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Von wegen Schlusslicht

Arbeitsschutz in Deutschland
Von wegen Schlusslicht

Von wegen Schlusslicht
Einen Blick von außen auf den deutschen Arbeitsschutz verlangt neben den ILO-Übereinkommen vor allem die Europäische Sozialcharta (ESC). Foto: © Christian Schwier – stock.adobe.com

Wie ste­ht es um Sicher­heit und Gesund­heit bei der Arbeit in Deutsch­land? Gehört Deutsch­land tat­säch­lich europaweit zu den Schlus­slichtern, wie kür­zlich behauptet wurde?

Hin­ter­grund dieser Ein­schätzung war der isolierte Blick auf eine Zahl: 2017 hat­ten 451 Men­schen einen tödlichen Arbeit­sun­fall, das waren 27 – also gut sechs Prozent – mehr als im Jahr zuvor. Zunächst muss deut­lich betont wer­den: Jed­er Men­sch, der sein Leben auf­grund eines Arbeit­sun­falls ver­liert, ist ein­er zu viel. Und genau aus diesem Grund ver­fol­gt die geset­zliche Unfal­lver­sicherung bere­its seit Jahren die Strate­gie der Vision Zero, mit der sie sich für eine Welt ohne Arbeit­sun­fälle und arbeits­be­d­ingte Erkrankun­gen ein­set­zt. Höch­ste Pri­or­ität hat dabei die Ver­mei­dung tödlich­er und schw­er­er Arbeit­sun­fälle und Beruf­skrankheit­en. Das haben die Vertreterin­nen und Vertreter von Arbeit­ge­ber und Ver­sicherten im Novem­ber 2018 mit ihrer Posi­tion der geset­zlichen Unfal­lver­sicherung zur Präven­tion bekräftigt.

Um ihre Kräfte noch mehr zu fokussieren, hat die geset­zliche Unfal­lver­sicherung jüngst auch Unfallschw­er­punk­te unter­sucht: Wenige Unfall­grup­pen sind für fast die Hälfte der schw­eren Arbeit­sun­fälle ver­ant­wortlich. Das sind Unfälle im Straßen­verkehr und durch Fahrzeuge auf dem Betrieb­s­gelände, Absturzun­fälle, Unfälle durch Krane und pen­del­nde Las­ten sowie Maschinenunfälle.

Die Vision Zero ist zwar längst nicht erre­icht, aber ger­ade bei den Unfal­lzahlen zeigt sich langfristig eine gute Entwick­lung. Betra­chtet man nicht nur das Jahr 2017, son­dern nimmt eine län­gere Zeitspanne in den Blick, ergibt sich fol­gen­des Bild: In den let­zten bei­den Jahrzehn­ten sind die tödlichen Arbeits- und Wege­un­fälle um ins­ge­samt 63 Prozent zurück­ge­gan­gen, die tödlichen Arbeit­sun­fälle alleine um knapp 60 Prozent. Diese Zahlen wider­sprechen der Schlus­slicht-Behaup­tung deut­lich. Übri­gens auch inter­na­tion­al: Ein ein­deutiges Bild zeich­net eine weltweite Recherche des Arbeitsmin­is­teri­ums von Sin­ga­pur, das sich in kurz­er Zeit zum Arbeitss­chutz-Primus Asiens entwick­elt hat. Dem­nach ist Deutsch­land eines von nur vier Län­dern der Welt, die nach­haltig über mehrere Jahre das Niveau von einem tödlichen Arbeit­sun­fall pro 100.000 Beschäftigte erre­icht haben. Ger­ade im inter­na­tionalen Ver­gle­ich kann sich unser Land im Arbeitss­chutz sehen lassen.

Es beste­ht jedoch auch kein Grund, sich auf diesen Erfol­gen auszu­ruhen. Deshalb arbeit­en staatliche Auf­sicht und geset­zliche Unfal­lver­sicherung auch Hand in Hand dafür, dass die Zahl der schw­eren und tödlichen Arbeit­sun­fälle weit­er sinkt. Zen­trale Instru­mente der Präven­tion sind die Überwachung und Beratung der Betriebe und Bil­dung­sein­rich­tun­gen durch Auf­sichtsper­so­n­en. Allein auf Seit­en der Beruf­sgenossen­schaften und Unfal­lka­ssen gehen jeden Tag über 2500 Präven­tions­fach­leute in die Betriebe. 2017 führten sie etwa 464.000 Betrieb­s­besich­ti­gun­gen durch. Mehr als 630.000 Mal bat­en Unternehmen ihrer­seits um Beratungen.

