Hallo Herr Naumann,
zugegeben, ich bin mit dem Lesen der letzten Hefte etwas in Verzug. Aber ich habe in den nachfolgenden Ausgaben noch nichts weiter darüber gelesen, so dass ich hoffe, noch rechtzeitig zu schreiben. Am Wochenende las ich im Editorial der Augustausgabe 2019 ihren Kommentar zur Überarbeitung der DGUV Vorschrift 2 und den Anstoß, Ihnen die Meinung zur Öffnung für andere Professionen zu senden. Entgegen sonstiger Gewohnheiten hat das bei mir spontan einen Antwortreiz ausgelöst, dem ich nun folge:
Meine ersten professionellen Schritte im Arbeitsschutz begannen im Herbst 1998 als Fachpraktikant bei Henkel, Düsseldorf. Dort begegnete mir, in einem Team aus Sicherheitsingenieuren und ‑meistern, ein als Sicherheitsfachkraft bestellter Diplom-Psychologe. Als einem Sicherheitstechnikstudenten war mir natürlich das ASiG bekannt und zur Genüge interpretiert worden – darum habe ich mich sehr gewundert, einen Dipl-Psych. als Sifa vorzufinden. Die Begründung war damals ebenso schlicht wie überzeugend: Auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes ist es eine wesentliche Aufgabe, Verhalten zu beeinflussen und Einstellungen zu verändern, so dass die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Psychologen benötigt werden.
Formal konnten (und können) unter bestimmten Voraussetzungen auch Personen als Sifa zugelassen werden, die nicht Meister, Techniker oder Ingenieur sind — sondern über eine andere Qualifikation verfügen, die geeignet ist, die Aufgaben nach ASiG zu erfüllen. In diesen Fällen muss mit der Berufsgenossenschaft – damals noch die BG Chemie – eine formelle Ausnahmegenehmigung beantragt werden. Im Zuge des Verfahrens ermittelt dann die BG in Abstimmung mit den staatlichen Arbeitsschutzbehörden, ob der Ausnahme zugestimmt werden kann. Ein Prinzip, dass bis heute bei der BG Rohstoffe und Chemische Industrie gültig ist, auch in der neuen Sicherheitsfachkräfteausbildung. Es leitet seinen Sinn daraus ab, dass es im Arbeitsschutz komplexer, chemischer Unternehmen durchaus angebracht ist, toxikologische, chemische oder eben psychologische Kenntnisse und Fertigkeiten zu besitzen und zu nutzen. Hier arbeitet man in größeren Teams, i.d.R. in Matrix-Strukturen, so dass jede Disziplin mit der anderen im Austausch steht; der Ingenieur den Psychologen bei der Maschinenabnahme unterstützt oder der Chemiker dem Ingenieur eine Gefahrstoffexposition bewertet.
Zwischenzeitlich bin ich lange im Sifa-Geschäft und hatte zahlreiche Begegnungen mit – auch internationalen – Berufskollegen zu unterschiedlichsten Anlässen. Gelegentlich wurde ich von Kollegen des Außendienstes um Unterstützung gebeten, wenn Kunden zum Einsatz unserer Klebstoffe und den damit verbundenen Gefährdungen Gesprächsbedarf hatten. Das waren für mich allesamt einprägsame Gespräche, denn es wurde rasch klar, dass oft Stoffbewertungen aufgrund von Ängsten und unzureichender Kenntnisse im Bereich Chemie der Anlass für das Gespräch waren. Offenbar kommt dies in der branchenbezogenen Sifa-Ausbildung zu kurz … Fachkundige Beratung durch andere Fachleute wäre angebracht, die ist aber kaum erhältlich, der „Markt“ gibt halt nur Meister, Techniker oder Ingenieure her. Die Forderung der GefStoffV nach fachkundiger Beratung im Zuge der Gefährdungsbeurteilung wirkt dabei ziemlich theoretisch. Dass die Sicherheitsfachkräfte prinzipiell als fachkundig gelten, macht es nicht besser.
Bei einem Kundenbesuch vor einigen Jahren in unserem Werk begegnete mir erstmalig ein Arbeitshygieniker. Es gibt in der Industrie eine solche Funktion, wie auch immer sie ausgestaltet ist, und diese Funktion ist im Umfeld Ergonomie / BGM / Gefahrstoffe tätig. Die Aufgabe der Sifa „… und in sonstigen Fragen der Ergonomie …“ zu beraten kann also durchaus auch von anderen Präventionskräften zielführend erbracht werden.
In unserem Nachbarland Österreich kann die Tätigkeit „sonstiger Fachleute der betrieblichen Prävention“, zum Beispiel auf dem Gebiet der Toxikologie, Arbeitspsychologie, o.ä. bis zu 25 Prozent in die Präventionszeit eingerechnet werden (§§ 82a, 82b ASchG) !!!
Die andere Seite: Arbeitsmedizin
Derzeit verfügen wir über eine engagierte, qualitativ überzeugende arbeitsmedizinische Betreuung und Gesundheitsförderung. Unser Werksarzt ist mittlerweile 75 Jahre alt — und er hat während seines gesamten Wirkens nicht das „Feuer“ verloren. Aber Nachfolge ist nicht in Sicht. Ob sein Projekt mit der Mannheimer Universitätsklinik, junge Medizinstudenten für das Fach Arbeitsmedizin zu begeistern, erfolgreich sein wird, ist recht unsicher. Aus persönlichem Erleben heraus: die Präventivmedizin besitzt in Studentenkreisen keinerlei Attraktivität, diese möchten kurativ tätig werden.
Auf die Nachfolgefrage gibt es also aktuell keine Antwort. Gespräche mit externen Anbietern verliefen ergebnislos. Lustlos wurde die Grundbetreuung nach DGUV Vorschrift 2 angeboten, eine betriebsspezifische Betreuung wurde von den Anbietern a priori ausgeklammert, lediglich bei den Vorsorge- und Eignungsuntersuchungen kam wieder Interesse auf – klar, das Geld wird in der Arbeitsmedizin über die Untersuchungen verdient, mit §3 ASiG ist nichts zu holen.
Aber gerade diese Aufgaben, §3 (1) Nr. 1, 3 und 4 könnten auch durch andere medizinische Professionen erbracht werden; warum sollte ein Physiotherapeut nicht die „… arbeitsphysiologischen, … und sonstigen ergonomischen sowie arbeitshygienischen Fragen, …, der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung …“ beantworten können? Und darüberhinaus selbst ein Angebot zur betrieblichen Gesundheitsförderung auflegen ? Oftmals ist medizinisches Assistenzpersonal polyvalent ausgebildet: Rettungsassistent kam zuerst, danach der Physiotherapeut, etc. Die Organisation der betrieblichen Ersten Hilfe wäre damit auch sichergestellt.
Und machen die Augenoptiker nicht sogar die zuverlässigeren Sehtests ? Die Augenärztin meines Vertrauen hat dies zumindest bei meinem letzten Besuch so postuliert. Seh- und Hörtest, Blutentnahme, Wiegen und Messen, Lungenfunktionstest, Urinproben für das Labor – all dies machen per se medizinische Fachangestellte, ärztliches Personal bewertet danach die Resultate.
Doch zurück zur Ausgangsfrage: Soll die DGUV Vorschrift 2 auch für andere Professionen geöffnet werden ? Ja, unbedingt !!! Aus meiner Sicht kann das nur befruchtend sein — insbesondere bei der arbeitsmedizinischen Betreuung wird dies auf mittlere Sicht unausweichlich werden.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Laupichler