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Fachkräfte für Arbeitssicherheit im öffentlichen Dienst

Besondere Strukturen und Wirksamkeit
Fachkräfte für Arbeitssicherheit im öffentlichen Dienst

Fachkräfte für Arbeitssicherheit im öffentlichen Dienst
Foto: © MH – stock.adobe.com

 

Im öffentlichen Dienst in Deutsch­land sind laut Sta­tis­tis­chem Bun­de­samt etwa 4,7 Mio. Men­schen beschäftigt (ein­schließlich Beamte/innen, Richter/innen und Soldaten/innen). Der öffentliche Dienst ist gekennze­ich­net durch beson­dere struk­turelle Bedin­gun­gen und befind­et sich in einem weitre­ichen­den und dynamis­chen Wan­del. Der fol­gende Beitrag beschäftigt sich damit, wie Fachkräfte für Arbeitssicher­heit in den Ver­wal­tun­gen und Betrieben des öffentlichen Dien­stes tätig wer­den, unter welchen Rah­menbe­din­gun­gen sie wirk­sam wer­den und welche Kon­se­quen­zen sich hier­aus für das Han­deln der Fachkräfte für Arbeitssicher­heit ergeben. (Dieser Beitrag ist die Langver­sion eines Beitrags aus Sicher­heitsin­ge­nieur 5/2019; zwei kosten­lose Probe­hefte von Sicher­heitsin­ge­nieur kön­nen Sie hier bestellen)

Autoren: Wern­er Hamach­er, Sebas­t­ian Riebe

 

ASiG-Betreuung im öffentlichen Dienst

Der Öffentliche Dienst umfasst eine Vielzahl von het­ero­gen Betrieben mit zum Teil völ­lig unter­schiedlichen Struk­turen. Neben den klas­sis­chen Ver­wal­tungs­be­trieben in Bund und Land sowie und den kom­mu­nalen Behör­den mit Betrieben wie Bauhöfen, Straße­nun­ter­hal­tung, Abwass­er- und Abfall­wirtschaft, Ver­anstal­tungsstät­ten, Park- und Gar­te­nan­la­gen, sind es Insti­tu­tio­nen wie Kranken­häuser, Schulen, Hochschulen, Forschung­sein­rich­tun­gen, Kindertagesstät­ten, Berufs- und frei­willige Feuer­wehren, Großflughäfen wie Frank­furt und München und vieles andere mehr.

Für alle Beschäftigte in diesen Betrieben sind eine angemessene Betreu­ung durch Fachkräfte für Arbeitssicher­heit (Sifa) und Betrieb­särzte zu gewährleis­ten und Leis­tun­gen gemäß der DGUV Vorschrift 2 zu erbrin­gen. In der Ver­gan­gen­heit ist dies häu­figer auf­grund der For­mulierung „gle­ich­w­er­tig“ im § 16 ASiG in Frage gestellt wor­den. Das Bun­de­sar­beits­gericht­surteil vom 15.12.2009 (AZ: 9 AZR 769/08) hat klargestellt, dass das ASiG auch für die Betriebe und Dien­st­stellen des öffentlichen Dien­stes umset­zen ist. Das Gericht begrün­det dies vor allem damit, dass gemäß § 16 ASiG im Bere­ich der öffentlichen Ver­wal­tun­gen von Bund, Län­dern und Gemein­den sowie den son­sti­gen Kör­per­schaften, Anstal­ten und Stiftun­gen des öffentlichen Rechts ein den Grund­sätzen des ASiG gle­ich­w­er­tige sicher­heit­stech­nis­che und betrieb­särztliche Betreu­ung wie in der gewerblichen Wirtschaft zu gewährleis­ten ist. Den öffentlichen Arbeit­ge­bern sollte mit § 16 ASiG die gle­ichen Verpflich­tun­gen aufer­legt wer­den, wie den pri­vat­en Arbeit­ge­bern (siehe BAG-Urteil vom 15.12.2009 Rn 39). Sie sollen dadurch verpflichtet wer­den, inner­halb ihres Zuständigkeits­bere­ichs ein­heitliche Regelun­gen unter Ein­beziehung der Beamten zu schaf­fen. Gle­ich­w­er­tig bedeutet, dass hin­sichtlich des Inhalts der Verpflich­tun­gen des ASiG kein gerin­ger­er Stan­dard als in der Pri­vatwirtschaft geschaf­fen wer­den darf. Das heißt, die in den §§ 1 bis 11, 18,19 ASiG enthal­te­nen Grund­sätze sind durch entsprechende Regelun­gen umzuset­zen (siehe BAG-Urteil vom 15.12.2009 Rn 42).

