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Isolation gut überstehen: Zehn Tipps von Prof. Dr. Stephan Mühlig

Zehn Tipps von Prof. Dr. Stephan Mühlig von der TU Chemnitz
Isolation gut überstehen

Isolation gut überstehen
Eine längere Isolation kann auf das Gemüt schlagen. Foto: TheVisualsYouNeed - stock.adobe.com

Viele Einzelper­so­n­en, Paare oder Fam­i­lien befind­en sich im Zuge der Coro­na-Krise seit Tagen oder Wochen in häus­lich­er Quar­an­täne oder Iso­la­tion. Doch wie lässt sich ver­hin­dern, dass einem daheim „die Decke auf den Kopf fällt“? Prof. Dr. Stephan Müh­lig von der Tech­nis­chen Uni­ver­sität Chem­nitz hat zehn Tipps zusam­mengestellt, wie Men­schen in dieser unge­wohn­ten Sit­u­a­tion psy­chisch, sozial und kör­per­lich gesund bleiben. 

 

Der Inhab­er der Pro­fes­sur für Klin­is­che Psy­cholo­gie und Psy­chother­a­pie an der TU Chem­nitz emp­fiehlt dazu folgendes:

  1. Tagesrhythmus beibehalten

Behal­ten Sie einen regelmäßi­gen Tages­rhyth­mus mit fes­ten Aufsteh‑, Arbeits- und Schlafen­szeit­en auch im Home-Office oder Home­school­ing bei. Dies schafft eine regelmäßige Tagesstruk­tur und begün­stigt die emo­tionale Sta­bil­ität. Acht­en Sie darauf, dass auch die Kinder eine angemessene Tagesstruk­tur aufrechter­hal­ten, auch wenn sie nicht zur gle­ichen Zeit geweckt wer­den müssen wie zur ersten Schul­stunde. Schulkindern sollte dabei geholfen wer­den, die über­mit­tel­ten Schu­lauf­gaben zu struk­turi­eren und in sin­nvollen „Por­tio­nen“ zu bear­beit­en. Andern­falls fühlen sich viele Kinder durch die unge­wohnte Menge an Auf­gaben, die von den Lehrern „geballt“ für eine Woche oder länger über­mit­telt wer­den, regel­recht „erschla­gen“ und reagieren mit Verängs­ti­gung, Stress und Widerstand.

Ger­ade für beruf­stätige Allein­erziehende kommt es unter den gegebe­nen Bedin­gun­gen zu ein­er akuten Dop­pel­be­las­tung zwis­chen Home-Office-Beanspruchung und gle­ichzeit­iger Kinder­be­treu­ung im eige­nen Haushalt. Im Zweifels­fall sollte die Für­sorge für kleine Kinder Vor­rang vor den beru­flichen Auf­gaben haben. Um eine angemessene Bal­ance zu erzie­len, soll­ten Home-Office-Auf­gaben tageszeitlich so einge­tak­tet wer­den (zum Beispiel in die Abend­stun­den ver­legt), dass sie sich mit der Kleinkinder­be­treu­ung vere­in­baren lassen. Arbeit­ge­ber und Vorge­set­zte sind gefordert, unter den Aus­nah­mebe­din­gun­gen Ver­ständ­nis zu zeigen und Zugeständ­nisse an die Arbeit­sleis­tung der Mitar­beit­er zu machen.

  1. Bewegung an der frischen Luft

Sofern möglich und erlaubt, sollte man Spaziergänge im Freien allein oder mit Fam­i­lien­ange­höri­gen unternehmen. Bewe­gung und frische Luft kommt der kör­per­lichen wie der psy­chis­chen Gesund­heit zugute, das Immun­sys­tem wird angeregt. Wird die Lunge durch mod­er­ate Anstren­gung belüftet, ist sie bess­er durch­blutet, was wiederum die Infek­tab­wehr (auch gegen SARS-CoV­‑2) unter­stützt. Ein zumin­d­est kurzzeit­iger Ortswech­sel ver­hin­dert die Reiz­mo­not­o­nie in den eige­nen vier Wän­den und steigert das Wohlbefind­en. Ger­ade Kinder brauchen Zeit und Gele­gen­heit zum Toben an der frischen Luft, allerd­ings vor­erst nicht mit Kindern aus anderen Fam­i­lien. Dies muss ihnen erk­lärt und gegen alles „Quen­geln“ durchge­set­zt werden.

