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Präsentismus: Was Unternehmen tun können - Ursachen, Analysen, Maßnahmen

Konkrete Empfehlungen - Teil 2
Präsentismus: Was Unternehmen tun können

 

Im ersten Teil dieses Beitrags wurde das Phänomen Präsen­tismus, seine Ver­bre­itung sowie seine Ursachen und Fol­gen vorgestellt. Im zweit­en Teil geht es nun darum, was Unternehmen konkret tun kön­nen, damit die Beschäftigten im Falle von ern­steren Erkrankun­gen und Beschw­er­den auch tat­säch­lich zu Hause bleiben, um diese auszukuri­eren. Die fol­gen­den Empfehlun­gen basieren auf wis­senschaftlichen Erken­nt­nis­sen, die im Rah­men von zahlre­ichen Stu­di­en gesam­melt wor­den sind.

Stephan Oster

Gesundheitskompetenz verbessern, Einsichten fördern, Verhalten beeinflussen

Präsen­tismus nen­nt man das Ver­hal­ten der Beschäftigten, trotz Erkrankung und gegen den ärztlichen Rat am Arbeit­splatz zu erscheinen. Will man dies verän­dern, sind Maß­nah­men auf ganz unter­schiedlichen Hand­lungs­feldern nötig und möglich. Dabei spie­len per­so­n­en­be­zo­gene Fak­toren eben­so eine Rolle wie die Arbeits­be­din­gun­gen, die Arbeit­sor­gan­i­sa­tion oder auch die Unternehmens- und Führungskultur.
So kon­nte zum Beispiel im Rah­men ein­er Studie der Ein­fluss eines exzes­siv-zwang­haften Arbeitsstils auf die Entschei­dung gezeigt wer­den, trotz Krankheit zu arbeit­en. Solche Arbeitsstile – auch wenn sie unter­halb der krankhaften Arbeitssucht ange­siedelt sind – soll­ten bei der Präsen­tismus­präven­tion mehr Beach­tung find­en. Neben dem Arbeitsstil spielt auch die Per­sön­lichkeit eine große Rolle bei der Entschei­dung, krank zur Arbeit zu gehen. Hin­weise auf solche per­sön­lichkeits­be­zo­ge­nen Ein­flüsse find­en sich auch in US-Stu­di­en. Wem es beispiel­sweise an der Fähigkeit man­gelt, sich von Forderun­gen und Erwartun­gen ander­er abgren­zen zu kön­nen, der neigt stark zum Präsentismus.
Auch deutsche Stu­di­en beto­nen den großen Ein­fluss von Per­sön­lichkeit, Arbeitsstil und Arbeit­sethik auf das Ver­hal­ten bei Krankheit. Ein sin­nvoller Ansatz zur Senkung von Präsen­tismus ist dem­nach, Risikop­er­so­n­en zu iden­ti­fizieren, um sie anschließend für ihr Ver­hal­ten und die damit ver­bun­de­nen wahrschein­lichen neg­a­tiv­en Fol­gen zu sen­si­bil­isieren. Möglich wird es, den Abwä­gung­sprozess – krank zur Arbeit oder nicht – zu bee­in­flussen, indem man Gesund­heitswis­sen ver­mit­telt, zum Beispiel mit Hil­fe von Gesund­heitscoach­ings, von Acht­samkeits- und Stress­be­wäl­ti­gungssem­inaren und anderem mehr. Ziel ist es, die Beschäftigten dabei zu unter­stützen, gesund­heits­be­wusste Entschei­dun­gen sachgerecht(er) tre­f­fen zu können.

