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Schutz vor Asbest in Europa

Interview mit Nikolaj Villumsen, Mitglied des Europäischen Parlaments
Weit mehr Schutz vor Asbest

Schutz vor Asbest ist unab­d­ing­bar, haben die tod­brin­gen­den Fol­gen des Asbestein­satzes weltweit zur bis­lang größten Indus­triekatas­tro­phe geführt. 255.000 Men­schen ster­ben jährlich weltweit an den Fol­gen asbest­be­d­ingter Expo­si­tio­nen, davon 89 Prozent durch arbeits­be­d­ingte Expo­si­tion [1]. Nach Angaben des Europäis­chen Par­la­ments (EP) verur­sacht Asbest in der Europäis­chen Union zwis­chen 30.000 und 90.000 Todes­fälle pro Jahr. Das möchte das Europäis­che Par­la­ment nicht mehr ein­fach so hin­nehmen und hat am 20. Okto­ber 2021 den leg­isla­tiv­en Ini­tia­tivbericht „Schutz der Arbeit­nehmer vor Asbest” verabschiedet.

Das EU-weite Asbestver­bot 2005 kam viel zu spät und kon­nte wegen der großen Latenzzeit­en die Opfer­welle nicht ver­hin­dern und die Mil­lio­nen Ton­nen Asbest in Gebäu­den und öffentlichen Ein­rich­tun­gen nicht beseit­i­gen. Trotz des Ver­bots ist Asbest der Hauptverur­sach­er für arbeits­be­d­ingte Kreb­serkrankun­gen. Nach wie vor beste­hen erhe­bliche asbest­be­d­ingte Risiken für die Arbeitnehmer:innen in der EU, ins­beson­dere in Gebäu­den und Infra­struk­turen, die vor 2005 errichtet wur­den. Aus Sicht des EP müssen deshalb im Zusam­men­hang mit der Ren­ovierungswelle des europäis­chen Green Deals, die das Ziel hat, Gebäude für ein kli­ma­neu­trales Europa fit zu machen, die gesund­heitlichen Risiken für die Arbeitnehmer:innen min­imiert wer­den. Nahezu ein­stim­mig hat das EP am 20. Okto­ber 2021 den leg­isla­tiv­en Ini­tia­tivbericht „Schutz der Arbeit­nehmer vor Asbest” ver­ab­schiedet. Gerd Albracht sprach für den „Sicher­heitsin­ge­nieur” mit dem Berichter­stat­ter und Mit­glied des Europäis­chen Par­la­ments, Niko­laj Vil­lum­sen.

Was ist das Ziel dieses leg­isla­tiv­en Ini­tia­tivberichts und welch­es sind die Hauptele­mente zur Imple­men­tierung ein­er europäis­chen Strate­gie zur Besei­t­i­gung von Asbest?

Niko­laj Vil­lum­sen: Das Hauptziel dieses Berichts beste­ht natür­lich darin, dass die Kom­mis­sion einen Vorschlag für eine europäis­che Strate­gie zur Besei­t­i­gung von Asbest mit entsprechen­den Rechtsvorschriften vor­legt, wie sie in den fünf leg­isla­tiv­en Anla­gen des Berichts vorgeschla­gen wer­den und die ins­ge­samt einen ganzheitlichen Ansatz für Asbest darstellen.

Die erste Anlage ist eine europäis­che Rah­men­richtlin­ie über nationale Strate­gien zur Besei­t­i­gung von Asbest, ein­schließlich öffentlich­er Asbe­streg­is­ter und finanzieller Unter­stützung für diese Strate­gien. Die zweite Anlage bezieht sich auf die Über­ar­beitung der Richtlin­ie über Asbest am Arbeit­splatz, ein­schließlich ein­er Senkung des Gren­zw­ertes auf 0,001 Fasern/cm3 und Schu­lungsan­forderun­gen, die eine zen­trale Forderung und sehr wichtig ist, um für alle Arbeitnehmer:innen einen besseren Schutz gegenüber Asbest zu gewährleis­ten<span title=“2 Der Vorschlag des Europäis­chen Par­la­ments zu Artikel 8 der Richtlin­ie 2009/148/EG lautet: „Der Arbeit­ge­ber muss sich­er­stellen, dass kein Arbeit­nehmer zu irgen­deinem Zeit­punkt während des Arbeitsver­fahrens ein­er Asbest­faserkonzen­tra­tion in der Luft von mehr als 0,001 Fasern pro cm3 (1000 Fasern je m3) aus­ge­set­zt wird.“”>2.

