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Viele Menschen mit HIV legen ihre Infektion nicht offen, schon gar nicht am Arbeitsplatz. Sie fürchten Diskriminierung, Mobbing, den „Karriereknick“ oder gar eine Kündigung. Doch HIV ist kein Kündigungsgrund. Es besteht keine Ansteckungsgefahr am Arbeitsplatz. Und: Jeder Mitarbeiter kann etwas für Offenheit, Respekt und Toleranz tun.
Auf 1.000 Erwerbstätige kommt ca. ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin mit HIV. Die Mehrzahl der Menschen mit HIV in Deutschland arbeitet: Von den 73.000 HIV-Positiven, die Ende 2011 in Deutschland lebten, standen rund zwei Drittel in einem Beschäftigungsverhältnis. Statistisch kommt damit auf 1000 Arbeitnehmer circa ein HIV-positiver Beschäftigter oder eine HIV-positive Beschäftigte. Ein Großteil der Menschen mit HIV legt seinen HIV-Status nicht offen, zum Teil aus Angst vor Diskriminierung, Mobbing oder gar Kündigung, auch wenn manche HIV-Positive auch unterstützende oder zumindest neutrale Reaktionen auf ihr „positives Coming-out“ am Arbeitsplatz erfahren haben.
Informationen können helfen, ein Klima zu schaffen, in dem HIV-Positive offen mit ihrer Infektion umgehen können. Auch Unternehmensleitlinien können zum respektvollen Umgang miteinander und zur Prävention von Diskriminierung und Stigmatisierung beitragen.
Im Rahmen der Kampagne „Positiv zusammen leben“ werben HIV-positive Menschen als Botschafter für mehr Toleranz und Solidarität. Kampagnenbotschafter Manny (44) ist Altenpfleger. Anfangs setzte er sich auf der Arbeit sehr unter Druck. „Ich habe meine Pillen immer heimlich auf dem Klo genommen. Manchmal ging das aber nicht zum vorgeschriebenen Zeitpunkt, weil ich zum Beispiel gerade einen Bewohner spazieren führte – da wusste ich gar nicht, was ich machen sollte“ erzählt er. Irgendwann brach Manny zusammen. Die Belastung war zu hoch für ihn. Manny ging zu seinem Chef und erzählte ihm alles. „Da war das Eis gebrochen“, erinnert er sich. Von diesem Zeitpunkt an war er nicht mehr allein. „Ich sollte es erst einmal für mich behalten, das haben wir zusammen beschlossen, weil wir nicht wussten, wie die Kolleginnen und Kollegen reagieren würden. Ich habe es dann trotzdem einer Kollegin erzählt, und wie das so ist, hat sie es weiter getratscht – und plötzlich wussten es alle“, berichtet er und kichert. Die Kollegen reagierten erstaunlich offen, der Chef war nicht sauer.
Kampagnenbotschafter Thomas (39) allerdings ist es anders ergangen. Kurz nach seinem Outing mit HIV am Arbeitsplatz wurde dem Maler und Lackierer aus betrieblichen Gründen gekündigt. Sein Traum ist es, den Wiedereinstieg zu schaffen und in Zukunft als Webdesigner oder Programmierer zu arbeiten.
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Diskriminierung und Stigmatisierung gehören nach wie vor zum Alltag von Menschen mit HIV. Die Spannbreite reicht von abfälligen Äußerungen bis hin zu übler Nachrede, grundlosen Verboten von bestimmten Tätigkeiten, ungerechtfertigten Versetzungen und sogar rechtswidrigen Kündigungen. Wie viele Kündigungen aufgrund einer HIV-Infektion – ob offen oder unter vorgeschobenen Gründen – es in Deutschland gibt, ist unbekannt. Allein bei einem einzigen Kölner Anwalt, der sich auf diesem Gebiet spezialisiert hat, melden sich Jahr für Jahr etwa 20 bis 30 Mandanten mit solchen Fällen.
Doch nichts davon müssen Betroffene tatenlos hinnehmen. Eine HIV-Infektion ist kein Kündigungsgrund. Es dürfen auch keine „Druckkündigungen“ ausgesprochen werden, also Kündigungen, die der Arbeitgeber zunächst nicht beabsichtigt, sich dann aber dem Druck von Seiten der Kundschaft oder der Belegschaft beugt. Das Gegenteil sollte der Fall sein: Der Arbeitgeber unterliegt der Fürsorgepflicht, sollte sich also vor seine Angestellten, in diesem Fall vor die Betroffenen stellen. Das Kündigungsschutzgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eröffnen Möglichkeiten, gegen ungerechtfertigte Benachteiligungen gerichtlich vorzugehen.
