Gesundheitsstörungen und ‑schäden durch Lastenhandhabung mit Heben, Halten, Tragen, Ziehen oder Schieben von Lasten treten vorwiegend im Bereich des unteren Rückens auf. Sie äußern sich bei akuten Überlastungen mit Rückenbeschwerden wie dem „Hexenschuss“ oder einem „Ischias“. Treten solche Belastungen über einen längeren Zeitraum auf, können sich ernste Erkrankungen wie Bandscheibenvorfälle oder Arthrose (abgenutzte Knorpel) an den Knie- und Hüftgelenken entwickeln.
Die Lastenhandhabungsverordnung
Das wichtigste Regelwerk für die manuelle Lastenhandhabung ist die „Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten“, abgekürzt Lastenhandhabungsverordnung. Diese Verordnung schreibt vor, dass der Arbeitgeber dafür sorgen muss, dass manuelle Lastenhandhabungen, die die Gesundheit der Beschäftigten gefährden, vermieden werden. Weil das nicht immer möglich ist, gilt ein „Minimierungsgebot“, das heißt, die Belastung soll so gering wie möglich sein.
Zur Beurteilung der Gefährdung und zum Ergreifen geeigneter Schutzmaßnahmen finden sich im Anhang der Verordnung verschiedene Maßnahmen. Demnach sind zahlreiche Kriterien zu berücksichtigen – unter anderem die Last selbst, die jeweilige Arbeitsaufgabe und die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes. Für die betriebliche Praxis wird ein vereinfachtes Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen, die sogenannte Leitmerkmalmethode, vorgeschlagen, weil die Verordnung keine konkreten Grenzwerte für das Gewicht von Lasten nennt.
Keine konkreten Grenzwerte
Das hat folgenden Grund: Einerseits können bei häufigem Heben und Tragen, ungünstigen Körperhaltungen und eingeschränkten Ausführungsbedingungen bereits geringere Lastgewichte zu großen Belastungen führen, andererseits können bei seltenen Lastenhandhabungen und in ergonomisch sinnvoller Körperhaltung auch höhere Gewichte getragen werden, ohne dass dadurch größere Belastungen entstehen.
Die Verordnung schreibt weiterhin vor, dass der Arbeitgeber bei der Übertragung von Aufgaben der manuellen Lastenhandhabung berücksichtigen muss, ob der Beschäftigte überhaupt für diese Tätigkeit körperlich geeignet ist. Dabei kann er sich beispielsweise von seinem Betriebsarzt, der die betrieblichen Bedingungen kennt, beraten lassen. Für die Beschäftigten besteht keine Pflicht, die
körperliche Eignung durch eine ärztliche Untersuchung nachzuweisen.
Unterweisung und Vorsorge
Der Arbeitgeber muss die Beschäftigten über die möglichen Gefährdungen ihrer Sicherheit und Gesundheit bei der Lastenhandhabung aufklären und darüber informieren, wie die Lasten sachgerecht und körperschonend bewegt werden können. Die arbeitsmedizinische Vorsorge ergänzt dabei technische und organisatorische Arbeitsschutzmaßnahmen. Beschäftigte haben grundsätzlich einen Anspruch auf Wunschvorsorge: Sie haben das Recht, ihre Gesundheit in Hinblick auf die Lastenhandhabung und die damit verbundenen Gefährdungen überprüfen zu lassen.
Inhalt der Vorsorge kann sowohl die Frage sein, ob die Arbeitsbedingungen eine Gesundheitsgefährdung darstellen, als auch die Frage, ob die Person selbst aufgrund ihres Gesundheitszustandes oder ihrer persönlichen Veranlagung durch die Lastenhandhabung gefährdet ist. Bei Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen durch Lastenhandhabung beim Heben, Halten, Tragen, Ziehen oder Schieben von Lasten, die mit Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System verbunden sind, muss der Arbeitgeber den Beschäftigten eine arbeitsmedizinische Vorsorge vor Aufnahme der Tätigkeit und anschließend in regelmäßigen Abständen anbieten (Angebotsvorsorge).
