Unter welchen Voraussetzungen dürfen Arbeitnehmer im Rahmen von Maßnahmen des verhaltensorientierten Arbeitsschutzes kontrolliert und überwacht werden? Wann und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen ist die Überwachung von Arbeitnehmern zulässig, und wann schränkt sie deren Persönlichkeitsrechte unzulässig ein? Der folgende Beitrag gibt Antworten auf diese wichtigen Fragen aus der Praxis.
Die überwiegende Anzahl von Arbeitsunfällen basiert auf menschlichem Fehlverhalten. Die Anzahl der Unfälle, die auf technisches Versagen zurückzuführen ist, hat sich durch Recht- und Regelwerk und den technischen Fortschritt immer weiter reduziert. Daher bleibt der Mensch Verursacher Nummer eins von Unfällen im Betrieb. Der verhaltensorientierte Arbeitsschutz (Behaviour Based Safety, BBS) setzt an dieser Stelle an und hat das Ziel, durch die Untersuchung des unsicheren Verhaltens von Arbeitnehmern Anzahl und Ausmaß von Verletzungen nachhaltig zu verringern.
Zu den Maßnahmen der Verbesserung eines verhaltensorientierten Arbeitsschutzes zählt dabei insbesondere die Beobachtung – und damit auch die Überwachung von Mitarbeitern. Diesen Maßnahmen sind jedoch – auch wenn sie einen redlichen Zweck verfolgen – rechtliche Grenzen gesetzt. Die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer sind auch bei Arbeitsschutzmaßnahmen stets zu beachten.
Überwachung versus Persönlichkeitsrecht
Die Überwachung von Arbeitnehmern kann durch Vorgesetzte, Kollegen oder auch mit Hilfe von technischen Mitteln erfolgen, sei es beispielsweise durch Videoaufnahmen, akustische Maßnahmen oder GPS-Ortung. Hier stehen sich die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zum Gesundheitsschutz und das verfassungsrechtliche geschützte Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers in einem steten Spannungsverhältnis gegenüber.
Das Persönlichkeitsrecht umfasst das Recht auf Privatsphäre, das Recht auf die Vertraulichkeit am gesprochenen Wort, das Recht am eigenen Bild sowie das Recht auf die informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers. Werden personenbezogene Daten des Arbeitnehmers erhoben und gespeichert, zum Beispiel durch Dokumentation von Arbeitsschutzverstößen, ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und damit das Datenschutzrecht des Arbeitnehmers betroffen.
Personenbezogene Daten definiert der Gesetzgeber als Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (z.B.: Herr Müller ist bei dem Chemieunternehmen X‑GmbH beschäftigt. Herr Müller hat am 09.04.2018 keine Schutzbrille am Arbeitsplatz getragen). Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten ist aber nach den datenschutzrechtlichen Vorschriften nur dann zulässig, wenn die Einwilligung des Betroffenen vorliegt oder ein Gesetz oder sonstige Rechtsvorschriften (z.B. auch eine Betriebsvereinbarung) die Datenerhebung erlauben.
Personenbezogene Daten eines Beschäftigten dürfen dabei für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses (d.h. für dessen Beginn, Durchführung oder Beendigung) grundsätzlich nur dann verwendet werden, wenn dies tatsächlich erforderlich ist.
Abwägung der Interessen
Die Zulässigkeit einer Überwachungsmaßnahme, welche mit der Erhebung von personenbezogenen Daten einhergeht, ist daher immer an einer einzelfallorientierten Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers zu messen.
Dabei sind die folgenden Grundsätze zu beachten:
- Der Arbeitgeber muss ein schutzwürdiges Interesse an der Überwachung des Arbeitnehmers haben.
- Die Überwachungsmaßnahme muss verhältnismäßig sein.
Je intensiver die Kontrolle das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers betrifft, desto schutzwürdiger muss das Interesse des Arbeitgebers sein, und er muss zuvor alle milderen, ebenso geeigneten Maßnahmen beachtet haben.