Fachkräfte für Arbeitssicherheit in Betrieben der öffentlichen Hand

Angestellt bei einem Mit­glied­sun­ternehmen eines Unfal­lver­sicherungsträgers der öffentlichen Hand sind cir­ca 5.600 Sifas (vgl. Barth et al. 2017, S. 69). Im Bere­ich der Unfal­lver­sicherungsträgern der öffentlichen Hand wur­den seit 1980 ins­ge­samt cir­ca 4.500 Sifas aus­ge­bildet, von denen heute noch rund 50% beruf­stätig sind. Tätig im öffentlichen Bere­ich sind weit­er­hin Sifas, die bei den gewerblichen Beruf­sgenossen­schaften oder von einem freien Aus­bil­dungsträger aus­ge­bildet wur­den, oder ihre Aus­bil­dung an ein­er Hochschule mit entsprechen­dem Stu­di­en­gang absolviert haben. Neben angestell­ten Sifas erfol­gt die Betreu­ung auch im Bere­ich der öffentlichen Hand über über­be­triebliche Dien­ste oder in gerin­gerem Umfang über freiberu­fliche Sifas.

In der Sifa-Langzeit­studie wur­den Sifas, die ab 2001 aus­ge­bildet wur­den in einem Zeitraum von 2003 bis 2011 befragt: Wenn man die Fachkräfte aus dem öffentlichen Dienst und der gewerblichen Wirtschaft miteinan­der ver­gle­icht, ergibt sich fol­gen­des Bild:

  • Jew­eils knapp 60% arbeit­en als Teilzeitfachkräfte.
  • Die über­wiegende Mehrheit ist in dem betreuten Betrieb angestellt (96% öD bzw. 86% gewerbliche Wirtschaft) und betreuen auss­chließlich intern diesen Betrieb (73% bzw. 63%).
  • Der Anteil von Fachkräften aus Groß­be­trieben ist im öffentlichen Dienst deut­lich höher als in der gewerblichen Wirtschaft (59% vs. 34%).
  • Mit­tel­große Unternehmen (51–250 Mitar­beit­er) find­en sich dage­gen etwas häu­figer bei Sifas aus Mit­glieds­be­trieben von Beruf­sgenossen­schaften (vgl. Abschluss­bericht Sifa-Langzeit­studie, 2012, S. 14).
  • Klein- und Kle­in­st­be­triebe sind im Bere­ich der öffentlichen Hand ver­gle­ich­sweise sel­ten. Dies entspricht den unter­schiedlichen Struk­turen in den bei­den Wirtschaftssektoren.

Strukturelle Einbindung der Sifas in den Betrieben der öffentlichen Hand

Fachkraft für Arbeitssicher­heit und Betrieb­sarzt in Betrieben der öffentlichen Hand sind unmit­tel­bar dem Dien­st­stel­len­leit­er oder Behör­den­leit­er zu unter­stellen (vgl. hierzu auch Anzinger/Bieneck: Kom­men­tar zum Arbeitssicher­heits­ge­setz, Hei­del­berg, 1998, S. 231). Das Arbeitssicher­heits­ge­setz fordert in § 8 Abs. 2:

„Betrieb­särzte und Fachkräfte für Arbeitssicher­heit oder, wenn für einen Betrieb mehrere Betrieb­särzte oder Fachkräfte für Arbeitssicher­heit bestellt sind, der lei­t­ende Betrieb­sarzt und die lei­t­ende Fachkraft für Arbeitssicher­heit, unter­ste­hen unmit­tel­bar dem Leit­er des Betriebs.“

Nach einem Urteil des Lan­desar­beits­gerichts Köln gehört die Fachkraft für Arbeitssicher­heit zum Stab. Sie darf wed­er organ­isatorisch noch diszi­pli­nar­isch einem Abteilungsleit­er unter­stellt wer­den (Az: 10 (1) Sa 1231/02).[1] Die unmit­tel­bare Unter­stel­lung der Fachkraft für Arbeitssicher­heit unter den Dien­st­stellen- oder Behör­den­leit­er dient zum einen der Sicherung der erforder­lichen fach­lichen Unab­hängigkeit der Fachkraft (vgl. § 8 Abs. 1 ASiG) und zum anderen der Her­ausstel­lung der beson­deren Bedeu­tung der Stab­sstelle. Der Ein­fluss als nicht in die Lin­ienor­gan­i­sa­tion einge­bun­den­er Beauf­tragter, der den Arbeit­ge­ber und seine Führungskräfte in allen Fra­gen des Arbeitss­chutzes berät und unter­stützt, wird damit gestärkt. Dies gehört zu den Grund­sätzen des ASiG, die auch im öffentlichen Dienst zu gewährleis­ten sind (siehe BAG-Urteil vom 15.12.2009 Rn 44).

Ins­ge­samt sind im öffentlichen Dienst und der gewerblichen Wirtschaft zusam­mengenom­men etwa 80 % der Fachkräfte für Arbeitssicher­heit der Unternehmensleitung (1.Ebene) oder dem Leit­er des Betriebs (2. Ebene) direkt unter­stellt und etwa 20 % ein­er Fach­abteilung. Zwis­chen gewerblich­er Wirtschaft und der öffentlichen Hand zeigen sich aber deut­liche Unter­schiede. Sifas im öffentlichen Dienst sind eher ein­er Fach­abteilung unter­stellt und bek­lei­den keine Stab­stelle (siehe Abbil­dung 1; ebd. S. 325f.).

Abb. 1: Unter­stel­lungsver­hält­nis und Zuge­hörigkeit zu einem Unfal­lver­sicherungsträger (Quelle: Sifa-Langzeitstudie)

Zugang zur Unternehmensleitung über die Teilnahme an Sitzungen, regelmäßige Gespräche und Berichte

Neben der for­malen Stel­lung der Sifas im Organ­i­gramm lohnt sich auch ein Blick darauf, ob tat­säch­lich ein Zugang zur Unternehmensleitung beste­ht. Fast die Hälfte (46,8%) der Sifas aus der öffentlichen Ver­wal­tung wer­den nicht zu Sitzun­gen der Unternehmensleitung ein­ge­laden, führen keine direk­ten Gespräche mit der Unternehmensleitung und erstat­ten der Leitung auch keine mündlichen Berichte. Damit haben Sifas aus der öffentlichen Ver­wal­tung branchenüber­greifend den schlecht­esten Zugang zur Unternehmensleitung (durch­schnit­tlich haben etwa 37% der Sifas keinen Zugang zur Unternehmensleitung bei den drei oben genan­nten Zugangsmöglichkeit­en) (Sifa-Langzeit­studie, S. 334f.).

Sowohl die for­male Unter­stel­lung als noch stärk­er der direk­te Zugang zur Leitung sind wesentliche Ein­flussgrößen auf die Wirk­samkeit von Sifas. Hier beste­ht in vie­len Betrieben der öffentlichen Hand Nachholbedarf.

