Atemschutztrilogie vervollständigt
Mit Spannung wurde von allen, die sich in irgendeiner Weise mit dem Thema Atemschutz beschäftigen, die „neue“ DGUV Regel 112–190 erwartet. Nachdem im November 2020 die DGUV Information 212–190 „Klassifizierung und Auswahl von Atemschutzgeräten nach ISO-Standards“ und im März 2021 der DGUV Grundsatz 312–190 „Ausbildung, Fortbildung und Unterweisung im Atemschutz“ veröffentlicht wurden, konnte im November 2021 die Atemschutztrilogie vervollständigt werden. Mit diesen drei aufeinander abgestimmten Werken werden alle Themenbereiche rund um den betrieblichen Atemschutz abgedeckt.
Auswahlprozess als „roter Faden“
Wer die DGUV Information 212–190 gelesen hat, dem werden auch einige der neu gestalteten Abschnitte der DGUV Regel 112–190 bekannt vorkommen. Insbesondere die Flussdiagramme, welche durch den Auswahlprozess für ein geeignetes Atemschutzgerät führen, stellen in beiden Schriften ein zentrales Element dar. Der Grund: Dem Aufbau beider Schriften liegt der Gedanke zugrunde, nicht das Atemschutzgerät und seine Einsatzmöglichkeiten in den Mittelpunkt zu stellen, sondern den Menschen und dessen für die jeweilige Tätigkeit notwendigen Schutz. Der Auswahlprozess ist der „roten Faden“, an dem sich die Informationen des jeweiligen Prozessschrittes in chronologischer Reihenfolge anordnen.
Schutzniveau als neuer Begriff
Das erste Kapitel nach den einleitenden Abschnitten der neuen Fassung befasst sich mit der grundsätzlichen Einteilung der Atemschutzgeräte und deren „Schutzniveau“. Dieser neu eingeführte Begriff ersetzt den vormals verwendeten Begriff des „Vielfachen des Grenzwertes VdGW“. Das Schutzniveau ist eine dem Atemschutzgerät zugeordnete Zahl, welche den numerischen Grad des Atemschutzes wiedergibt. Dieses Schutzniveau steht der atemschutzgerättragenden Person bei bestimmungsgemäßem Gebrauch erwartungsgemäß zur Verfügung.
Zahlenwerte angepasst
Aber nicht nur der Begriff hat sich geändert, sondern auch der Zahlenwert des Schutzniveaus für bestimmte Atemschutzgerätetypen wurde neueren Vorgaben, vor allem aus der ISO-Normung, angepasst. So wurde bisher für Behälter- oder Schlauchgeräte mit Vollmaske und Lungenautomat, unabhängig ob in Normaldruck- oder Überdruckausführung, keine Einsatzgrenze vorgegeben. Jetzt ist den Geräten in Normaldruckausführung ein Schutzniveau von 1000 zugeordnet. Das bedeutet, dass nur noch Geräte in Überdruckausführung, denen ein Schutzniveau von 1000 zugeordnet ist, praktisch keine Einsatzgrenze bezüglich der Schadstoffkonzentration haben (siehe Abbildung 1).
Stärkere Beachtung des Dichtsitzes
Entscheidend für die Schutzwirkung eines Atemschutzgerätes mit dicht anliegendem Atemanschluss (Maske) ist, dass die Maske der jeweiligen Person passt. Hier spielen die Gesichtsgröße und ‑form aber auch beispielsweise Haare in der Dichtlinie, Narben oder Piercings eine entscheidende Rolle. In der Praxis wird diesem Umstand oft nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet. Um mehr Beachtung zu erwirken, wird diesem Thema deutlich mehr Raum gegeben und zum Beispiel bei Vorliegen von Stoffen mit hohem Gefährdungspotenzial eine quantitative Methode zur Überprüfung des Dichtsitzes empfohlen. Mit der ISO 16975–3 steht nun auch ein Standard zur Verfügung, der verschiedene Möglichkeiten zur Durchführung von Anpassungsüberprüfungen aufzeigt. Die Anpassungsüberprüfung sollte vor dem ersten Gebrauch eines dichtsitzenden Atemanschlusses (Maske) unter Anleitung einer dafür ausgebildeten Person erfolgen.
Einsatzgrenzen von Filtern
Die Einteilung von niedrigsiedenden organischen Verbindungen in die Gruppen 1 bis 4 entfällt in der aktuellen Version der DGUV Regel 112–190. Auch werden für den Einsatz der für diese Stoffgruppe verwendeten AX-Filter keine Gebrauchszeiten mehr vorgegeben. Die Vielzahl an AX-Filtern von diversen Anbietern lässt eine solche generelle Aussage nicht mehr zu und wird auch den Möglichkeiten, die Filter unterschiedlicher Herstellerfirmen für den Einsatz bieten, nicht gerecht. Für die Einsatzplanung sind daher die Angaben aus der Gebrauchsanleitung zu berücksichtigen.
