Zugegeben, als Sachverständiger lebt man oft davon, dass andere ein Problem haben. Allerdings haben wir auch Verantwortung der Gesellschaft gegenüber, und so können wir durch unser Tun versuchen, alles ein bisschen sicherer zu machen. Im Bestellungsbereich der „Gefährdungsanalyse“ gibt es sehr viel zu tun und wir wollten uns einen kleinen Traum erfüllen, nämlich prophylaktisch tätig zu sein und nicht nur zu versuchen, den Schaden zu begrenzen. Dies war der Grund, „Elektriker Horst“ filmisch umzusetzen.
Wir wollten einen lustigen Kurzfilm machen, in dem wir auf die Gefahren von Strom am Arbeitsplatz hinweisen. Und im Nachhinein stellen wir fest: Das hat richtig viel Spaß gemacht und es war bestimmt nicht unser letzter Versuch Hollywood nachzueifern!
Gute Ideen haben oft die Geburtsstunde in einer gemütlichen Runde bei Kaffee oder geistigen Getränken. So war es auch bei uns. Aus sehr vielen eigenen Vorträgen weiß ich, dass Belehrungen, Arbeitschutzveranstaltungen und Sicherheitsunterweisungen für den, der sie sich anhören muss, oft eine einschläfernde Wirkung haben. In der heutigen reizüberfluteten Welt bedarf eine Botschaft, damit sie überhaupt wahrgenommen wird, einer gewissen Übertreibung und einer Portion Lustigkeit. Die wildesten Beispiele in meinen Vorträgen behalten sich die Zuhörer am besten, und sie regen am meisten zum Nachdenken an.
Der Anfang, die Idee
Wir fingen im Mai 2008 an ein Grundkonzept zu schreiben. Meine Lieblingsgefährdung ist die Elektrizität. Strom hört man nicht, riecht man nicht und er ist sehr gemein, denn er verzeiht keine Fehler. Deswegen gilt besonders für die Elektrik: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!
Das ist für den Elektriker eine Weisheit, der eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Denn die Unfallstatistik zeigt, was jeder weiß: Das Hantieren mit Strom ist gefährlich, ja oft lebensgefährlich. Die Statistik zeigt aber auch, dass viele Unfälle durch mehr Sorgsamkeit vermeidbar sind. Ketzerisch gesagt: Es gibt dumme Elektriker und alte Elektriker. Aber es gibt keine dummen alten Elektriker.
Nach der Grundidee gingen wir auf die Suche nach jemand, der das filmisch umsetzen kann. Die erste Idee war, alles selber zu machen. Nach einem Gespräch mit einem guten Hobbyfilmer, kam von diesem die klare Empfehlung, das nur mit Profis anzugehen. Kein Problem, es gibt auf dem Markt viele, die eine Kamera gut führen können. Die Qual der Wahl war groß und irgendwann entscheidet die Kombination von Bauchgefühl und Kostenvoranschlag. Wir gaben den Zuschlag dem Regionalsender „TV Mittelrhein“ unter der Führung des Regisseurs Thomas Heinz.
Regie und Filmleute
Glücklicherweise war dieser Regisseur gerade am Vortag vom TV Mittelrhein angestellt worden und hatte noch keine Projekte. Also ging er mit Feuereifer an das Werk und nach nur 3 Wochen war das Drehbuch fertig. In der Zeit gab es viele Absprachen, da wir die Filmleute an die Problematik Arbeitsschutz und Elektrik erst heranführen mussten. Wir nahmen uns die sogenannten 5 Grundregeln der Elektrik als Leitfaden vor.
Die 5 Sicherheitsregeln
- Freischalten
- Gegen Wiedereinschalten sichern
- Spannungsfreiheit feststellen
- Erden und kurzschließen
- Benachbarte, unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken.
