Sehr früh, das heißt schon in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts, bestanden bei den Berufsgenossenschaften erste Vorstellungen über die Inanspruchnahme von Spezialärzten anstelle allgemein zuständiger, nicht spezialisierter Ärzte. Das Durchgangsarztverfahren wurde einheitlich bereits im Jahr 1936 eingeführt und wird seitdem praktiziert.
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Die Unfallversicherungsträger (Unfallkassen und Berufsgenossenschaften) haben dabei die guten Erfahrungen, die sie mit den ersten Unfallkrankenhäusern gemacht haben, beeinflusst. Man erkannte, dass nur mit der Hilfe von Spezialisten eine rechtzeitige und qualifizierte Behandlung von Unfallverletzten zu realisieren war. In Deutschland gibt es mittlerweile ca. 3.500 zugelassene Durchgangsärzte. Über drei Millionen Versicherte werden jährlich im Durchgangsarztverfahren behandelt.
Ablauf des Durchgangsarztverfahrens
Der erste Ansprechpartner bei einem Arbeitsunfall ist zunächst immer der nächstgelegene Durchgangsarzt (D‑Arzt). Unter mehreren D‑Ärzten an einem Ort hat der Verletzte die freie Wahl. Auch der Hausarzt ist angehalten, bei Arbeitsunfällen eine Überweisung zu einem D‑Arzt zu veranlassen. Durch den Unfallversicherungsträger kann die Vorstellung bei einem D‑Arzt ebenfalls in die Wege geleitet werden. Der Unfallverletzte muss sich beim D‑Arzt vorstellen, wenn die Unfallverletzung über den Unfalltag hinaus zur Arbeitsunfähigkeit führt oder die Behandlung voraussichtlich länger als eine Woche dauert. Auch dann, wenn nach dem Abschluss der ärztlichen Heilbehandlung erneut Erkrankungen infolge eines Arbeitsunfalls auftreten, ist eine Vorstellung beim D‑Arzt notwendig. Ausnahmen von der Pflicht zur Vorstellung bestehen dann, wenn der Verletzte eine isolierte Augen- oder Hals-Nasen-Ohren-Verletzung hat. In diesem Fall erfolgt gleich die Konsultation des Augen- oder HNO-Arztes.
Auch bei sehr schweren Verletzungen kann der Versicherte natürlich direkt in eine Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik eingeliefert werden. Die Kosten für das Heilverfahren gehen zu Lasten des Unfallversicherungsträgers. Sie werden von den Ärzten unmittelbar mit diesem abgerechnet. Bei Dienstunfällen von Beamten ist das D‑Arztverfahren nicht vorgesehen.
Praxisgebühr
Wenn jemand nach einem Arbeitsunfall bei einem Arzt behandelt wird, braucht er die 10 Euro Praxisgebühr nicht zu zahlen! Der behandelnde Arzt rechnet direkt mit der Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse ab. Es muss auch keine Versicherungskarte vorgelegt werden. Sollte ein Arzt doch die Gebühr erhoben haben, kann diese dem Versicherten durch die Berufsgenossenschaft/ Unfallkasse erstattet werden. Dabei sollte dann die Originalquittung vorgelegt werden. Auch von Zuzahlungen für Arznei- und Heilmittel sind Unfallverletzte befreit.
Wer wird D‑Arzt?
Der D‑Arzt ist als Facharzt für Chirurgie oder Orthopädie niedergelassen oder als solcher in einem Krankenhaus oder in einer Klinik tätig. Er verfügt über umfassendes unfallmedizinisches Wissen und hat besondere Kenntnisse auf dem Gebiet der Behandlung und Begutachtung Unfall-verletzter, z.B. durch Arbeitserfahrung auf einer Unfallstation. Auch hinsichtlich der personellen, apparativen und einrichtungsmäßigen Ausstattung muss der D‑Arzt spezielle Anforderungen erfüllen. Er entscheidet und beurteilt unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Verletzung, ob eine allgemeine oder eine besondere Heilbehandlung erforderlich ist.
Ist aufgrund des erhobenen Befundes eine allgemeine Heilbehandlung ausreichend, beendet er mit der Erstversorgung seine Behandlungstätigkeit. Der Versicherte wird an seinen Hausarzt überwiesen. Ist eine besondere Heilbehandlung erforderlich, um bessere Heilerfolge zu erzielen, kann der D‑Arzt diese durchführen. Der D‑Arzt muss sich im Rahmen der Untersuchung auch mit der Frage befassen, ob überhaupt ein Arbeitsunfall vorliegt und die hierzu festgestellten Fakten dokumentieren. Dazu gehört auch die Befragung des Unfallverletzten nach dem Hergang des Ereignisses, dem Verhalten nach dem Ereignis, dem Zeitpunkt der Arbeitseinstellung und nach früheren Krankheiten und Gebrechen. Das Ergebnis der Untersuchung hält er in einem Bericht fest. Dieser wird an den zuständigen Unfallversicherungsträger übersandt.
Wo Durchgangsärzte in der Nähe sind, kann man beispielsweise über die zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse in Erfahrung bringen. Auch in den Unternehmen liegt ein Verzeichnis dazu vor.
Der D‑Arzt kann natürlich auch bei privaten Unfällen aufgesucht werden. Allerdings übernimmt dann die Krankenkasse die Kosten für die Heilbehandlung.
Wann wird der H‑Arzt beteiligt?
Der H‑Arzt ist ein an der besonderen Heilbehandlung beteiligter Arzt, der fachlich befähigt, und entsprechend ausgestattet ist. Er darf ohne eine Vorstellung beim D‑Arzt eine besondere Heilbehandlung durchführen. Die besondere Heilbehandlung ist eine fachärztliche Behandlung, die wegen Art und Schwere der Verletzung eine besondere unfallmedizinische Qualifikation verlangt. Dazu gehören auch hier u. a. die Einleitung aller erforderlichen Rehabilitationsmaßnahmen sowie die Beurteilung der kausalen Zusammenhänge zwischen Arbeitsunfall und Verletzung sowie die Steuerung und Überwachung des Heilverfahrens. Der H‑Arzt darf die besondere Heilbehandlung jedoch nur bei bestimmten Verletzungen, beispielsweise schweren Prellungen, Stauchungen oder bei Knochenbrüchen ohne Gelenkbeteiligung durchführen.
Wann kann ich wieder zu meinem Hausarzt?
Die allgemeine Heilbehandlung bedarf keines besonderen personellen oder apparativ-technischen Aufwandes oder einer speziellen unfallmedizinischen Qualifikation. Sie kann von jedem Hausarzt durchgeführt werden, wenn der D‑Arzt oder H‑Arzt den Verletzten an den Hausarzt zur allgemeinen Heilbehandlung überwiesen hat.
Nochmals das Wichtigste in Kürze: Zweck des D‑Arztverfahrens ist es, den Unfallverletzten eine schnelle und sachgerechte Heilbehandlung durch unfallmedizinisch besonders erfahrene Ärzte zukommen zu lassen. Deshalb sollte derjenige, der einen Unfall während der Arbeit erleidet, sofort den nächstgelegenen D‑Arzt aufsuchen. Informationen und Adressen zu D- oder auch H‑Ärzten in der Nähe sind beim Arbeitgeber oder bei der zuständigen Unfallkasse oder Berufsgenossenschaft erhältlich. Den Arbeitgebern obliegt die Verpflichtung die Beschäftigten beispielsweise in Dienstbesprechungen regelmäßig auf die Vorstellungspflicht beim D‑Arzt nach Eintritt eines Arbeitsunfalls zu unterrichten.
Antje Didlaukat
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