Sind Menschen mit Behinderungen von Bränden bedroht, greifen klassische Methoden des Brandschutzes oftmals nicht und spezielle Lösungen sind gefragt – nicht nur technischer Natur. Vor allem das Verhalten von Betroffenen sowie Aufsichts- und Feuerwehreinsatzkräften spielt eine gewichtige Rolle. Ein frühes Kennenlernen ist das A und O.
Vorkehrungen für einen Brandfall sind eigentlich nicht so schwer zu treffen. Bauliche und technische Maßnahmen wie Brandmelder, Notausgänge und Feuerlöscher müssen vorhanden sowie Brandhelfer definiert sein, wenn die Sirene ertönt. Anders verhält es sich, wenn Menschen mit Behinderungen im Spiel sind. Dann gilt es, ganz spezielle Vorkehrungen zu treffen. Und es muss differenziert werden. „Im Groben unterscheiden wir zwischen Menschen mit geistigen und solchen mit körperlichen Behinderungen“, sagt Friedel Schecker, verantwortlich für Vorbeugung und Planung innerhalb der Branddirektion der Stadt Frankfurt.
Selbstrettung sollte möglich sein
„Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sollten in der Lage sein, sich selber retten zu können.“ Dies sei oberstes Ziel, so Schecker. Bauliche Maßnahmen stehen hier im Vordergrund, wobei man eigentlich nichts Neues erfinden brauche, betont der Fachmann: „Für das alltägliche Leben gibt es in Sachen barrierefreies Bauen bereits eine große Anzahl von Hilfestellungen und Normen.“ Ausreichend große Bedienfelder in Aufzügen oder für Rollstühle geeignete Eingänge, Bewegungsflächen in Bädern oder Stufenvermeidung sind nur einige Beispiele. „Und was hier gut ist, ist auch für den Rettungsfall bei einem Brand gut. Problematisch sind lediglich vertikale Rettungswege“, meint Schecker. Ein zentrales Thema dabei: Aufzüge. Diese müssen auch im Brandfall nutzbar sein. Der hessische Fachmann nennt Lösungen: „Wartebereiche mit schützenden Schleusen vor den Aufzügen, Vorrangschaltungen für die Feuerwehr, gesicherte Etagen mit Fluchtwegen nach draußen sowie eine zusätzliche Stromversorgung bei Stromausfall helfen hier.“ Aber auch der Zuschnitt der Aufzüge sei wichtig, so Schecker: „Die Zugänge müssen breit genug für Rollstuhlfahrer sein und Hinweise zur Aufzugnutzung sind sinnvoll.“
Organisatorische Maßnahmen können das Aufzug-Problem ebenso aus der Welt schaffen, betont Michael Gerhards vom Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege: „Wenn Menschen mit körperlichen Behinderungen sich überwiegend in unteren Stockwerken aufhalten können, kommen sie automatisch leichter ins Freie.“ Eine Maßnahme, die in der Horizontalen, also innerhalb eines Stockwerks, im Brandfall weiterhilft, seien Rauchabschlüsse, die die Verrauchung in einem bestimmten Bereich belässt, betont der Experte. Für den Transport von bettlägerigen Behinderten böten sich spezielle Evakuierungsdecken mit Fixierungsgurten an, die schon im Voraus unter der Matratze platziert sein sollten. „Im Ernstfall wird der Betroffene einfach mitsamt Decke und Matratze aus dem Bett gezogen und kann dank stoßdämpfender Füllung sogar Treppen überwinden“, erklärt Gerhards. Sind Rollstuhlfahrer unvermeidlich in höheren Stockwerken untergebracht, kann ein spezieller Transportstuhl bei der Evakuierung über den Treppenraum hilfreich sein.
