Im Frühjahr 2022 ist es wieder soweit: Von März bis Mai wird in vielen deutschen Unternehmen die betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neu gewählt. Da die Betriebsratswahlen seit 1990 stattfinden und die Amtszeit eines Betriebsrats üblicherweise 4 Jahre beträgt, stehen 2022 Neuwahlen an. Welche Rechte, aber auch Pflichten gewählte Betriebs- und Personalräte hinsichtlich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ihres Unternehmens haben, erläutert der folgende Beitrag.
Ab fünf Mitarbeitern dürfen Arbeitnehmer einen Betriebsrat wählen. In Deutschland wird fast jeder zweite in der Privatwirtschaft Beschäftige durch eine Arbeitnehmervertretung repräsentiert. Im öffentlichen Dienst – hier wird die Interessenvertretung Personalrat genannt – betrifft dies etwa 9 von 10 Beschäftigten. Betriebliche Arbeitsschützer sollten wissen, dass der Arbeitsschutz und seit der Reform des BetrVG in 2001 auch der betriebliche Umweltschutz explizit als Aufgaben des Betriebsrates anerkannt sind.
Rechtsgrundlagen
Die rechtlichen Vorgaben zur Mitwirkung von Betriebsräten im Arbeits- und Gesundheitsschutz sind nicht an zentraler Stelle definiert. Um ein Gesamtbild zu erhalten, muss man die Bestimmungen aus unterschiedlichen Rechtsbereichen zusammentragen. Dazu gehören
- das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG),
- das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG),
- das Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sowie
- die Personalvertretungsgesetze der Länder (LPVG, zum Beispiel für Nordrhein-Westfalen oder Sachsen).
Mitbestimmungsrechte beim Verhüten von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
Laut BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 7 hat der Betriebsrat mitzubestimmen unter anderem bei den „Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz (…) oder der Unfallverhütungsvorschriften“. Mitbestimmung bedeutet nicht, dass der Betriebsrat gesetzliche Vorgaben aushebeln oder ein Aufweichen von unliebsamen Vorschriften verlangen könnte. Er soll seine Mitwirkung ausdrücklich „im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften“ ausüben. Doch immer dann, wenn im Arbeits- und Gesundheitsschutz gesetzlich vorgeschriebene Ziele erreicht werden müssen und zwingende konkrete Vorgaben fehlen, muss ein Unternehmen innerbetriebliche Regelungen schaffen, und dann greift die Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter.
Die Gerichte haben diese Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in den letzten Jahren wiederholt gestärkt, so zum Beispiel das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit zwei Entscheidungen in 2004 (ABR 13/03, 1 ABR 4/03.). Weitere Urteile von 2008 (9 AZR 1117/06), 2017 (1 ABR 25/15) und 2019 (1 ABR 6/18) bestätigten diese Sicht. Die Richter hielten unter anderem fest, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Durchführen von Gefährdungsbeurteilungen der Mitbestimmung unterliegt und ebenso die auf den Arbeitsplatz bezogenen Unterweisungen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Arbeitgeber, die ihren Betriebsrat von Gefährdungsbeurteilungen ausschließen und ihm zum Beispiel relevante Informationen vorenthalten, begehen eine grobe Pflichtverletzung.
Ein möglicher Konfliktfall wäre zum Beispiel eine Gefährdungsbeurteilung zu psychischen Fehlbelastungen. Auch wenn Vorbehalte bestehen, darf der Betriebsrat eine solche Gefährdungsbeurteilung nicht ablehnen. Aber er darf mitreden, wenn es um die konkrete betriebsspezifische Ausgestaltung geht, zum Beispiel welche Erhebungsinstrumente und Beurteilungsverfahren genutzt werden oder welche Fragebögen oder Checklisten zum Einsatz kommen.
