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Staatliche Bevormundung oder Fürsorge?

Geschwindigkeitsüberwachung
Staatliche Bevormundung oder Fürsorge?

Staatliche Bevormundung oder Fürsorge?
Viele ärgern sich über Geschwindigkeitskontrollen, aber für die Verkehrssicherheit ist ein gewisses Maß an Überwachung nötig. Foto: © Alberich – Fotolia.com
Geht es bei der Geschwindigkeit­süberwachung nur darum, Kopf­prämien zu kassieren? Oder möchte der Staat damit jedem Verkehrsteil­nehmer zu seinem Recht auf Leben und kör­per­liche Unversehrtheit ver­helfen? Diese und weit­ere Fra­gen standen im Mit­telpunkt des 20. Forums „Sicher­heit und Mobil­ität“ des Deutschen Verkehrssicher­heit­srates (DVR) in Berlin.

Geschwindigkeit­skon­trollen sind häu­fig Aus­lös­er kon­tro­vers­er Diskus­sio­nen. Fast schon reflexar­tig fall­en bei Diskus­sio­nen rund um die Geschwindigkeit­süberwachung Begriffe wie Abzocke, Radar­falle, Gän­gelung und Schikane. Die Überwachung find­et dem­nach zu oft an falschen, weil unge­fährlichen Orten statt. Dies war ein Diskus­sion­spunkt des 20. Forums „Sicher­heit und Mobil­ität“ des Deutschen Verkehrssicher­heit­srates (DVR) in Berlin. Unter­stützt wurde das Jubiläums­fo­rum vom Auto­mo­bil-Club Verkehr (ACV), DEKRA und der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung (DGUV).

