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Exoskelette im Praxistest

Ergonomie und Sicherheit
Exoskelette im Praxistest

Exoskelette im Praxistest
Foto: Audi AG
Langes Ste­hen kann zu vielfälti­gen kör­per­lichen Prob­le­men führen. Kör­per­ge­tra­gene Sitzhil­fen, soge­nan­nte Exoskelette, sollen Arbeitsabläufe ergonomis­ch­er und damit gesün­der machen. Ein Beispiel ist der Chair­less Chair des Schweiz­er Star­tups Noonee AG.

Bei Con­ti­nen­tal in Kor­bach dreht sich alles um Gum­mi. Egal, was auf ihnen rollen soll – fast alle Arten von Reifen stellt der Konz­ern an dem hes­sis­chen Stan­dort her. Dass dort etliche Arbeit­splätze Stand-Orte im wahrsten Sinne des Wortes sind, stellt jedoch für viele Beschäftigte eine Belas­tung dar. Denn gesund sind Ste­hberufe nicht. Unter­suchun­gen zufolge belastet dauern­des Ste­hen den men­schlichen Organ­is­mus ein­seit­ig und ist zudem für zahlre­iche Erkrankun­gen des Herz-Kreis­lauf-Sys­tems sowie des Muskel-Skelett-Appa­rates verantwortlich.

Ein­fach eine Sitzmöglichkeit zur Ver­fü­gung zu stellen, ist jedoch an vie­len Arbeit­splätzen speziell in der Fer­ti­gung keine Lösung. Oft stört ein Hock­er oder Stuhl die notwendi­gen Arbeitsabläufe, passt nicht zu Kör­per­größe oder Arbeit­shöhe und ste­ht ohne­hin sel­ten genau da, wo er ger­ade gebraucht wird. Vor diesem Hin­ter­grund hat das Schweiz­er Start­up Noonee AG den soge­nan­nten Chair­less Chair entwick­elt: eine Stütz- beziehungsweise Sitzhil­fe, die an der Rück­seite der Beine getra­gen wird. Genauer gesagt ist der Chair­less Chair ein pas­sives Exoskelett, denn er ver­lei­ht den Nutzern keine Riesenkräfte, son­dern unter­stützt sie pas­siv, indem er ihnen ihr eigenes Gewicht abn­immt. Bei Con­ti­nen­tal in Kor­bach ist der Chair­less Chair im Praxistest.

Das Anziehen des knapp vier Kilo­gramm schw­eren Geräts ist ein­fach: Zunächst wer­den ähn­lich wie bei einem Ruck­sack Schul­ter­gurte umgelegt und anschließend die Fersen in Schuh-Con­nec­toren gesteckt. Danach muss man noch den Hüft­gurt schließen und zwei Klet­tbän­der um die Ober­schenkel leg­en – und kann sich hin­set­zen. Zwei mit Spezial­tex­til bezo­gene Flächen stützen Gesäß und Ober­schenkel, Streben aus kohlen­stoff­faserver­stärk­tem Kun­st­stoff passen sich der Kon­tur der Beine an. Sie sind mit Gelenken in Kniehöhe aus­ges­tat­tet und lassen sich mech­a­nisch an die Kör­per­größe des Men­schen sowie hydraulisch an die gewün­schte Sitz­po­si­tion anpassen.

Verschiedene Sitzhöhen möglich

Ziel des Chair­less Chair ist es, dass Beschäftigte damit bei vie­len Tätigkeit­en in der Fer­ti­gung in ein­er ergonomisch gün­sti­gen Posi­tion sitzen kön­nen, statt die ganze Zeit ste­hen zu müssen. Selb­st bei kurzen Mon­tage-Inter­vallen ist so Sitzen möglich. Dabei han­delt es sich um aktives Sitzen, ähn­lich wie auf einem Gym­nas­tik­ball. Das ent­lastet nicht nur den Muskel-Skelett-Appa­rat und das Herz-Kreis­lauf-Sys­tem, son­dern verbessert auch die Kör­per­hal­tung, da viele ver­schiedene Sitzhöhen möglich sind. Gle­ichzeit­ig kön­nen die Mitar­beit­er mit dem Exoskelett laufen oder sich bewe­gen, was ihre Flex­i­bil­ität beim Arbeit­en erhöhen soll. Geeignet ist der Chair­less Chair dem Her­steller zufolge für Men­schen mit ein­er Kör­per­größe zwis­chen 1,60 und 1,95 Meter sowie max­i­mal 130 Kilo­gramm Gewicht. Auch die Größe der Schuh-Con­nec­toren lässt sich dem­nach anpassen.