Die allgemeine Kontrolle der Arbeitsleistung und des Arbeitsverhaltens ohne technische Hilfsmittel ist dabei grundsätzlich zulässig. Eine solche darf allerdings nicht zu einer Rundum-Überwachung des Arbeitnehmers im Sinne einer Totalkontrolle ausufern. Eine akustische Überwachung darf nicht heimlich erfolgen. Denn die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes ist strafbar.
Eine Videoüberwachung ist grundsätzlich bei dem konkreten Verdacht einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung durch einen Arbeitnehmer zulässig. Der Eingriff muss aber „minimalinvasiv“ erfolgen, also auf das Notwendige beschränkt sein. Die Überwachung durch Wearables/GPS kann zulässig sein, wenn entweder Arbeitgeberinteressen (Sicherung von Arbeits- und Betriebsmitteln) oder Arbeitnehmerinteressen (Sicherheit am Arbeitsplatz) dies erfordern.
Was sagt die Rechtsprechung?
Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich immer wieder mit der Frage der Rechtmäßigkeit von Überwachungsmaßnahmen zu beschäftigen. So war beispielsweise nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 22.09.2016 – 2 AZR 848/15) die heimliche Videoüberwachung einer Verkäuferin im Einzelhandel zulässig. Der Arbeitgeber hatte den konkreten Verdacht, dass die Verkäufern Waren entwendet hatte, und die Taten konnten durch die Videoüberwachung aufgedeckt wurden.
Im Rahmen einer anderen Entscheidung (BAG, Urteil vom 27.07.2017 – 2 AZR 681/16) hatte das Bundesarbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit der Überwachung durch das sogenannte „Key-Logging“ zu entscheiden. Der Kläger war bei der Beklagten als Web-Entwickler beschäftigt. Die beklagte Arbeitgeberin hatte nach vorheriger Ankündigung auf dem Dienst-PC des Klägers eine Software, einen sogenannten Key-Logger, installiert, die sämtliche Tastatureingaben protokollierte und regelmäßig Bildschirmfotos (Screenshots) fertigte.
Nach der Feststellung, dass der Kläger in erheblichem Umfang den Dienst-PC privat nutzte, erfolgte die fristlose Kündigung. Nach Ansicht des BAG war dies unrechtmäßig. Es bestand kein Verdacht einer Straftat oder Pflichtverletzung des Klägers. Eine permanente Überwachung des Arbeitnehmers „ins Blaue hinein“ sei unverhältnismäßig und verletze das Persönlichkeitsrecht des Klägers.
Auswirkungen auf BBS-Maßnahmen
Die aufgeführten rechtlichen Grundsätze zur Arbeitnehmerüberwachung wirken sich auch auf die Beobachtung von Beschäftigten im Rahmen des verhaltensorientierten Arbeitsschutzes aus.
Dies soll an zwei Fallbeispielen verdeutlicht werden:
- (1) Die auf einer Baustelle tätigen Mitarbeiter werden vom Chef des Bauunternehmens angewiesen, ihre Kollegen zu beobachten, ob sie alle vorgegebenen Sicherheitsanweisungen einhalten, insbesondere ob auch die Persönliche Schutzausrüstung (PSA) getragen wird. Jedes Fehlverhalten soll namentlich und stichpunktartig in einem Formular dokumentiert werden.
- (2) Der Geschäftsführer eines anderen Bauunternehmens ordnet hingegen direkt die Videoüberwachung der gesamten Baustelle an, um festzustellen, ob seine Arbeitnehmer die vorgeschriebene PSA tragen. Er beruft sich auch darauf, dass die Überwachung dem Werksschutz diene.
In beiden Fällen sind die betroffenen Arbeitnehmer nicht einverstanden, weil sie sich zu stark unter Beobachtung und dadurch in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlen.
