Wer Arbeiten im öffentlichen Verkehrsraum anordnet oder ausführt, muss nicht nur die geltenden Arbeitsschutzvorschriften beachten, sondern auch die Regelungen der Straßenverkehrsordnung. Denn die Gefahren ergeben sich hier häufig aus dem weiterlaufenden öffentlichen Verkehr, seien es Fußgänger, Radfahrende oder Fahrzeugverkehr unterschiedlichster Art. Bedeutsam ist zudem die Art des Verkehrswegs und die auszuführende Tätigkeit: Je höher die Fahrgeschwindigkeiten des fließenden Verkehrs sind, desto größer ist die Gefährdung der in diesem Bereich tätigen Beschäftigten. Aus diesem Grund müssen die für die Arbeitsstelle geltenden Regelungen sehr gewissenhaft befolgt werden.
Auftrag zur Fugenerneuerung
Das folgende Unfallbeispiel zeigt sehr deutlich die möglichen Folgen einer nicht ausreichenden Umsetzung der Vorgaben: Mitarbeiter einer Straßenbaufirma waren damit beauftragt, auf einer Bundesautobahn (BAB) die Bitumenfugen zwischen den Fahrstreifen zu erneuern. Um eine Störung des laufenden Verkehrsflusses so gering wie möglich zu halten, sollten die Arbeiten in der verkehrsarmen Zeit zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr ausgeführt werden.
Durch das beauftragte Unternehmen wurden sechs Beschäftigte einschließlich eines Kolonnenführers und drei Lkw eingesetzt. Alle Beschäftigten waren in der Durchführung solcher Arbeiten erfahren und verfügten über die technischen und persönlichen Schutzeinrichtungen. Dazu gehörten auch die notwendigen Verkehrssicherungseinrichtungen wie Hinweistafeln, fahrbare Absperrtafeln, Leitbaken und Warnleuchten. Die Mitarbeiter trugen Warnkleidung.
Sicherung der Arbeitsstelle
Der Aufbau der notwendigen Verkehrssicherungsmaßnahmen erfolgte anhand einer verkehrsrechtlichen Anordnung (VAO). Sie war durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde auf Grundlage der zum Zeitpunkt des Unfalls geltenden StVO und der dazugehörigen Verwaltungsvorschrift „Richtlinie für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen“ (RSA) erlassen worden und basierte auf dem Regelplan D IV/1r „Arbeitsstellen kürzerer Dauer bei Nacht“. Zum Zeitpunkt des Unfalls war die Fassung 1995 der RSA gültig.
Den Aufbau, die im Fortgang der Arbeiten notwendige Anpassung der Verkehrssicherungsmaßnahmen und den Rückbau versahen die Beschäftigten eigenständig. Zur Absicherung der Arbeitsstelle bauten sie unter anderem auf beiden Seiten der BAB mit drei Fahrstreifen und Seitenstreifen Tafeln mit dem Verkehrszeichen Z 123 „Baustelle“ sowie zwei gelbe Warnleuchten in ausreichendem Abstand vor der Arbeitsstelle auf. Die Arbeitsstelle selbst wurde mit fahrbaren Absperrtafeln mit Blinkpfeil gesichert.
Unfall beim Einholen der Warntafeln
Beim Rückbau der Verkehrssicherungsmaßnahmen nach Abschluss der Arbeiten mussten die Warntafeln und Warnleuchten abgebaut werden. Dazu fuhr ein Fahrzeug über die Gegenfahrbahn bis zur nächsten Anschlussstelle zurück und dann wieder auf die Fahrbahn in Richtung Arbeitsstelle. Der Fahrzeugführer hielt hinter der ersten Vorwarntafel auf dem Seitenstreifen an. Ein weiterer Mitarbeiter überquerte die drei Fahrspuren der BAB bei laufendem Verkehr, um die auf dem Mittelstreifen stehende Tafel zu holen. Da er einen Schraubenschlüssel zum Lösen der Befestigungen der Tafel an dem Leitplankenpfosten vergessen hatte, lief er nochmals im laufenden Fahrzeugverkehr zurück zum Arbeitsfahrzeug. Bei der Rückkehr zum Mittelstreifen wurde er von einem auf der dritten Fahrspur fahrenden Fahrzeug erfasst und durch den Aufprall in Richtung Mittelstreifen geschleudert. Er erlitt schwere Verletzungen.
