1 Monat GRATIS testen, danach für nur 3,90€/Monat!
Startseite » Gesundheitsschutz » Ergonomie »

Heben und Tragen von Lasten

Nicht alles so schwer nehmen
Heben und Tragen von Lasten

Heben und Tragen von Lasten
Foto: © WavebreakMediaMicro - stock.adobe.com
Bei vie­len Tätigkeit­en müssen Gegen­stände und Arbeitsmit­tel bewegt wer­den – oft durch eigene Muskelkraft und ohne mech­a­nis­che Hil­f­s­mit­tel. Sind solche Las­ten zu schw­er oder wer­den sie zu häu­fig beziehungsweise in ungün­sti­gen Kör­per­hal­tun­gen gehoben und getra­gen, kann dies zu gravieren­den Ver­schleißer­schei­n­un­gen an Skelett, Sehnen und Muskeln führen. Was soll­ten Arbeit­ge­ber und Sicher­heitsver­ant­wortliche tun, um die Beschäftigten zu schützen?

Dr. Joerg Hensiek

Gesund­heitsstörun­gen und ‑schä­den durch Las­ten­hand­habung mit Heben, Hal­ten, Tra­gen, Ziehen oder Schieben von Las­ten treten vor­wiegend im Bere­ich des unteren Rück­ens auf. Sie äußern sich bei akuten Über­las­tun­gen mit Rück­enbeschw­er­den wie dem „Hex­en­schuss“ oder einem „Ischias“. Treten solche Belas­tun­gen über einen län­geren Zeitraum auf, kön­nen sich ern­ste Erkrankun­gen wie Band­scheiben­vor­fälle oder Arthrose (abgenutzte Knor­pel) an den Knie- und Hüft­ge­lenken entwickeln.

Die Lastenhandhabungsverordnung

Das wichtig­ste Regel­w­erk für die manuelle Las­ten­hand­habung ist die „Verord­nung über Sicher­heit und Gesund­heitss­chutz bei der manuellen Hand­habung von Las­ten“, abgekürzt Las­ten­hand­habungsverord­nung. Diese Verord­nung schreibt vor, dass der Arbeit­ge­ber dafür sor­gen muss, dass manuelle Las­ten­hand­habun­gen, die die Gesund­heit der Beschäftigten gefährden, ver­mieden wer­den. Weil das nicht immer möglich ist, gilt ein „Min­imierungs­ge­bot“, das heißt, die Belas­tung soll so ger­ing wie möglich sein.

Zur Beurteilung der Gefährdung und zum Ergreifen geeigneter Schutz­maß­nah­men find­en sich im Anhang der Verord­nung ver­schiedene Maß­nah­men. Dem­nach sind zahlre­iche Kri­te­rien zu berück­sichti­gen – unter anderem die Last selb­st, die jew­eilige Arbeit­sauf­gabe und die Beschaf­fen­heit des Arbeit­splatzes. Für die betriebliche Prax­is wird ein vere­in­facht­es Ver­fahren zur Beurteilung der Arbeits­be­din­gun­gen, die soge­nan­nte Leit­merk­mal­meth­ode, vorgeschla­gen, weil die Verord­nung keine konkreten Gren­zw­erte für das Gewicht von Las­ten nennt.

Keine konkreten Grenzwerte

Das hat fol­gen­den Grund: Ein­er­seits kön­nen bei häu­figem Heben und Tra­gen, ungün­sti­gen Kör­per­hal­tun­gen und eingeschränk­ten Aus­führungs­be­din­gun­gen bere­its gerin­gere Last­gewichte zu großen Belas­tun­gen führen, ander­er­seits kön­nen bei sel­te­nen Las­ten­hand­habun­gen und in ergonomisch sin­nvoller Kör­per­hal­tung auch höhere Gewichte getra­gen wer­den, ohne dass dadurch größere Belas­tun­gen entstehen.

Die Verord­nung schreibt weit­er­hin vor, dass der Arbeit­ge­ber bei der Über­tra­gung von Auf­gaben der manuellen Las­ten­hand­habung berück­sichti­gen muss, ob der Beschäftigte über­haupt für diese Tätigkeit kör­per­lich geeignet ist. Dabei kann er sich beispiel­sweise von seinem Betrieb­sarzt, der die betrieblichen Bedin­gun­gen ken­nt, berat­en lassen. Für die Beschäftigten beste­ht keine Pflicht, die
kör­per­liche Eig­nung durch eine ärztliche Unter­suchung nachzuweisen.