Tätigkeit von Fachkräften für Arbeitssicherheit im öffentlichen Dienst

Der Ein­satz von Fachkräften für Arbeitssicher­heit soll einen möglichst hohen Wirkungs­grad der Arbeitss­chutz­maß­nah­men erzie­len. Durch den Ein­satz von Fachkräften und Betrieb­särzten soll erre­icht wer­den, dass die Arbeitss­chutzvorschriften entsprechend den beson­deren Betrieb­sver­hält­nis­sen ange­wandt, die gesicherten arbeitsmedi­zinis­chen und sicher­heit­stech­nis­chen Erken­nt­nisse ver­wirk­licht wer­den und die Arbeitss­chutz­maß­nah­men einen möglichst hohen Wirkungs­grad erzie­len (§ 1 ASiG).

Die Rechtsvorschriften zum Arbeitss­chutz leg­en dem Arbeit­ge­ber in einem hohen Maße eigen­ver­ant­wortlich­es Han­deln zur Pla­nung und Durch­führung der in seinem Betrieb erforder­lichen Maß­nah­men des Arbeitss­chutzes auf. Die DGUV Vorschrift 2 fordert in Anlage 2 in den Auf­gabenkat­a­lo­gen von den Fachkräften für Arbeitssicher­heit und Betrieb­särzten eine entsprechende inhaltlich umfassende Unterstützungstätigkeit.

In der Sifa-Langzeit­studie wur­den vor diesem Hin­ter­grund für über 80 ver­schiedene Tätigkeit­en abge­fragt (z. B. Unter­stützung bei Unter­weisun­gen, Betrieb­san­weisun­gen oder Durch­führen von Gefährdungser­mit­tlun­gen), wie inten­siv sich die Fachkräfte mit diesem The­ma befassen (von 1=gar nicht bis 5=sehr inten­siv). Diese Tätigkeit­en wur­den dann kom­prim­iert in sieben Tätigkeits­feldern zusam­menge­fasst, was einen besseren Überblick ermöglicht. Wie wer­den Fachkräfte für Arbeitssicher­heit vor dem Hin­ter­grund dieser struk­turellen Beson­der­heit­en des öffentlichen Dien­stes tätig?

Im Ergeb­nis kann hin­sichtlich der selb­st eingeschätzten Tätigkeitsin­ten­sitäten zusam­men­fassend fest­gestellt wer­den (siehe Abbil­dung 2), dass die Unter­schiede zwis­chen den Sifas aus dem öffentlichen Dienst und dem gewerblichen Bere­ich rel­a­tiv klein sind. Sifas aus dem öffentlichen Dienst fall­en ger­ingfügig ab in den Tätigkeits­feldern: T1 Ver­hal­tenspräven­tion, T2 Analy­sen von Gefährdungs­fak­toren, T4 tech­nisch-organ­isatorische Arbeitssys­temgestal­tung und T7 Ereignis­analy­sen. Diese Unter­schiede wer­den jedoch alle sta­tis­tisch sig­nifikant. Das bedeutet: Sie sind nicht zufällig.

Eine besorgnis­er­re­gende Erken­nt­nis aus der Studie ist allerd­ings auch: Die Fachkräfte für Arbeitssicher­heit beschäfti­gen sich branchenüber­greifend kaum oder wenig mit der Beratung und Unter­stützung zu zeit­gemäßen und mod­er­nen The­men des Arbeitss­chutzes vor dem Hin­ter­grund des Wan­dels der Arbeit und der Mega­trends (z. B. Gestal­tung der Arbeits­be­din­gun­gen für Ältere, Per­son­alen­twick­lung, Arbeit­szeit­gestal­tung, Verkehrssicher­heit). Die Beratung zur per­so­nenori­en­tierten Gestal­tung von Arbeitssys­te­men wird sehr stiefmüt­ter­lich behandelt.

