1 Monat GRATIS testen, danach für nur 3,90€/Monat!
Startseite » Gesundheitsschutz » Unternehmenskultur » Führung »

Wenn nur noch ökonomische Effizienz zählt

Restrukturierung von Unternehmen
Wenn nur noch ökonomische Effizienz zählt

Restruk­turierun­gen führen zu ein­schnei­den­den Verän­derun­gen. Oft­mals sind die Beschäftigten die Lei­d­tra­gen­den. Sicher­heits­beauf­tragter sprach mit Dr. Bir­git Köper von der Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin (BAuA) darüber, was Unternehmen bei den Verän­derung­sprozessen beacht­en sollten.

Was ver­ste­ht man unter „Restruk­turierung“?
Köper: In der Lit­er­atur gibt es keine knack­ige und all­ge­mein anerkan­nte Def­i­n­i­tion für Restruk­turierung oder Reor­gan­i­sa­tion. Die europäis­che Experten­gruppe zur Gesund­heit in Restruk­turierun­gen (HIRES) nen­nt beispiel­sweise unter­schiedliche Typen (siehe Kas­ten). Restruk­turierun­gen gren­zen sich aber deut­lich von kleineren Verän­derun­gen inner­halb eines Unternehmens ab. Sie sind bedeut­samer und beruhen auf strate­gis­chen Entschei­dun­gen, die die Struk­turen oder Kern­prozesse des Unternehmens oder bei­des verän­dern. Diese Verän­derun­gen führen dann auf der oper­a­tiv­en Ebene zu Neuerun­gen in den Arbeit­splatzbe­din­gun­gen, die sowohl mit pos­i­tiv­en als auch neg­a­tiv­en Aspek­ten für die Beschäftigten ein­herge­hen können.
Wodurch wer­den Restruk­turierun­gen ausgelöst?
Köper: Da gibt es zum einen die gesellschaftlichen Mega­trends wie Glob­al­isierung, Tech­nisierung, die Zunahme der IT-Möglichkeit­en und die Ten­denz ein­er stärk­er wer­den­den Ökonomisierung. Die Glob­al­isierung verän­dert die Markt- und Wet­tbe­werb­ssi­t­u­a­tion der Unternehmen. Bed­ingt durch den Konkur­ren­z­druck − auch aus Schwellen­län­dern mit niedrigeren Lohnkosten − entschei­den sich Unternehmen in immer schnellerer Abfolge zu Restruk­turierun­gen. Hinzu kom­men die vielfälti­gen tech­nis­chen Möglichkeit­en, die die Bedeu­tung von Arbeit­sort und ‑zeit rel­a­tivieren. Die Entwick­lung vom Pro­duk­tions- zum Dien­stleis­tungssek­tor etwa geht mit Per­son­alent­las­sun­gen in der Pro­duk­tion und der Notwendigkeit neuer oder ander­er Qual­i­fika­tio­nen ein­her. Zudem fokussieren Unternehmen unter Druck immer stärk­er auf die ökonomis­chen Effizienzziele − teil­weise unter Ver­nach­läs­si­gung sozialer Aufgaben.
Welche Auswirkun­gen haben die Mega­trends auf die Unternehmenswirklichkeit?
Köper: Die gesellschaftlichen Mega­trends verän­dern die Rah­menbe­din­gun­gen der Organ­i­sa­tio­nen. Zur Sicherung ihrer Markt- und Wet­tbe­werb­s­fähigkeit entschei­den sich Unternehmen beispiel­sweise für die Umstel­lung ihrer Pro­duk­t­pro­gramme oder Pro­duk­tion­sstruk­turen. Möglich ist auch, dass sie ihre Organ­i­sa­tion völ­lig neu aus­richt­en, etwa mit Ser­vice­di­en­stleis­tun­gen als neuem Kerngeschäft, um ihren zukün­fti­gen Erfolg zu sich­ern. Wenn Betriebe jedoch lange Zeit die Her­aus­forderun­gen des Wet­tbe­werbs ignori­ert haben oder wenn es auf dem Markt zu plöt­zlichen Änderun­gen kommt, kön­nen Restruk­turierun­gen auch sehr abrupt sein und drastisch aus­fall­en. Dann sind Unternehmen in der Sit­u­a­tion, dass sie schnell Ver­luste oder gar die Insol­venz abwen­den müssen. In solchen Sit­u­a­tio­nen bleibt keine Zeit, den Reor­gan­i­sa­tion­sprozess plan­voll anzuge­hen oder die Mitar­beit­er in die Pla­nung der Verän­derun­gen einzubeziehen.
Welche Gründe geben die Unternehmen selb­st für Restruk­turierun­gen an?