Pflicht zur Überwachung und Unterstützung des betrieblichen Arbeitsschutzes
Gemäß BetrVG § 80 Abs. 1 hat der Betriebsrat unter anderem darüber zu wachen, „dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden.“ Zusätzlich zu dieser eher passiv klingenden Aufgabe fordert das BetrVG in § 89 den Betriebsrat zur aktiven Mitarbeit im Arbeitsschutz auf. Er soll
- „sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb sowie über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden“ und
- die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden und die Unfallversicherungsträger „durch Anregung, Beratung und Auskunft unterstützen“.
Die Mitwirkung im Arbeitsschutz gilt in gleicher Weise auch für die Vertreter der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Die Personalvertretungsgesetze der Länder (LPVG), welche die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten von Personalräten und Auszubildendenvertretungen im öffentlichen Dienst regeln, enthalten ebenfalls Bezüge zum Arbeitsschutz. So nennt zum Beispiel das LPVG für Baden-Württemberg in § 70 unter den Aufgaben der Personalvertreter:
- darüber zu wachen, dass die Unfallverhütungsvorschriften und sonstigen Arbeitsschutzvorschriften durchgeführt werden
- auf die Verhütung von Unfall- und Gesundheitsgefahren zu achten
- die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, Unfallversicherungsträger „durch Anregungen, Beratung und Auskunft bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren zu unterstützen“
Die Formulierungsähnlichkeiten zum BetrVG sind nicht zufällig. Denn für Personalräte gelten im Arbeitsschutz Befugnisse, Rechte und Pflichten gleichermaßen wie für Betriebsräte.
Informationsrechte bei Arbeitsschutzfragen, Unfalluntersuchungen und Planungen
Damit Betriebs- und Personalräte ihre Aufgaben im Arbeitsschutz wahrnehmen können, dürfen die relevanten Informationsflüsse, insbesondere zwischen Dienststelle beziehungsweise Unternehmen und den Behörden, Berufsgenossenschaften und Unfallkassen nicht an ihnen vorbei gehen. Daher verpflichtet das LPVG für Baden-Württemberg in § 71 die Dienststelle, die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden und die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, „bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen“ die jeweils betroffene Personalvertretung hinzuzuziehen. Die Dienststelle hat zudem die Pflicht, der Personalvertretung unverzüglich den Arbeitsschutz oder die Unfallverhütung betreffende Auflagen und Anordnungen mitzuteilen.
Dass die Arbeitnehmervertretungen in den Informationsfluss des Arbeitsschutzgeschehens eingebunden werden sollen, wird auch im SGB VII deutlich. § 193 Abs. 5 verlangt, dass jede Unfallanzeige des Arbeitgebers an die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse vom Betriebs- oder Personalrat mitunterzeichnet werden muss. Somit sollen Betriebs- und Personalräte stets das Arbeitsunfallgeschehen mitverfolgen können.
Weitergehende Unterrichtungs- und Beratungsrechte nennt das BetrVG in § 90. Danach soll der Arbeitgeber den Betriebsrat über Planungen rechtzeitig und mit den erforderlichen Unterlagen unterrichten. Das betrifft nicht nur Bauvorhaben, sondern auch Planungen zu betrieblichen Räumen, technischen Anlagen, Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen und kann daher hochgradig arbeitsschutzrelevant sein. Die Auswirkungen auf die Arbeit der Mitarbeiter sollen gemeinsam beraten und etwaige Bedenken des Betriebsrats berücksichtig werden. Als maßgebliche Orientierung werden die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit genannt.