Es stellt sich daher die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Anordnungen:
- Eine Einwilligung der Beschäftigten in die Überwachung liegt nicht vor. Auch ist die Überwachung zu Zwecken des Beschäftigungsverhältnisses nicht erforderlich. Somit scheint es zunächst an einer geeigneten Rechtsgrundlage zu fehlen.
Der Arbeitgeber hat jedoch nach dem Arbeitsschutzgesetz die gesetzliche Verpflichtung, alle erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Damit besteht eine ausreichende Rechtsgrundlage, wenn die Überwachung im Sinne der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer erforderlich und insgesamt verhältnismäßig ist.
Dafür spricht, dass Maßnahmen des verhaltensorientierten Arbeitsschutzes nachweislich zur Vermeidung von Unfällen führen. Dagegen sprechen eine drohende Verschlechterung des Betriebsklimas durch Denunziation der Arbeitnehmer untereinander und die Gefahr einer (unzulässigen) Totalüberwachung der Arbeitnehmer. Als Lösung bietet sich im ersten Beispiel (1) an, dass eine Dokumentation nur in Form von Stichproben erfolgt und die Daten nur anonymisiert festgehalten werden. Im zweiten Fallbeispiel (2) lässt sich unzulässige Totalüberwachung durch die ‧permanente Videoüberwachung nicht vermeiden, wenn alle Bereiche gefilmt werden sollen und es ist von einer unzulässigen Maßnahme auszugehen. Das Werksschutz-Argument greift nur für Zeiten, wenn niemand auf der Baustelle tätig ist. In jedem Fall hat der Arbeitgeber mildere, aber gleichgeeignete Mittel zu berücksichtigten. Es empfiehlt sich zudem, derartige Themen durch eine Betriebsvereinbarung zu regeln.
Unzulässige Arbeitnehmerüberwachung:
Rechtliche Konsequenzen für Arbeitgeber
Bei einer unzulässigen Arbeitnehmerüberwachung drohen dem Arbeitgeber rechtliche Konsequenzen. Zunächst bestehen Ansprüche des Arbeitnehmers auf Unterlassung der Maßnahmen sowie Beseitigung von widerrechtlich hergestellten Unterlagen, wie z.B. Log-Protokollen, Videoaufnahmen oder sonstigen Aufzeichnungen. Darüber hinaus können in Einzelfällen auch Schadenersatz und Schmerzensgeldansprüche bestehen. Beispielsweise hielt das Bundesarbeitsgericht eine Entschädigung von 1.000,00 Euro für angemessen, nachdem ein Arbeitgeber seine Angestellte wegen angeblich vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit von einem Detektiv in rechtswidriger Weise überwachen ließ (BAG, Urteil vom 19.2.2015 – 8 AZR 1007/13).
Wenn die Überwachungsmaßnahmen für den Arbeitnehmer unzumutbar sind, kann er unter besonderen Voraussetzungen auch seine Tätigkeit einstellen, behält aber seinen Vergütungsanspruch. Unter Umständen kann der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auch fristlos kündigen.
Fazit
Die Beobachtung von Arbeitnehmern beim verhaltensorientierten Arbeitsschutz stellt rechtlich eine Arbeitnehmerüberwachung im Rechtssinne dar. Bei jeder Überwachung ist darauf zu achten, dass die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer gewahrt bleiben, insbesondere ist die Überwachung nicht lückenlos und dauerhaft durchzuführen, sondern auf stichprobenartige Beobachtungen zu reduzieren. Soweit möglich sind die erfassten Daten zu anonymisieren.
Bei unzulässiger Überwachung stehen dem Arbeitnehmer unter anderem Unterlassungs- und Schmerzensgeldansprüche zu. Es ist stets zu empfehlen, Überwachungsmaßnahmen durch Betriebsvereinbarungen zu regeln.
Autor: RA Matthias Klagge LLM