Köper: Auf die Frage, warum Unternehmen reor­gan­isieren, nen­nen Geschäft­sleitun­gen die Ziele Kostensenkung und Pro­duk­tiv­itätssteigerung, Kosten­flex­i­bil­isierung oder die strate­gis­che Anpas­sung des Geschäftsmod­ells. Die ersten bei­den und wichtig­sten Nen­nun­gen machen deut­lich, dass es vor allem um Effizienz geht.
Welche Auswirkun­gen haben Restruk­turierun­gen auf die Arbeit­sprozesse und die Belegschaft?
Köper: Am Anfang ste­ht die strate­gis­che Entschei­dung des oberen Man­age­ments zur Restruk­turierung. Im Hin­blick auf die Zielset­zung dieser Entschei­dung wer­den dann Arbeitssi­t­u­a­tio­nen neu definiert und es kommt zu verän­derten Belas­tun­gen und Anforderun­gen. Diese kön­nen von den Mitar­beit­ern pos­i­tiv als Her­aus­forderung angenom­men oder als Unsicher­heit und Druck wahrgenom­men wer­den. In der Folge kön­nen sich die Ein­stel­lung zur Arbeit, das Arbeitsver­hal­ten, das Stressempfind­en und auch die Gesund­heit der Beschäftigten verän­dern. So haben Mitar­beit­er­be­fra­gun­gen − inter­na­tion­al wie nation­al − ergeben, dass die psy­chis­chen Belas­tun­gen in reor­gan­isierten Unternehmen höher sind als in nicht reor­gan­isierten Unternehmen. Betrof­fene kla­gen oft­mals über Ter­min- und Leis­tungs­druck, Unter­brechun­gen und Multitasking.
Wie äußert sich der Ein­fluss von Restruk­turierun­gen auf die Moti­va­tion der Belegschaft?
Köper: Die Lit­er­atur zeigt, dass die Bindung an die Organ­i­sa­tion in restruk­turi­erten Unternehmen abn­immt und die Kündi­gungsab­sicht­en der Beschäftigten zunehmen. Zudem ver­ringert sich die Iden­ti­fika­tion mit der Tätigkeit oder der Organ­i­sa­tion, die Arbeit­szufrieden­heit nimmt ab und die Wahrnehmung der organ­i­sa­tionalen Gerechtigkeit kann sich verän­dern, was sich let­z­tendlich auf Stress und Gesund­heit auswirken kann. Häu­fig wer­den dann die erhofften Effizienzziele der durchge­führten Reor­gan­i­sa­tion nicht erre­icht. Stu­di­en zum Erfolg von Restruk­turierun­gen gehen davon aus, dass etwa zwei Drit­tel der Maß­nah­men ihre Ziele verfehlen.
Haben Restruk­turierun­gen Ein­fluss auf die Gesund­heit der Beschäftigten?
Köper: Ver­schiedene Befra­gun­gen haben ergeben, dass in reor­gan­isierten Unternehmen mehr Beschäftigte über Gesund­heit­sprob­leme kla­gen als in nicht reor­gan­isierten. Je umfan­gre­ich­er die Verän­derun­gen aus­fall­en, desto schlechter schätzen die Beschäftigten ihre eigene Gesund­heit ein. Die Betrof­fe­nen lei­den vor allem unter psy­cho­so­ma­tis­chen Beschw­er­den wie Erschöp­fung, Ermü­dung, ver­min­dert­er Schlafqual­ität und Stress. Zudem bericht­en sie von Herz-Kreis­lauf- und Muskel-Skelett-Erkrankun­gen. Einige reagieren auf den Druck und die verän­derten Anforderun­gen mit erhöhtem Tabak‑, Alko­hol- oder Drogenkonsum.
Was sollte die Unternehmensleitung bei bevorste­hen­den Restruk­turierun­gen beachten?
Köper: Unternehmen benöti­gen einen sys­tem­a­tis­chen und plan­vollen Ansatz, der die Verän­derun­gen in die Unternehmensstrate­gie aufn­immt und dabei die Mitar­beit­er­per­spek­tiv­en sowie deren Gesund­heit berück­sichtigt. Zudem soll­ten Betriebe ihre Beschäftigten und Führungskräfte durch per­ma­nente Qual­i­fika­tion auf den Umgang mit den Verän­derung­sprozessen vor­bere­it­en. Dann ver­fü­gen sie über bessere Ressourcen und kön­nen flex­i­bler reagieren.
Wie kann und muss die Belegschaft in die Gestal­tung von Restruk­turierun­gen ein­be­zo­gen werden?