Die dritte Anlage bet­rifft die Anerken­nung arbeits­be­d­ingter Erkrankun­gen, ins­beson­dere asbest­be­d­ingter Erkrankun­gen, sowie den Vorschlag für eine Richtlin­ie zur Gewährleis­tung ein­er besseren Anerken­nung und Entschädi­gung für alle Arbeitnehmer:innen in Europa. Die vierte und fün­fte Anlage beziehen sich auf die oblig­a­torische Über­prü­fung von Gebäu­den vor ener­getis­chen Ren­ovierun­gen und dem Verkauf und der Ver­mi­etung von Gebäu­den, um einen sozial gerecht­en „grü­nen“ Über­gang sicherzustellen, bei dem Bauar­beit­er bei Ren­ovierun­gen nicht ihre Gesund­heit und Leben riskieren. Das sind die wichtig­sten Punk­te des Berichts.

Wie kön­nen diese Ini­tia­tiv­en sich­er­stellen, dass nicht nur die Gebäude für ein kli­ma­neu­trales Europa fit gemacht wer­den, son­dern auch die zahlre­ichen in der Gebäude­sanierung Täti­gen dabei gesund bleiben?

Genau aus diesem Grund fordern wir eine verpflich­t­ende Über­prü­fung von Gebäu­den vor ener­getis­chen Sanierun­gen. Der grüne Über­gang ist äußerst wichtig, aber auch die Gesund­heit der Bauarbeiter:innen, die die Ren­ovierun­gen verwirklichen.

Das Europäis­che Par­la­ment hat­te bere­its im März 2013 eine Entschließung zu asbest­be­d­ingten Gefährdun­gen der Gesund­heit am Arbeit­splatz angenom­men, und die meis­ten Forderun­gen sind immer noch nicht umge­set­zt wor­den. Wie kann sichergestellt wer­den, dass die EU und die Mit­gliedsstaat­en die Forderun­gen des leg­isla­tiv­en Ini­tia­tivberichts zeit­nah umsetzen?

Let­z­tendlich ist dieser Teil Sache der Kom­mis­sion und ihrer Bere­itschaft und ihres Ehrgeizes, das Leben von Arbeitnehmern:innen zu schützen. Wenn das Par­la­ment zu entschei­den hätte, wür­den wir diese Strate­gie sofort einführen.

Ein wichtiger Punkt dieses Berichts ist die Forderung des Europäis­chen Par­la­ments nach ein­er Aktu­al­isierung des Asbest­ex­po­si­tion­s­gren­zw­ertes nach heuti­gen wis­senschaftlichen Erken­nt­nis­sen auf 0,001 Fasern pro Kubikzen­time­ter. Was muss passieren, dass Kom­mis­sion, Regierun­gen und Sozial­part­ner – die unter­schiedliche Mei­n­un­gen dazu haben – diese Forderung in die Tat umsetzen?

Es ist äußerst wichtig, dass Gew­erkschaften, Zivilge­sellschaft und Mit­gliedsstaat­en mit pro­gres­siv­en Posi­tio­nen darauf drän­gen, dass die Kom­mis­sion jet­zt han­delt. Wir wer­den weit­er­hin Druck im Par­la­ment auf die Kom­mis­sion ausüben zu liefern, ins­beson­dere was die Absenkung des Gren­zw­ertes für Asbest angeht.