Problemfall Wohnheime
Allgemein könne man in Wohnheimen in Sachen Notfallvorsorge nicht so stark durchgreifen, gibt Gerhards zu bedenken: „Da es dort sehr in den privaten Bereich geht, muss man mehr zulassen.“ Brandrisiken beispielsweise durch die Möblierung oder technische Ausstattungen kommen hinzu. Besser sehe dies, so Gerhards, im gewerblichen Bereich aus. „Halten Menschen mit Behinderungen sich in Werkstätten oder allgemein in produzierenden Betrieben auf, sind sie durch zahlreiche Normen und Vorschriften wie die Industriebaurichtlinien geschützt. Und die Brandschutz-Anforderungen der Sachversicherer sind ebenfalls hoch.“
Kommunikation ermöglichen
Sind gehörlose oder sprachbehinderte Menschen von einem Brand betroffen, ist die Warnmitteilung zentrales Thema. Friedel Schecker spezifiziert: „Zum einen gibt es das Problem: Wie nehmen die Behinderten die Warnmeldung auf?“ Handelsübliche akustische Rauchmelder beispielsweise erreichen gehörlose Menschen nicht. Schecker rät zu Blitzsignalen und Rüttelkissen für die Nachtruhe.
Zum anderen gebe es das Problem: „Wie übermittele ich einen Notfall, wenn ich nicht sprechen oder hören kann? Ruft beispielsweise ein Gehörloser eine Notrufleitstelle an, weiß er nicht, ob und wann jemand abnimmt.“ Eine Lösung seien Faxvordrucke, auf denen Einzelheiten des Notfalls nur noch angekreuzt werden müssen. Auf diesem Gebiet habe sich in den vergangenen zehn Jahren einiges getan, so Schecker, jedoch: „Das Angebot besteht noch nicht flächendeckend. Man muss also immer nachfragen, ob die Leitstelle am derzeitigen Standort diesen Service anbietet.“
Apps könnten helfen
Besonders heikel wird es, wenn ein Betroffener unterwegs ist. In diesem Fall könnte ein per SMS verschickter Notruf die Lösung sein. „Diese Möglichkeit hat sich aber bisher nicht durchgesetzt“, bemerkt Schecker. Einerseits steht dem die fehlende Priorität-Funktion bei einer sms entgegen. Auch wichtige Notmeldungen kämen unter Umständen mit erheblicher Verzögerung an. Hinzu kommt, dass eine SMS immer da ankommt, wo der jeweilige Server des Mobilfunkanbieter steht, also unter Umständen weit ab vom eigentlichen Brandort. „Derzeit sind die Verbände dabei, mit speziellen Apps dieses Problem zu umgehen. Erste vielversprechende Ergebnisse gibt es bereits “, erklärt Schecker (siehe Kasten S. 29).
Spielerisches Kennenlernen
Damit das Zusammenspiel zwischen Feuerwehreinsatzkräften und Menschen mit geistiger Behinderung im Brandfall funktioniert, spielt Prävention eine zentrale Rolle. Wichtig sei, so Tim Pelzl, zuständig für Sicherheit und Gesundheit beim Referat „Feuerwehren, Hilfeleistungsorganisationen, Brandschutz“ der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV): „Alle drei Seiten müssen einander kennenlernen, also die behinderten Menschen, Einrichtungsleiter und Pflegepersonal sowie die Mitarbeiter der Feuerwehr. So kann für einen geistig Behinderten eine Feuerwehreinsatzkraft in voller Schutzmontur und mit Atemluftflasche auf dem Rücken schon eine angsteinflößende Kreatur sein. Da rasselt und pfeift es nicht selten, wenn der mit übergezogener Maske redet.“ Um dem entgegen zu wirken, setzt Pelzl auf spielerische Übungssituationen mit allen Beteiligten. Dies baue Ängste ab und helfe, Panik zu vermeiden.
