Die Aufgabe, für die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu sorgen, nehmen in Deutschland Staat und Unfallversicherungsträger wahr. Dieses Zwei-Säulen-Prinzip im Arbeitsschutz, das sogenannte duale System, ist historisch gewachsen. Die Ursprünge des Arbeitsschutzrechts reichen dabei zurück bis in die Zeit der beginnenden Industrialisierung.
Wechselwirkung mit EU-Recht
Das umfassende Arbeitsschutzrecht in der heutigen Form hat sich auf Grundlage des internationalen und europäischen Rechts entwickelt. Es wird insbesondere durch das Recht der Europäischen Union entscheidend gestaltet, hat aber auch seinerseits das europäische Recht geprägt.
Verordnungen und Richtlinien sind verbindliche Rechtsakte der Europäischen Union.
Europäische Richtlinien müssen von allen Mitgliedstaaten innerhalb einer festgelegten Frist in einzelstaatliches Recht umgesetzt werden. In europäischen Richtlinien sind Mindestanforderungen und Grundprinzipien, zum Beispiel zur Prävention und zur Gefährdungsbeurteilung, sowie die Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern festgehalten.
EU-Verordnungen sind Rechtsakte der Europäischen Union mit allgemeiner Gültigkeit und unmittelbarer Wirksamkeit in den Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel die europäische Chemikalienverordnung REACH.
Die Europäische Union ist dazu ermächtigt, Richtlinien in Form von Mindeststandards für sozialpolitische Bereiche zu erlassen, darunter auch für den Arbeitsschutz (Artikel 153 AEUV – Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Wichtigste Grundlage ist die EU-Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz (89/391/EWG), die durch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Auf diese Rahmenrichtlinie stützen sich viele Einzelrichtlinien zu speziellen Arbeitsschutzbereichen.
Richtlinien zur Produktsicherheit
Die produktbezogenen Binnenmarkt-Richtlinien regeln den freien Warenverkehr in Europa. Sie legen Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen für Produkte fest. Da Produkte auch als Arbeitsmittel eingesetzt werden können, wirken sich die Richtlinien zu ihren technischen Voraussetzungen auf den Arbeitsschutz aus. In der Umsetzung dieser Richtlinien besteht keinerlei Spielraum; sie sind für alle Mitgliedsstaaten zwingend (Art. 114 AEUV).
Sozialstaatsprinzip und Grundrechte
Der Arbeitsschutz ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Er basiert auf folgenden Artikeln:
- dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG): Schutz sozial besonders schwacher Personen, Auftrag zur Schaffung von sozialen Sicherungssystemen
- den Grundrechten, insbesondere dem Schutz der Menschenwürde sowie dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit (Art. 1 und 2 GG)
Auf der anderen Seite markieren die Grundrechte aber auch Grenzen staatlicher Arbeitsschutzregelungen. Dies zeigt sich zum Beispiel in der aktuellen Diskussion um die Einrichtung von Telearbeitsplätzen: Wegen der im Grundgesetz festgeschriebenen Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) kann der Arbeitgeber beziehungsweise die von ihm beauftragte Person die Arbeitsbedingungen in privaten Wohnungen von Beschäftigten nur dann überprüfen, wenn ihnen diese ein Zutrittsrecht eingeräumt haben.
Auch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) setzen dem Arbeitsschutzgesetz Grenzen. Von großer Bedeutung sind zudem der allgemeine Gleichheitssatz sowie die speziellen Gleichheitssätze (Art. 3 GG): Durch diese Vorschriften soll die Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sichergestellt werden.
Land – Bund – Regierung
Die Gesetzgebungszuständigkeiten für das Arbeitsschutzrecht liegen zunächst beim Bund. Die Länder haben die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat (konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 Nr. 12 GG). Innerhalb der Bundesregierung ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zuständig. Es wird unterstützt durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).
Im Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz – ASiG) aus dem Jahr 1973 sind zentrale Pflichten in der Organisation des Arbeitsschutzes geregelt. Der Arbeitgeber ist nach dem ASiG verpflichtet, durch die Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit eine betriebliche Sicherheitsorganisation zu schaffen. Diese Fachleute haben grundsätzlich unterstützende und beratende Funktion.
Die Verantwortung des Arbeitgebers für die Maßnahmen des Arbeitsschutzes ist im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) geregelt. Es enthält die allgemeinen und grundlegenden Vorschriften des betrieblichen Arbeitsschutzes. Sein Inkrafttreten im Jahr 1996 war ein Meilenstein für die Neuordnung des Arbeitsschutzsystems in Deutschland: Erstmals wurden die in verschiedenen Gesetzen geregelten Grundsätze und Pflichten zum Arbeitsschutz in einem Gesetz gebündelt.
