Stolpert jemand, fängt er sich einen Lacher der Kollegen ein. Schnell ist der Vorfall vergessen, der Schrecken vorbei. Doch gerade bei Beinahunfällen sollte man genauer hinschauen, wo Gefahren lauern. Denn Stolpern, Rutschen und Stürzen (SRS) verursachen fast 25 Prozent der Arbeits- und Wegeunfälle.
Bettina Brucker
Sturzunfälle sind in vielen Betrieben und Einrichtungen Unfallschwerpunkt Nummer eins. Kampagnen aller Berufsgenossenschaften mit vielen Aktionen im gewerblichen Bereich und der VBG für Büro- und Bildschirmarbeitsplätze brachten vor Jahren einen deutlichen Rückgang der Stolper‑, Rutsch und Sturzunfälle (SRS).
Doch mit einzelnen Aktionen und Kampagnen ist es nicht getan. Über SRS-Unfälle muss man unermüdlich aufklären, informieren und schulen. Denn solche Unfälle stehen weiterhin an der Spitze der Unfallstatistik.
Allein in der Bauwirtschaft ereignen sich pro Tag durchschnittlich 100 Stolper‑, Rutsch- oder Sturzunfälle. Oft kommt es zu Verletzungen am Knöchel oder Fuß, an Knie oder Unterschenkel. Typisch sind Zerrungen, Verstauchungen, Prellungen, Bänderrisse und Frakturen. SRS-Unfälle können aber auch tödlich enden.
Ursachen
Typische Ursachen für SRS-Unfälle sind
- glatte oder unebene Böden
- achtlos verlegte Kabel
- schlechte Beleuchtung
- ungeeignetes Schuhwerk
- Unachtsamkeit.
Ein Fehltritt kann eine teure Angelegenheit werden. Die Kosten liegen jährlich für Versicherungsleistungen wie Heilbehandlungen, Rehabilitationen und Renten bei etwa 330 Millionen Euro und beim Produktionsausfall sogar bei acht Milliarden Euro, so die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).
So wie es Erkältungen nicht nur im Winter gibt, so ereignen sich auch Unfälle wegen rutschiger Böden nicht nur auf Eis. So passieren Sturzunfälle laut einem Bericht zu Trittsicherheit der BAuA durch Ausrutschen zu
- 48 % bei trockenem Boden,
- 18 % auf Eis und Schnee,
- 17 % wegen Feuchtigkeit,
- 9 % wegen falscher Reinigung sowie
- 8 % durch Öl und Fett.
Ursachen anpacken
Nicht immer lässt sich jedes Unglück verhindern. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle. Doch einige der Ursachen lassen sich, oft im wahrsten Sinne des Wortes, aus dem Wege räumen. Denn fürs Stolpern gibt es drei Gründe. Hängenbleiben mit der Schuhspitze an …
- Erhöhungen,
- Vertiefungen, wie Rinnen, Spalten oder Öffnungen oder
- Fußangeln, wie Versorgungsleitungen, gelöste Belagsränder oder Treppen-Unterschneidungen.
Um den Gefahren begegnen zu können, reichen Maßnahmen für Bodenbeläge und Schuhwerk also nicht aus. Auch die Arbeitsorganisation und die Einstellung des einzelnen Mitarbeiters muss überprüft werden.
Beispiel Unfallschwerpunkt Treppen
Zusammen mit seinem Kollegen transportiert Stefan L. einen Heizkessel. Auf einer Außentreppe verliert er das Gleichgewicht und fällt über den Kessel die Treppe herunter. Dabei verletzt er sich und erleidet zudem eine Gehirnerschütterung.
Etwa jeder fünfte Unfall durch Stolpern oder Ausrutschen findet im Bereich einer Treppe statt, meistens auf der ersten oder letzten Stufe. Laut Unfallstatistik der gewerblichen Berufsgenossenschaften ereignen sich jährlich etwa 36.000 Treppenunfälle im gewerblichen Bereich. Von den Unfallopfern erleiden rund 800 bleibende Körperschäden. Deshalb sollte man der Treppensicherheit besondere Aufmerksamkeit schenken. Wichtig ist, dass die Kanten
- an den Treppenstufen gut sichtbar sind,
- nicht zur Stolperfalle werden können und
- ebenso wie die Trittflächen besonders rutschfest sind.
Aber auch das richtige Verhalten (lesen Sie hierzu den Fachbeitrag “Zur Psychologie der Gefahrenwahrnehmung — Warum Sicherheit manchmal gefährlich ist” von Dr. Hiltraut Paridon) auf der Treppe spielt eine bedeutende Rolle. So darf das Treppensteigen nicht zur Nebensache werden. Die Treppe sollte in Ruhe begangen werden. Der Handlauf ist zu benutzen. Die Treppen sollten regelmäßig gereinigt und repariert werden.