Der Meinung ist auch Michael Gerhards und fügt hinzu: „Nicht selten reagieren geistig Behinderte bei Gefahr wie Kleinkinder, laufen also nicht davor weg, sondern versuchen sich in Schränken oder unter Tischen zu verstecken.“ Daher sind häufig pädagogische Methoden der Brandschutzerziehung auf Primarstufen-Level am besten geeignet, um diese Verhaltensmuster zu ändern, so der Rat des Kölner Experten. Er ergänzt: „Mit allen Sinnen arbeiten ist auch ein guter Ansatz, um Menschen mit geistigen Behinderungen zu erreichen.“ Auf einige Besonderheiten sei aber zu achten: „So können geistig Behinderte nur sehr schwer abstrahieren. Veranschaulicht man ihnen die Brennfähigkeit von Gewebe anhand eines gelben T‑Shirts beispielsweise, denken sie, nur gelbe T‑Shirts können brennen, nicht aber blaue.“
Genauen Überblick verschaffen
Nicht nur der Behinderte, auch die Feuerwehr muss sich auf den Ernstfall mit behinderten Menschen vorbereiten, betont Friedel Schecker: „Grundsätzlich sollten Feuerwehren wissen, wo in ihrem Einzugsgebiet Menschen mit Behinderung leben. Gut kommen wir an Betroffene in Schulen, Heimen und Werkstätten ran.“ Anders verhalte es sich, wenn Betroffene im eigenen Haushalt oder in kleineren Wohneinheiten leben: „Dies ist keine Seltenheit. Und da sie nirgends organisiert sind und sich aus eigener Initiative nur selten informieren und melden, haben wir Feuerwehren es schwer, sie ausfindig zu machen.“
Auch müsse sich die Feuerwehr im Einzelnen über die genauen Bedingungen vor Ort informieren, gibt Tim Pelzl zu bedenken: „Ein frühzeitiger Kontakt zur Leitung der Wohnheime und Werkstätten ist unumgänglich um im Detail zu wissen, mit welchen Arten von Behinderungen die Feuerwehrleute rechnen müssen und welche baulichen Bedingungen herrschen, um die Einsatzstärke und Ausrüstung entsprechend anzupassen.“
Geht es um den direkten Kontakt mit behinderten Menschen, gilt es Kontaktängste zu überwinden. Hier profitieren Feuerwehrangehörige ebenfalls von den gemeinsamen Übungen. Tim Pelzl dazu: „Sie können dann vom Pflegepersonal lernen, wie sie mit den Behinderten und ihren speziellen Einschränkungen umgehen müssen.“ Denn das sei nicht Teil der Grundausbildung, gibt der Fachmann zu bedenken.
Ziel noch nicht erreicht
All diese Bemühungen im Brandschutz bezogen auf Menschen mit Behinderungen stecken jedoch noch in den Kinderschuhen, betont Pelzl und meint: „Von einer flächendeckenden Strategie wie bei der schulischen Brandschutzaufklärung sind wir noch weit entfernt.“ Auch Michael Gerhards erkennt Nachholbedarf und appelliert: „Die Rettungskräfte müssen darauf vorbereitet sein, was sie im Ernstfall erwartet, auch im Umgang mit behinderten Menschen.“ Geht es speziell um bauliche Anpassungen in Wohnheimen, betont Friedel Schecker: „Die sind bei Weitem nicht selbstverständlich. Oftmals müssen wir einiges an Überzeugungsarbeit leisten.“ Er weist auf die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) hin, die sich 2011 mit dem Thema „Wo steht der Brandschutz für Menschen mit Behinderungen?“ befasste. Das Problem sei nur: „Im Mittelpunkt dieser Kampagne standen lediglich die Pflegekräfte. Die Integration der Behinderten war noch außen vor.“ Mittlerweile sei man aber verstärkt dabei, auch sie in Aufklärungskonzepte mit einzubeziehen und Entscheidungen nicht einfach über ihre Köpfe hinweg zu treffen, sagt Schecker. Ein gutes Beispiel sei die Frankfurter Feuerwehr, die nach dem Prinzip, sämtliche Betroffenen bei Präventionsübungen mit einzubeziehen, vorgehe. Ein vielversprechendes Vorbild, das Schule machen sollte.
Michael Köhmstedt
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