Das Verhältnis des Betriebsrats zu Sifa und Betriebsarzt
Das ASiG fordert in § 9 „Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat“ die Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Sifa) und die Betriebsärzte auf,
- beim Erfüllen ihrer Aufgaben mit dem Betriebsrat zusammenzuarbeiten,
- den Betriebsrat über wichtige Angelegenheiten des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu unterrichten und
- den Betriebsrat auf sein Verlangen in Angelegenheiten des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu
Noch deutlicher wird die Einflussmöglichkeit der Arbeitnehmervertreter im letzten Satz von § 9 ASiG. Danach sind die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit „mit Zustimmung des Betriebsrats zu bestellen und abzuberufen“. Dies gilt nicht nur für die Bestellung betriebseigener Mitarbeiter, sondern auch, wenn das Unternehmen einen externen Dienstleister mit der sicherheitstechnischen oder betriebsärztlichen Betreuung beauftragen will. Vor einer solchen Beauftragung wie auch bei Kündigung einer derartigen Zusammenarbeit muss der Betriebsrat gehört werden. Auch zu diesem Aspekt finden sich analoge Formulierungen in den LPVG für den öffentlichen Dienst.
Die Sifa ist aufgerufen, nicht darauf zu warten, dass die Arbeitnehmervertreter eine Information anfordern, sondern die Betriebs- oder Personalräte von sich aus einzubinden. Ob die Untersuchung eines Arbeitsunfalls oder die Planungen eines Aktionstages, ob Einführung eines Gesundheitsmanagements oder Vorbereitung einer Impfaktion – Je eher und transparenter die betrieblichen Arbeitsschutzakteure die Interessenvertretung der Beschäftigten einbeziehen, desto eher werden die Projekte akzeptiert und erfolgreich umgesetzt.
Das ASiG richtet sich in § 12 überdies an die Arbeitsschutzbehörden und bestimmt, dass die zuständige Behörde vor einer Anordnung nicht nur den Arbeitgeber, sondern auch den Betriebsrat hören und mit ihm erörtern muss, welche Maßnahmen angebracht erscheinen. Trifft die Behörde eine Anordnung zum Arbeits- oder Gesundheitsschutz, richtet diese sich zwar an den Arbeitgeber, aber die Behörde muss ebenso den Betriebsrat über das Vorgehen schriftlich in Kenntnis setzen.
Der Betriebsrat im Arbeitsschutzausschuss
Eine besondere Rolle bei den Mitwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmervertretung im Arbeitsschutz spielt der Arbeitsschutzausschuss (ASA). Denn neben dem Unternehmer, dem Betriebsarzt, der Sifa, Sicherheitsbeauftragten und Schwerbehindertenvertretern nehmen auch zwei Mitglieder der Arbeitnehmer- beziehungsweise Personalvertretung an ASA-Sitzungen teil. Somit haben Betriebs- und Personalräte mindestens vierteljährlich die Chance, ihre Vorstellung für eine Verbesserung von Arbeits- und Gesundheitsschutz als Tagesordnungspunkt einzubringen und zu diskutieren.
Betriebsvereinbarungen und Dienstvereinbarungen
Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sind Verträge auf Unternehmensebene, die zwischen Arbeitgeber und Betriebs- beziehungsweise Personalrat ausgehandelt werden. Ihr Erstellen ist zwar freiwillig, aber sind sie einmal vereinbart, gelten sie als verbindliche Normen für alle Beschäftigten des Unternehmens oder der Behörde. Für Betriebsräte gut zu wissen ist, dass sie hier ein Initiativrecht haben. Sie dürfen zu allen betrieblichen Aspekten, bei denen ihnen ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht zusteht, eigene Vorschläge für Betriebsvereinbarungen machen.
Das können auch innerbetriebliche Regelungen sein, die direkt oder indirekt den Arbeits- und Gesundheitsschutz betreffen, etwa Vereinbarungen zu flexiblen Arbeitszeiten, zum Alkoholkonsum im Betrieb, zum Umgang mit Mobbing oder zur betrieblichen Gesundheitsförderung. Auch das Vorgehen, die Methodik und die Instrumente beim Durchführen von Gefährdungsbeurteilungen können durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden.