Ab­b. 2: Inten­sität des Tätig­w­er­dens in den sieben Tätigkeits­feldern für Sifas der UVT der öffentlichen Hand und Beruf­sgenossen­schaften (Quelle: Sifa-Langzeitstudie)

 

Wirksamkeit von Fachkräften für Arbeitssicherheit im öffentlichen Dienst

Wer­fen wir auf einen Blick auf die Wirk­samkeit der Fachkräfte für Arbeitssicher­heit aus dem öffentlichen Dienst. Wirk­samkeit der eige­nen Beratung und Unter­stützung der Betriebe wird erzielt, z. B. durch

  • eine Verbesserung der organ­i­sa­tionalen und kul­turellen Bedin­gun­gen (bessere Regelun­gen im Arbeitss­chutz, Führungskul­tur, Betrieb­skli­ma etc.)
  • eine Reduzierung der Unfall- und Gesundheitsrisiken,
  • das Erzeu­gen eines betrieblichen Nutzens (z. B. durch Prozes­sop­ti­mierung, weniger Fehler, Imageverbesserung)
  • eine men­schen­gerecht­en Arbeitsgestaltung

Im Durch­schnitt schätzen die befragten Fachkräfte für Arbeitssicher­heit aus dem Bere­ich der Unfal­lver­sicherungsträger der öffentlichen Hand ihre Wirk­samkeit auf allen vier Feldern mit teil­weise erkennbar ein (siehe Abbil­dung 3). Sie unter­schei­den sich im Mit­tel nur wenig von Sifas in der gewerblichen Wirtschaft. Sig­nifikante Unter­schiede liegen für die Wirk­samkeits­felder W1 Arbeitss­chut­zor­gan­i­sa­tion- und ‑kul­tur und W3 Betrieblich­er Nutzen vor. Hier wird die Wirk­samkeit etwas höher beurteilt als im öffentlichen Dienst.

Abb. 3: Ein­schätzung der mit­tleren Wirk­samkeit auf den vier Wirk­samkeits­feldern (Quelle: Sifa-Langzeitstudie)

Megatrends und Wandel im öffentlichen Dienst

Mega­trends und der Wan­del der Arbeit machen auch vor dem öffentlichen Dienst keinen Halt. Das DGUV-Risikoob­ser­va­to­ri­um beschreibt für öffentliche Ver­wal­tun­gen eine Vielzahl an Schw­er­punkt-Entwick­lun­gen (vgl. Hauke/Neitzner 2017, S. 2ff.). Hierzu zählen beispielsweise:

  • Arbeitsverdich­tung, län­gere Arbeit­szeit­en und Verantwortungsausweitung
  • Demografis­ch­er Wan­del und unaus­ge­wo­gene Altersstruk­tur und Fachkräftemangel
  • Infor­ma­tions- und Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien und ver­net­zte Automatisierung
  • Flex­i­bil­isierung von Arbeit (z. B. durch Arbeit­szeit­mod­elle und wech­sel­nde Arbeitsorte)
  • Lan­gan­hal­tende und/oder ein­seit­ige Beanspruchung des Muskel-Skelett-Systems
  • Seel­is­che Gewalt (z. B. Mob­bing, Cyber­mob­bing) und kör­per­liche bei ver­sicherten Tätigkeiten
  • Mobile Arbeit und Mobilitätsanforderungen/Verkehrsdichte (z. B. durch Pen­deln, Dien­streisen, mobile Arbeit usw.)
  • Notwendigkeit zum lebenslan­gen und inter­diszi­plinären Lernen
  • Cyber-Angriffe auf dig­i­tal­isierte Systeme