Nach Mei­n­ung der meis­ten Verkehrssicher­heit­sex­perten müsste Überwachung deut­lich häu­figer angewen­det wer­den, um die Zahl der Verkehrsun­fälle zu senken. Dies unter­strich auch die Par­la­men­tarische Staatssekretärin im Bun­desverkehrsmin­is­teri­um Kathe­ri­na Reiche: „Überwachung dient dem Schutz aller.“ Gegen­seit­ige Rück­sicht­nahme, Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein und die Bere­itschaft, die Regeln einzuhal­ten, seien Voraus­set­zung für eine sichere Verkehrsteil­nahme. „Die gesellschaftliche Ker­nauf­gabe, die Verkehrssicher­heit zu erhöhen, hat nichts an Aktu­al­ität und Bedeu­tung ver­loren“, sagte Reiche mit dem Hin­weis auf zehn Prozent mehr Getötete im Straßen­verkehr in den ersten drei Monat­en dieses Jahres im Ver­gle­ich zum Vorjahreszeitraum.
Auf die Sicher­heitsstrate­gie Vision Zero ging Clemens Klinke, Mit­glied des Vor­stands DEKRA SE und Vizepräsi­dent des DVR, ein. Er wies darauf hin, dass es bere­its zahlre­iche Städte in Deutsch­land und Europa gebe, bei denen das Ziel von null Getöteten im Straßen­verkehr in einem oder gar mehreren aufeinan­der­fol­gen­den Jahren erre­icht wor­den sei.
Plä­doy­er für den „Sicher­heits-Blitz“
Behördliche Anord­nun­gen von Geschwindigkeit­skon­trollen haben einen gewichti­gen Hin­ter­grund, erläuterte DVR-Experte Dr. Detlev Lip­phard: „Sie beziehen sich in der Regel auf ein früheres Unfallgeschehen, weshalb der Vor­wurf der ‚Abzocke‘ ungerecht­fer­tigt ist. Es gibt kein Recht auf zu schnelles Fahren, und Geschwindigkeit­skon­trollen machen unsere Straßen nach­weis­lich sicher­er.“ Anstelle neg­a­tiv beset­zter Begriffe wie „Radar­falle“ plädierte er für den „Sicher­heits-Blitz“.
„Verkehrsüberwachung nützt allen Men­schen, die sich im Verkehrsraum bewe­gen“, pos­tulierte auch Pro­fes­sor Dr. Dieter Müller vom Insti­tut für Verkehrsrecht und Verkehrsver­hal­ten in Bautzen. Maß­nah­men der Überwachung dien­ten dazu, die geset­zestreuen von den geset­zeswidrig han­del­nden Verkehrsteil­nehmern zu unter­schei­den. Die Verkehrsteil­nehmer soll­ten aus ihrem Fehlver­hal­ten ler­nen und die „Knöllchen als staatlich verord­nete Gedächt­nis­stützen“ betrachten.
Die Wahl der Geschwindigkeit und die Regel­be­fol­gung seien von den jew­eili­gen per­sön­lichen und sit­u­a­tiv­en Bedin­gun­gen der Verkehrsteil­nehmer bes­timmt, erk­lärte der Verkehrspsy­chologe Dr. Jens Schade von der Tech­nis­chen Uni­ver­sität Dres­den. Als unter­schiedliche Typen von Fehlver­hal­ten nan­nte er Verse­hen, Fehler und Ver­stöße und unter­schied bei den Geschwindigkeitsverge­hen die unbe­ab­sichtigten von den beab­sichtigten Handlungen.
Kon­tro­verse Debatte
In der anschließen­den von Mar­co Seif­fert (Radio Eins, Rund­funk Berlin-Bran­den­burg) mod­erierten Podi­ums­diskus­sion wurde deut­lich, wie stark das The­ma Geschwindigkeit­süberwachung polar­isiert. Lars Wagen­er, Vor­sitzen­der der Geschäft­sleitung des ACV, ver­trat den Stand­punkt, dass Geschwindigkeit­süberwachung prinzip­iell sin­nvoll sei, aber vor­rangig an aus­gewiese­nen Unfallschw­er­punk­ten und poten­ziell gefährlichen Orten durchge­führt wer­den sollte. Dr. Schade mah­nte neben der Überwachung auch infra­struk­turelle Verbesserun­gen im Straßen­verkehr an, weil Geschwindigkeit­süber­schre­itun­gen oft sit­u­a­tiv begün­stigt seien, etwa durch eine Straßen­bre­ite und Straßengestal­tung, die schnelles Fahren nahe lege und beim Fahrer durch entsprechende Hin­weis­reize ein fehler­haftes Sit­u­a­tionsver­ständ­nis entste­hen lasse.
Viele Aut­o­fahrer seien nicht davon überzeugt, dass die Überwachung vor­rangig der Sicher­heit diene, meinte Dr. Michael Haber­land, Präsi­dent des Auto­mo­bil­clubs Mobil in Deutsch­land. Pro­fes­sor Müller ver­trat dage­gen die Auf­fas­sung, nie­mand habe das Recht, zu schnell zu fahren und deshalb müssten Kon­trollen auch über­all möglich sein.
„Blitzer ver­hin­dern keine Unfälle“, behauptete Dr. Karl-Friedrich Voss, Vor­sitzen­der des Bun­desver­ban­des Niederge­lassen­er Verkehrspsy­cholo­gen. Er ver­trat die Ansicht, dass Blitzer nicht die erwün­schte Wirkung hät­ten, da sie zum Beispiel das Prob­lem der nicht angepassten Geschwindigkeit nicht erfassen kön­nten. Dem wider­sprach Polizeiober­rat Endro Schus­ter vom Min­is­teri­um des Innern des Lan­des Bran­den­burg, der von den Erfahrun­gen der Polizei berichtete und die Überzeu­gung äußerte, dass die kon­se­quente und sys­tem­a­tis­che Geschwindigkeit­süberwachung Men­schen­leben rette.
Überwachung muss sein
DVR-Präsi­dent Dr. Wal­ter Eichen­dorf hob in seinem Schluss­wort her­vor, dass Geschwindigkeit­süberwachung einen unverzicht­baren Stel­len­wert für die Umset­zung der Vision Zero besitze: „Überwachung ist nur ein Aspekt der Verkehrssicher­heit, aber ohne Überwachung ist alles nichts“, sagte Dr. Eichen­dorf. Alle Anwe­senden seien sich einig gewe­sen, dass ein gewiss­es Maß an Überwachung sein müsse. Allerd­ings müssten die Bürg­er mitgenom­men wer­den. Der DVR-Präsi­dent wies auf die beein­druck­ende, wis­senschaftlich belegte Tat­sache hin, dass eine Abnahme der durch­schnit­tlichen Geschwindigkeit von fünf Prozent eine Ver­ringerung der Unfälle mit Ver­let­zten um unge­fähr zehn Prozent und eine Ver­ringerung der Unfälle mit Getöteten um 20 Prozent zur Folge habe. Er wies weit­er­hin auf wichtige Argu­mente hin, die sein­er Mei­n­ung nach ver­fol­gt wer­den müssten: Zum Beispiel müsse geprüft wer­den, ob Über­schüsse aus Überwachungsak­tio­nen zweckbes­timmt für die Verkehrssicher­heit einge­set­zt wer­den kön­nten. Um die Akzep­tanz von Kon­trollen zu erhöhen, kön­nten die Behör­den im Zuge der Öffentlichkeit­sar­beit begrün­den, warum an bes­timmten Stellen Geschwindigkeits­be­gren­zun­gen notwendig seien. Und schließlich müssten auch kün­ftig die per­son­ellen Ressourcen der Polizei für Geschwindigkeit­skon­trollen in Kom­bi­na­tion mit dem Anhal­ten von Verkehrsteil­nehmern gegeben sein, weil so per­sön­lich und zeit­nah zum Verge­hen der Sinn der Überwachung am besten ver­mit­telt wer­den könne.
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