  1. Trainingsplan für die sportliche Betätigung zu Hause erarbeiten

Auch sportliche Betä­ti­gung im eige­nen Zuhause trägt zur Gesun­der­hal­tung bei und verbessert die Leben­squal­ität. Stellen Sie sich einen Indoor-Train­ings­plan zusam­men und kom­men Sie min­destens 15 bis 30 Minuten täglich in Bewe­gung, möglichst unter guter Raum­belüf­tung Ein­fach und hil­fre­ich sind beispiel­sweise Seil­sprin­gen (mit oder ohne Seil), Kniebeu­gen, Liegestütze, Sit-ups (Rumpf­beu­gen) etc. oder auch Yoga und Tai-Chi. Im Inter­net find­en Sie zahlre­iche, auch wis­senschaftlich getestete Indoor-Train­ing­spro­gramme für unter­schiedliche Altersstufen und Train­ings­grade. Regelmäßige mod­er­ate sportliche Beanspruchung (bis zum leicht­en Schwitzen) sta­bil­isiert das Herz-Kreis­lauf-Sys­tem, die Immunab­wehr, aber auch das psy­chis­che Wohlbefind­en und dient dem Span­nungs- und Stressabbau.

  1. Zur Stärkung des Immunsystems auf Zigaretten und Alkohol verzichten

Wer raucht, sollte schnell­st­möglich damit aufhören. Eine vorgeschädigte oder akut gereizte Lunge ist wahrschein­lich mit einem erhöht­en Risiko für einen schw­eren Krankheitsver­lauf ver­bun­den, falls Rauch­er sich infizieren und erkranken soll­ten. Auch Alko­holkon­sum ist nicht hil­fre­ich. Alko­hol tötet Viren nur im Reagen­z­glas. Alko­hol in der Blut­bahn schützt hinge­gen nicht vor ein­er Virus­in­fek­tion, stört aber das Immun­sys­tem. Dies gilt auch für andere Drogen.

  1. Soziale Kontakte über Internet und Telefon pflegen

Es fällt vie­len Men­schen extrem schw­er, über län­gere Zeit ihre sozialen Kon­tak­te auszuset­zen, nicht unter Leute gehen zu dür­fen. Wir sind soziale Wesen und brauchen den Kon­takt und Aus­tausch mit anderen. Ger­ade der physis­che Kon­takt, die kör­per­liche Nähe zu unserem sozialen Umfeld (außer­halb des eige­nen Haushalts) ist aber in der aktuellen Sit­u­a­tion mit größter Kon­se­quenz zu ver­mei­den. Beson­ders für Allein­lebende ist dies möglicher­weise eine sehr schwierige Sit­u­a­tion, die sie für eine begren­zte Zeit bewälti­gen müssen. Dabei ist es wichtig für das emo­tionale Gle­ichgewicht, sich klar zu machen, dass der Aus­nah­mezu­s­tand zeitlich über­schaubar bleibt.

Zum Glück kön­nen wir aber heute auf die sozialen Medi­en auswe­ichen. Im Gegen­satz zu früheren Gen­er­a­tio­nen sind fast alle Men­schen in Deutsch­land und sog­ar weltweit über das Inter­net miteinan­der ver­bun­den. Wir kön­nen uns in Echtzeit schreiben beziehungsweise chat­ten, tele­fonieren und uns per Videochat sehen und unter­hal­ten – fast als säßen wir uns gegenüber. Man sollte diese Möglichkeit­en voll aus­nutzen, Kon­takt hal­ten und den Aus­tausch mit möglichst vie­len Ange­höri­gen, Fre­un­den und Bekan­nten über Social Media suchen. In ein­er schwieri­gen Sit­u­a­tion kann man sich über Erfahrun­gen aus­tauschen und sich gegen­seit­ig unter­stützen. Man sollte auch daran denken, sich proak­tiv bei allein­leben­den Men­schen zu melden, um deren Vere­in­samungser­leben zu lindern.

  1. Sinnvolle und abwechslungsreiche Beschäftigungen suchen

Auch unter Iso­la­tions­be­din­gun­gen zu Hause kann man sich sin­nvoll beschäfti­gen, zum Beispiel Dinge ange­hen, die man schon immer mal erledi­gen wollte, wie etwa Ord­nung schaf­fen, die Woh­nung „aus­mis­ten“ beziehungsweise neu gestal­ten, die Fest­plat­te aufräu­men, Fotos archivieren, Unter­hal­tungsspiele mit der Fam­i­lie spie­len oder mal wieder ein Buch lesen. Fernse­hen, Com­put­er­spiele, Net­flix-Stream­ing etc. dienen der Ablenkung und sind selb­stver­ständlich möglich. Falls sich die Iso­la­tion über mehrere Wochen hinziehen sollte, ist pas­sive Unter­hal­tung oder Videospie­len aber zu ein­seit­ig. Wichtig für die emo­tionale Sta­bil­ität ist es, sich Auf­gaben zu suchen, mit denen man in der Wartezeit pro­duk­tiv bleiben kann. Man sollte zudem bedenken, dass stun­den­langes Strea­men von Spielfil­men und Serien oder ähn­liche hohe Daten­men­genüber­tra­gun­gen zu Freizeitzweck­en möglicher­weise die Net­ze über­lastet und den gesellschaftlich Date­naus­tausch für Home-Office-Tätigkeit­en, die für das Funk­tion­ieren unser­er Wirtschaft und Gesellschaft unverzicht­bar sind, stark beein­trächti­gen können.