Wie viel darf man heben und tragen?
Konkrete Grenzwerte sind in der Lastenhandhabungsverordnung, wie bereits erwähnt, nicht festgelegt. Sie verweist stattdessen auf die sogenannte „Leitmerkmalmethode“ des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik, die bereits 1996 entwickelt wurde. Die Leitmerkmalmethode besteht aus drei Beurteilungsteilen:
- Heben, Halten und Tragen von Lasten
- Ziehen und Schieben von Lasten
- manuelle Arbeitsprozesse
Jedem Bereich ist ein Punktesystem zur Bewertung zugeordnet. Weiterhin werden auch andere Faktoren wie Körperhaltung, Ausführungsbedingungen, Lastbedingungen und Zeitdauer (Häufigkeit, Dauer, Länge) mitberücksichtigt. Nur bei einem Punktwert von unter 10 geht man von einer geringen Belastung aus beziehungsweise ist eine Gesundheitsgefährdung unwahrscheinlich. Je nach Punktwert liegen
- erhöhte,
- wesentlich erhöhte oder
- hohe Belastungen vor, die Gestaltungsmaßnahmen sinnvoll, angezeigt oder erforderlich machen.
In Bereichen mit 30 Punkten und mehr können nur robuste Beschäftigte langfristig arbeiten. Bei allen drei Bewertungen gibt es eine Einschränkung für „vermindert belastbare Personen“. Dabei handelt es sich um Beschäftigte, die älter als 40 und jünger als 21 Jahre alt sind, Neulinge oder durch Erkrankung leistungsgeminderte Personen.
So vermindert man die Belastung
Das Gewicht einer Last lässt sich nur bedingt beeinflussen. Aber man kann durch das richtige Hebe- und Trageverhalten dafür sorgen, dass die Last nicht zur übergroßen Belastung wird:
- Die wichtigste Regel lautet: den Rücken grundsätzlich möglichst gerade und aufrecht halten. Keineswegs sollten Lasten mit einem krummen, nach vorn gebeugtem Oberkörper, mit einem Hohlkreuz oder mittels ruckartiger Bewegungen getragen werden.
- Lasten solten körpernah gehalten und auf beide Arme verteilt werden.
- Besonders beim Aufheben von Lasten ist es zu empfehlen, die Rücken- und Bauchmuskulatur anzuspannen.
- Die Bewegungsrichtung beim Tragen sollte durch koordinierte Fußschritte geändert, der Körper dabei so wenig wie möglich – am besten gar nicht – gedreht werden.
Aber alles hat seine Grenzen. Bei einer zu schweren Last gilt: Hilfe holen oder ein mechanisches Hilfsmittel wie einen Treppensteiger oder eine Sackkarre benutzen!
Formblätter mit Handlungsanleitungen und Rechenhilfen zum Thema „Gefährdungsbeurteilung mit Hilfe der Leitmerkmalmethode“gibt es bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, www.baua.de
Foto: MULTIVAC Sepp Haggenmüller SE & Co.KGG HM
„Schlauer Fuchs“ für den Kistengreifer
Innovative Hebehilfe entwickelt
Die Ausbildungsabteilung Technisches Produktdesign bei der Firma Multivac entwickelte einen Kistengreifer, der den Mitarbeitern das Anheben und den Transport von Lagerkisten abnimmt.
Für diese innovative technische Lösung eines ergonomischen Problems erhielt der Verpackungsmaschinenhersteller Anfang August 2018 den „Schlauen Fuchs“ der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) – eine Auszeichnung für herausragendes Engagement im Arbeitsschutz.