Wie hätte dieser Unfall bei Arbeiten im öffentlichen Verkehrsraum vermieden werden können?
Ursache des Unfalls war ein falsch gewählter Ablauf des Rückbaus. Grundsätzlich muss der Rückbau von Verkehrssicherungsmaßnahmen von „innen“ nach „außen“ erfolgen, das heißt, die Verkehrszeichen Z 123 sind als letzte von der Baustelle zu entfernen. Das Verkehrszeichen Z 123 „Baustelle“ ist ein Gefahrzeichen. Es signalisiert Verkehrsteilnehmenden: „Hier ist eine mögliche Gefahrenstelle. Aus diesem Grund sind eine erhöhte Aufmerksamkeit und Anhaltebereitschaft erforderlich.“ Da dieses Verkehrszeichen je nach Straßenart und Baustellenumfang weit vor der eigentlichen Baustelle aufgestellt werden muss – bei Baustellen auf BAB in der Regel ein bis eineinhalb Kilometer vorher – ergeben sich daraus erhebliche Fahrstrecken. Diese möchten die Firmen meist umgehen und bauen daher die Verkehrszeichen in der nicht richtigen Reihenfolge ab.
Zudem ist es sehr gefährlich, mit einer Schildertafel durch den laufenden Verkehr zu gehen. Daher muss bei auf dem Mittelstreifen aufgestellten Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen hinter der Aufbau- beziehungsweise Abbau-Kolonne immer ein Sicherungsfahrzeug mit fahrbarer Absperrtafel plus Blinkpfeil als Schutz fahren.
Sicherheitsregeln kein Selbstzweck!
Dieser Unfall zeigt, dass eine vermeintliche Zeitersparnis fatale Folgen haben kann. Regeln für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von Beschäftigten werden nicht erstellt, um diese zu mehr Arbeit zu nötigen, sondern um deren Gesundheit zu schützen. Deshalb ist die strikte Befolgung so eminent wichtig und durch die Führungskräfte auch durchzusetzen.
Weitere Informationen
- Straßenverkehrsordnung
- Richtlinie für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen
- Arbeitsstättenverordnung
- Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A5.2 „Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Baustellen im Grenzbereich zum Straßenverkehr – Straßenbaustellen“
Neufassung der Richtlinie für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen
Die neuen „Richtlinien zur verkehrsrechtlichen Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen“, RSA Ausgabe 21, wurden mit dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau ARS 24/2021 am 15. Februar 2022 im Verkehrsblatt bekannt gegeben (VkBl. 3/2022 S. 46). Sie lösen die RSA 95 ab.
- Die RSA ist eine Richtlinie nur zur verkehrsrechtlichen Sicherung von Straßen. Sie ist das Arbeitswerkzeug für die zuständigen Anordnungsbehörden zur Erstellung der verkehrsrechtlichen Anordnung (VAO) auf der Grundlage der StVO. Allerdings regelt die RAS und die darauf basierende VAO keinerlei Schutzmaßnahmen des Arbeitsschutzes für die Baustelle. Sie hat nur den Schutz der Verkehrsteilnehmer im öffentlichen Raum im Blick.
- Im Dezember 2018 wurde durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A5.2 „Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Baustellen im Grenzbereich zum Straßenverkehr – Straßenbaustellen“ bekannt gemacht (GMBl. 58–59 vom 21.12.2021). Alle notwendigen arbeitssicherheitstechnischen Schutzmaßnahmen sind wie üblich über eine Gefährdungsbeurteilung für die jeweilige Baustelle im öffentlichen Straßenbereich zu ermitteln und notwendige Schutzmaßnahmen festzulegen. Hierfür bietet die ASR A5.2 Unterstützung.
- Die „Handlungshilfe für das Zusammenwirken von ASR A5.2 und RSA bei der Planung von Straßenbaustellen im Grenzbereich zum Straßenverkehr Teil A: Grundlagen und Vorbemerkungen Teil B: Maßnahmen und Beispiele (Ausgabe 2020)“ soll dem Ersteller der notwendigen Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG im Spannungsfeld zwischen Verkehrssicherheit und Arbeitssicherheit unterstützen. Die Handlungshilfe kann kostenfrei auf der Internetseite der Bundesanstalt für das Straßenwesen (BASt) heruntergeladen werden.
Autor:
Dipl.-Ing. Ulf‑J. Schappmann
Sicherheitsingenieur VDSI
SIMEBU Thüringen GmbH