Der Drehort
Die Suche nach einem Drehort war schwieriger. Wir brauchten Örtlichkeiten, an denen alle 5 Grundregeln dargestellt werden konnten. Also große Unternehmen mit einem großen Stromverbrauch. Der erste Kandidat war gefunden, allerdings bekamen wir eine Woche vor Drehbeginn eine Absage. Denn einem Mitarbeiter ist das passiert, was wir unter anderem filmisch darstellen wollten: Er fiel in einen Verteiler und wurde schwer verletzt, lag längere Zeit im Koma. So wäre es natürlich pietätlos gewesen, vor dessen Kollegen genau das noch filmisch mit einer Portion Humor umzusetzen, was fast einen Menschen getötet hätte. Manchmal braucht auch der Tüchtige Glück und das hatten wir mit der Firma Aleris in Koblenz. Das Aluminium auf einem sehr hohen Niveau verarbeitende Unternehmen hatte alles, was unser Drehort verlangte – inklusive einer sehr kooperativen Geschäftsführung und begeisterten Mitarbeitern, die uns sehr gut unterstützt haben.
Die Schauspieler
Zwischenzeitlich wurden die Schauspieler ausgesucht. Wir merkten schnell, dass sachlich nüchterne Techniker wie wir für das Umsetzen von Szenen nicht besonders geeignet sind. Aber auch für uns war es nicht einfach, für uns ganz selbstverständliche technische Zusammenhänge so zu erklären, dass es ein Schauspieler versteht. So ließ unser Chefelektriker alle Schauspieler nach der Frage, ob jemand einen Herzschrittmacher oder einen Herzfehler hat, sich an die Hände fassen. Die außen stehenden Schauspieler sollten jeweils einen Kontakt an einem Gerät mit einer kleinen Kurbel anfassen. Jeder, der sich in der Materie auskennt, weiß, was jetzt passiert und wäre tunlichst der Aufforderung nicht nachkommen. Aber: Die Kurbel wurde gedreht und alle Schauspieler wussten schlagartig, was Strom ist. Ab jetzt hatten diese sehr viel Respekt vor den ganzen Kästen, Schränken und Räumen mit der Aufschrift: „Vorsicht – Elektrischer Strom“.
Ein Erfolg von der zugegebenerweise recht drastischen Unterweisung war, dass wir keinen tatsächlichen Unfall während der Dreharbeiten hatten.
Am ersten Drehtag war eine komplette Arbeitsschutzunterweisung die erste Handlung. Wenn drei Tage mit einer 30 Mann starken Gruppe in einem verarbeitenden Unternehmen gedreht wird, ist Disziplin die wichtigste Grundlage.
Der Film
Unser Protagonist „Horst“ gerät in typische Gefahrensituationen, die überspitzt dargestellt wurden – so aber didaktisch nachhaltig wirken. Stilistisch lehnten wir uns teilweise an den kultigen „Staplerfahrer Klaus“ an, allerdings: Was wir filmisch umsetzten, ist realistisch, denn der Filmstoff kam aus tatsächlichen Unfällen bzw. Unfallgutachten.
Viele der Zuschauer und Schauspieler wollten nicht glauben, was alles passieren kann. Wir hätten doch maßlos übertrieben! Doch wir alle wissen, dass eigentlich gar nichts unmöglich ist und der Mensch immer wieder Wege findet, alles, was zu seiner Sicherheit ausgedacht wurde, gezielt zu umgehen.
Um die Szenen interessanter zu gestalten wurde natürlich viel Pyrotechnik verwendet. Dabei mussten alle Ladungen so dimensioniert werden, dass es spektakulär aussieht, allerdings nichts beschädigt wird. Weiterhin wurden in Absprache mit der Betriebsfeuerwehr die Feuermeldeanlagen im Filmbereich abgeschaltet, denn jeder Rauchmelder hätte nach einer der vielen Filmexplosionen sofort die Feuerwehr verständigt. Nichtsdestotrotz wurde beim Einsatz einer Nebelmaschine soviel Nebel produziert, dass er in eine Nachbarhalle quoll und die Kollegen von nebenan mit Feuerlöschern uns sofort retten wollten. Fazit: Bei der Firma Aleris funktioniert die Rettungskette vorbildlich!