„Nachdem Lagerkisten als neue Transportmittel in unserer internen Logistik eingeführt worden waren, mussten die Mitarbeiter die gefüllten Lagerkisten stapeln und tragen. Voll beladen können diese gelegentlich ein Gewicht von bis zu 50 Kilogramm erreichen“, erklärt André Wagner, Fachkraft für Arbeitssicherheit bei Multivac, den Ausgangspunkt. „Neben der ergonomischen Belastung für die Mitarbeiter ergab sich ein weiteres Problem: Aufgrund der manuellen Handhabung ließen sich manche Lagerkisten nur zum Teil befüllen. Weniger Ware gelangte in die Kisten, die Lagerfläche wurde ineffizient genutzt.“
Die neue Hebehilfe, die Jose Luis Rios Palacio, Auszubildender im Bereich Technisches Produktdesign, gemeinsam mit seinem Ausbilder entwickelte, konnte dieses Problem lösen und zugleich die Mitarbeiter im Bereich Wareneingang entlasten. Der Kistengreifer wird an einem Kran befestigt und kann zu den schweren Lagerkisten herabgelassen werden. Erreicht er eine Kiste, fasst er diese von innen und verriegelt danach selbstständig – so wie es der neue Arbeitsvorgang notwendig macht.
Checkliste: Darauf sollten Sie achten
- Halten die Beschäftigten beim Heben und Tragen den Rücken gerade?
- Hebt der Mitarbeiter die Last aus der Hocke an?
- Hält der Beschäftigte die Last möglichst nahe am Körper?
- Hebt der Mitarbeiter die Last nicht ruckartig auf?
- Vermeiden die Beschäftigten Dauerhaltungen in einer Position?
- Verteilen die Mitarbeiter Lasten gleichmäßig auf beide Arme?
- Tragen die Beschäftigten schwere Lasten möglichst nicht alleine?
- Stützen die Mitarbeiter die Last beim Tragen möglichst am Körper ab?
- Wird die Last möglichst so getragen, dass die Sicht nicht beeinträchtigt ist?
- Werden beim Absetzen der Last geeignete Unterlagen verwendet, um Handquetschungen zu vermeiden?
- Gibt es mechanische Hilfsmittel, um schwere Lasten zu bewegen?
Frauen haben es schwerer
Die Körperkraft von Frauen beträgt durchschnittlich nur zwei Drittel der des Mannes. Bedingt durch geringere Skelettmaße ergeben sich bei gleich hohen Arbeitsbelastungen gegenüber Männern höhere Belastungen der Wirbelsäule und der Gelenke. Ebenso ist die Knochenfestigkeit etwas geringer und nimmt mit dem Alter weiter ab – Frauen leiden wesentlich häufiger an Osteoporose als Männer. Der offene Beckenboden ist weniger gut geeignet, die beim schweren Heben und Tragen entstehenden Druckkräfte aufzunehmen.
- Wichtig: Schwangere Frauen dürfen keine Arbeiten durchführen, bei
denen regelmäßig Lasten von mehr als fünf Kilogramm Gewicht ohne mechanische Transportmittel beziehungsweise Arbeitsmittel von Hand gehoben, bewegt oder befördert werden.
Anders als die Lastenhandhabungsverordnung enthält die DGUV Information 208–033 im ‧Anhang „Orientierende Gefährdungbeurteilung“ konkrete Richtwerte für das Bewegen von Lasten. Ab dem angegebenen Wert ist von einer erhöhten Belastung auszugehen.
Mehr Informationen
- Zum Thema „Gefährdungsbeurteilung mit Hilfe der Leitmerkmalmethode“ stellt Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auf ihrer Webseite Formblätter mit Handlungsanleitungen und teilweise integrierten Rechenhilfen für die Belastungsarten Heben/Halten/Tragen, Ziehen/Schieben und Manuelle Arbeitsprozesse zur Verfügung. Für die Belastungsarten Ganzkörperkräfte, Körperfortbewegung und Körperzwangshaltung werden derzeit zusätzliche Leitmerkmalmethoden entwickelt: www.baua.de (Suchbegriff „Leitmerkmalmethode“)
- Die DGUV Information 208–033 „Belastungen für Rücken und Gelenke – was geht mich das an?“ kann in der Publikationsdatenbank heruntergeladen werden unter www.dguv.de/publikationen.