Er begann einst als Thaiboxer und ist heute noch überzeugt, dass Sport hilft. Jetzt spricht der Betriebsratsvorsitzende und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzender Uwe Hück der Porsche AG in Stuttgartoffen und ehrlich, wie es seine bekannte Art ist, über die rasant ansteigende „Killerkrankheit“ seelisches Leid und dessen Auswirkungen auf Arbeit und Unternehmen. Weil Burnout nicht haltmacht selbst vor den Toren der Premiummarke für Automobile und im Vorzeige-Ländle.
Wie erleben Sie in Ihrem Umfeld den Umgang mit dem Thema Burnout, Depression, Angst im Job, privat und betrieblich?
Hück: Erstmal müssen wir uns klar werden, worüber wir hier reden. Wir sprechen nicht über eine Grippe, sondern über Menschen, denen meist ganz einfach die Arbeit über den Kopf wächst. Der häufigste Auslöser für Burnout ist nämlich die Arbeit. Und wer davon betroffen ist, der braucht Hilfe und zwar schnell. Mit einem Schnelltest im Internet ist es da nicht getan. Es ist ein Erschöpfungsprozess, der sich schleichend entwickelt. Und somit auch unberechenbar ist – erst am Ende der Erkrankung stehen Bluthochdruck und Herzinfarkt. Und die schlimmste Variante ist eine Depression. Burnout begegnet einem heute leider immer häufiger. In der Firma, im Freundeskreis, in der Familie.
Am Ende ist der sich rechtzeitig offenbarende Mitarbeiter immer der Dumme, der Diskriminierte? Stimmt das auch bei Porsche? Geht Porsches Betriebsrat und die Unternehmensleitung auf das Thema empathisch, offensiv und den Mitarbeiter schützend ein?
Hück: Leider nicht mit der Kraft und Sensibilität, die wir dazu benötigen würden. Das ist deshalb so, weil wir uns unbewusst mit dem Burnout und mit der Krankheit arrangieren. Aber Burnout ist kein Freund, sondern ein Gegner. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass die Erkrankten zum Schluss nicht die Verlierer sind.
Auch im Ländle hat sich seit dem Jahr 2000 die Zahl der Ausfalltage bei den psychischen Erkrankungen nahezu verdoppelt (97 Prozent). Und die meisten Fehltage im Bereich der psychischen Erkrankungen entfallen auf Depressionen. Worauf führen Sie diese Verdoppelung zurück?
Hück: Was die Zahlen anbelangt, kann ich nur sagen, dass der gesellschaftliche Trend leider auch vor Porsche keinen Halt macht. Wir haben eine digitale Arbeitswelt. Das heißt, die Menschen nehmen die Arbeit mit nach Hause und ins Schlafzimmer. Und das fördert den enormen Zuwachs dieser unberechenbaren Krankheit. Aber neben den Belastungen in der Arbeitswelt, wie Arbeitsverdichtung und Zeitdruck, trägt auch der Freizeitstress zur Reizüberflutung und Überforderung bei. Dies betrifft Bandarbeiter, Büroangestellte oder den Leiharbeiter gleichermaßen. Die Ursachen liegen in arbeitsbedingtem Stress und Leistungsdruck. Deshalb brauchen wir Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, die eindeutige Regeln aufstellen. Ansonsten ist das wie ein Fußballspiel ohne Schiedsrichter. Ich könnte jetzt noch erwähnen, wie lange die IG Metall zusammen mit uns Betriebsräten auf die Gefahr hingewiesen haben, aber das spare ich mir an dieser Stelle.
Was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl, oder Ihre Erfahrung mit dem Thema, oder haben Sie betriebseigene Zahlen zur Hand, vielleicht sogar Gesundheitsstudien dazu in Auftrag gegeben?
Hück: Im Rahmen des betrieblichen Integrationsmanagements spüren wir eine deutliche Zunahme der Dauer von Arbeitsunfähigkeiten aufgrund psychischer Erkrankungen. Die Verbesserung liegt in der Verantwortung aller Führungskräfte, aller Unternehmensteile, des Betriebsrats und aller Mitarbeiter. Hierbei geht es auch um Verhinderung von Diskriminierung, Ausgrenzung, Respektlosigkeit, Demütigung und Dauerkonflikten im Betrieb.
