun­gen soll eine über­wiegende Wahrschein­lichkeit belegt wer­den, dass Per­so­n­en aus gesund­heitlichen Grün­den von der öffentlich-rechtlichen Verpflich­tung zum Tra­gen ein­er Mund-Nase-Bedeck­ung befre­it sind. In der­ar­ti­gen Kon­stel­la­tio­nen muss die Ver­wal­tung bzw. das Gericht, wie auch in anderen Rechts­ge­bi­eten, auf­grund konkreter und nachvol­lziehbar­er Angaben in den ärztlichen Bescheini­gun­gen in die Lage ver­set­zt wer­den, das Vor­liegen der jew­eili­gen Tatbe­standsvo­raus­set­zun­gen selb­ständig zu prüfen. Anders als etwa bei einem Attest zur Befreiung vom Schulbe­such wegen Krankheit sind hier auch Grun­drecht­spo­si­tio­nen ins­beson­dere von anderen Schü­lerin­nen und Schülern sowie des Schulper­son­als – das Recht auf Leben und Gesund­heit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) – betrof­fen, für die die Schule eine her­aus­ge­hobene Ver­ant­wor­tung trägt. Die Maskenpflicht dient dazu, andere vor ein­er Ansteck­ung mit dem neuar­ti­gen Coro­n­avirus zu schützen und die Aus­bre­itungs­geschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren“.

Datenschutzrecht

Der VGH München ergänzte: „Aus daten­schutzrechtlich­er Sicht ist die Schule im Grund­satz berechtigt, die in einem solchen Attest enthal­te­nen per­so­n­en­be­zo­ge­nen Dat­en der Schü­lerin oder des Schülers zu ver­ar­beit­en. Rechts­grund­lage dafür ist Art. 85 Abs. 1 Bay­erisches Gesetz über das Erziehungs- und Unter­richtswe­sen (BayEUG) in Verbindung mit §§ 1 und 18 der 7. Bay­If­S­MV. Der Grund­satz der Daten­min­imierung (Art. 5 Abs. 1 c) Daten­schutz-Grund­verord­nung) ist hier­bei zu beachten“.


EU-Daten­schutz-Grund­verord­nung (DSGVO)

Art. 5 Grund­sätze für die Ver­ar­beitung per­so­n­en­be­zo­gen­er Daten

Per­so­n­en­be­zo­gene Dat­en müssen …

c) dem Zweck angemessen und erhe­blich sowie auf das für die Zwecke der Ver­ar­beitung notwendi­ge Maß beschränkt sein („Daten­min­imierung“); …

Bay­erisches Gesetz über das Erziehungs- und Unter­richtswe­sen (BayEUG)

Art. 85 Ver­ar­beitung per­so­n­en­be­zo­gen­er Daten 

(1) Die Schulen dür­fen die zur Erfül­lung der ihnen durch Rechtsvorschriften zugewiese­nen Auf­gaben erforder­lichen Dat­en ver­ar­beit­en. Dazu gehören per­so­n­en­be­zo­gene Dat­en der Schü­lerin­nen und Schüler und deren Erziehungs­berechtigten, der Lehrkräfte und des nicht unter­rich­t­en­den Personals. …


Ergebnis und Fazit: Gesundheitsschutz überwiegt Datenschutz

Da die Masken­tra­gungspflicht vor allen Din­gen auch dem Grun­drechtss­chutz ander­er dient, sind die Anforderun­gen an die Glaub­haft­machung bei einem Befreiungswun­sch ver­schärft. Juris­ten sprechen von (erhöhter) Sub­stan­ti­ierungspflicht – gemeint ist damit let­ztlich „But­ter bei die Fis­che“. Die Forderung von Tat­sachen und Diag­nosen ist auch erforder­lich und daher datenschutzkonform.

 

Vorsicht: Gesamtwertung alle Unterlagen mit Möglichkeit negativer Schlüsse

Das VG Würzburg[7] betonte auch, bei der Prü­fung der Glaub­haft­machung „kön­nen aus den vorgelegten Unter­la­gen auch neg­a­tive Schlüsse gezo­gen wer­den“. So zweifelte das VG Regens­burg[8] ein­mal ein Attest an, weil „auf­fällt, dass der Arzt, der dieses Attest aus­gestellt hat, in der im Inter­net veröf­fentlicht­en Liste der Medi­zin­er und Wis­senschaftler für Gesund­heit, Frei­heit und Demokratie e.V. aufge­führt ist – einem Vere­in, der sich dafür ein­set­zt, dass die ärztlichen Kol­le­gen ihren Patien­ten nach Möglichkeit eine Befreiung von der Gesichtss­chutz­maske attestieren und der dabei davon aus­ge­ht, dass für diese Befreiung keine Erkrankung voraus­ge­set­zt sei (https://www.mwgfd.de/unterstuetzung-bei-maskenbefreiungs-attesten)“. (Anmerkung: Die Seite https://www.mwgfd.de/unterstuetzung-bei-maskenbefreiungs-attesten wurde mit­tler­weile von der Home­page entfernt)

[1] Rick­en, in: Beck‘scher Online-Kom­men­tar Arbeit­srecht (hrsg. von Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching) 57. Edi­tion Stand: 01.09.2020, § 5 EFZG Rn. 16.

[2] OVG Mün­ster, Beschluss v. 24.09.2020 (Az. 13 B 1368/20).

[3] BGH, Beschluss v. 27.09.2016 (Az. XI ZB 12/14).

[4] BGH, Beschluss v. 09.02.1998 (Az. II ZB 15–97).

[5] VG Würzburg, Beschluss v. 22.10.2020 (Az. W 8 E 20.1564).

[6] VGH München, Beschluss v. 26.10.2020 (Az. 20 CE 20.2185).

[7] VG Würzburg, Beschluss v. 22.10.2020 (Az. W 8 E 20.1564).

[8] VG Regens­burg, Beschluss v. 17.09.2020 (Az. RO 14 E 20.2226).

 

Autor: Recht­san­walt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsin­ge­nieur­we­sen, Pro­fes­sor für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, ‧Unternehmen­sor­gan­i­sa­tion­srecht und Recht für Ingenieure
www.rechtsanwalt-wilrich.de

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