Ein wichtiges The­ma für den öffentlichen Dienst ist die Per­son­al­sicherung. Neuere Dat­en lassen erah­nen, welche Her­aus­forderun­gen auf den öffentlichen Dienst zukom­men: Bis 2030 dro­ht eine Per­son­al­lücke von etwa 730.000 Beschäftigten.[2] Betrof­fen wer­den ins­beson­dere Führungskräfte auf der mit­tleren Führungsebene der Unter­abteilungs- oder Refer­at­sleit­er sein. Neben der oberen Entschei­der-Ebene sind ger­ade mit­tlere Führungskräfte zen­trale Ansprech­part­ner der Sifas, wenn es um betriebliche Arbeitss­chutzpro­jek­te geht oder wenn es konkret in die Umset­zung und Begleitung von Arbeitss­chutz­maß­nah­men geht. Diese Entwick­lun­gen wirken sich auf die Organ­i­sa­tion, Kul­tur und Führung sowie auf die Arbeits­be­din­gun­gen der Beschäftigten in den öffentlichen Ver­wal­tun­gen aus. Daraus ergeben sich Kon­se­quen­zen für das Han­deln der Fachkräfte für Arbeitssicher­heit, die bish­er in der Wirk­samkeits­forschung zu Sifas noch wenig berück­sichtigt wurden.

Zusammenfassung und Empfehlungen

  • Fachkräfte für Arbeitssicher­heit sind als Stab­sstelle beim Leit­er des Betriebs anzusiedeln – das gilt auch für den öffentlichen Dienst. Dieses Prinzip find­et noch nicht in allen Betrieben des öffentlichen Dien­stes Anwen­dung. Fast 30% der in der Sifa-Langzeit­studie befragten Sifas aus dem öffentlichen Dienst sind – ent­ge­gen den Forderun­gen aus dem ASiG und der Recht­sprechung — organ­isatorisch ein­er Fach­abteilung angegliedert. Fast die Hälfte der Sifas im öffentlichen Dienst haben keinen (informellen) Zugang zur Unternehmensleitung.
  • Zeit­gemäße Arbeitss­chutzthe­men (z. B. per­so­nenori­en­tierte Arbeits­gestal­tung, psy­chis­che und physis­che Belas­tung, Arbeit­szeit­gestal­tung, Verkehrssicher­heit, demografis­ch­er Wan­del) wer­den durch die Sifas mit ein­er gerin­geren Inten­sität bear­beit­et wie klas­sis­che The­men des Arbeitsschutzes.
  • Bei der Wirk­samkeit schätzen sich Sifas aus dem öffentlichen Dienst weniger wirk­sam ein. Sie erzie­len nicht die gewün­scht­en Effek­te in den Bere­ichen zur Verbesserung der Arbeitss­chut­zor­gan­i­sa­tion und ‑Kul­tur und erzie­len einen gerin­geren betrieblichen Nutzen.

Welche Empfehlungen lassen sich daraus für Fachkräfte für Arbeitssicherheit ableiten?

Sifas kön­nen selb­st etwas zur Verbesserung des eige­nen Han­delns beitra­gen, indem sie ihr Tätig­w­er­den und ihre Auf­gaben­wahrnehmung stärk­er reflek­tieren, das bedeutet beispielsweise:

  • Betreu­ungsver­hält­nisse durch Fachkräfte für Arbeitssicher­heit und Betrieb­särzte soll­ten im öffentlichen Dienst langfristig angelegt wer­den, um struk­turelle Hür­den zu bewältigen
  • stärkere Aus­rich­tung am tat­säch­lichen betrieblichen Betreu­ungs­be­darf und den konkreten Erfordernissen in Ver­wal­tun­gen, z. B. Unter­stützung bei Per­son­alen­twick­lung, alters- und alterns­gerechte Arbeits­gestal­tung, Arbeit­szeit­gestal­tung und Mobilität
  • weniger unter­weisen und Unfal­l­analy­sen machen, viel mehr präven­tiv tätig wer­den z. B. bei Pla­nun­gen, Beschaf­fun­gen und weit­eren Investitionsprozessen
  • mehr mit Unter­stützung zur Verbesserung der Organ­i­sa­tion und Organ­i­sa­tion­sen­twick­lung beschäfti­gen (z. B. ISO 45001 – Arbeitss­chutz­man­age­mentsys­tem), Verän­derung­sprozesse begleit­en (Change Man­age­ment) und bei der Imple­men­tierung von Konzepten zur Gefährdungs­beurteilung unterstützen
  • Beratung und Unter­stützung im Arbeitss­chutz ganzheitlich ange­hen, z. B. auch The­men und über­be­triebliche Kam­pag­nen berück­sichti­gen zur Präven­tion­skul­tur, betrieblichen Gesund­heits­förderung und gesund­heits­gerechter Führung
  • Regelmäßige Fort­bil­dung, die nicht nur fach­lich ori­en­tiert ist, son­dern alle Kom­pe­tenzbere­iche berück­sichtigt, z. B. auch zur Verbesserung der Selb­stor­gan­i­sa­tion, Koop­er­a­tion mit anderen Akteuren, Gesprächsführung
  • Regelmäßige Gespräche und Kon­tak­te mit Führungskräften (ins­beson­dere neuen Führungskräften) pfle­gen und Auf­bau von Net­zw­erken im Betrieb, Ver­net­zung mit weit­eren Beauf­tragten vorantreiben (z. B. QM-Beauftragte)

Was bedeutet das für die Betriebe des öffentlichen Dienstes?

  • Arbeit­ge­ber müssen viel stärk­er auf ihre Sifas zurück­greifen und auch dafür sor­gen, dass die organ­isatorischen Rah­menbe­din­gun­gen und der Zugang zur Unternehmensleitung für Sifas bess­er wer­den. Führungskräfte sollen die Beratung und Unter­stützung durch die Sifas und Betrieb­särzte aktiv in Anspruch nehmen und die Möglichkeit­en nutzen, sich bei der Organ­i­sa­tion des Arbeitss­chutzes, Umset­zung von Arbeitss­chutz­maß­nah­men und Mitar­beit­er­führung unter­stützen zu lassen.
  • Die Poten­tiale der Sifas bess­er nutzen: Sifas kön­nen einen großen Teil dazu beitra­gen, die Attrak­tiv­ität des öffentlichen Dien­stes als Arbeit­ge­ber zu erhöhen, in dem durch ihr Tätig­w­er­den ein betrieblich­er Nutzen erzeugt und das Image verbessert wird.

Was bedeutet das für die Träger und Institutionen des Arbeitsschutzes?

  • Aus- und Fort­bil­dung der Fachkräfte für Arbeitssicher­heit müssen auch weit­er­hin branchen­spez­i­fis­che Beson­der­heit­en des öffentlichen Dien­stes – ins­beson­dere die spez­i­fis­chen Struk­turen — hin­re­ichend berücksichtigen
  • Noch stärkere Aus­rich­tung der Präven­tion­spro­duk­te und Qual­i­fizierungsange­bote auf die Gruppe der Unternehmensleitung und Führungsebene im öffentlichen Dienst, um zu sie für die Belange des Arbeitss­chutzes sen­si­bil­isieren und zu gewinnen.

 

