Die Grundlagen für eine strukturierte Ausbildung von Sicherheitsbeauftragten (SiBe) werden bereitet, indem in Workshops mit SiBes (und nicht über ihre Köpfe hinweg) zunächst ein wünschenswertes, betriebsspezifisches Profil erarbeitet wird. Basierend auf der durch die Berufsgenossen-schaften umschriebenen Funktion eines SiBes (diese soll helfen …) müssen dessen konkrete Eigenschaften, Fähigkeiten, Aufgaben und Rahmenbedingungen definiert werden, die unternehmensspezifisch hilfreich sind. Weitere Merkmale einer strukturierten SiBe-Ausbildung erfahren Sie im Folgenden.
Dipl.-Ing. Reinhard R. Lenz
Anhand des in einem Workshop erstellten Profils kann abgeglichen werden, welche Kompetenzen der betreffende Mitarbeiter, der in die Funktion des Sicherheitsbeauftragten treten soll und möchte, bereits mitbringt und welche herangebildet werden müssen.
Investitionen in diese Ausbildung erhalten Mehrwert, wenn die Unternehmensleitung eine mindestens zweijährige SiBe-Tätigkeit als Voraussetzung für eine Beförderung zu einer Basis-Füh-rungskraft beschließt (Vorarbeiter, Schichtleiter, Einsteller usw.), denn:
Mittel- bis langfristig tragen dann alle amtierenden Führungskräfte der Basis ein fundiertes Sicherheitsdenken und Sicherheitshandeln in sich.
Für ambitionierte Mitarbeiter wird es reizvoller, sich als Sicherheitsbeauf-tragte zur Verfügung zu stellen und dort erfolgreich zu sein.
Wer es in der Funktion als SiBe gelernt hat Kollegen, ohne über Druckmittel zur verfügen, hin zu sicheren Verhaltensweisen zu lenken, hat hohe Führungskompetenz bewiesen.
Strukturen einer SiBe-Ausbildung
Um effektive Sicherheitsarbeit vor Ort und auf Augenhöhe leisten zu können, bedarf es unterschiedlicher Kompetenzen und Vorgehensweisen, die in einer strukturierten Ausbildung bedient werden müssen.
Inhaltliche Ebenen
Gesetzliche Grundlagen
Soll ein Sicherheitsbeauftragter fachlich versierte Antworten geben können, bedarf es einer Ausbildung (gesetzliche Grundlagen, Vorschriften, Pflichten), welche in der Regel durch die zuständigen Berufsgenossenschaften abgedeckt wird. In erster Instanz müssen SiBe sicher nicht alles auswendig lernen. Wichtig wäre, dass sie wissen, wo man nachsehen oder wen man fragen kann.
Sozialkompetenz
Die Ausbildung sozialer Kompetenzen ist eine prozesshafte Entwicklung, die miteiner Persönlichkeitsentwicklung einhergeht. Eine solche Führungskompetenz benötigt ein strukturiertes, schrittweises Vorgehen sowie professionelle Feedbacks und bildet eine gute Grundlage für spätere Tätigkeiten als Vorarbeiter oder Schichtleiter.
Betriebliche Organisation
Unternehmensspezifische Vorstellungen und Kommunikationswege müssen ebenfalls vermittelt und vertieft werden. Das Rollenbild im Unternehmen und das Rollenverständnis der Personen müssen übereinstimmen. Eine solche Nivellierung ergibt sich leider nicht von allein (Was muss, kann, darf, soll ein SiBe?). Die richtige Einschätzung der Kommunikationskanäle, Nahtstellen und Kooperationen der SiBe untereinander beziehungsweise gegenüber Meister, Gruppensprecher, Mitarbeiter, Fachkraft für Arbeitssicherheit (SiFa), Arbeitsmedizin, Sozialabteilung, Betriebsrat und der Werksleitung muss herausgearbeitet werden.
Reichweite
Eine abteilungsinterne Ausbildung kann innerhalb des Alltagsgeschäfts erfolgen. Sie sollte aber dennoch aus der Zufälligkeit genommen werden und strukturiert an konkrete Aufgaben und Herausforderungen heranführen (s. Tabelle 1).
In größeren Unternehmen mit interner Personalentwicklung zählen Seminare beispielsweise zu Rhetorik oder Präsentationstechnik mit einiger Wahrscheinlichkeit zu den Standards, die allen Interessierten zur Verfügung stehen.
Eine externe Ausbildung bei einer Berufsgenossenschaft erfolgt in der Regel unternehmensübergreifend, ist aber durchaus spartenspezifisch ausgelegt.
