Ein junger Mann hat die Aufgabe, an einer CNC-gesteuerten Drehmaschine ein kleines Werkstück zu bearbeiten. Dafür muss er Stangenmaterial mit einem Durchmesser von circa 15 Millimeter in das Drehfutter einspannen. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen spannt er es so ein, dass es viel zu weit aus dem Drehfutter in den Arbeitsraum der Drehmaschine hineinragt.
Als er den Drehautomaten in Gang setzt, knickt das aus dem Drehfutter herausstehende Stangenmaterial bei höherer Drehzahl nicht nur ab, sondern der abgeknickte Stangenteil reißt auch noch ab.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Maschine so manipuliert, dass die Schutztür bei laufender Maschine offensteht. Das Metallteil fliegt aus der Maschine heraus und trifft den jungen Mann am Kopf – mit tödlichen Folgen. Dieser Unfall ist zwar fiktiv, aber dennoch realistisch. Er setzt sich aus Einzelerfahrungen zusammen, die Ralf Kesselkaul während seiner mehr als zwanzigjährigen Tätigkeit in der Prävention der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) machte. In dieser Zeit hat er sich intensiv mit Drehmaschinen beschäftigt und war immer wieder mit Ursachenanalysen für Unfälle und Ableitung von Präventionsmaßnahmen befasst. Auch mit Unfällen, die durch Manipulationen an Maschinen geschahen. Wäre bei dem Unfallbeispiel die Schutztür geschlossen gewesen, hätte sie das in den Arbeitsraum wegfliegende Teil zurückgehalten und dem jungen Mann wäre nichts passiert. Jedoch war der Positionsschalter, der die Schutztürstellung überwacht, so manipuliert, dass er der Maschine suggerierte, die Schutztür sei zu.
Warum wird das gemacht? Ralf Kesselkaul hat in der Praxis schon folgenden Grund für eine Manipulation erlebt: Viele kleine Risse aufgrund einer länger zurückliegenden Vorschädigung in der Sichtscheibe der Schutzumhausung verhindern die freie Sicht in den Arbeitsraum der Maschine. Muss dann zum Beispiel ein kleines Werkstück bearbeitet werden, wird wegen der fehlenden Sicht die Schutztüre manipuliert und es wird bei geöffneter Schutzumhausung gearbeitet.
Fehler können schnell passieren
Die wichtigste Maßnahme, um bei der Drehbearbeitung einen Werkstückverlust zu vermeiden, ist das richtige Einspannen des Werkstückes. Fehler passieren hierbei zum Beispiel aufgrund mangelnder Kenntnis, Erfahrung oder auch fehlender Informationen zum Werkstück, wie Ralf Kesselkaul erklärt. So komme es vor, dass abhängig von der Aufspannsituation etwa der Spanndruck zu niedrig eingestellt ist, weiche statt harte Backen verwendet werden, außen statt innen gespannt wird oder das Werkstück nicht tief genug im Drehfutter sitzt. Ebenfalls kann – wie bei dem fiktiven Unfall – Stangenmaterial zu weit aus dem Drehfutter herausstehen, weil beispielsweise die Struktur des Werkstückes unterschätzt wird oder die Materialeigenschaften unbekannt sind. Sowohl Geschick und Erfahrung des Drehers als auch die Konstruktionsvorgaben spielen dabei eine Rolle.
Gewisse Selbstüberschätzung
Im fiktiven Unfall hätte die fehlerhafte Aufspannsituation nicht zum Tod des jungen Mannes geführt, wenn das Unternehmen die Sichtscheibe unverzüglich ausgewechselt hätte, nachdem der Bediener den Defekt gemeldet hatte. Es hätte keinen Grund mehr gegeben, die Maschine zu manipulieren. Schutzeinrichtungen seien ja für die Funktion der Maschine nicht notwendig und können bisweilen hinderlich sein, wendet Ralf Kesselkaul auf die Frage ein, warum manipuliert wird. So könne zum Beispiel auch eine gewisse Selbstüberschätzung dazu führen, dass Beschäftigte denken: „Ich bin so gut in meinem Job, ich brauche die Schutzeinrichtung nicht“.
Maschinenhersteller in der Pflicht
Von großer Bedeutung sei auch, wie ergonomisch Maschinen konstruiert seien. Wenn Schutzeinrichtungen dazu führen, dass Bedienende ungünstige Körperhaltungen einnehmen müssen, könne dies zu Manipulationen verleiten. Der Fachmann der BGHM rät Unternehmen deshalb, bereits bei der Anschaffung von Maschinen die Sicherheitsfachkraft, die Sicherheitsbeauftragten und die künftigen Bediener der Maschine hinzuzuziehen.
Anreiz für Manipulationen senken
Die Maschinenhersteller sind ebenfalls in der Pflicht. Laut Maschinenrichtlinie, die in Deutschland über das Produktsicherheitsgesetz sowie die 9. Produktsicherheitsverordnung gilt, müssen sie ergonomische Aspekte berücksichtigen. „Außerdem haben sie auch durch ihren Kontakt zu den Unternehmen Zugang zu Informationen, ob an den Maschinen im praktischen Betrieb manipuliert wird und können den Anreiz dazu durch Verbesserungen wirksam senken“, betont Ralf Kesselkaul.
Kollegen auf Gefahr hinweisen
Sicherheitsbeauftragte sollten ihre Kolleginnen und Kollegen immer darauf hinweisen, wie gefährlich es ist, Schutzeinrichtungen an Maschinen zu umgehen und sie davon abhalten. Hat das keinen Erfolg, müssen sie die Manipulation den Vorgesetzten melden.
Auch Defizite an Maschinen, die einen Anreiz für Manipulationen darstellen, sollten sie weitergeben. Mit diesen Informationen ermöglichen sie es den Vorgesetzten und dem Unternehmen, entsprechend ihrer Verantwortung zu handeln, also den Grund für eine Manipulation, wie zum Beispiel eine defekte Sichtscheibe, auszuwechseln.
Internetseite klärt auf
Viele Informationen zum Thema „Manipulation an Maschinen“ stehen auf
einer von Berufsgenossenschaften und Arbeitsschutzorganisationen mehrerer Länder veröffentlichten Inernetseite. Hersteller, Händler und Betreiber von Maschinen finden dort nützliche Hinweise und Praxishilfen. Das reicht von der „Checkliste Maschineneinkauf“ über die „Intervention bei Fehlverhalten“ bis zu Lehrmodulen für die Unfallprävention.