Lit­er­aturliste

  • Barth, C. et al. (2017): Bedarf an Fachkräften für Arbeitssicher­heit in Deutsch­land (Abschluss­bericht). 1. Auflage. Dort­mund: Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin (Pro­jek­t­num­mer: F 2388)
  • Hauke, A.; Neitzn­er, I. (Hrsg.: DGUV, 2019): Öffentliche Ver­wal­tung: Aus­führlich­es Branchen­bild aus dem Risikoob­ser­va­to­ri­um der DGUV. Link: https://www.ipa-dguv.de/medien/ifa/de/fac/arbeiten_4_0/branchenbild_oeffentliche_-verwaltung.pdf (Zugriff am 26. März 2019)
  • Hamach­er, W.; Eick­holt, C.; Riebe, S.: Betriebliche und über­be­triebliche Ein­flussgrößen auf die Tätigkeit und Wirk­samkeit von Fachkräften für Arbeitssicher­heit – Ergeb­nisse der Sifa-Langzeit­studie und der GDA-Betrieb­s­be­fra­gung 2011 (Gutacht­en im BAuA-Forschung­spro­jekt F 2342 „Treiber und Hemm­nisse der Umset­zung im Arbeits- und Gesund­heitss­chutz“). Dort­mund, Berlin, Dres­den, 2015.
  • Riebe, S. et al. (2018): Auf­bruch in eine neue Arbeitswelt — Wirk­same Arbeitss­chutz­be­treu­ung heute und in der Zukun­ft. In: Trends und Inno­va­tio­nen im Arbeitss­chutz 2018/19. Son­der­aus­gabe der Zeitschriften Betriebliche Präven­tion und sich­er ist sich­er. S. 22–28. Erich-Schmidt-Ver­lag GmbH & Co. KG, Berlin
  • Trim­pop, R. et al.: Sifa Langzeit­studie: Tätigkeit­en und Wirk­samkeit­en von Fachkräften für Arbeitssicher­heit (Abschluss­bericht). Ein Pro­jekt der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung e. V. (DGUV). Pro­jekt des Fachauss­chuss­es „Organ­i­sa­tion des Arbeitss­chutzes“ –FB ORG. Sankt Augustin, 2012.

 

[1]     Aus: VDSI-Posi­tion­spa­pi­er zur rechtlichen Stel­lung der Fachkraft für Arbeitssicher­heit im Unternehmen vom 15. Juli 2010. Down­load unter: http://www.vdsi.de/files/1500/6038/1/wc2mgmAM.pdf (Zugriff am 28.02.2012)

[2] Vgl. hierzu Beitrag Dat­en ein­er McK­in­sey-Studie https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/nachwuchsmangel-im-oeffentlichen-dienst-droht-eine-personalluecke-von-730–000-beschaeftigten/24172726.html

 

Autoren: Wern­er Hamach­er, Sebas­t­ian Riebe

Sys­temkonzept, Köln

Kon­takt:

werner.hamacher@systemkonzept.de

sebastian.riebe@systemkonzept.de


Weit­ere Beiträge im The­men­schw­er­punkt „Sicher­heit im öffentlichen Dienst“ in Sicher­heitsin­ge­nieur 5/2019:

Das Sicher­heit­skonzept der Stadt München — Angst­frei im Amt arbeiten
Ende 2016 ver­ab­schiedete der Münch­n­er Stad­trat unter dem Ein­druck des recht­sex­trem­istisch motivierten Atten­tats am und im Olympia-Einkauf­szen­trum ein Sicher­heit­skonzept für die städtis­chen Dien­st­ge­bäude. Michael Birk­horst, der den Fach­di­enst für Arbeitssicher­heit leit­et und Sicher­heitsin­ge­nieur Simon Kirn­berg­er, der die Beschäftigten­sicher­heit koor­diniert, ziehen nach gut zwei Jahren eine Zwischenbilanz.

Schutz ist notwendig und mach­bar — Solare Expo­si­tion von Beschäftigten im öffentlichen Dienst
Viele Mil­lio­nen Beschäftigte in Deutsch­land sind während ihrer Tätigkeit­en solar­er ultra­vi­o­let­ter (UV-) Strahlung aus­ge­set­zt. Ob sie dadurch gefährdet sind, muss eine Gefährdungs­beurteilung ergeben. Um diese fak­ten­sich­er durch­führen zu kön­nen, ist die Ver­wen­dung von Mess­werten sehr hil­fre­ich. Das Insti­tut für Arbeitss­chutz der DGUV (IFA) hat die in den ver­gan­genen Jahren aufgenomme­nen Forschungsanstren­gun­gen weit­er inten­siviert und auf viele Berufe aus­gedehnt. Auch im öffentlichen Dienst gibt es Tätigkeit­en, bei denen UV-Schutz­maß­nah­men angewen­det wer­den sollten.

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