Wie kann der Bericht dazu beitra­gen, dass die große Ungle­ich­heit bezüglich der Anerken­nung und Entschädi­gung asbest­be­d­ingter Beruf­skrankheit­en in den EU-Län­dern beseit­igt, die Schere zwis­chen angezeigten und entschädigten Asbesterkrankun­gen sich nicht weit­er öffnet und die Bewe­is­führung nicht weit­er­hin zu Las­ten der oft tod­kranken Arbeitnehmer:innen geht?

Dies ist eine unser­er Haupt­forderun­gen in der drit­ten Anlage im Zusam­men­hang mit der Ein­führung ein­er Richtlin­ie über Min­destanforderun­gen für die Anerken­nung von Beruf­skrankheit­en. Dies hätte zur Folge, dass alle Arbeitnehmer:innen mehr gle­iche Rechte hät­ten. Darüber hin­aus schla­gen wir eine Umkehr der Beweis­last für asbest­be­d­ingte Erkrankun­gen vor, die ein wichtiges Instru­ment zum Schutz des einzel­nen Arbeit­nehmers im Anerken­nungs- und Entschädi­gungsver­fahren ist.

Das EP hebt her­vor, dass die sichere Ent­fer­nung von Asbest in unmit­tel­barem Zusam­men­hang mit aktuellen und zukün­fti­gen poli­tis­chen Ini­tia­tiv­en der Union ste­ht. Was sind die Vorteile dieses Ansatzes für die EU und die Mitgliedsstaaten?

Ein ganzheitlich­er Ansatz zur Besei­t­i­gung von Asbest wird allen Beteiligten in diesem Prozeß zugutekom­men. Mein Vorschlag ist dafür zu sor­gen, dass die Asbest­sanierung dazu gehört, wenn die EU in den näch­sten Jahren Mil­lio­nen von Gebäu­den für die ener­getis­che Sanierung öffnet. So kön­nten wir den gefährlichen Stoff Asbest ein für alle­mal beseit­i­gen und dies auch schon bei jet­zt laufend­en Ren­ovierun­gen. Machen wir das nicht, riskieren die Bauarbeiter:innen ihr Leben um den notwendi­gen grü­nen Über­gang zu real­isieren, deshalb ist der ganzheitliche Ansatz so wichtig.

Welche Rolle kön­nen die Sozial­part­ner bei der Umset­zung der Empfehlun­gen des Ini­tia­tivberichts spie­len? Wie war die Unter­stützung dieser Grup­pen sowie der Wis­senschaft für die Beratun­gen im fed­er­führen­den EMPL-Auss­chuss3?

Die Europäis­che Föder­a­tion der Bau- und Holzarbeit­er (EFBH) war ein wichtiger Unter­stützer des Berichts und eben­so die Mieter- und Ver­braucheror­gan­i­sa­tio­nen. Für die Ver­wirk­lichung dieses Berichts ist es jet­zt zwin­gend, dass diese Inter­es­sen­grup­pen, ins­beson­dere die Gew­erkschaften, auf nationaler und EU-Ebene auf pro­gres­sive Maß­nah­men drängen.

Durch die gewach­sene „Macht” des Par­la­ments bedür­fen inter­na­tionale Abkom­men heute der Zus­tim­mung des Par­la­ments. Dies hat beim Frei­han­delsabkom­men mit Kana­da dazu geführt, der kanadis­chen Asbest­mine die staatliche Unter­stützung zu entziehen. Wird das EP bei allen anste­hen­den Abkom­men mit asbest­ex­portieren­den Staat­en dies zur Sprache bringen?

Ich denke, dies ist ein extrem wichtiger Punkt, den wir bei der zukün­fti­gen Erar­beitung von Han­delsabkom­men im Par­la­ment berück­sichti­gen sollten.

Ins­beson­dere die leg­isla­tiv­en Ini­tia­tiv­en bedür­fen zur Imple­men­tierung neben den betrieblichen Akteuren auch kom­pe­ten­ter staatlich­er Arbeitsinspektoren:innen, die die betrieblichen Akteure kon­trol­lieren, die aber ger­ade in vie­len EU-Län­dern geschwächt und dez­imiert wer­den. Welche Ini­tia­tiv­en seit­ens des EP und der Kom­mis­sion sind notwendig, um die Arbeitsin­spek­tio­nen zum Schutz der Arbeitnehmer:innen vor Asbest in Europa zu stärken?