Arbeitsverträge fair gestalten, Existenzängste verringern

Zu den per­so­n­en­be­zo­ge­nen Ein­flussfak­toren auf die Bere­itschaft, krank zur Arbeit zu gehen, gehören auch finanzielle Aspek­te. Allerd­ings dürften sie in Deutsch­land auf­grund der geset­zlichen Regelung zur Ent­geltzahlung let­ztlich nicht auss­chlaggebend sein. Kleinere Effek­te kön­nen sich jedoch durch den Weg­fall von Bonuszahlun­gen bei krankheits­be­d­ingter Abwe­sen­heit ergeben. Darüber hin­aus sind unter Umstän­den spür­bare Einkom­mensver­luste ab der siebten Kranken­woche (Kranken­geld) hinzunehmen; ins­ge­samt fehlen hier allerd­ings wis­senschaftliche Erken­nt­nisse für die Sit­u­a­tion in Deutschland.
Vor­beu­gend emp­fiehlt es sich aber zur Ver­hin­derung von Präsen­tismus, die Arbeitsverträge so zu gestal­ten, dass den Beschäftigten ein sicheres und angemessenes Auskom­men möglich ist. Auch soll­ten die leis­tungs­be­zo­ge­nen Vergü­tungsan­teile mit Zielvor­gaben ver­bun­den sein, die mit branchenüblichen durch­schnit­tlichen Fehlzeit­en zu erre­ichen sind und kein Arbeit­en bei Krankheit nötig machen. Grund­sät­zlich sollte ein Arbeitsver­trag aus­re­ichend materielle Sicher­heit gewährleis­ten, damit wirtschaftliche Motive nicht zum Präsen­tismus beitragen.

Arbeit ergonomisch gestalten, genügend Ressourcen bereitstellen

Bei den arbeits­be­zo­ge­nen Ein­flussfak­toren beste­ht ein deut­lich­er Zusam­men­hang zwis­chen der Bere­itschaft, krank zur Arbeit zu gehen, der men­gen­mäßi­gen Arbeits­be­las­tung sowie dem herrschen­den Zeit- und Ter­min­druck. Hier sind Unternehmen gut berat­en, für die Erfül­lung der Auf­gaben auch die erforder­lichen per­son­ellen und zeitlichen Ressourcen einzuräu­men. Gle­ich­es gilt für die Arbeit­sor­gan­i­sa­tion. Wenn Arbeit­nehmer qua­si als Unternehmer im Unternehmen – also weit­ge­hend selb­st­ständig – han­deln sollen, müssen sie darauf vor­bere­it­et wer­den. Denn zwar erhöhen sich bei ein­er solchen Arbeit­sor­gan­i­sa­tion die indi­vidu­ellen Gestal­tungsspiel­räume der Arbeit. Aber zugle­ich trägt der einzelne Mitar­beit­er auch erhe­blich mehr Ver­ant­wor­tung. Er muss bere­it und fähig zur Koop­er­a­tion sein und nicht zulet­zt seine Selb­st­man­age­ment­fähigkeit­en entwick­eln. Damit unter diesen Bedin­gun­gen gesund­heits­förder­lich­es Ver­hal­ten nicht ver­nach­läs­sigt wird, muss den Beschäftigten neben dem Mehr an Pflicht­en in Form erweit­ert­er Anforderun­gen auch ein Mehr an Recht­en in Form von entsprechen­den Ressourcen – Per­son­al, Infor­ma­tion, Kom­pe­ten­zen etc. – zuge­bil­ligt werden.
Eine solche weit­ge­hende Selb­st­s­teuerung der Mitar­beit­er funk­tion­iert zudem nur, wenn die Beschäftigten dafür fach­lich und über­fach­lich qual­i­fiziert sind. Gerät die Anforderung hinge­gen man­gels Ressourcen zur Über­forderung, wird davon auch das Krankheitsver­hal­ten neg­a­tiv bee­in­flusst. Oft ist dann Präsen­tismus die Folge. Deshalb soll­ten Unternehmen das Ziel ver­fol­gen, ihre Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er best­möglich zu unter­stützen, damit sie Auf­gaben stress­frei und eigen­ver­ant­wortlich erfüllen können.

