Ergonomie wird bei der BMW Group groß geschrieben: nicht nur bei den produzierten Autos und Motorrädern, sondern auch in den Gebäuden und natürlich an jedem einzelnen Arbeitsplatz. Ein Baustein ist die Büroarbeitsplatz-Analyse, kurz BAPA: Damit können die Beschäftigten die ergonomischen Bedingungen ihrer Büroarbeitsplätze bewerten. Das Tool, das vor einigen Monaten aktualisiert wurde, wird mittlerweile weltweit an allen Standorten der BMW Group sukzessive eingeführt. Michael Mohrlang ist am Standort München für den Bereich Ergonomie verantwortlich und schildert im Interview die Hintergründe des globalen „Rollout“.
Herr Mohrlang, Sie gehören zu den „Vätern der BAPA“: Zusammen mit hausinternen IT-Spezialisten haben Sie vor rund 15 Jahren die BAPA entwickelt und als Projektleiter implementiert. Welche Funktionalitäten sind Ihnen besonders wichtig?
Mohrlang: Als Ergonom ist mir besonders wichtig, dass die BAPA ohne vorherigen Lernaufwand von allen Beschäftigten intuitiv bedient und umgesetzt werden kann. Wir wollen mit einfach formulierten Fragen konkrete Ergebnisse erzielen. Dabei legen wir großen Wert darauf, dass die Kollegen wissen, worüber sie entscheiden. Die BAPA umfasst deshalb nicht nur Fragen, sondern auch Info-Blöcke mit ergonomischem Wissen.
Worin unterscheidet sich die heutige BAPA von den Vorgängerversionen?
Mohrlang: Wir haben das Tool komplett neu aufgebaut und mit einer neuen IT-Technik hinterlegt. Zum einen wurde der Umfang der Fragen reduziert, zum anderen waren neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Ideen zu berücksichtigen. Die Vorgängerversionen waren nur in Deutschland und Österreich einsetzbar. Da die BMW Group ein globaler Player ist, haben wir das neue Tool von Anfang an so gestaltet, dass es zum Beispiel auch in den USA, in Großbritannien, Südafrika, Brasilien und im asiatischen Raum anwendbar ist.
Bitte geben Sie uns einen Eindruck davon, wie die BAPA abläuft.
Mohrlang: Die BAPA ist eine Gefährdungsbeurteilung, die aus zehn Fragen zum gesundheits- und sicherheitsgerechten Verhalten besteht. Diese Fragen können mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Ein Mitarbeiter, der die Antwortvorgabe „Nein“ wählt, wird aufgefordert, in den Dialog mit dem Vorgesetzten zu treten: Dieser erhält eine E‑Mail, in der er gebeten wird, Kontakt mit dem Mitarbeiter aufzunehmen und Maßnahmen zur Lösung des Problems vorzuschlagen. In diesem Prozess unterstützen wir den Vorgesetzten. Dieser erhält zum Beispiel halbjährlich eine Statusmail über die Durchführung der BAPA und die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen in seinem Bereich. Der Vorgesetzte kann auch Themenblöcke aus der BAPA herausnehmen und bei Unterweisungen einsetzen.
Wie oft wird die BAPA durchgeführt? Und wie lange dauert die Analyse?
Mohrlang: Die BAPA wird immer bei größeren Veränderungen durchgeführt, wie zum Beispiel Umzügen. Bei Arbeitnehmern, die an verschiedenen Standorten tätig sind, können mehrere Arbeitsplätze analysiert werden. Die Bearbeitung der Fragen dauert unterschiedlich lange, je nachdem wie intensiv die Info-Blöcke durchgearbeitet werden. Eine Unterbrechung der Analyse ist aber jederzeit möglich. Eine sorgfältige Analyse liegt im eigenen Interesse der Beschäftigten: Uns ist wichtig, dass eine Auseinandersetzung mit den Arbeitsplätzen erfolgt und Probleme klar benannt werden.
Können Sie Beispiele geben, wonach in der BAPA konkret gefragt wird? Sind die Fragen weltweit identisch?
Mohrlang: Wir fragen unter anderem, ob die Beschäftigten die vielfältigen Angebote der BMW Group im Bereich Gesundheit kennen oder ob das jeweilige Arbeitsumfeld frei von Gefährdungen ist. Die BAPA umfasst auch die Frage, ob der Büroarbeitsplatz auf die individuellen Körpermaße einstellbar ist. In einem Video geben wir dazu weitere Informationen. Außerdem geht es um Lichtverhältnisse, Lärmbelastungen und das Raumklima. Es gibt die Möglichkeit, länderspezifische Fragen hinzuzufügen. Dies richtet sich auch nach den jeweiligen gesetzlichen Grundlagen.
Haben die bisherigen Ergebnisse zum Beispiel den Einkauf von Büromöbeln oder die Raumgestaltung bei BMW verändert?
