Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss nur zum Ausdruck bringen, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist und seine vertraglich geschuldete Tätigkeit infolge einer Erkrankung nicht erbringen kann. Einen Krankheitsbefund oder Angaben zu Ursachen der Erkrankung braucht sie nicht zu enthalten. Anders ist das nach neuester Rechtsprechung bei ärztlichen Attesten zur Befreiung von der Maskenpflicht in der Schule.
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss nur dann konkrete Angaben enthalten, wenn es um hochansteckende Krankheiten geht, um dem Arbeitgeber zu ermöglichen, Schutzmaßnahmen zu ergreifen[1]. Ein ähnlicher Gedanke ist Hintergrund für die gerichtliche Forderung, dass ärztliche Atteste, die der Befreiung eines Schülers von der Maskentragungspflicht im Unterricht dienen, „nachvollziehbare Befundtatsachen sowie eine Diagnose“ enthalten, um dem Arbeitgeber die Überprüfung der Voraussetzungen zu ermöglichen.
Das sagte zunächst das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen[2] zu Attesten, die „(lediglich) feststellten, dass die Schüler aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht befreit seien. Diese können schon deshalb nicht Grundlage einer von der Schulleitung zu treffenden Befreiungsentscheidung sein, weil sie ohne jede nähere Begründung die Notwendigkeit einer Befreiung aussprechen“; damit sind „keine für den Befreiungstatbestand maßgeblichen medizinischen Gründe glaubhaft gemacht“.
Glaubhaftmachung
Doch welche inhaltlichen Anforderungen sind an ein Attest zu stellen? Das Gesetz spricht von Glaubhaftmachung. Anders als bei einem Beweis genügt bei Glaubhaftmachung – so der Bundesgerichtshof[3] – ein „geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung; die Behauptung ist glaubhaft gemacht, sofern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. Die Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit unterliegt dem Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens“. Anders –aber nicht gerade einfacher – heißt es: es ist „glaubhaft gemacht, wenn die auf die Hilfstatsachen gestützte Schlussfolgerung überwiegend wahrscheinlich erscheint, ohne dass dadurch bereits alle anderen Möglichkeiten praktisch ausgeschlossen sein müssen“[4]. Das Verwaltungsgericht Würzburg meinte in einem Masken-Fall: „Zur Glaubhaftmachung kann auch eine eidesstaatliche Versicherung ausreichen“[5].
Befreiungsvorschriften in der bayerischen Infektionsschutzverordnung
Doch in einem Fall, der bis zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gelangte, reichte das nicht[6]. In Bayern verweist die 7. BaylfSMV) für den „Befreiungstatbestand“ in § 18 Abs. 2 Satz 1 auf § 1 Abs. 2 Nr. 2.
Siebte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (7. BaylfSMV)
§ 1 Allgemeines Abstandsgebot, Mund-Nasen-Bedeckung
(2) Soweit in dieser Verordnung die Verpflichtung vorgesehen ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (Maskenpflicht), gilt:
- Kinder sind bis zum sechsten Geburtstag von der Tragepflicht befreit.
- Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, sind von der Trageverpflichtung befreit
§ 18 Schulen
(2) Auf dem Schulgelände besteht Maskenpflicht. Unbeschadet des § 1 Abs. 2 sind von dieser Pflicht ausgenommen …
„Nachvollziehbare Befundtatsachen“ = aussagekräftiges Attest?
Das Gericht sagte, die im konkreten Fall vorgelegten Atteste waren „dem Grunde nach nicht geeignet, einen entsprechenden Befreiungsgrund von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung glaubhaft zu machen. Hierfür ist vielmehr die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, welche nachvollziehbare Befundtatsachen sowie eine Diagnose enthält, erforderlich“. Denn „die rechtliche Situation ist nicht vergleichbar mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gegenüber einem Arbeitgeber. Mithilfe der ärztlichen Bescheinigungen soll eine überwiegende Wahrscheinlichkeit belegt werden, dass Personen aus gesundheitlichen Gründen von der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung befreit sind. In derartigen Konstellationen muss die Verwaltung bzw. das Gericht, wie auch in anderen Rechtsgebieten, aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbständig zu prüfen. Anders als etwa bei einem Attest zur Befreiung vom Schulbesuch wegen Krankheit sind hier auch Grundrechtspositionen insbesondere von anderen Schülerinnen und Schülern sowie des Schulpersonals – das Recht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) – betroffen, für die die Schule eine herausgehobene Verantwortung trägt. Die Maskenpflicht dient dazu, andere vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus zu schützen und die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren“.