Es ist äußerst wichtig, dass die Mit­glied­staat­en aus­re­ichende Mit­tel für die nationalen Arbeit­sauf­sichts­be­hör­den bere­it­stellen, um eine bessere Durch­set­zung der beste­hen­den Vorschriften zu gewährleis­ten. Derzeit arbeite ich auch an dem neuen Strate­gier­ah­men für Sicher­heit und Gesund­heitss­chutz bei der Arbeit, in dem wir als Linke aus­drück­lich eine Studie fordern, die den Auf­gaben­bere­ich und die Man­date der nationalen Arbeit­sauf­sichts­be­hör­den abbildet, da diese gren­züber­schre­i­t­end auf prob­lema­tis­che Weise vari­ieren. Außer­dem brauchen wir die 2019 gegrün­dete Europäis­che Arbeits­be­hörde (ELA), um in gren­züber­schre­i­t­en­den Sit­u­a­tio­nen Hil­fe und Ressourcen bere­itzustellen. Es gibt also sowohl auf europäis­ch­er als auch auf nationaler Ebene eine Menge zu tun.

Herr Vil­lum­sen. Wir bedanken uns sehr für dieses Inter­view und Ihren Ein­satz als Berichter­stat­ter des fed­er­führen­den EMPL-Ausschusses.

 

Fußnoten:

1 Furuya, G. et al. (2018) Glob­al Asbestos Dis­as­ter, Int. J. Env­i­ron. Res. Pub­lic Health, 2018, 15(5), 1000; https:/doi.org/10.3390/ijerph 15051000

2 Der Vorschlag des Europäis­chen Par­la­ments zu Artikel 8 der Richtlin­ie 2009/148/EG lautet: „Der Arbeit­ge­ber muss sich­er­stellen, dass kein Arbeit­nehmer zu irgen­deinem Zeit­punkt während des Arbeitsver­fahrens ein­er Asbest­faserkonzen­tra­tion in der Luft von mehr als 0,001 Fasern pro cm3 (1000 Fasern je m3) aus­ge­set­zt wird.“

3 EMPL (Com­mit­tee on Employ­ment and Social Affairs). Der „Auss­chuss für Beschäf­ti­gung und soziale Angele­gen­heit­en“ (EMPL) ist zuständig für Beschäf­ti­gungs- und Sozialpoli­tik, Arbeit­nehmer­rechte, Gesund­heitss­chutz und Sicher­heit am Arbeit­splatz, den Europäis­chen Sozial­fonds, Berufs­bil­dung, Freizügigkeit von Arbeit­nehmern und Rent­nern, sozialen Dia­log, Diskri­m­inierung am Arbeitsplatz.


Foto: © Katin­ka Klinge

Nikolaj Villumsen, Mitglied des Europäischen Parlaments

Niko­laj Vil­lum­sen ist ein dänis­ch­er Poli­tik­er, der 1983 in Aarhus geboren wurde. Er wurde 2019 als Abge­ord­neter in das Europäis­che Par­la­ment gewählt. Neben sein­er Funk­tion als ein­er der stel­lvertre­tenden Vor­sitzen­den der Linken ist Herr Vil­lum­sen Mit­glied des Auss­chuss­es für Beschäf­ti­gung und soziale Angele­gen­heit­en, des Auss­chuss­es für Umwelt­fra­gen, Volks­ge­sund­heit und Lebens­mit­tel­sicher­heit und des Auss­chuss­es für kon­sti­tu­tionelle Angelegenheiten.

Von Sep­tem­ber 2011 bis Juni 2019 war er Mit­glied des Folket­ings und ver­trat Enhed­slis­ten im Dänis­chen Par­la­ment. Er hat einen Bach­e­lor-Abschluss in Geschichte.

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