Unterweisung und Vorsorge

Der Arbeit­ge­ber muss die Beschäftigten über die möglichen Gefährdun­gen ihrer Sicher­heit und Gesund­heit bei der Las­ten­hand­habung aufk­lären und darüber informieren, wie die Las­ten sachgerecht und kör­per­scho­nend bewegt wer­den kön­nen. Die arbeitsmedi­zinis­che Vor­sorge ergänzt dabei tech­nis­che und organ­isatorische Arbeitss­chutz­maß­nah­men. Beschäftigte haben grund­sät­zlich einen Anspruch auf Wun­schvor­sorge: Sie haben das Recht, ihre Gesund­heit in Hin­blick auf die Las­ten­hand­habung und die damit ver­bun­de­nen Gefährdun­gen über­prüfen zu lassen.

Inhalt der Vor­sorge kann sowohl die Frage sein, ob die Arbeits­be­din­gun­gen eine Gesund­heits­ge­fährdung darstellen, als auch die Frage, ob die Per­son selb­st auf­grund ihres Gesund­heit­szu­s­tandes oder ihrer per­sön­lichen Ver­an­la­gung durch die Las­ten­hand­habung gefährdet ist. Bei Tätigkeit­en mit wesentlich erhöht­en kör­per­lichen Belas­tun­gen durch Las­ten­hand­habung beim Heben, Hal­ten, Tra­gen, Ziehen oder Schieben von Las­ten, die mit Gesund­heits­ge­fährdun­gen für das Muskel-Skelett-Sys­tem ver­bun­den sind, muss der Arbeit­ge­ber den Beschäftigten eine arbeitsmedi­zinis­che Vor­sorge vor Auf­nahme der Tätigkeit und anschließend in regelmäßi­gen Abstän­den anbi­eten (Ange­botsvor­sorge).

Wie viel darf man heben und tragen?

Konkrete Gren­zw­erte sind in der Las­ten­hand­habungsverord­nung, wie bere­its erwäh­nt, nicht fest­gelegt. Sie ver­weist stattdessen auf die soge­nan­nte „Leit­merk­mal­meth­ode“ des Län­der­auss­chuss­es für Arbeitss­chutz und Sicher­heit­stech­nik, die bere­its 1996 entwick­elt wurde. Die Leit­merk­mal­meth­ode beste­ht aus drei Beurteilungsteilen:

  • Heben, Hal­ten und Tra­gen von Lasten
  • Ziehen und Schieben von Lasten
  • manuelle Arbeit­sprozesse

Jedem Bere­ich ist ein Punk­tesys­tem zur Bew­er­tung zuge­ord­net. Weit­er­hin wer­den auch andere Fak­toren wie Kör­per­hal­tung, Aus­führungs­be­din­gun­gen, Last­be­din­gun­gen und Zeit­dauer (Häu­figkeit, Dauer, Länge) mit­berück­sichtigt. Nur bei einem Punk­twert von unter 10 geht man von ein­er gerin­gen Belas­tung aus beziehungsweise ist eine Gesund­heits­ge­fährdung unwahrschein­lich. Je nach Punk­twert liegen

  • erhöhte,
  • wesentlich erhöhte oder
  • hohe Belas­tun­gen vor, die Gestal­tungs­maß­nah­men sin­nvoll, angezeigt oder erforder­lich machen.

In Bere­ichen mit 30 Punk­ten und mehr kön­nen nur robuste Beschäftigte langfristig arbeit­en. Bei allen drei Bew­er­tun­gen gibt es eine Ein­schränkung für „ver­min­dert belast­bare Per­so­n­en“. Dabei han­delt es sich um Beschäftigte, die älter als 40 und jünger als 21 Jahre alt sind, Neulinge oder durch Erkrankung leis­tungs­ge­minderte Personen.