Das Abstellen von Gegenständen sollte ebenso verboten sein wie das Tragen von Lasten, ohne dabei eine freie Sichtfläche auf die Treppe zu haben.
Suchen Sie im Betrieb nach Stolpergefahren (aber auch zu Hause)
Durch die Auswertung von Unfallberichten sowie regelmäßige Begehungen lassen sich SRS-Unfallschwerpunkte im Unternehmen ermitteln. Allerdings sollten dabei nicht nur die vorgesehenen Verkehrsflächen und Arbeitswege überprüft werden, sondern auch mögliche Abkürzungen. Auf die Gefahren in diesen Bereichen sollte bei Schulungen explizit hingewiesen werden und außerdem deutlich gemacht werden, welche Verkehrswege dafür vorgesehen sind, Arbeitsplätze sicher zu erreichen.
Wichtig ist bei Begehungen und Gefährdungsbeurteilungen zu berücksichtigen, dass nicht jeder Raum das gleiche Risiko mit sich bringt. Ein Büro unterscheidet sich von der Werkstatt ebenso wie von der Kantine oder dem Treppenhaus.
Technische Maßnahmen allein führen aber nicht zu mehr Sicherheit. Um Ausrutsch- und Stolpergefahren zu vermeiden, sollte man deshalb auch immer den organisatorischen Bereich beachten.
Risikominimierung aus der Praxis
Passende Überschuhe: Lange Zeit gab es im Arzneimittelwerk Gödecke in der Pharmaproduktion aus Kostengründen nur Überschuhe in einer Einheitsgröße. Doch die großen Exemplare sorgten immer wieder für Stolperunfälle. Die Verantwortlichen für den Arbeitsschutz reagierten darauf. Heute gibt es im Betrieb Überschuhe in allen Schuhgrößen – zur Zufriedenheit aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Und auch die Kosten ließen sich so senken und zwar die, die durch Unfälle verursacht werden.
Freie Sicht auf Kabelbrücken
6.000 Schritte läuft ein Mensch durchschnittlich pro Tag ohne über die Bewegungen nachzudenken. Doch dieser Automatismus, die Routine beim Gehen kann zur Unfallgefahr werden: Eine rutschige Stelle auf dem Fußboden oder ein Kabel, das im Weg herumliegt und schon passiert es …
Martha K. arbeitet in der Krankenhausverwaltung. Gestern wurde für einen neuen Kollegen ein Arbeitsplatz in ihrem Büro eingerichtet. Als Martha K. mit einem Stapel Akten ins Archiv gehen will, bleibt sie an einem Kabel hängen, das quer durch den Raum liegt und mit dem der neue Computer angeschlossen ist. Sie konnte es über den Aktenstapel hinweg nicht sehen. Martha K. stürzt, prellt sich das Knie und zieht sich eine Halswirbelsäulenzerrung zu. Sie wird zwei Wochen krankgeschrieben.
Die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Betriebsärztin haben den Fall aufgegriffen und bei der nächsten Schulung thematisiert. Ihre Tipps sind:
- Kabel gelten als Stolperstelle. Um diese zu entschärfen, sollten sie immer in einer Kabelbrücke verlegt werden.
- Akten und Unterlagen sollten besser seitlich getragen werden, damit die Sicht auf die Füße frei ist.
So viel Prävention wie möglich
Doch selbst wenn alle ernst zu nehmenden Stolperfallen im Betrieb ausgemerzt sind – ganz vermeiden lassen sich Stolper‑, Rutsch- und Sturzunfälle trotz aller Prävention nicht. Wer einen langen Arbeitstag hinter sich hat, wird unachtsam, müde und manchmal nachlässig. Auch Zeitdruck begünstigt die Gefahr, zu stolpern und zu stürzen. Außerdem ist Gehen an sich schon eine große Leistung. Über 60 Muskeln und Knochen sind daran beteiligt. Nach Ansicht der Fachleute der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ist der menschliche Gang übrigens „einer der unsichersten Fortbewegungsvorgänge, die es unter Lebewesen in der Natur gibt“.
Weitere Informationen erhalten Sie u. a.
- im Bericht „Entstehung von Stolper‑, Rutsch- und Sturzunfällen“ (2005) der DGUV
- bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zu Trittsicherheit auf Bodenbelägen und Treppen
- im Bericht „Vermeiden von Unfällen durch Stolpern, Umknicken und Fehltreten“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
- in der Arbeitssicherheitsinformation ASi 4.40 „Unfallsichere Gestaltung von Fußböden der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN).
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