Geht es bei der Geschwindigkeitsüberwachung nur darum, Kopfprämien zu kassieren? Oder möchte der Staat damit jedem Verkehrsteilnehmer zu seinem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verhelfen? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt des 20. Forums „Sicherheit und Mobilität“ des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) in Berlin.
Geschwindigkeitskontrollen sind häufig Auslöser kontroverser Diskussionen. Fast schon reflexartig fallen bei Diskussionen rund um die Geschwindigkeitsüberwachung Begriffe wie Abzocke, Radarfalle, Gängelung und Schikane. Die Überwachung findet demnach zu oft an falschen, weil ungefährlichen Orten statt. Dies war ein Diskussionspunkt des 20. Forums „Sicherheit und Mobilität“ des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) in Berlin. Unterstützt wurde das Jubiläumsforum vom Automobil-Club Verkehr (ACV), DEKRA und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
Nach Meinung der meisten Verkehrssicherheitsexperten müsste Überwachung deutlich häufiger angewendet werden, um die Zahl der Verkehrsunfälle zu senken. Dies unterstrich auch die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium Katherina Reiche: „Überwachung dient dem Schutz aller.“ Gegenseitige Rücksichtnahme, Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft, die Regeln einzuhalten, seien Voraussetzung für eine sichere Verkehrsteilnahme. „Die gesellschaftliche Kernaufgabe, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, hat nichts an Aktualität und Bedeutung verloren“, sagte Reiche mit dem Hinweis auf zehn Prozent mehr Getötete im Straßenverkehr in den ersten drei Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Auf die Sicherheitsstrategie Vision Zero ging Clemens Klinke, Mitglied des Vorstands DEKRA SE und Vizepräsident des DVR, ein. Er wies darauf hin, dass es bereits zahlreiche Städte in Deutschland und Europa gebe, bei denen das Ziel von null Getöteten im Straßenverkehr in einem oder gar mehreren aufeinanderfolgenden Jahren erreicht worden sei.
Plädoyer für den „Sicherheits-Blitz“
Behördliche Anordnungen von Geschwindigkeitskontrollen haben einen gewichtigen Hintergrund, erläuterte DVR-Experte Dr. Detlev Lipphard: „Sie beziehen sich in der Regel auf ein früheres Unfallgeschehen, weshalb der Vorwurf der ‚Abzocke‘ ungerechtfertigt ist. Es gibt kein Recht auf zu schnelles Fahren, und Geschwindigkeitskontrollen machen unsere Straßen nachweislich sicherer.“ Anstelle negativ besetzter Begriffe wie „Radarfalle“ plädierte er für den „Sicherheits-Blitz“.
„Verkehrsüberwachung nützt allen Menschen, die sich im Verkehrsraum bewegen“, postulierte auch Professor Dr. Dieter Müller vom Institut für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten in Bautzen. Maßnahmen der Überwachung dienten dazu, die gesetzestreuen von den gesetzeswidrig handelnden Verkehrsteilnehmern zu unterscheiden. Die Verkehrsteilnehmer sollten aus ihrem Fehlverhalten lernen und die „Knöllchen als staatlich verordnete Gedächtnisstützen“ betrachten.
Die Wahl der Geschwindigkeit und die Regelbefolgung seien von den jeweiligen persönlichen und situativen Bedingungen der Verkehrsteilnehmer bestimmt, erklärte der Verkehrspsychologe Dr. Jens Schade von der Technischen Universität Dresden. Als unterschiedliche Typen von Fehlverhalten nannte er Versehen, Fehler und Verstöße und unterschied bei den Geschwindigkeitsvergehen die unbeabsichtigten von den beabsichtigten Handlungen.
Kontroverse Debatte
In der anschließenden von Marco Seiffert (Radio Eins, Rundfunk Berlin-Brandenburg) moderierten Podiumsdiskussion wurde deutlich, wie stark das Thema Geschwindigkeitsüberwachung polarisiert. Lars Wagener, Vorsitzender der Geschäftsleitung des ACV, vertrat den Standpunkt, dass Geschwindigkeitsüberwachung prinzipiell sinnvoll sei, aber vorrangig an ausgewiesenen Unfallschwerpunkten und potenziell gefährlichen Orten durchgeführt werden sollte. Dr. Schade mahnte neben der Überwachung auch infrastrukturelle Verbesserungen im Straßenverkehr an, weil Geschwindigkeitsüberschreitungen oft situativ begünstigt seien, etwa durch eine Straßenbreite und Straßengestaltung, die schnelles Fahren nahe lege und beim Fahrer durch entsprechende Hinweisreize ein fehlerhaftes Situationsverständnis entstehen lasse.
Viele Autofahrer seien nicht davon überzeugt, dass die Überwachung vorrangig der Sicherheit diene, meinte Dr. Michael Haberland, Präsident des Automobilclubs Mobil in Deutschland. Professor Müller vertrat dagegen die Auffassung, niemand habe das Recht, zu schnell zu fahren und deshalb müssten Kontrollen auch überall möglich sein.
„Blitzer verhindern keine Unfälle“, behauptete Dr. Karl-Friedrich Voss, Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Verkehrspsychologen. Er vertrat die Ansicht, dass Blitzer nicht die erwünschte Wirkung hätten, da sie zum Beispiel das Problem der nicht angepassten Geschwindigkeit nicht erfassen könnten. Dem widersprach Polizeioberrat Endro Schuster vom Ministerium des Innern des Landes Brandenburg, der von den Erfahrungen der Polizei berichtete und die Überzeugung äußerte, dass die konsequente und systematische Geschwindigkeitsüberwachung Menschenleben rette.
Überwachung muss sein
DVR-Präsident Dr. Walter Eichendorf hob in seinem Schlusswort hervor, dass Geschwindigkeitsüberwachung einen unverzichtbaren Stellenwert für die Umsetzung der Vision Zero besitze: „Überwachung ist nur ein Aspekt der Verkehrssicherheit, aber ohne Überwachung ist alles nichts“, sagte Dr. Eichendorf. Alle Anwesenden seien sich einig gewesen, dass ein gewisses Maß an Überwachung sein müsse. Allerdings müssten die Bürger mitgenommen werden. Der DVR-Präsident wies auf die beeindruckende, wissenschaftlich belegte Tatsache hin, dass eine Abnahme der durchschnittlichen Geschwindigkeit von fünf Prozent eine Verringerung der Unfälle mit Verletzten um ungefähr zehn Prozent und eine Verringerung der Unfälle mit Getöteten um 20 Prozent zur Folge habe. Er wies weiterhin auf wichtige Argumente hin, die seiner Meinung nach verfolgt werden müssten: Zum Beispiel müsse geprüft werden, ob Überschüsse aus Überwachungsaktionen zweckbestimmt für die Verkehrssicherheit eingesetzt werden könnten. Um die Akzeptanz von Kontrollen zu erhöhen, könnten die Behörden im Zuge der Öffentlichkeitsarbeit begründen, warum an bestimmten Stellen Geschwindigkeitsbegrenzungen notwendig seien. Und schließlich müssten auch künftig die personellen Ressourcen der Polizei für Geschwindigkeitskontrollen in Kombination mit dem Anhalten von Verkehrsteilnehmern gegeben sein, weil so persönlich und zeitnah zum Vergehen der Sinn der Überwachung am besten vermittelt werden könne.
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