Eigentlich ist klar geregelt, dass ein HIV-Test nicht zur Einstellungsuntersuchung gehört. Es darf nur getestet werden, was für die Ausübung der angestrebten Tätigkeit relevant ist. Ein HIV-positives Testergebnis ist jedoch für kaum eine Arbeitsstelle relevant, und es gibt auch keine Berufsverbote für Menschen mit HIV. Auch die Frage nach dem HIV-Status ist bis auf zwei Ausnahmen – Pilotinnen und Piloten sowie Chirurginnen und Chirurgen – nicht zulässig und muss daher auch nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden.
Arbeit im Gesundheitsbereich
Allein bei Pilotinnen und Piloten sind HIV-Tests durch europäische Bestimmungen festgelegt. War ein positiver Test hier bisher ein generelles Einstellungshindernis, hat sich das am 08.04.2012 mit der Einführung neuer Richtlinien geändert: Ausschlaggebend für die Flugtauglichkeit ist nun der aktuelle Gesundheitszustand, nicht die HIV-Infektion. In Deutschland treten die neuen Richtlinien voraussichtlich 2013 in Kraft.
Für das Gesundheitswesen gibt es aktuelle Empfehlungen der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Gesellschaft für Virologie (GfV). Diese stellen klar, dass selbst HIV-infizierte Chirurgen und Chirurginnen alle Tätigkeiten ausführen dürfen, wenn ihre Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt – und auch wenn ihre Viruslast nicht unter der Nachweisgrenze liegt, gibt es nur für sehr wenige Tätigkeiten Einschränkungen. Das macht auch deutlich: Alle anderen HIV-positiven Mitarbeiter können im Gesundheitsbereich ohne Einschränkung arbeiten.
Schweigepflicht ist ein Muss
Sollte im Rahmen von Einstellungsuntersuchungen oder anderen betriebsärztlichen Untersuchungen eine HIV-Infektion bekannt werden, unterliegen Betriebs- und Amtsärzte der gesetzlichen Schweigepflicht. Im Zuge der Einstellungsuntersuchungen dürfen sie der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber lediglich mitteilen, ob die Bewerberin oder der Bewerber für die angestrebte Tätigkeit geeignet ist, aber keine Diagnosen nennen. Und auch wenn sie von der Infektion eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin erfahren, dürfen sie dies dem Arbeitgeber nicht mitteilen.
Längst widerlegt ist die Annahme, HIV-positive Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer seien weniger belastbar oder häufiger krank. Viele Arbeitgeber wissen nicht, dass man zwischen einer HIV-Infektion und dem „Vollbild Aids“ unterscheiden muss. Fakt ist: Bei erfolgreicher HIV-Therapie sind infizierte Arbeitnehmer im Schnitt genauso leistungsfähig wie ihre Kollegen, wie eine englische Studie zeigt. Ein Mensch mit HIV kann heute bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung mit einer fast normalen Lebenserwartung rechnen. Man muss die Medikamente zwar lebenslang jeden Tag einnehmen und möglicherweise, besonders am Beginn einer Therapie, mit Nebenwirkungen umgehen, kann aber ansonsten ein „normales“ Berufsleben planen – genau wie viele andere chronisch Kranke auch.
Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, den Prozess der Aufklärung aktiv mitzugestalten, können sehr hilfreich sein, um die Situation am Arbeitsplatz zu meistern. Ob man offen mit der eigenen Situation umgeht, ist allerdings eine individuelle Entscheidung. Und nicht jedem sind ein kollegiales Team und ein aufgeklärter Arbeitgeber gegeben. Eine qualifizierte Beratung in einer Aidshilfe kann bei der Entscheidungsfindung behilflich sein.
Leitlinien für den Umgang mit HIV-infizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gibt es nach der Studie der Deutschen AIDS-Hilfe aus dem Jahr 2009 in einem einzigen von 22 befragten Unternehmen aus der Liste der besten Arbeitgeber Deutschlands (dieses Unternehmen agiert global). So bleibt das Thema HIV am Arbeitsplatz meist tabuisiert, und gesundheitliche Einschränkungen bleiben im Status einer „hidden disability„ stecken, einer versteckten Behinderung. Aber auch ohne Leitlinien ist es wichtig, einen offenen und diskriminierungsfreien Umgang vorzuleben.
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