Wissen Sie, was die „Industrie 4.0“ ist? Also, ich dachte im ersten Augenblick an eine neue Software oder an ein neues Smartphone. Doch weit gefehlt! Bei der „Industrie 4.0“ handelt es sich in Wirklichkeit um ein Projekt in der Hightech-Strategie der Bundesregierung, die den Beginn einer neuen industriellen Revolution einläutet.
Wie bitte? Eine Revolution? Noch dazu im Rahmen einer „Hightech-Strategie“ unserer Bundesregierung? Wie passt denn das bitteschön zusammen?
Mal ganz abgesehen von kaum zu glaubenden Strategien der Regierung, kann und darf es eine Revolution bei uns im Grunde nämlich gar nicht geben. Schließlich ist eine Revolution laut Wikipedia „ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt.“
Hier? Wir? Wer?
Ein abrupter Wandel, der zudem in relativ kurzer Zeit erfolgt… Soso! Wie soll das im Land des nie fertig werdenden Hauptstadtflughafens BER gehen? Außerdem richtet sich eine Revolution in der Regel gegen eine Regierung. Damit verstößt sie ganz eindeutig gegen die Grundsätze der Demokratie und ist daher kategorisch abzulehnen. Es sei denn… Nun, wenn die Revolution von der Regierung selbst ausgeht, ist die verkehrte Welt in Ordnung. Dann ist eine Revolution nicht nur erlaubt, dann ist sie sogar als richtungsweisend zu bezeichnen!
Die Zukunft hat bereits begonnen — Sifa 3.0
Doch eigentlich ist das mit der „Industrie 4.0“ bereits jetzt egal, denn von dem Thema redet in Zukunft garantiert kein Mensch mehr. Über ein anderes Thema wird man dagegen womöglich noch in ein paar Jahren reden. Zwar ist noch nicht sicher, ob man in Zukunft im Guten oder im Schlechten darüber redet, aber man wird über die neue Sifa-Ausbildung – der „Sifa 3.0“ sozusagen – mit ihrem modernen Bildungsansatz mit Kompetenzorientierung und dem erneuten Ruf nach dem „Manager für Sicherheit und Gesundheit“ garantiert noch lange sprechen.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit diesem Typen geht, aber ich habe den Eindruck, dass dieser Super-Manager – im Gegensatz zum Arbeits- und Gesundheitsschutz an sich – partout nicht totzukriegen ist. Eher im Gegenteil! Die Arbeitgeber wollen ihn! Viele Arbeitgeber wären zumindest traurig, wenn er bei ihnen nicht eingeführt werden würde. Also, ich meine… Sie verstehen mich… Eingeführt im Sinne von Stellung im Unternehmen… Oh Gott, wie komme ich da wieder raus?
Neues Thema! Kennen Sie die neue Kampagne „kommmitmensch” (tatsächlich mit vier “m” in einem Wort) der Unfallkassen und Berufsgenossenschaften, die die Kultur der Prävention in den Unternehmen fördern soll?
Tolle Sache das! Ich las im Zusammenhang mit dieser Kampagne etwas von Stress und Unordnung, von Müdigkeit und guten Vorsätzen und von Einsicht, die ja bekanntermaßen der erste Schritt zur Besserung ist. Leider las ich nichts von Mängeln in der Arbeitsschutzorganisation in den Unternehmen, von fehlenden Unterweisungen und Gefährdungsbeurteilungen und von vernachlässigten ASA-Sitzungen.
Ich las leider auch nichts über den teilweise harschen Umgang mit den Sicherheitsfachkräften in den Unternehmen und ich las vor allem nichts von fehlenden Kontrollen durch die Aufsichtsbehörden. Ich las erst Recht nichts von fehlendem Personal in den Regierungspräsidien, Gewerbeaufsichtsämtern, Unfallkassen und Berufsgenossenschaften. Immerhin las ich aber auch nichts von einem „Manager für Sicherheit und Gesundheit“, was fast schon als Fortschritt zu werten ist.
Wissen Sie, was ein Potemkinsches Dorf ist? Als Potemkinsches Dorf bezeichnet man nach außen super schick aussehende Objekte, die sich jedoch tatsächlich ein einem erbärmlich schlechten Zustand befinden. Die Objekte wirken auf den ersten Blick unglaublich beeindruckend, doch es fehlt ihnen letzten Endes an Substanz; der Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Bundesrepublik, vertreten durch Revolutionen, neue Sifa-Ausbildungsrichtlinien und unaussprechliche Kampagnen wird mehr und mehr zu einem Potemkinschen Dorf.
Praxistipp:
Die Revolution ist tot! Es lebe die Revolution!*
Es wird Zeit für eine weitere Revolution und ich nenne sie „Arbeitssicherheit 0.44“ (der Name bietet sich nach 44 Jahren Arbeitssicherheitsgesetz förmlich an).
Ich werde in naher Zukunft einen Arbeitskreis bilden und nach einer Hightech-Strategie suchen. Anmeldungen zum Arbeitskreis und Vorschläge für eine sinnvolle Strategie nehme ich gerne entgegen.
Ihre Anmeldung zum Arbeitskreis und sonstige Anregungen nimmt die Redaktion (vertrauensvoll!) entgegen.
Ihr
Heiko Mittelstaedt
*Frei nach Wilhelm Liebknecht aus dem Sozialistischen Monatsheft von 1898