Datenschutzrecht
Der VGH München ergänzte: „Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist die Schule im Grundsatz berechtigt, die in einem solchen Attest enthaltenen personenbezogenen Daten der Schülerin oder des Schülers zu verarbeiten. Rechtsgrundlage dafür ist Art. 85 Abs. 1 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in Verbindung mit §§ 1 und 18 der 7. BayIfSMV. Der Grundsatz der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 c) Datenschutz-Grundverordnung) ist hierbei zu beachten“.
EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
Art. 5 Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten
Personenbezogene Daten müssen …
c) dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein („Datenminimierung“); …
Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG)
Art. 85 Verarbeitung personenbezogener Daten
(1) Die Schulen dürfen die zur Erfüllung der ihnen durch Rechtsvorschriften zugewiesenen Aufgaben erforderlichen Daten verarbeiten. Dazu gehören personenbezogene Daten der Schülerinnen und Schüler und deren Erziehungsberechtigten, der Lehrkräfte und des nicht unterrichtenden Personals. …
Ergebnis und Fazit: Gesundheitsschutz überwiegt Datenschutz
Da die Maskentragungspflicht vor allen Dingen auch dem Grundrechtsschutz anderer dient, sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung bei einem Befreiungswunsch verschärft. Juristen sprechen von (erhöhter) Substantiierungspflicht – gemeint ist damit letztlich „Butter bei die Fische“. Die Forderung von Tatsachen und Diagnosen ist auch erforderlich und daher datenschutzkonform.
Vorsicht: Gesamtwertung alle Unterlagen mit Möglichkeit negativer Schlüsse
Das VG Würzburg[7] betonte auch, bei der Prüfung der Glaubhaftmachung „können aus den vorgelegten Unterlagen auch negative Schlüsse gezogen werden“. So zweifelte das VG Regensburg[8] einmal ein Attest an, weil „auffällt, dass der Arzt, der dieses Attest ausgestellt hat, in der im Internet veröffentlichten Liste der Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie e.V. aufgeführt ist – einem Verein, der sich dafür einsetzt, dass die ärztlichen Kollegen ihren Patienten nach Möglichkeit eine Befreiung von der Gesichtsschutzmaske attestieren und der dabei davon ausgeht, dass für diese Befreiung keine Erkrankung vorausgesetzt sei (https://www.mwgfd.de/unterstuetzung-bei-maskenbefreiungs-attesten)“. (Anmerkung: Die Seite https://www.mwgfd.de/unterstuetzung-bei-maskenbefreiungs-attesten wurde mittlerweile von der Homepage entfernt)
[1] Ricken, in: Beck‘scher Online-Kommentar Arbeitsrecht (hrsg. von Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching) 57. Edition Stand: 01.09.2020, § 5 EFZG Rn. 16.
[2] OVG Münster, Beschluss v. 24.09.2020 (Az. 13 B 1368/20).
[3] BGH, Beschluss v. 27.09.2016 (Az. XI ZB 12/14).
[4] BGH, Beschluss v. 09.02.1998 (Az. II ZB 15–97).
[5] VG Würzburg, Beschluss v. 22.10.2020 (Az. W 8 E 20.1564).
[6] VGH München, Beschluss v. 26.10.2020 (Az. 20 CE 20.2185).
[7] VG Würzburg, Beschluss v. 22.10.2020 (Az. W 8 E 20.1564).
[8] VG Regensburg, Beschluss v. 17.09.2020 (Az. RO 14 E 20.2226).
Autor: Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen, Professor für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, ‧Unternehmensorganisationsrecht und Recht für Ingenieure
www.rechtsanwalt-wilrich.de