Fair bleiben, ökonomisch erfolgreicher werden

Nicht nur die Organ­i­sa­tion der Arbeit, son­dern auch die Unternehmenssi­t­u­a­tion und ‑kul­tur ins­ge­samt kön­nen das Krankheitsver­hal­ten der Beschäftigten stark bee­in­flussen. Dazu gehört zum Beispiel der Umgang mit Krankheit, Gesund­heit und Fehlzeit­en im Unternehmen. Dro­ht beispiel­sweise kranken Mitar­beit­ern die Kündi­gung, so befürcht­en die verbleiben­den Beschäftigten beru­fliche Nachteile bei Krankmel­dun­gen. Das fördert selb­stver­ständlich die Bere­itschaft, krank zur Arbeit zu kommen.
Auch der Umgang im Unternehmen mit Fehlzeit­en zeigt unmit­tel­bare Wirkung auf das Ver­hal­ten im Krankheits­fall. Unter­suchun­gen haben beispiel­sweise ergeben, dass Präsen­tismus in solchen Unternehmen häu­figer vorkommt, in denen bei wieder­holten Krankmel­dun­gen ein Gespräch mit dem Vorge­set­zten anste­ht. Den gle­ichen Effekt haben auch betriebliche Regelun­gen, die ab dem ersten Fehlt­ag ein Attest verpflich­t­end machen. Unternehmen, die weniger einen niedri­gen Kranken­stand als vielmehr gesunde und leis­tungs­fähige Mitar­beit­er im Auge haben, ist darum beim Fehlzeit­en­man­age­ment und bei Vorge­set­ztenge­sprächen eher Sen­si­bil­ität anger­at­en denn der Auf­bau ein­er Drohkulisse. Vielle­icht soll­ten Unternehmen aus gesund­heits­förder­lich­er wie auch aus betrieb­swirtschaftlich­er Sicht tat­säch­lich darüber nach­denken, weniger Rück­kehrerge­spräche und mehr „Heimge­hge­spräche“ zu führen. So etwas funk­tion­iert erfahrungs­gemäß gut in ein­er Unternehmen­skul­tur, in der auch Ver­trauen und Fair­ness Unternehmen­sziel sind.

Mitarbeiterorientierung fördern

Kaum zu über­schätzen ist der Ein­fluss des Führungsver­hal­tens auf Gesund­heit, Wohlbefind­en und Fehlzeit­en der Beschäftigten – das ist das Ergeb­nis ein­er großan­gelegten finnis­chen Unter­suchung. Hinge­gen liegen zum unmit­tel­baren Zusam­men­hang von Führung und Präsen­tismus trotz dieses Wis­sens bis­lang nur wenige Stu­di­en vor. Allerd­ings kon­nte eine schwedis­che Unter­suchung zeigen, dass eine ger­ing eingeschätzte Integrität der Führungskraft mit hohen Präsen­tismuswerten ein­herge­ht. Dabei wurde eine geringe Integrität als ein unaufrichtiges, ungerecht­es und wenig ver­trauenswürdig emp­fun­denes Ver­hal­ten beschrieben. Bei männlichen Angestell­ten schlug sich ein autokratisch-autoritär­er Führungsstil in ein­er höheren Bere­itschaft der Beschäftigten nieder, krank am Arbeit­splatz zu erscheinen.
Die Autoren der Studie weisen zudem darauf hin, dass die Führungskraft das Krankheitsver­hal­ten der Mitar­beit­er in zweifach­er Hin­sicht bee­in­flussen kann. Ein­er­seits indi­rekt, indem sie Ein­fluss auf Gesund­heit und Wohlbefind­en der Mitar­beit­er ausübt und ander­er­seits direkt, indem sie die Entschei­dung, bei Krankheit zu Hause zu bleiben oder trotz­dem zu arbeit­en, durch ihr Ver­hal­ten und ihren Führungsstil bee­in­flusst. Die Nei­gung, krank zur Arbeit zu erscheinen, ist möglicher­weise dann beson­ders hoch, wenn krankheits­be­d­ingtes Fehlen sank­tion­iert wird oder wenn die Führungskraft selb­st bei Krankheit weit­er­ar­beit­et und die Mitar­beit­er sich dieses Ver­hal­ten zum Vor­bild nehmen. Weil Führungskräfte großen Ein­fluss auf das Krankheitsver­hal­ten ihrer Mitar­beit­er haben, sind Unternehmen gut berat­en, diese entsprechend für das The­ma Präsen­tismus zu sen­si­bil­isieren und zu schulen.

Gesundheit fördern, Leistungsfähigkeit erhalten!

Am leicht­esten lassen sich Empfehlun­gen for­mulieren, wenn es um die Präven­tion von Präsen­tismus im Sinne von Pro­duk­tiv­ität­sein­bußen durch die Leis­tung­sein­schränkun­gen kranker Mitar­beit­er geht. Hier greifen Maß­nah­men der klas­sis­chen Betrieblichen Gesund­heits­förderung. Diese haben sowohl auf Präsen­tismus wie auf krankheits­be­d­ingte Fehlzeit­en generell einen pos­i­tiv­en Ein­fluss: Bei­des nimmt ab bei wach­sender Gesund­heit auf Seit­en der Beschäftigten. Sin­nvoll sind die fol­gen­den Maßnahmen:
  • Ange­bote des betrieb­särztlichen Dienstes
  • Pro­gramme im Bere­ich der Betrieblichen Gesund­heits­förderung, wie zum Beispiel Rück­enkurse, Betrieb­ss­port, gesun­des Kan­tine­nessen, Kurse zur Stress­be­wäl­ti­gung, Kosten­beteili­gung des Arbeit­ge­bers für Mit­glied­schaften im Fit­nessstu­dio usw.
  • Entsprechende Ange­bote der Krankenkassen
  • Soge­nan­nte EAP-Pro­gramme (Employ­ee Assis­tance Pro­gram), worunter im Per­son­al­we­sen Pro­gramme zur (exter­nen) Mitar­beit­er­ber­atung ver­standen werden.

