Das erste Unfallversicherungsgesetz wurde am 6. Juli 1884 vom Reichstag beschlossen und trat am 1. Oktober 1885 in Kraft. Der Grundstein hierfür wurde bereits im Jahre 1881 mit der kaiserlichen Botschaft gelegt. Sie hatte das Ziel, „die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohls der Arbeiter zu suchen“.
Folge der Industrialisierung
Die Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung durch Bismarck als sozialpolitisches Reformwerk war zwingend erforderlich. Im Zuge der zunehmenden Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandern immer mehr Menschen aus Landwirtschaft und Handwerk ab und verdingen sich als Arbeiter in den zahlreich aus dem Boden schießenden Fabriken. Eine Folge davon: Insbesondere schwere Arbeitsunfälle nehmen drastisch zu. Ein Anspruch auf Entschädigung bestand damals nur, wenn der Arbeitnehmer dem Unternehmer nachweisen konnte, dass dieser den Unfall verschuldet hatte – ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Arbeitsunfälle konnten daher für die ohnehin meist nicht sehr wohlhabenden Arbeiter und ihre Familien weitreichende Folgen haben. Mit Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung stand ihnen eine finanzkräftige öffentlich-rechtliche Versicherung zur Verfügung, die für die Folgen von Arbeitsunfällen aufkam. Sie waren damit unabhängig von der Zahlungsfähigkeit oder vom Verschulden des Arbeitgebers abgesichert.
55 Berufsgenossenschaften
Bereits 1885 wurden zur Durchführung der gesetzlichen Unfallversicherung 55 fachlich gegliederte Berufsgenossenschaften gegründet. Diese Organisationsform hat bis heute Bestand. Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind nach zahlreichen Fusionen heute noch neun gewerbliche Berufsgenossenschaften sowie 24 Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand. Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung ist die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau.
Neben der Kranken‑, Renten‑, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung bildet die Unfallversicherung einen Zweig der Sozialversicherung in Deutschland. Im Unterschied zu allen anderen Sozialversicherungszweigen bringen die Beiträge für die Unfallversicherung allein die Unternehmer auf. Der Grund hierfür ist, dass sie im Gegenzug von ihrer zivilrechtlichen Haftung für Arbeitsunfälle freigestellt werden. Nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verursachung kommt ein Rückgriff auf den Unternehmer in Betracht.
Ausweitung auf alle Arbeitnehmer
Im Laufe der Jahre wurde die gesetzliche Unfallversicherung immer wieder modifiziert. Ursprünglich waren nur Beschäftigte versichert, die in besonders gefährlichen Betrieben wie zum Beispiel Bergwerken arbeiteten. Erst 1942 wird der Unfallversicherungsschutz auf alle Arbeitnehmer ausgeweitet. 1925 erfolgt die Einbeziehung der Wegeunfälle und Berufskrankheiten in die Unfallversicherung. Außerdem wurde im Laufe der Zeit der versicherte Personenkreis ausgeweitet. Auch das Leistungsniveau wurde an sich verändernde Zeiten angepasst und entsprechend angehoben.
Gesetzliche Grundlage
Mit der Einführung der Reichsversicherungsordnung (RVO) im Jahre 1911 wurden die Kranken‑, Unfall‑, Invaliditäts- und Altersversicherung zu einem einheitlichen Gesetz zusammengefasst. Heutige gesetzliche Grundlage der Unfallversicherung ist das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Dieses regelt als Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten und nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen und sie oder ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen.
Versichert sind heute alle abhängig Beschäftigten, Kinder und Jugendliche während des Besuchs von Betreuungseinrichtungen oder Schulen, Studenten und Menschen, die an Bildungsmaßnahmen teilnehmen. Auch Personen, die im Interesse der Allgemeinheit tätig sind, beispielsweise als Helfer bei Unglücksfällen, stehen unter Versicherungsschutz. Grundsätzlich nicht der Pflichtversicherung unterliegen die Unternehmer selbst. Diese können sich aber ebenso wie Selbständige, Freiberufler oder mitarbeitende Ehegatten in der Regel freiwillig versichern. Der Versicherungsschutz für Beschäftigte besteht übrigens kraft Gesetzes selbst dann, wenn das Unternehmen noch gar nicht bei einer Berufsgenossenschaft angemeldet ist und auch, wenn der Unternehmer die Beiträge nicht bezahlt hat.
Großes Leistungsspektrum
Das heutige Leistungsspektrum umfasst eine bestmögliche medizinische Versorgung im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren, deren Umfang deutlich über die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen hinausgeht. Daneben werden auch umfassende Leistungen zur beruflichen und sozialen Teilhabe erbracht. Das kann beispielsweise eine Umschulung sein, wenn der Versicherte wegen des Arbeitsunfalls nicht mehr in seinem alten Beruf arbeiten kann. Bei Bedarf wird auch die häusliche Umgebung barrierefrei umgebaut oder das private Kraftfahrzeug behindertengerecht ausgestattet – eben mit allen geeigneten Mitteln. Solange der Verletzte arbeitsunfähig ist, erhält er Verletztengeld als Entgeltersatz und bei bleibenden gesundheitlichen Einschränkungen auch eine Verletztenrente. Verstirbt der Versicherte an einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit, können die Hinterbliebenen Leistungen erhalten.
Nicht nur Recht, sondern Pflicht
Unfallverhütung ist neben der Rehabilitation und Entschädigung zentrale Aufgabe der Unfallversicherungsträger. Bereits 1886 wurde die erste Unfallverhütungsvorschrift erlassen. Seit dem Jahr 1900 haben die Berufsgenossenschaften nicht mehr nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, Unfallverhütung in den Betrieben zu betreiben Die intensive Arbeit der Prävention der Unfallversicherungsträger hat sich ausgezahlt: Das Risiko, einen Arbeitsunfall zu erleiden, ist in den letzten 30 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Sicherheit am Arbeitsplatz auf hohem Niveau!