So vermindert man die Belastung

Das Gewicht ein­er Last lässt sich nur bed­ingt bee­in­flussen. Aber man kann durch das richtige Hebe- und Tragev­er­hal­ten dafür sor­gen, dass die Last nicht zur über­großen Belas­tung wird:

  • Die wichtig­ste Regel lautet: den Rück­en grund­sät­zlich möglichst ger­ade und aufrecht hal­ten. Keineswegs soll­ten Las­ten mit einem krum­men, nach vorn gebeugtem Oberkör­p­er, mit einem Hohlkreuz oder mit­tels ruckar­tiger Bewe­gun­gen getra­gen werden.
  • Las­ten solten kör­per­nah gehal­ten und auf bei­de Arme verteilt werden.
  • Beson­ders beim Aufheben von Las­ten ist es zu empfehlen, die Rück­en- und Bauch­musku­latur anzuspannen.
  • Die Bewe­gungsrich­tung beim Tra­gen sollte durch koor­dinierte Fußschritte geän­dert, der Kör­p­er dabei so wenig wie möglich – am besten gar nicht – gedreht werden.

Aber alles hat seine Gren­zen. Bei ein­er zu schw­eren Last gilt: Hil­fe holen oder ein mech­a­nis­ches Hil­f­s­mit­tel wie einen Trep­pen­steiger oder eine Sack­karre benutzen!

Form­blät­ter mit Hand­lungsan­leitun­gen und Rechen­hil­fen zum The­ma „Gefährdungs­beurteilung mit Hil­fe der Leitmerkmalmethode“gibt es bei der Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin, www.baua.de


Timm Kasper, Chris­t­ian Trau­mann, Jose Luis Rios Pala­cio (alle Mul­ti­vac), Marc Manuel Fre­itag (BGHM) und André Wag­n­er (Mul­ti­vac) bei der Über­gabe der Urkunden.
Foto: MULTIVAC Sepp Haggen­müller SE & Co.KGG HM

„Schlauer Fuchs“ für den Kistengreifer

Innovative Hebehilfe entwickelt

Die Aus­bil­dungsabteilung Tech­nis­ches Pro­duk­t­de­sign bei der Fir­ma Mul­ti­vac entwick­elte einen Kisten­greifer, der den Mitar­beit­ern das Anheben und den Trans­port von Lagerk­isten abnimmt.

Für diese inno­v­a­tive tech­nis­che Lösung eines ergonomis­chen Prob­lems erhielt der Ver­pack­ungs­maschi­nen­her­steller Anfang August 2018 den „Schlauen Fuchs“ der Beruf­sgenossen­schaft Holz und Met­all (BGHM) – eine Ausze­ich­nung für her­aus­ra­gen­des Engage­ment im Arbeitsschutz.

„Nach­dem Lagerk­isten als neue Trans­port­mit­tel in unser­er inter­nen Logis­tik einge­führt wor­den waren, mussten die Mitar­beit­er die gefüll­ten Lagerk­isten stapeln und tra­gen. Voll beladen kön­nen diese gele­gentlich ein Gewicht von bis zu 50 Kilo­gramm erre­ichen“, erk­lärt André Wag­n­er, Fachkraft für Arbeitssicher­heit bei Mul­ti­vac, den Aus­gangspunkt. „Neben der ergonomis­chen Belas­tung für die Mitar­beit­er ergab sich ein weit­eres Prob­lem: Auf­grund der manuellen Hand­habung ließen sich manche Lagerk­isten nur zum Teil befüllen. Weniger Ware gelangte in die Kisten, die Lager­fläche wurde inef­fizient genutzt.“

Die neue Hebe­hil­fe, die Jose Luis Rios Pala­cio, Auszu­bilden­der im Bere­ich Tech­nis­ches Pro­duk­t­de­sign, gemein­sam mit seinem Aus­bilder entwick­elte, kon­nte dieses Prob­lem lösen und zugle­ich die Mitar­beit­er im Bere­ich Warenein­gang ent­las­ten. Der Kisten­greifer wird an einem Kran befes­tigt und kann zu den schw­eren Lagerk­isten her­abge­lassen wer­den. Erre­icht er eine Kiste, fasst er diese von innen und ver­riegelt danach selb­st­ständig – so wie es der neue Arbeitsvor­gang notwendig macht.