Wie arbeiten Betriebsrat und Betriebsärzte bei Porsche zusammen? Sind die Betriebsärzte bei Ihnen darauf vorbereitet, gibt es überhaupt genügend speziell für seelische Gesundheit geschulte davon?
Hück: Wir Betriebsräte arbeiten sehr eng mit unserer Betriebsmedizin zusammen. Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, die Krankheit zu vermeiden. Wir wollen intergalaktische Autos bauen und das können wir nur, wenn die Belegschaft motiviert und begeistert ist und mit Freude daran arbeitet.
Was muss verbessert werden?
Hück: Wer, wenn nicht Betriebsräte, Vertrauensleute und Schwerbehindertenvertreter und der Vorstand selbst kann Burnout einerseits zum Thema im Betrieb werden lassen und gleichzeitig deutlich machen, dass es weder um Einzelfälle noch um persönliches Fehlverhalten geht. Aber Betriebsräte sind weder Seelsorger noch in der Lage, Diagnosen zu stellen, und sie sind auch keine Therapeuten. Aber sie helfen zusammen mit Unternehmen und Betriebsmedizin ein Frühwarnsystem zu entwickeln und langfristig Arbeitsbedingungen positiv zu verändern. Es gibt zahlreiche gezielte Maßnahmen wie die Schulung von Führungskräften und Gesundheitstage, um für das Thema zu sensibilisieren. Und natürlich schauen wir ständig darauf, die Arbeits- und Belastungssituation für unsere Kolleginnen und Kollegen so optimal wie möglich zu gestalten. Wir könnten aber aus meiner Sicht natürlich immer noch mehr machen.
Stehen ärztliche Empathie und Schulungen im Zentrum, oder geht es auch um strukturelle Verbesserungen in Unternehmen?
Hück: Unsere Betriebsärzte bilden sich laufend weiter. Und die psychosomatische Grundversorgung ist verpflichtender Bestandteil ärztlicher Weiterbildung. Zusätzlich verfügt Porsche über ärztliche Kollegen mit speziellen Fachausbildungen wie zum Beispiel Psychiatrie und Psychotherapie. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben im Rahmen einer Primärprävention in täglichen Akutsprechstunden die Möglichkeit, auf individuelle Beratungsangebote zurückzugreifen. Bei Bedarf wird selbstverständlich auch ein spezifisches Behandlungsangebot vermittelt.
Ist der Erhalt von seelischer Gesundheit im Job nicht auch zugleich der beste Garant für betriebliche Sicherheitskultur?
Hück: Ja selbstverständlich! Ich gehe sogar noch weiter und sage, durch frühzeitiges Handeln können nachhaltige Lösungen geschaffen und Kosten gespart werden. Wir müssen im Unternehmen aufpassen, dass psychische Belastungen nicht zu psychischen Erkrankungen werden. Das kann sich gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kein Unternehmen leisten. Jeder Arbeitgeber muss doch ein Interesse daran haben, die endlichen Ressourcen an qualifizierten Fachkräften zu erhalten. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen zerstört werden, weil wir deren Know-how brauchen, heute und in Zukunft.
Was tun Sie persönlich, um seelisch gesund zu bleiben im Beruf? Welchen Anteil hat Freizeit, welchen der Betriebsalltag?
Hück: Meine Funktion bedeutet, privat und geschäftlich lassen sich eigentlich nicht mehr trennen. Das muss man mögen und in dieser Rolle auch akzeptieren. Aber Sport ist der Ausgleich. Jeder muss auch den Mut haben, sich auch immer wieder eine Auszeit zu nehmen. Auch wenn es vielleicht nur zwei oder drei Stunden sind. Aber diese Zeit für sich zu haben, ist sehr wertvoll. Da gibt es dann kein Geschäft, sondern da heißt es abschalten und den Akku aufladen. Das ist mein persönliches Erfolgsrezept: Sich nicht immer nur treiben lassen, sondern auch mal Freiräume für sich selbst schaffen. Deshalb sage ich immer: Tu, was du liebst, und es ist für dich keine Arbeit!
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Ralph Kray.
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