Mit großem Interesse habe ich den Artikel von Herrn Schappmann in der oben genannten Ausgabe mit dem Titel „Schlusslichtdebatte: Gesetze, Vollzugsdefizit, Gefährdungsbeurteilung: Die Realität“ gelesen. Der Artikel „spricht mir aus der Seele“ – vielleicht
ist für alle Leser und Herrn Schappmann folgendes von Interesse:
Herr Schappmann beklagt auf Seite 43 das Fehlen des „Gesunden Menschenverstandes“ (GMV). Diesen vermisse auch ich bei folgender realer Entwicklung:
Nach jahrelanger Diskussion sind in 2018 die DGUV Informationen 215–611, –612 und –613 zur Kassensicherheit in Banken/Sparkassen novelliert worden. Das Problem: diese drei DGUV Informationen haben einen Umfang von rund 250 Seiten – i.V.m. mit der übergeordneten DGUV Vorschrift 25/26 Kassen mit rund 20 Seiten.
Ziel dieser Vorschriften/Informationen ist es, den Tatanreiz zu Raubüberfällen auf Kreditinstitute nachhaltig zu senken. Die Zahl der Raubüberfälle in Deutschland auf Kreditinstitute hatte im Jahr 1993 einen Höchststand mit 1.624 erreicht, und hat sich auf „nur“ noch 91 in 2018 (lt. Polizeiliche Kriminalstatistik) vermindert. Über die Ursachen dieser „Erfolgsstory“ könnte an anderer Stelle berichtet werden. Aus meiner Sicht: Ich kenne keine Unfallart, bei der sich bei nur noch rund 90 meldepflichtigen „Unfällen“ ein derart umfangreiches Regelwerk von circa 270 Seiten besteht.
Die Einführung der DGUV Informationen 215–611/612/613 hatte im Übrigen für mich folgende Konsequenzen: Da es sich „nur“ um DGUV-Informationen handelt, gibt es seitens der Verwaltungsberufsgenossenschaft keine Synopsen. Meine von mir als Sifa betreuten Banken/Sparkassen erwarten aber (zu Recht) an mich als Dienstleister eine Aufbereitung zu den Fragen: was ist neu, was ist anders – was ist zu tun?
Entsprechend habe ich mühsam 250 Seiten Text alt/neu verglichen, um die Unterschiede heraus zu arbeiten, zu bewerten und in einer Synopse zu erfassen. Dabei ergaben sich im Übrigen vielfältige Fragen, Widersprüche usw. Der zeitliche Aufwand betrug rechnerisch circa zweivolle Arbeitstage.
Hier fehlt unter dem oben genannten Gedanken „GMV“ ein Regulativ, der die Frage stellt: müssen wir ein derartiges weiter aufgeblähtes Regelwerk haben – muss es nicht drastisch reduziert werden?
Wie wichtig ein derartiger „Hubschrauberblick“ ist, verdeutlicht auch folgende Situation:
- In der DGUV Information 215–611, Ziff. 3.4 zum Thema „Gefährdete Personen“ steht unter anderem: „Darüber hinaus kann es aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht sinnvoll sein, Kunden und Kundinnen sowie Hausbewohner und Hausbewohnerinnen außerhalb der Verpflichtung des Arbeitsschutzgesetzes zu berücksichtigen“. Dies bedeutet (!): ein Kreditinstitut mit einer Filiale in einem Wohnhaus müßte ermitteln, welche Bewohner, Mieter, Kunden von einem Überfall (Täter dringen morgens ins Haus ein, fangen diese ab) betroffen sein könnten. Das heißt, eine Gefährdungsbeurteilung für Betriebsfremde. In der Konsequenz müßten diese Personen dann auch in die halbjährlichen Unterweisungen zum Verhalten bei/nach Überfall einbezogen werden – die 80jährige Oma, deren 10jähriger Enkel, die deutsch und nicht deutsch sprechenden Mieter …
Aber damit nicht genug: aktuell befindet sich die neue DGUV Vorschrift „Überfallprävention“ in der Abstimmungsphase. Diese gilt voraussichtlich ab 2020 nicht nur für die Branche Kreditinstitute sondern auch für Tankstellen, Spielstätten und ähnliches. Parallel dazu wird es auch noch für Kreditinstitute eine Branchenregel „zwischen“ der neuen DGUV Vorschrift und den oben genannten DGUV Informationen geben. Das Regelwerk dürfte dann wohl auf 300 Seiten anschwellen – bei rund 90 Überfällen pro Jahr.
Fazit: es fehlt hier eine sich dem GMV verpflichtende Institution, die – bei allem Wohlwollen – kritisch die Sinnhaftigkeit prüft und pragmatisch entscheidet.
Rainer Hannich