Foto: privat

Autor: Dr. Joerg Hensiek

Fachau­tor und freier Journalist


Checkliste: Darauf sollten Sie achten

  • Hal­ten die Beschäftigten beim Heben und Tra­gen den Rück­en gerade?
  • Hebt der Mitar­beit­er die Last aus der Hocke an?
  • Hält der Beschäftigte die Last möglichst nahe am Körper?
  • Hebt der Mitar­beit­er die Last nicht ruckar­tig auf?
  • Ver­mei­den die Beschäftigten Dauer­hal­tun­gen in ein­er Position?
  • Verteilen die Mitar­beit­er Las­ten gle­ich­mäßig auf bei­de Arme?
  • Tra­gen die Beschäftigten schwere Las­ten möglichst nicht alleine?
  • Stützen die Mitar­beit­er die Last beim Tra­gen möglichst am Kör­p­er ab?
  • Wird die Last möglichst so getra­gen, dass die Sicht nicht beein­trächtigt ist?
  • Wer­den beim Abset­zen der Last geeignete Unter­la­gen ver­wen­det, um Hand­quetschun­gen zu vermeiden?
  • Gibt es mech­a­nis­che Hil­f­s­mit­tel, um schwere Las­ten zu bewegen?

Frauen haben es schwerer

Die Kör­perkraft von Frauen beträgt durch­schnit­tlich nur zwei Drit­tel der des Mannes. Bed­ingt durch gerin­gere Skelettmaße ergeben sich bei gle­ich hohen Arbeits­be­las­tun­gen gegenüber Män­nern höhere Belas­tun­gen der Wirbel­säule und der Gelenke. Eben­so ist die Knochen­fes­tigkeit etwas geringer und nimmt mit dem Alter weit­er ab – Frauen lei­den wesentlich häu­figer an Osteo­porose als Män­ner. Der offene Beck­en­bo­den ist weniger gut geeignet, die beim schw­eren Heben und Tra­gen entste­hen­den Druck­kräfte aufzunehmen.

  • Wichtig: Schwan­gere Frauen dür­fen keine Arbeit­en durch­führen, bei
    denen regelmäßig Las­ten von mehr als fünf Kilo­gramm Gewicht ohne mech­a­nis­che Trans­port­mit­tel beziehungsweise Arbeitsmit­tel von Hand gehoben, bewegt oder befördert werden.

Anders als die Las­ten­hand­habungsverord­nung enthält die DGUV Infor­ma­tion 208–033 im ‧Anhang „Ori­en­tierende Gefährdung­beurteilung“ konkrete Richtwerte für das Bewe­gen von Las­ten. Ab dem angegebe­nen Wert ist von ein­er erhöht­en Belas­tung auszugehen. 


Mehr Informationen

  • Zum The­ma „Gefährdungs­beurteilung mit Hil­fe der Leit­merk­mal­meth­ode“ stellt Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin auf ihrer Web­seite Form­blät­ter mit Hand­lungsan­leitun­gen und teil­weise inte­gri­erten Rechen­hil­fen für die Belas­tungsarten Heben/Halten/Tragen, Ziehen/Schieben und Manuelle Arbeit­sprozesse zur Ver­fü­gung. Für die Belas­tungsarten Ganzkör­perkräfte, Kör­per­fort­be­we­gung und Kör­perzwang­shal­tung wer­den derzeit zusät­zliche Leit­merk­mal­meth­o­d­en entwick­elt: www.baua.de (Such­be­griff „Leit­merk­mal­meth­ode“)
  • Die DGUV Infor­ma­tion 208–033 „Belas­tun­gen für Rück­en und Gelenke – was geht mich das an?“ kann in der Pub­lika­tions­daten­bank herun­terge­laden wer­den unter www.dguv.de/publikationen.
Unsere Webi­nar-Empfehlung
Newsletter

Jet­zt unseren Newslet­ter abonnieren

Webinar-Aufzeichnungen

Webcast

Jobs
Sicherheitsbeauftragter
Titelbild Sicherheitsbeauftragter 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Sicherheitsingenieur
Titelbild Sicherheitsingenieur 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Special
Titelbild  Spezial zur A+A 2023
Spezial zur A+A 2023
Download

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de