Mohrlang: Wir erkennen über die Auswertung, wo Belastungsschwerpunkte bei den Beschäftigten liegen und können dem Management konkret zeigen, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht. Kaum Beanstandungen gibt es bei Büromöbeln. Diese sind aus arbeitsmedizinischer und ergonomischer Sicht sehr hochwertig und ermöglichen ein dynamisches Arbeiten. Bei der Beleuchtung ist eine Entwicklung hin zu einer indirekten Beleuchtung feststellbar.
Und mit welchen Argumenten haben Sie die Führungsebene von der BAPA überzeugt?
Mohrlang: Zum einen wollen wir die Gesundheit unserer Beschäftigten fördern und erhalten, zum anderen haben wir einen gesetzlichen Auftrag: Das Arbeitsschutzgesetz macht die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung zur Pflicht. Wir geben den Führungskräften ein Tool an die Hand, um sie in der Wahrnehmung ihrer Pflichten zu unterstützen.
Wie ist die Resonanz auf die BAPA – in Deutschland und weltweit?
Mohrlang: Die BAPA stößt in Deutschland auf sehr gute Resonanz. Wir bekommen nur sehr selten E‑Mails, in denen Beschäftigte Verständnisfragen zu dem Tool äußern. Auch die Berufsgenossenschaften geben uns ein sehr gutes Feedback. Mir ist nicht bekannt, dass andere Unternehmen der Automobilindustrie ein vergleichbares Tool einsetzen. Valide Ergebnisse, wie die BAPA weltweit angenommen wird, liegen noch nicht vor.
Blicken wir einmal über den Tellerrand: Wie beurteilen Sie als Ergonom den Stellenwert Ihres Fachgebietes insgesamt? Und welchen Stellenwert hat die Ergonomie bei BMW?
Mohrlang: Ergonomie ist nicht immer organisatorisch im Arbeitsschutz verankert, sondern wird häufig als Bestandteil der Tätigkeit von Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärzten gesehen. Die landläufige Meinung ist, dass es bei Ergonomie vorrangig um Lärm, Heben und Tragen geht. Daneben gibt es viele Unternehmen, die ergonomische Fragen unter dem Blickwinkel des Industrial Engineering betrachten. Ergonomie wird damit zum Nebenprodukt von betriebswirtschaftlichen Themen und hat keinen Bezug zum Arbeitsschutz. Im Gegensatz dazu verfolgen wir bei der BMW Group einen ganzheitlichen Ansatz. Während sich die Produktdesigner mit Fahrzeugergonomie beschäftigen, decken wir im Arbeitsschutz die Bereiche Produkt‑, Büro- und Gebäudeergonomie ab. Wir beschäftigen uns außerdem mit Ergonomie im Integrationsprozess, also mit der Frage, wie wir Arbeitsplätze für gesundheitlich eingeschränkte Beschäftigte gestalten können.
Abgesehen von BAPA: Können Sie weitere Beispiele für Ergonomie-Projekte bei BMW nennen?
Mohrlang: BMW geht das Thema Ergonomie sehr offensiv an. Wie viele andere Unternehmen, muss auch die BMW Group künftig die steigenden betrieblichen Anforderungen mit einer wesentlich älteren Belegschaft erfüllen. Wir bereiten uns mit einem ganzheitlichen Maßnahmenpaket auf den demografischen Wandel vor, das sich an Beschäftigte aller Altersgruppen richtet. Neben Gesundheitsprävention und Aufklärung sowie Qualifizierung und Kompetenzaufbau nehmen ergonomische Arbeitsplätze und ‑strukturen einen großen Stellenwert ein. Es geht nicht nur darum, ungünstige und auf Dauer belastende Körperhaltungen zu vermeiden. Wegen des zu erwartenden höheren Durchschnittsalters der Mitarbeiter wollen wir auch die Arbeitsstrukturen und Arbeitszeitmodelle überprüfen.
BAPA richtet sich an Büromenschen – wie sieht es in der Produktion aus?
Mohrlang: Hier setzen wir die Anforderungs- und Belastbarkeitsanalyse, kurz ABA-Tech, ein. Dabei erfassen wir Belastungen und Gefährdungen an Produktionsarbeitsplätzen. Grundlage ist ein Katalog von 19 Bewertungskriterien, die nach Haltung, Körperkräften, Umgebung, Psyche und Unfallgefahren unterteilt sind. Durch die Bildung des Ergonomischen Bewertungsindex (EBI) können wir Aussagen zur Qualität des Arbeitsplatzes machen. Die geprüften Arbeitsplätze werden nach einer Ampelklassifizierung eingestuft. ABA-Tech ist auch die Grundlage für die Integration von gesundheitlich eingeschränkten Mitarbeitern. Auch dieses Tool wird derzeit mit einer neuen IT-Technik hinterlegt und soll international zum Einsatz kommen.
Herr Mohrlang, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Nina Sawodny.
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