Achtsame Unternehmenskultur ist die beste Prävention!

Nach derzeit­igem Wis­sen scheint die beste Präsen­tismus­präven­tion in ein­er mitar­beit­eror­i­en­tierten Unternehmen­skul­tur zu beste­hen. Diese zeich­net sich nicht zulet­zt dadurch aus, dass hier Mitar­beit­erge­sund­heit als Voraus­set­zung für das Erre­ichen aller weit­eren Unternehmen­sziele, wie Wirtschaftlichkeit, Qual­ität, Kun­den­zufrieden­heit etc. ange­se­hen wird. Unternehmen, die das erkan­nt haben, über­prüfen zum Beispiel die Arbeit­szeitregelun­gen, das Grat­i­fika­tion­ssys­tem und auch die Führungs­grund­sätze auf ihre langfristi­gen Fol­gen für Gesund­heit und Wohlbefind­en der Beschäftigten. Grund­sät­zlich gilt: Betriebe mit ein­er funk­tion­ieren­den Gesund­heits­förderung haben Stu­di­en zufolge ein nach­weis­lich gerin­geres Präsen­tismus­niveau. Im Unternehmen gelebte gesund­heit­spoli­tis­che Grund­sätze und Ziele, die sich auch in Maß­nah­men und Pro­gram­men nieder­schla­gen, führen zu ein­er wahrnehm­baren Gesund­heit­skul­tur, die sich auf das Krankheitsver­hal­ten der Beschäftigten auswirkt.
Deshalb sind Unternehmen und Organ­i­sa­tio­nen aufge­fordert, mehr in die Gesund­heit und das Wohlbefind­en ihrer Beschäftigten zu investieren sowie eine nach­haltige Gesund­heit­skul­tur zu ver­ankern. Und das nicht allein aus ethis­ch­er Verpflich­tung, son­dern auch aus Grün­den des ökonomis­chen Eigen­in­ter­ess­es. Denn das hat die Präsen­tismus­forschung in zahlre­ichen Unter­suchun­gen und Stu­di­en ein­deutig belegt: Es existiert ein enger Zusam­men­hang zwis­chen der Gesund­heit der Beschäftigten und ihrer Pro­duk­tiv­ität. Damit sind gesunde Belegschaften eine wichtige Voraus­set­zung für wirtschaftlich gesunde und erfol­gre­iche Unternehmen.


Weit­er­führende Informationen
  • Häger­bäumer, M.: Ursachen und Fol­gen des Arbeit­ens trotz Krankheit – Imp­lika­tio­nen des Präsen­tismus für das betriebliche Fehlzeit­en- und Gesund­heits­man­age­ment, Dis­ser­ta­tion, Osnabrück 2011
  • Steinke, M.; Badu­ra, B.: Präsen­tismus. Ein Review zum Stand der Forschung, hrsg.: Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin, Dortmund/Berlin/Dresden 2011
  • Vogt J. et al: Krank bei der Arbeit: Präsen­tismus­phänomene, in: Gesund­heitsmon­i­tor 2009, Gesund­heitsver­sorgung und Gestal­tung­sop­tio­nen aus der Per­spek­tiv der Bevölkerung; hrsg. v. Jan Böck­en, Bernard Braun,. Juliane Land­mann; 2009 Ver­lag Ber­tels­mann Stiftung, Gütersloh
  • Zok, K.: Krank zur Arbeit: Ein­stel­lun­gen und Ver­hal­ten von Frauen und Män­nern beim Umgang mit Krankheit am Arbeit­splatz. In: B. Badu­ra, H. Schröder & C. Vet­ter (Hrsg.), Fehlzeit­en-Report 2007. Arbeit, Geschlecht & Gesund­heit (S . 121–144). 2008 Springer, Heidelberg
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