Liegen sowohl gasförmige als auch partikelförmige Schadstoffe vor – das heißt, es könnte ein Kombinationsfilter zum Einsatz kommen – müssen für die Auswahl eines geeigneten Filters sowohl die Einsatzgrenzen des Gasfilters als auch des Partikelfilters betrachtet werden. Wurde bisher das Schutzniveau zum Beispiel einer Vollmaske mit Kombinationsfilter ABEK-P2 generell wegen des P2 Filters auf 15 begrenzt, so kann jetzt für den Schutz gegen Gase das Schutzniveau von 400 und für den Schutz gegen Partikel das Schutzniveau von 15 in die Planung einbezogen werden.
Gebrauchsdauer ersetzt Tragezeit
Ein neues Gesicht und einen neuen Namen bekam die Tragezeittabelle. Die „Tragezeit“ wurde durch den Begriff „Gebrauchsdauer“ ersetzt und gleichzeitig wurde genau definiert, was die Gebrauchsdauer umfasst. Die Gebrauchsdauer pro Arbeitsschicht wird jetzt durch eine Zeitangabe dargestellt. Damit wird deutlich gemacht, dass nicht die Anzahl der Einsätze, sondern die gesamte Zeit, die ein Atemschutzgerät über den Tag verteilt gebraucht wird, ausschlaggebend ist.
Arbeitsmedizinische Vorsorge?
In die Gebrauchsdauertabelle wurde zusätzlich die Gruppe gemäß der Arbeitsmedizinischen Regel AMR 14.2 aufgenommen, der das jeweilige Atemschutzgerät in der Regel zugeordnet ist. Ziel dabei ist, der auswählenden Person unmittelbar einen Hinweis zu geben, ob für die gerättragenden Personen des jeweiligen Atemschutzgerätes eine arbeitsmedizinische Vorsorge notwendig ist oder nicht.
Des Weiteren wurde die Tabelle um einige Atemschutzgeräte erweitert, sie erhebt aber nach wie vor keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Durch die jetzt sehr zahlreichen Angaben sollte es auch für nicht aufgeführte Geräte möglich sein, diese entsprechend der Belastung einzuordnen und geeignete Gebrauchsdauern festzulegen.
An den Zahlenwerten selbst hat sich gegenüber der vorherigen Ausgabe nicht viel geändert. Zu erwähnen wäre die „partikelfiltrierende Halbmaske mit Ausatemventil“, deren Gebrauchsdauer von 120 Minuten auf 150 Minuten erhöht wurde. Diese Erhöhung beruht auf den gegenüber anderen Geräten niedrigen zulässigen Atemwiderständen und der schon vor einigen Jahren vorgenommenen Änderung in der AMR 14.2 bezüglich der Eingruppierung der FFP3- beziehungsweise P3-Filter (vergleiche Abbildung 2).
„Schutzbedürftige“ im Mittelpunkt
Um auf die einleitende Frage, was sich inhaltlich geändert hat, zurückzukommen, können wir abschließend sagen: Nicht viel! Denn es war nicht notwendig den Atemschutz neu zu erfinden oder gar auf den Kopf zu stellen. Während der Überarbeitung der DGUV Regel 112–190 ging es vielmehr darum, die „schutzbedürftige“ Person in den Mittelpunkt stellen und diese durch ein geeignetes Atemschutzgerät so gut wie nötig und so wenig belastend wie möglich vor Schadstoffen aus der Umgebungsatmosphäre zu schützen.
Herbert Fischer
Leiter Sachgebiet Atemschutz im Fachbereich Persönliche Schutzausrüstungen
der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
Autoren: Julia Brunner
Sachgebiet Atemschutz
im Fachbereich Persönliche Schutzausrüstungen
der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
Nicht der Pandemie geschuldet
Die Veröffentlichung der überarbeiteten DGUV Regel 112–190 „Benutzung von Atemschutzgeräten“ fällt in eine Zeit, in der das Thema Atemschutz nicht nur im betrieblichen Bereich relevant ist. Atemschutz, speziell das Tragen von Masken, ist momentan auch im öffentlichen Leben allgegenwärtig. Die Frage, ob die Regel wegen der Pandemie überarbeitet wurde, ist jedoch klar zu verneinen. Die DGUV Regel richtet sich nach wie vor in erster Linie an den betrieblichen Atemschutz zum Umgang mit Gefahrstoffen. Der Infektionsschutz in Pandemiezeiten erfordert gegebenenfalls hiervon abweichende Maßnahmen.