Die Substitution von Gefahrstoffen steht in der Rangfolge der Schutzmaßnahmen an erster Stelle. Aber oftmals fehlen in der betrieblichen Praxis das Wissen und die Erfahrung, um einen gefährlichen Stoff oder ein gefährliches Verfahren effizient und erfolgreich ersetzen zu können. Diese Lücke schließt das Intensiv-Webinar am 26. Mai mit der Gefahrstoffexpertin Dr. Birgit Stöffler. Im kleinen Kreis greift sie die individuellen Fragestellungen der Teilnehmenden auf und schließt die Lücke zwischen Theorie und Praxis. Warum die Auseinandersetzung mit diesem Thema so wichtig ist, zeigt das folgende Interview.
Frau Dr. Stöffler, was finden Sie am Thema Substitution von Gefahrstoffen so interessant und spannend?
Dr. Birgit Stöffler: Substitution steht bei der STOP-Rangfolge an erster Stelle. Die Substitution eines Gefahrstoffes ist die effektivste aller Schutzmaßnahmen. Eine korrekt durchgeführte Substitution ergibt mindestens eine Verringerung der Gefährdung für die Beschäftigten, sei es durch den Ersatz des Stoffes oder durch die Änderung des Verfahrens.
Interessant und spannend gerade im Hinblick auf die nächsten Jahre ist, dass das Thema Substitution inzwischen nicht mehr nur ein Thema im Arbeitsschutz ist. Denn es gewinnt zum Beispiel auch über REACH in Verbindung mit Beschränkung und Zulassungen, und seit letztem Jahr auch noch über die EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit, zunehmend an Bedeutung.
Was sind die größten Missverständnisse bei der Substitution von Gefahrstoffen?
Dr. Birgit Stöffler: Das größte Missverständnis ist meines Erachtens die “angebliche” Substitutionsverpflichtung. Die gibt es im Arbeitsschutz gemäß Gefahrstoffverordnung aber nicht. Es gibt nur die Verpflichtung, im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung die Möglichkeiten einer Substitution zu beurteilen.
Das Ergebnis der Prüfung auf Möglichkeiten einer Substitution kann daher auch sein, dass eine Substitution nicht möglich ist. Selbst bei Gefahrstoffen mit sehr hohen Gesundheitsgefahren, wie zum Beispiel CMR-Stoffe der Kategorie 1A oder 1B und akut toxischen Stoffen der Kategorie 1, wird in der TRGS 600 nur konkretisiert, dass „vorrangig“ eine Substitution durchzuführen ist. Gleichzeitig werden aber die folgenden zwei Einschränkungen genannt: Alternativen müssen technisch möglich sein und zu einer insgesamt geringeren Gefährdung der Beschäftigten führen.
Und wo liegen die Hindernisse und Knackpunkte in der Praxis?
Dr. Birgit Stöffler: Hindernisse beziehungsweise Knackpunkte sind aus meiner Erfahrung, dass Substitution zu Beginn natürlich immer mit Aufwand verbunden ist. Warum soll ich ein Verfahren umstellen, welches mein Produkt in guter und am Markt akzeptierter Qualität liefert, insbesondere wenn die dazugehörigen TOP-Schutzmaßnahmen ausreichend schützen?
In der betrieblichen Praxis kommt oft auch das Hindernis dazu, dass das Produktionsverfahren mit den eingesetzten Stoffen genauso genehmigt wurde. Das heißt, die eingesetzten Stoffe und das Verfahren dürfen nicht einfach so geändert werden. Stattdessen müsste der Einsatz neuer Stoffe oder Verfahren durch die Behörde erneut genehmigt werden. Diese Umstellung zieht im Arbeitsschutz weiteren Aufwand nach sich — unter anderem für die Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung, des Gefahrstoffverzeichnisses, der Unterweisung und und und.
Können Sie zwei oder drei Beispiele nennen, in denen Gefahrstoffe sich relativ leicht substituieren lassen? Und wo wird es echt schwierig?
Dr. Birgit Stöffler: Gefahrstoffe lassen sich leichter substituieren, wenn die Stoffe nur sogenannte Hilfsstoffe sind, also zum Beispiel Lösemittel. So lässt sich beispielsweise das krebserzeugende Benzol durch Toluol oder Heptan substituieren.
Schwieriger wird eine Substitution immer dann, wenn der Stoff eine spezifische Wirkung hat. Nehmen wir hier als Beispiel Natriumfluorid in der Zahnpasta als Wirkstoff gegen Karies. Zu beachten ist, dass Natriumfluorid in der Zahnpasta nur in sehr geringen Mengen als Inhaltsstoff eingesetzt wird. Wenn jetzt in der chemischen Produktion das als Reinstoff giftig gekennzeichnete Natriumfluorid durch ungiftiges Natriumchlorid (Kochsalz) ersetzt wird, ist das natürlich ein gutes Beispiel für eine deutliche Verringerung der Gefährdung der Beschäftigten in der Zahnpastaproduktion. Zahnpaste mit Natriumchlorid anstatt Natriumflourid wird aber vom Kunden nicht mehr gekauft werden, weil es leider nicht gegen Karies wirkt — hier ist eine Substitution dann natürlich weder zielführend noch sinnvoll.
Mir ist gerade aufgefallen, dass wir mit keinem Wort die neue TRGS 600 Substitution von Gefahrstoffen erwähnt haben. Aber ich bin mir sicher, dass die TRGS 600 auch im Intensiv-Webinar erläutert werden wird …
Dr. Birgit Stöffler: Ja, da können Sie sich ganz sicher sein! Und ich bin mir auch sicher, dass wir den Teilnehmenden im Dialog Wissen und Anwendungsmöglichkeiten näherbringen werden. Und vielleicht und hoffentlich können wir im Webinar dem einen oder anderen Unternehmen konkrete Substitutionsmöglichkeiten aufzeigen oder sogar Hilfestellung für komplexere Fragestellungen zu Substitutionsprojekten geben.