Köper: Hier kann man zwis­chen zwei Ebe­nen unter­schei­den. Auf der geset­zlichen Ebene regeln das Betrieb­sver­fas­sungs­ge­setz und das Per­son­alvertre­tungs­ge­setz ein­deutig, dass Arbeit­nehmervertre­tun­gen bei gravieren­den betrieblichen Verän­derun­gen infor­ma­tions- und mitbes­tim­mungs­berechtigt sind. Die zweite Ebene meint die oper­a­tive Beteili­gung der Mitar­beit­er in den Verän­derun­gen. Hier ist das Prinzip der offe­nen und trans­par­enten Kom­mu­nika­tion sowohl über die Ziele der Verän­derungs­maß­nah­men als auch über den Prozess wichtig wie auch die Ver­mit­tlung von Fair­ness und die Berück­sich­ti­gung der Sor­gen und Anre­gun­gen der Mitarbeiter.
Welche Rolle nehmen Führungskräfte bei Restruk­turierun­gen ein?
Köper: Führungskräfte nehmen bei der Restruk­turierung eine zen­trale Funk­tion ein. Lei­der sind sie oft­mals nicht gut auf ihre belas­ten­den Auf­gaben in den Verän­derung­sprozessen vor­bere­it­et. Sie sind es let­ztlich, die Entschei­dun­gen, die auf höch­ster Ebene getrof­fen wer­den, umset­zen. Dabei müssen sie sowohl die Unternehmen­sziele als auch die Wider­stände der Beschäftigten, deren emo­tionale Befind­lichkeit­en und Gesund­heit im Blick haben. Nicht sel­ten han­deln sie bei der Umset­zung der Restruk­turierungsentschei­dun­gen gegen ihre eigene Überzeu­gung. Als hil­fre­ich in dem Prozess der oper­a­tiv­en Umset­zung von Verän­derun­gen haben sich bes­timmte Prinzip­i­en ein­er „gesun­den Anpas­sung“ erwiesen. Dazu gehört das Bewusst­sein, dass Men­schen sehr unter­schiedlich auf Verän­derun­gen und neue Anforderun­gen reagieren, die Ver­füg­barkeit für per­sön­liche Gespräche, der kon­struk­tive Umgang mit Kon­flik­ten, die Ein­sicht in die Nor­mal­ität von Wider­stän­den und die möglichst frühzeit­ige Klärung neuer Rollen und Aufgaben.
Unter­schei­den sich die Restruk­turierun­gen in der freien Wirtschaft und im öffentlichen Dienst?
Köper: Ja und Nein. Im Öffentlichen Dienst wer­den Restruk­turierun­gen häu­fig durch poli­tis­che Entschei­dun­gen aus­gelöst. So haben beispiel­sweise die ver­schiede­nen geset­zlichen Gesund­heit­sre­for­men zu ein­schnei­den­den Verän­derun­gen im Gesund­heits­bere­ich geführt mit der Folge von Pri­vatisierun­gen, neuen Man­age­ment- und Steuerungssys­te­men und mehr Effizien­z­er­fordernissen. Im Öffentlichen Dienst wer­den zwar Beschäftigte sel­ten ent­lassen, aber die Arbeitsver­hält­nisse haben sich etwa durch die Ten­denz, Beschäftigte nur noch befris­tet einzustellen, auch hier verändert
Gibt es einen Unter­schied, was die Häu­figkeit der Restruk­turierun­gen und ihre Auswirkun­gen auf die Belegschaft anbelangt?
Köper: Nein, da gibt es keinen Unter­schied zwis­chen den bei­den Bere­ichen. Etwa die Hälfte der Mitar­beit­er im öffentlichen Dienst ist von Restruk­turierun­gen betrof­fen. Dieses Ergeb­nis ist ver­gle­ich­bar mit den Erfahrun­gen der Beschäftigten in der Indus­trie. Hin­sichtlich des Metaprinzips „Effizienz“ und den Auswirkun­gen auf die Belegschaft unter­schei­den sich Restruk­turierun­gen im Öffentlichen Dienst eben­falls nicht von denen in der freien Wirtschaft. In bei­den Bere­ichen erleben die Beschäftigten die gle­ichen Verän­derun­gen und lei­den unter den gle­ichen gesund­heitlichen Belastungen.
Das Inter­view führte Nadine Röser.
Unsere Webi­nar-Empfehlung
Newsletter

Jet­zt unseren Newslet­ter abonnieren

Webinar-Aufzeichnungen

Webcast

Jobs
Sicherheitsbeauftragter
Titelbild Sicherheitsbeauftragter 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Sicherheitsingenieur
Titelbild Sicherheitsingenieur 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Special
Titelbild  Spezial zur A+A 2023
Spezial zur A+A 2023
Download

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de