Im Rahmen des Forschungsprogramms „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ sowie der dazugehörigen Programmlinie „Zukunft der Arbeit“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung setzen sich zahlreiche Forschungsprojekte mit dem Thema Digitalisierung und sozidemographischer Wandel auseinandersetzen. Eines davon ist das Verbundprojekt „Initiative betriebliche Gestaltungskompetenz stärken – Ein neues Präventionsmodell für Unternehmen und Beschäftigte (InGeMo)“, das auf den Forschungsbereich „Individualisierte und präventive Arbeitsgestaltung“ abzielt. Ausgangspunkt des Projekts ist der Anstieg psychischer Belastungen und Erkrankungen in der Metall- und Elektroindustrie.
Darauf ausbauend befasst sich das vorliegende Buch speziell mit psycho-sozialer Arbeits- und Organisationsgestaltung in der digitalen Produktion. Titel wie Untertitel laden nicht gerade zur spontanen Lektüre ein. Zwei Herausgeber und 30 (!) Autorinnen und Autoren versuchen auf weit über 400 Seiten in vier Teilen, deren inhaltliche Trennschärfe sich nicht auf den ersten Blick erschließen mag, und in 40 (!!) Kapiteln Antworten zu geben. Wie so oft in solchen umfänglichen Herausgeberwerken, zumal sie auf geförderten Forschungsprojekten basieren, variiert die Qualität der teils sehr theoretischen und partikularen Beiträge.
Die theoretischen Aufarbeitungen der hochrangigen Experten aus Forschung, Lehre, Politik, Gewerkschaft und Wirtschaft sind ebenso interessant und lesenswert wie die Darstellung neuer empirischer Forschungsergebnisse zum Thema. Die Bandbreite reicht von wissenschaftlichen Beiträgen im Range einer zusammengefassten Masterarbeit oder gar Dissertation bis zu „hands on“ Praxisberichten zum Umgang mit Stress. Alles für sich genommen sehr interessant und des Lesens lohnend, aber im Großen und Ganzen zu unverbunden, zu wenig rekursiv, zu beliebig.
Das abschließende Kompendium pendelt ebenso zwischen Erfahrungsbericht, Handreichung und Lexikaeintrag – je nach Thema und Autor – hin und her. Inhaltlich fehlt eine innere Ordnung, die Kapitel scheinen wahllos aneinandergereiht. Es werden durchaus interessante Ansätze und Gedankenanstöße dargestellt, aber die praktische Umsetzbarkeit des Dargestellten changiert von Kapitel zu Kapitel erheblich. Eine einheitlichere Struktur in der Darstellung der Instrumente wäre insbesondere für Praktiker sicherlich hilfreich gewesen.
Die Tatsache, dass jeder Beitrag des Buchs neben einem Literaturverzeichnis auch ein Bild des jeweiligen Autoren mit Kurzvita bereithält lässt vermuten, dass das Buch nicht „am Stück“ gelesen werden soll, sondern einzelne Kapitel für sich losgelöst stehen. Das ergibt Sinn, verstärkt aber den Eindruck, dass hier ein Buch aus Erfahrungs- und Zwischenberichten sowie möglicherweise anderweitigen Publikationen zu einem Buch „zusammengebaut“ wurde.
Was lässt sich zusammenfassend sagen? Schon Parcelsus wusste, dass die Dosis das Gift macht. Daher mein Tipp: Lesen Sie dieses Buch kapitelweise, je nach Befindlichkeit und Interesse, und Sie werden Erkenntnis und vielleicht sogar Heilung finden. Am Stück genossen ist es ein Kombipräparat, das Potenzial zur schnellen Überdosis hat.
Gerlmaier, A. & Latniak, E. (Hrsg.) (2019). Handbuch psycho-soziale Gestaltung digitaler Produktionsarbeit – Gesundheitsressourcen stärken durch organisationale Gestaltungskompetenz. Wiesbaden: SpringerGabler. ISBN 978–3–658–26153–5; ISBN 978–3–658–26154–2 (eBook)
Autor: Dr. Stefan Poppelreuter
Leiter Analysen & Befragungen
HR Consulting,
TÜV Rheinland Akademie GmbH