Die geset­zliche Unfal­lver­sicherung hat jedoch noch viel mehr Leis­tun­gen in ihrem Port­fo­lio, denn ihr geset­zlich­er Auf­trag lautet ja: Präven­tion von Arbeit­sun­fällen, Beruf­skrankheit­en und arbeits­be­d­ingten Gesund­heits­ge­fahren „mit allen geeigneten Mit­teln“. Sie ermit­telt zum Beispiel regelmäßig Ursachen von Unfällen und Beruf­skrankheit­en, um poten­zielle Gefahrstellen zu erken­nen und ihre Präven­tion daran auszuricht­en. Sie forscht zu Fra­gen von Sicher­heit und Gesund­heit, die sich aus der Beratung in den Betrieben ergeben. Auch wer­den Mes­sun­gen direkt an Arbeit­splätzen durchge­führt, um Expo­si­tio­nen festzustellen. Die Unfal­lver­sicherung pub­liziert eine Vielzahl von Han­dre­ichun­gen und Infor­ma­tio­nen für die Betriebe. Sie beobachtet tech­nol­o­gis­che und gesellschaftliche Trends, um rechtzeit­ig auf neue Entwick­lun­gen reagieren zu kön­nen. Das kann eben­so den Ein­satz von Robot­ern betr­e­f­fen wie psy­chis­che Belas­tun­gen durch Arbeitsverdich­tung. Ziel ist immer, rechtzeit­ig gegen­s­teuern zu kön­nen, bevor Men­schen Schaden nehmen. Einen großen Beitrag zum Gesamter­folg leis­ten auch die Train­ings von jährlich fast 400.000 Fach- und Führungskräften aus den Betrieben.

Immer wichtiger wird auch die Zusam­me­nar­beit mit anderen Trägern der sozialen Sicher­heit. Da ist zuerst die seit 2008 beste­hende Koop­er­a­tion mit Bund und Län­dern in der Gemein­samen Deutschen Arbeitss­chutzs­trate­gie (GDA) zu nen­nen. 2015 hat das Präven­tion­s­ge­setz dann noch mehr Pro­tag­o­nis­ten an einen gemein­samen Tisch gebracht, um Sicher­heit und Gesund­heit in allen Lebens­bere­ichen zu verbessern und eine hohe Beschäf­ti­gungs­fähigkeit sicherzustellen. Die Arbeit der Beruf­sgenossen­schaften und Unfal­lka­ssen leis­tet dabei einen wichti­gen Beitrag.

Eines soll­ten wir aber nicht vergessen: Trotz all dieser Bemühun­gen gibt es immer noch Betriebe, in denen in Sachen Sicher­heit einiges im Argen liegt. Das führt immer wieder auch zu schw­eren Unfällen und Beruf­serkrankun­gen. In diesen Fällen ist das kon­se­quente Ein­fordern geset­zlich­er Min­dest­stan­dards das richtige Mit­tel – not­falls auch mit Sank­tio­nen. Klar ist aber auch: Kon­trolle kann nicht alles sein. Weit­ere Fortschritte bedür­fen nicht nur aus­re­ichen­der Ressourcen für die Überwachung und Beratung, die let­ztlich zwei Seit­en der­sel­ben Medaille sind. Sie hän­gen auch maßge­blich vom poli­tis­chen und gesellschaftlichen Willen ab, dem The­ma einen Vor­rang einzuräumen.

Genau dieses Ziel ver­fol­gt die geset­zliche Unfal­lver­sicherung mit ihrer neuen Präven­tion­skam­pagne kom­m­mit­men­sch. Mit der Kam­pagne set­zt sie sich für die Etablierung ein­er Kul­tur der Präven­tion in den Unternehmen ein. Damit ist ein ganzheitlich­er Zugang zu Sicher­heit und Gesund­heit gemeint. Denn wie die zukün­ftige Arbeitswelt ausse­hen wird, hängt sehr stark davon ab, wie wertvoll der Gesellschaft und jedem einzel­nen Men­schen die Ressourcen Sicher­heit und Gesund­heit sind.


Autor: Prof. Dr. Joachim Breuer

Haupt­geschäfts­führer der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung (DGUV)

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