Sicherheitsmangel erkannt? Diese Optionen hat der Betriebsrat
Wird der Arbeitnehmervertretung ein Versäumnis beim Umsetzen von Arbeitsschutzvorschriften bekannt, hat sie nicht die Möglichkeit, eigenständig einen Sicherheitsmangel beheben zu lassen. Ein Betriebsrat dürfte zum Beispiel nicht – gut gemeint, aber in eigener Regie – eine benötigte Schutzausrüstung anschaffen und anschließend dem Arbeitgeber in Rechnung stellen. Doch Betriebs- und Personalräte haben in solchen Fällen andere Optionen:
- den zuständigen Vorgesetzten ansprechen, auf den Missstand aufmerksam machen und die möglichen Hintergründe erfragen
- den Sicherheitsmangel in schriftlicher Form an die verantwortlichen Vorgesetzten und Führungskräfte (Meister, Schichtleiter, Abteilungsleiter usw.) melden
- sich an die Sifa und den Betriebsarzt wenden
- den Sicherheitsaspekt beziehungsweise den innerbetrieblichen Umgang damit auf die Tagesordnung der nächsten ASA-Sitzung setzen
Führen diese Schritte nicht zum Abstellen des Sicherheitsmangels, bleibt notfalls die Option, sich an die zuständige Arbeitsschutzbehörde, Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse zu wenden. Dieses Recht steht laut Arbeitsschutzgesetz § 17 Abs. 2 jedem Beschäftigten zu. Dem meldenden Mitarbeiter – ob Betriebsrat oder nicht – darf daraus kein Nachteil entstehen. In kritischen Fällen kann eine Meldung auch anonym erfolgen. Auch dann muss die Behörde der Sache nachgehen.
Auch unabhängig von einem konkreten Sicherheitsmangel kann und sollte der Betriebsrat initiativ werden, wenn im Unternehmen Arbeitsschutzvorgaben ignoriert werden. Das betrifft zum Beispiel Betriebe, in denen – kaum zu glauben, aber es kommt noch vor – keine Gefährdungsbeurteilungen stattfinden. Aufgabe der Arbeitnehmervertreter wäre es in diesem Fall, den Unternehmer und Arbeitgeber auf seine Pflichten hinweisen und dies schriftlich zu dokumentieren.
Fazit
Ein betrieblicher Arbeitsschutz auf hohem Niveau gelingt nur, wenn Arbeitgeber und Führungskräfte – unterstützt durch Sifa und Betriebsarzt – gemeinsam mit den Beschäftigen und ihren Interessenvertretern an einem Strang ziehen. Daher hat der Gesetzgeber die Befugnisse und Pflichten von Betriebs- und Personalräten auch auf den Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz bezogen.
Engagierte Betriebs- und Personalräte können dabei durchaus in Konflikte geraten, wenn etwa aus dem Kollegenkreis Stimmen laut werden, die bestimmte Arbeitsschutzvorgaben als zu streng oder unbequem ablehnen. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt und die Situation sachlich und gemeinsam mit den Vorgesetzten, der Sifa und dem Betriebsarzt zu klären. Dabei darf der Betriebsrat notwendige Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz in keiner Weise blockieren, behindern oder aufweichen.
Auf keinen Fall sollten Betriebs- und Personalräte „ein Auge zudrücken“, wenn Kollegen das Tragen von PSA „vergessen“, Schutzeinrichtungen von Maschinen manipulieren oder sich beim Unterzeichnen von Unterweisungsnachweisen durchmogeln. Gerade für eine gewählte Vertrauensperson der Arbeitnehmer gilt es, ihre Mitverantwortung für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz aktiv und konsequent wahrzunehmen. Ein Betriebsrat, der ein Missachten von Arbeitsschutzvorschriften ignoriert und lieber wegschaut aus Angst, sich unbeliebt zu machen, ist fehl am Platz.
Wo die Zusammenarbeit mit Sifa und Betriebsarzt gut läuft und sich Betriebs- und Personalräte auch selbsttätig für den Arbeitsschutz im Unternehmen engagieren, kann ihre Arbeit ein wichtiger Faktor für die Qualitätssicherung des betrieblichen Arbeitsschutzes sein.
Autor: Friedhelm Kring
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