Zeitgleich wurden die für den Arbeitsschutz relevanten Bestimmungen des Unfallversicherungsrechts in ein neu
geschaffenes Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) überführt. Dadurch wurde ein ganzheitliches präventives Konzept von Sicherheit und Gesundheit im Betrieb gesetzlich verankert.
Weitere wichtige Gesetze für den Arbeitsschutz sind zum Beispiel:
- das Arbeitszeitgesetz für den betrieblichen Arbeitsschutz
- das Mutterschutzgesetz, Jugendarbeitsschutzgesetz und das Gesetz zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX) im sozialen Arbeitsschutz
- das Produktsicherheitsgesetz und das Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) im produktbezogenen Arbeitsschutz
Die Pflichten im Detail
Um die Pflichten von Arbeitgebern, verantwortlichen Personen und Beschäftigten zu konkretisieren, hat die Bundesregierung zahlreiche Verordnungen erlassen. Sie setzt damit EU-Richtlinien in nationales Recht um. Diese Rechtsnormen sind allgemein verbindliches Recht: Arbeitgeber und andere Adressaten müssen die darin enthaltenen Vorschriften einhalten, auch die Gerichte sind daran gebunden.
Zu diesen Rechtsnormen zählen zum Beispiel:
- Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)
- Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)
- Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)
- PSA-Benutzungsverordnung (PSA-BV)
- die Biostoffverordnung (BioStoffV)
- Baustellenverordnung (BaustellV)
- Arbeitsschutzverordnung zur künstlichen optischen Strahlung (OStrV)
- Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch Lärm und Vibrationen (LärmVibrationsArbSchV).
Arbeitsschutz in der Praxis
Noch einen Schritt detaillierter sind die Technischen Regeln, die von den Arbeitsschutzausschüssen erarbeitet werden (siehe tabellarische Darstellung): Sie konkretisieren die Anforderungen der Arbeitsschutzverordnungen für die betriebliche Praxis. Die technischen Regeln haben daher eine hohe praktische Bedeutung für den Arbeitsalltag.
Technische Regeln sind kein zwingendes Recht, sie entfalten aber Vermutungswirkung. Das bedeutet, dass Arbeitgeber, die ihre Arbeitsschutzmaßnahmen entsprechend den Inhalten staatlicher Regeln gestalten beziehungsweise umsetzen, davon ausgehen können, dass sie damit die Anforderungen der jeweiligen Verordnung rechtssicher erfüllen.
Weicht der Arbeitgeber hiervon ab, so hat er im Wege der Gefährdungsbeurteilung festzustellen, dass die von ihm gewählten Maßnahmen das gleiche Schutzniveau gewährleisten.
Teil 2 und Teil 3 der Serie erscheinen im November und Dezember 2018 online. Damit Sie nichts verpassen, melden Sie sich am besten für unseren Newsletter hier an.
Autorin: Martina Nethen-Samimy
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Abteilung Sicherheit und Gesundheit, Referat Vorschriften und Regeln
Grafik: © Martina Nethen-Samimy
Die rechtlichen Grundlagen im Überblick
- Deutschland hat eine Reihe von Abkommen der Internationalen Arbeitsschutzorganisation (ILO) ratifiziert: Besonders wichtig sind das Abkommen Nr. 155 über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt und das Abkommen Nr. 187 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz.
- Art. 31 Abs. 1 Charta der Grundrechte der europäischen Union (EU-GRC) gewährt allen Beschäftigten das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen.
- Der Arbeitsschutz ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Der Schutzauftrag des Staates folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) sowie aus den Grundrechten.
- Zentrale primärrechtliche Grundlagen des europäischen Arbeitsschutzrechts sind Art. 153 Abs. 1 Buchstabe a AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) und Art. 114 AEUV.
- Wichtigste sekundärrechtliche Grundlage ist die EU Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz 89/391/EWG. Sie wurde durch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) in deutsches Recht umgesetzt.
- Die Binnenmarkt-Richtlinien legen verbindliche Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen für Produkte fest.
- Auf Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 18 ArbSchG hat die Bundesregierung zahlreiche Verordnungen erlassen.
- Technische Regeln konkretisieren die Verordnungen. Die Einrichtung der Ausschüsse, die diese erarbeiten, ist in § 18 Abs. 2 Nr. 5 ArbSchG geregelt. Weitere Informationen dazu unter: www.baua.de Angebote Rechtstexte und Technische Regeln