  1. Balance zwischen Zusammensein und Für-sich-sein-Können finden

Beim engen Zusam­men­leben unter einem Dach über län­gere Zeit kommt es häu­fig dazu, dass uns „die Anderen“ auf die Ner­ven gehen, man sich selb­st über Kleinigkeit­en extrem ärg­ern kann und schnell Kon­flik­te und Stre­it entste­hen. Hier gilt es, eine gute Bal­ance zwis­chen Zusam­men­sein und Für-sich-sein-Kön­nen zu find­en. Dazu zählt in erster Lin­ie, die eigene Pri­vat­sphäre zu schützen und die der anderen zu respek­tieren. Jedem Haushaltsmit­glied müssen Rück­zugsräume und ‑möglichkeit­en geschaf­fen und erhal­ten werden.

  1. Regeln für das Zusammenleben im Haushalt finden

Manche ken­nen es aus WG-Zeit­en: Zu gegen­seit­iger Rück­sicht­nahme gehört auch, eine gemein­same Ord­nung im Haushalt und Regeln des Zusam­men­lebens zu find­en. Wenn alle mehr Rück­sicht aufeinan­der nehmen, gibt es weniger Anlass zum Stre­it. Wenn man sich nicht aus dem Weg gehen kann, sollte man Kon­flik­te ver­mei­den oder schnell regeln. Für ein angenehmes Zusam­men­leben ist es auch hil­fre­ich, einige Aktiv­itäten mit allen Haushaltsmit­gliedern regelmäßig gemein­sam zu machen, zum Beispiel das Rit­u­al gemein­samer Mahlzeit­en, aber auch gemein­same Freizeitak­tiv­itäten (Gesellschaftsspiele, Bas­ten, Puzzeln etc.). Die Zeit für sich sel­ber kann man – statt auss­chließlich mit Medi­enkon­sum und Ablenkung – auch sin­nvoll nutzen, indem man gezielt etwas für den eige­nen Geist tut, zum Beispiel durch Entspan­nung, Med­i­ta­tion oder Musikhören beziehungsweise eigenes Musizieren oder Singen.

  1. Auf seriöse Informationsquellen achten

Es ist wichtig und möglich, nicht den Kopf zu ver­lieren. Ein­er­seits soll­ten alle den Ernst der Lage erken­nen und sich entsprechend ver­hal­ten. Ander­er­seits gibt es trotz allem keinen Grund, in Panik zu ver­fall­en. Wir leben in einem reichen Land mit vie­len Ressourcen und wer­den diese Krise let­ztlich durch­ste­hen. Eine sach­liche und vernün­ftige Ein­schätzung der Lage hil­ft dabei, sich nicht zu viele Sor­gen zu machen und Zuver­sicht zu bewahren.

Zu ein­er kon­struk­tiv­en Bewäl­ti­gung gehört, sich aus­re­ichend und kor­rekt zu informieren. Hal­ten Sie sich täglich auf dem Laufend­en, aber acht­en Sie auf die Seriosität Ihrer Infor­ma­tion­squellen. Sie kön­nen hierzu ins­beson­dere auf Infor­ma­tio­nen der Bun­des- und Lan­desregierung sowie des Robert Koch-Insti­tuts zurück­greifen. Lei­der kur­sieren im Inter­net zahlre­iche Falschin­for­ma­tio­nen und Ver­schwörungs­the­o­rien, mit denen sich einige skru­pel­lose Per­so­n­en wichtig­machen oder sog­ar Geld ver­di­enen. Diese Fake News ver­führen zu falschen Ein­schätzun­gen und falschem Han­deln. Sie sind insofern gefährlich, weil Nicht­beach­tung von Sicher­heit­sempfehlun­gen uns alle gefährdet. Den Kindern sollte man die Lage in alters­gerechter Sprache erläutern, ohne sie zu über­fordern oder zu ängsti­gen. Die Botschaft sollte sein: Alles wird wieder gut, wir schaf­fen das!

  1. Bei Überforderung Hilfe suchen

Wer den Ein­druck hat, trotz alle­dem mit der Sit­u­a­tion über­fordert zu sein, oder beispiel­sweise unter Angstzustän­den, Unruhe, stark­er Anspan­nung, Über­ak­tiv­ität, Gereiztheit, aggres­siv­en Aus­brüchen oder aus­geprägter Niedergeschla­gen­heit lei­det, sollte rechtzeit­ig mit dem pro­fes­sionellen Hil­fesys­tem Kon­takt per Tele­fon oder E‑Mail aufnehmen. Dies kön­nen zum Beispiel Beratungsstellen bei den Krankenkassen, das Sor­gen­tele­fon oder psy­chother­a­peutis­che Beratungsstellen sein.

Tele­fon­seel­sorge: 116123, 0800 1110111, 0800 1110222 (alle gebührenfrei)
Hil­fetele­fon “Gewalt gegen Frauen”: 0800 0116016 (gebühren­frei)
Info-Tele­fon Depres­sion: 0800 3344533 (gebühren­frei)

www.lia.nrw.de

 

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