Arbeitsschutz wird, so konnte man vor einigen Monaten in der Hannoversche Allgemeine* lesen, in Deutschland groß geschrieben. Nun, das ist an sich richtig, da es sich bei dem Wort Arbeitsschutz um ein Substantiv handelt. Und Substantive werden in Deutschland „großgeschrieben“. Das zumindest sagt der Duden über dieses starke Verb.
Aber ich will an dieser Stelle nicht zu viel (nein, es schreibt sich nicht „zuviel“, weil zu + Adjektiv getrennt geschrieben werden) meckern, denn immerhin wusste man in der Landeshauptstadt Niedersachsens, dass das Wort Arbeitsschutz ohne Bindestrich auskommt. In Hamburg bei der BGW hat man hingegen noch einige Probleme mit dem Bindestrich. Dort lässt man den Sicherheitsbeauftragten Nils in zwei neuen Filmen den „Arbeitsschutz“ (richtig geschrieben!) und den „Brand-Schutz“ (nicht richtig geschrieben!) erklären. Ein vorheriger Blick in den Duden hätte geholfen, aber das Buch lag vermutlich gerade unter einem Monitor, um die Bildschirmhöhe auszugleichen …
Zwar wird der Arbeitsschutz in Deutschland – zumindest von der Rechtschreibung her – im Grunde großgeschrieben. Bei der Anwendung der staatlichen und berufsgenossenschaftlichen Regeln scheint es sich bei dem Wort und dessen Umsetzung in die Praxis aber eher um ein Hilfsverb zu handeln. Vor allem scheinen gerade, so konnte man dem bereits erwähnten Artikel der Hannoversche Allgemeine entnehmen, Existenzgründer mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz auf dem Kriegsfuß zu stehen. So mangelt es, um nur ein Beispiel zu nennen, in den neu gegründeten Unternehmen sehr oft an der äußerst wichtigen Gefährdungsbeurteilung. Aber auch andere wichtige Maßnahmen gehen, so die Hannoversche Allgemeine, im betrieblichen Alltag von Startups häufig unter.
Mal ehrlich, es hapert doch nicht nur bei Existenzgründern an einem geordneten Arbeits- und Gesundheitsschutz, oder? Auch in vielen anderen Firmen – und nicht nur in kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Bundesrepublik – gibt es deutlich erkennbare Mängel in Sachen Verantwortlichkeit, Gefährdungsbeurteilung, Unterweisungen, ASA-Sitzungen usw. Diesen Stand in den bundesdeutschen Unternehmen hat der Arbeitsschutz zwar immerhin mit der ebenso oft vernachlässigten Rechtschreibung gemeinsam — was die Sache aber nicht besser macht.
Was kann man tun, um die Existenzgründer (und alle anderen gleich mit) wieder auf den rechten Pfad der Tugend zu bringen? Mehr Kontrollen? Höhere Strafen? Alle Verantwortung auf die Sicherheitsfachkräfte oder gar auf den Sicherheitsbeauftragten übertragen? Nein, natürlich nicht!
Das geeignete Mittel der Wahl ist wohl eher ein sanftes Anstupsen, anstupsen (?), An-Stupsen (?), an-stupsen (?) der verantwortlichen Unternehmer. Das Wort kriegen wir niemals korrekt hin, also nennen wir das geeignete Mittel der Wahl der Einfachheit halber lieber „Nudging“. Das schreibt sich leichter und klingt zudem moderner, denn Englisch ist bekanntermaßen ja auch modern. Oder anders gesagt: Ein englischer Begriff zur rechten Zeit, erspart den Duden und die Denkarbeit.
Ab sofort werden alle Verantwortlichen im Arbeits- und Gesundheitsschutz nur noch sanft in die richtige Richtung gestupst, so die deutsche Übersetzung von Nudging. Die Übergangszeit – weg von den derzeit regelmäßigen und harten Kontrollen der bundesdeutschen Unternehmen durch die Aufsichtsbehörden und Berufsgenossenschaften hin zu einem sanften Arbeitsschutz – wird ganz sicher nicht leicht für alle Beteiligten. Daher empfehle ich allen Verantwortlichen in den Betrieben sowie deren unterstützenden Beratern, sich ab sofort knallhart in Tagträume zu stürzen, weil sich das Gehirn dadurch langsam auf die völlige Entspannung vorbereiten kann, die alle Beteiligten durch das Nudging in Zukunft erwartet.
Natürlich lösen diese ungewohnte Ruhe und der innere Frieden anfangs ein leichtes Panikgefühl aus. Vor allem bei vielen Sicherheitsfachkräften, die es nämlich seit vielen Jahren gewohnt sind, ihren ganzen Arbeitstag mit Aktivitäten im Arbeits- und Gesundheitsschutz vollzustopfen, um bei den eigentlich dafür Verantwortlichen nicht als Faulenzer abgestempelt zu werden.
Die Führungskräfte werden den Übergang zum „Nudging“ dagegen viel entspannter empfinden, denn an ihrer Arbeitsweise ändert sich im Grunde rein gar nichts. Die meisten Verantwortlichen wissen nämlich aus eigener Erfahrung (und aus der Politik), dass zu viel Aktivität schnell in blinden Aktionismus umschlägt und halten daher schon von Natur aus die Füße still.
Die innerbetrieblichen Berater, Aufsichtsbehörden und Berufsgenossenschaften geben dann zukünftig hier und da einen sanften Hinweis zur Gefährdungsbeurteilung oder machen vielleicht auch mal einen sanften Vorschlag zum Brandschutz. Und was wird passieren? Es passiert natürlich absolut nichts! Alles wird beim Alten bleiben. Es wird vollkommene Zufriedenheit auf allen Führungsebenen herrschen. Und in dieser friedvollen Atmosphäre wird der ein oder andere Verantwortliche in einem Anflug von leichtem Arbeitsschutzdenken der Bestellung neuer Bierdeckel für die Gefährdungsbeurteilung (Anm. d. Red.: bitte lesen) zustimmen… Alles bleibt besser! In diesem Sinne…
Ihr
Heiko Mittelstaedt