Eine Reihe von Seminar-Anbietern in Richtung „Sozialkompetenz für SiBe“ stehen für Inhouse/Outhouse-Qualifizie-rungen zur Verfügung. Nachhaltigkeit wird nur durch geplante, verzahnte und aufeinander aufbauende Schritte erreicht werden.
Formate
Individuelle Einzelaktivitäten mit Führungskräften
In Tabelle 1 sind Zeitfenster vorgeschlagen, in denen eine Führungskraft den neu ernannten SiBe gezielt ausbildet und ihn in Alltagshandeln einbindet.
Seminare
Seminare können mit Teilnehmern verschiedener Unternehmen (Austausch über Unternehmensgrenzen hinweg) oder aber auch intern (geschlossener, interner Austausch) sinnvoll organisiert werden. Zehn bis 15 Teilnehmer sind ideal für eine kommunikative Atmosphäre.
Veranstaltungen
Sollen Großgruppen ein politisches oder strategisches Signal erhalten, haben sich Bühnen-Veranstaltungen bewährt, die mit Interviews/Talkrunden, Theateraufführungen usw. unterhaltsam gestaltet sind und gleichzeitig richtungsgebende Impulse setzen.
Anlässe
Um vorhandene Impulse aufzunehmen, die nicht unbedingt Mehrarbeit verursachen, ist es sinnvoll einige betriebliche Standards zu sammeln, aufzulisten und in eine strukturierte Vorgehensweise einfließen zu lassen. Einige Beispiele seien hier genannt:
- Meister nimmt SiBe auf Begehungen und zu Gesprächen mit
- Projektwochen
- sicherheitsrelevante Tätigkeiten während Reinigungsarbeiten oder Ähnlichem
- standortinterne Fortbildung durch SiFa
- Berufsgenossenschaft
- ASA
- jährliche Großveranstaltung (über Abteilungsgrenzen hinweg)
- Unfallanalysen
- Rückkehrgespräche
- Gefährdungsbeurteilung
- Unterweisung
- Innerhalb der berufsgenossenschaftlichen Ausbildung haben sich Standards entwickelt, die im Folgenden kurz zusammengefasst sind:
Themenspektrum der BG-Seminare für SiBe
- Erkennen von Gefährdungen und Ableiten von Maßnahmen.
- Grundinformationen zu ausgewählten Fachthemen: Sicherheit an Maschinen, Lärm, Gefahrstoffe, persönliche Schutzausrüstung, Transport mit Flurförderfahrzeugen, hochgelegene Arbeitsplätze, Verkehrssicherheit, elektrische Gefährdung, Instandhaltung, Transport mit Kran, Hautschutz, Gefährdungen bei der Holzbearbeitung, Brand- und Explosionsschutz
- Belastungen am Arbeitsplatz und deren Folgen: arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren, ergonomische Gestaltung der Arbeit, psychische Belastungen, Suchtgefährdung
- Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen durch Information und Kommunikation
- Der Zeitlauf in Tabelle 1 erstreckt sichbeispielhaft über drei Jahre. Die inhaltliche Zuordnung ist logisch aufgebaut und definiert ungefähre Zeiträume, in denen eine Umsetzung erfolgen sollte. Das Tempo ist davon abhängig,
Erläuterung einzelner Formate
- in welchen Zeiträumen effektive Sicherheitsarbeit durch die SiBe erreicht werden soll,
- welcher Nutzen von effektiver SiBe-Arbeit erwartet wird,
- welcher Etat bereitsteht und
- in welchen Rhythmen SiBe von der Produktion freigestellt werden können.
Es müssen nicht zwanghaft alle Elemente bedient werden:
- Viele kleine Impulse können Akteure des Unternehmens selbst beisteuern.
- Seminare benötigen zwölf bis 15 Teilnehmer, die gegebenenfalls aus mehreren Abteilungen organisiert werden müssen.
- Für regelmäßige SiBe-Tätigkeiten müssen Zeiten eingeräumt werden.
BG SiBe-Seminare
Die Grundausbildung für Sicherheitsbeauftragte erfolgt über die zuständigeBerufsgenossenschaft. Teil 1 und Teil 2(siehe Tabelle 1) können in dreitägigen Kursen oder in vertiefenden fünftägigen Kursen absolviert werden. Alternativ werden auch fünf einzelne eintägige Veranstaltungen angeboten. Sinnvoll ist, dass zwischen Teil 1 und 2 maximal sechs Monate liegen. Die betriebliche Integra-tion kann auch ohne die BG-Ausbildung beginnen.
Alle Berufsgenossenschaften stellen ihre Seminarangebote ins Internet. SiBe sollten über die Möglichkeit verfügen, dort einzusehen und in Abstimmung mit dem betrieblichen Vorgesetzten vertiefende Weiterbildungen zu buchen.