Geht es nach Noonee, schafft der Chair­less Chair ergonomisch gestal­tete und alterssta­bile Arbeit­splätze, senkt die physis­che Arbeits­be­las­tung, reduziert die Fehlzeit­en und trägt zur Pro­duk­tiv­itäts- und Qual­itätssteigerung bei.

Pro und contra Exoskelette

Die Deutsche Geset­zliche Unfal­lver­sicherung (DGUV) äußert sich jedoch etwas weniger eupho­risch. „Exoskelette sind eine span­nende Inno­va­tion, die aber noch Entwick­lungsar­beit braucht“, sagt Ralf Schick. Schick ist Leit­er des Sachge­bi­ets Physis­che Belas­tun­gen und Experte für Exoskelette. Aus sein­er Sicht kön­nen Exoskelette Men­schen dabei unter­stützen, länger gesund zu arbeit­en. Es gebe aber auch Risiken, die mit bedacht wer­den soll­ten. Beispiel­sweise bei soge­nan­nten aktiv­en Exoskelet­ten, die mit Motoren die Kraft der Nutzer unter­stützen: Diese kön­nten, so Schick, „auch genutzt wer­den, um die Last­gewichte zu erhöhen. Das wäre nicht im Sinne der Beschäftigten. Sie wür­den dann weit­er­hin an der Belas­tungs­gren­ze arbeit­en.“ Außer­dem kön­nten Fehlfunk­tio­nen dieser Geräte zu Ver­let­zun­gen führen. Eine weit­ere Gefahr, die auch bei pas­siv­en Exoskelet­ten gegeben ist: Wenn Nutzer mit dem Exoskelett stolpern oder stürzen, ist das Risiko groß, dass wegen der zusät­zlichen Masse Ver­let­zun­gen gravieren­der aus­fall­en. Aus Sicht der DGUV müssen jeden­falls die Wirk­samkeit von Exoskelet­ten bei der Ent­las­tung sowie etwaige durch die Nutzung neu entste­hende Risiken noch bess­er unter­sucht und analysiert werden.

Nutzer äußern sich zufrieden

Bei Con­ti­nen­tal fällt eine erste Bilanz am Stan­dort Kor­bach pos­i­tiv aus. Bei den physis­chen Belas­tun­gen haben sich bei Nutzern des Chair­less Chair die Kör­per­hal­tung inklu­sive der Kopfhal­tung sowie die Hal­tungs- und Bewe­gungsverteilung deut­lich verbessert. Das ent­nimmt Con­ti­nen­tal seinem hau­seige­nen elek­tro­n­is­chen Belas­tungs-Doku­men­ta­tions-Sys­tem. Umfra­gen unter den Beschäftigten unter­mauern diese Ein­schätzung. Dem­nach ist die Zahl der­er, die sich kör­per­lich beansprucht und müde fühlen, nach Ein­führung des Chair­less Chair deut­lich gesunken. Alle Nutzer stufen das Exoskelett als „für meinen Arbeit­splatz sehr geeignet“ ein; 73 Prozent stim­men der Aus­sage zu, dass die Stützhil­fe den Arbeit­splatz und die Tätigkeit­en opti­miert. Und alle wür­den den Chair­less Chair weiterempfehlen.

Petra Han­nen


Autorin: Petra Han­nen, Fachjournalistin

Foto: privat

Aktuelle Information zum Einsatz von Exoskeletten

Exoskelette sind am Kör­p­er getra­gene Assis­ten­zsys­teme, die mech­a­nisch auf den Kör­p­er ein­wirken. Sie kön­nen die Belas­tung beim Bewe­gen von Las­ten reduzieren und Beschäftigten helfen, ungün­stige Kör­per­hal­tun­gen zu ver­mei­den. Die Nutzung von Exoskelet­ten wirft jedoch auch Fra­gen auf – zum Beispiel: Wann und wo ist ihr Ein­satz sin­nvoll? Welche Risiken bestehen?

Das Sachge­bi­et Physis­che Belas­tun­gen im DGUV-Fach­bere­ich Han­del und Logis­tik (FBHL) hat Fra­gen und Antworten (FAQ) zu dieser The­matik im Inter­net veröf­fentlicht. Am 30. Novem­ber 2017 trafen sich Vertreter der Beruf­sgenossen­schaften und des IFA mit Entwick­lern, Her­stellern und Anwen­dern zum Erfahrungsaus­tausch. Den aktuellen Erken­nt­nis­stand fasst die neue Fach­bere­ichs-Infor­ma­tion „Ein­satz von Exoskelet­ten an gewerblichen Arbeit­splätzen“ zusam­men. Die Infor­ma­tion kann herun­terge­laden wer­den unter

www.dguv.de (Web­code d1134872)

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