Externe Seminaranbieter
Seminare externer Anbieter können inhouse oder in einem nahegelegenen Hotel stattfinden. Gemeinsame Mahlzeiten unterstützten dabei Prozesse der sozialen Kompetenz und der Teamentwicklung.
Vor einer Gruppe über Sicherheit undGesundheit zu sprechen, jemanden vonsicherem Arbeiten zu überzeugen odereiner Führungskraft sicherheitstechnische Zusammenhänge logisch zu erläuternerfordert Mut, Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Einma-lige allgemeingültige Seminare zu Prä-sentationstechniken bieten lediglich eine Momentaufnahme. Präsentationen zum Arbeitsschutz beinhalten jedoch Besonderheiten, die nicht unbedingt allgemeingültigen Charakter haben.
Persönlichkeitsentwicklungen sind prozesshaft und müssen deshalb in mehreren Phasen mit wiederkehrenden Feedbacks erfolgen. Nach Ablauf der ersten drei Jahre kann dann entschieden werden, ob und in welchen Handlungsebenen eine weitere Entwicklung unterstützt werden soll bzw. kann.
Sozialkompetenz (ein wichtiger Teil der Personalführung) ist nicht mit einem einzigen Seminar zu erlangen. Am Ende jeder Veranstaltung sollten konkrete verhaltensbezogene Aufgaben gestellt werden, die bis zum nächsten Termin in der Praxis erprobt werden müssen. Dann ist eine Reflexion über eventuelle Korrekturen und Maßnahmen zur Ver-stetigung oder zu logischen Weiterentwicklungen angebracht.
Standortinterne fachliche Fortbildung durch die SiFa
Regelmäßige fachliche Fortbildung durch Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung sorgt für die Verbreitung unternehmensspezifischer Methoden und schafft vergleich-bare Informationen in allen Abteilungen. Ein Erfahrungsaustausch stärkt zusätzlich die Meinungsbildung.
Damit in Schichten arbeitende SiBe teilnehmen können, ist es sinnvoll, die gleiche thematische Veranstaltung mehrere Male anzubieten. Termine und Themen eines Jahres müssen frühzeitig an alle Führungskräfte bekannt gegeben werden, damit die Abwesenheit vom Arbeitsplatz eingeplant werden kann. Führungskräften fällt die Freistellung ihrer Mitarbeiter leichter, wenn ihnen der Nutzen und gegebenenfalls die eigene Entlastung verdeutlicht wird, die sie durch dermaßen fortgebildete SiBe erfahren. Führungskräfte müssen sich verpflichtet fühlen, die Termine an ihre SiBe weiterzuleiten. Und SiBe haben die Pflicht nachzufragen.
Konkrete Aufgaben (Gefahrstoffreste entsorgen, Fluchtwegepläne prüfen, Hautschutzplan aktualisieren usw.) für SiBeliefern handfeste und vielversprechende Tätigkeiten, die bei Erfolg sinnstiftend sind und Anlass zur Wertschätzung liefern.
Großveranstaltung
Damit Sicherheitsbeauftragte sich nicht nur als Einzelkämpfer fühlen bzw. als solches wahrgenommen werden, sonderninnerhalb des Unternehmens eine starke Gruppe repräsentieren, ist es sinnvoll, einmal jährlich eine Großveranstaltung zu organisieren. (Beispiel Feuerwehr: Die Aussage eines einzelnen Feuerwehrmannes trägt das Gewicht der gesamten Feuerwehr.)
In einem Prozess der Meinungsbildung wird Gelegenheit geboten, Einstellungen und Haltungen sowie Wünsche und Bedürfnisse seitens der SiBe zu formulieren sowie Fürsorge und Erwartung von der Unternehmensleitung an die SiBe zu transportieren.
Regelmäßige individuelle Tätigkeiten
Neu ernannte SiBe können von ihrendirekten Vorgesetzten bei passenden Gelegenheiten miteinbezogen werden. Aber Vorsicht: Zu viel auf einmal wirkt überfordernd und ist damit kontraproduktiv. Eine gezielte Verteilung dieser Einsätze in verschiedene Prozesse (Begehungen, Unfallanalyse, Rückkehrgespräche usw.) über drei Jahre hinweg ist vorteilhaft.
Projektwochen
Projektdenken und Projekthandeln sind wesentliche Fähigkeiten, um Einblick und Verständnis in größere Zusammenhänge und Strukturen zu erhalten. Soll aus einem erfolgreichen und engagierten SiBe später eine Basis-Führungskraft werden, werden hier die Impulse gesetzt. Mithilfe der Instandhaltung, Qualitätssicherung oder einer KVP-Abteilung werden Projekte mit dem Anspruch einer späteren Umsetzung erarbeitet.
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