Am zweiten Drehtag wurden die Büroszenen im Koblenzer Technologiezentrum aufgenommen. Hier erfuhr ich auch, in was für Zeitdimensionen Filmschaffende denken. Der Begriff: „dauert noch eine halbe Stunde“ beschreibt eine tatsächliche Zeitspanne von mindestens 2 Stunden bis einen halben Tag. Wenn man sich daran gewöhnt hat, kann man damit auch umgehen. Man muss eben nur etwas globaler die Zeit betrachten.
Der dritte und vierte Drehtag in der Firma Aleris waren lang und stressig. Die Schauspieler entwickelten immer mehr ein Gefühl für Strom und waren mit viel Spaß dabei. Die Maskenbildnerin wurde immer glücklicher, denn bei ihrer normalen Arbeit für Gerichtsshows im Fernsehen durfte sie sich nicht so austoben wie am Koblenzer Filmset. Mit anderen Worten: Sie ließ ihr selbstgemachtes Filmblut mehr als tropfenweise fließen.
Als belehrendes Element tritt nach jedem Unfall ein „Elektromeister“ auf, der recht zynisch die Sachlage kommentiert. Mit dieser Rolle „verschmolz“ ein Nachrichtensprecher des TV Mittelrhein regelrecht – zur Freude aller Anwesenden.
Die Uraufführung
Nach vier Drehtagen ist man ziemlich erschöpft, aber glücklich, dass es vorbei ist. Wenn man allerdings denkt, dass nun ein Film fertig ist, so irrt man gewaltig. Es folgen vier Wochen Schneidearbeiten und Vertonen im Filmstudio. Und Einarbeiten der Änderungswünsche, Szenen kürzen oder verlängern, Musik aussuchen und erste Kritiken einholen. Dann alles wieder von vorn. Es ist richtig Arbeit! Und man ist froh, wenn die DVD fertig vor einem liegt. Aber nicht vollständig zufrieden, denn die eigenen Ansprüche wachsen mit der Erfahrung und man würde doch noch das eine oder andere gerne verändern. Nach der gelungenen Uraufführung im Koblenzer Deinhardkeller ist nun ein Jahr vergangen. Allein vom eigenen Server wurde der Kurzfilm „Elektriker Horst“ über 200.000-mal heruntergeladen. Auf ca. 40 Servern steht er zum Download bereit. Wir denken, er wird seinen Weg gehen, denn die Resonanz ist sehr gut. Größtenteils wird der Film bei Arbeitsschutzbelehrungen als kleiner Höhepunkt oder als Start für Diskussionen eingesetzt.
Fazit
Mit unserem Film geht es uns weder um Einspielergebnisse noch um Filmtrophäen. Der größte denkbare Erfolg unseres Engagements ist die nachhaltige Vermeidung von Unfällen am Arbeitsplatz. Wenn auch nur ein Unfall nicht passiert, hat sich alle Mühe mehr als gelohnt! Und deswegen ist der Film auch kostenfrei. Gerne darf man allerdings auf ein Konto des Lions-club Koblenz Geld überweisen (als Spende absetzbar), dass zu 100 Prozent für gemeinnützige Zwecke als Spende bedürftigen Kindern zu Gute kommt.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat im Juni 2008 „Elektriker Horst“ offiziell in ihre Bibliothek übernommen.
Die Macher
Thorsten Neumann ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Gefährdungsanalysen von Arbeitsplätzen der IHK Koblenz. Er ist mehrfacher Buchautor so z.B. für den VDE-Verlag (Schriftenreihe 121 „Betriebssicherheitsverordnung in der Elektrotechnik“ und Schriftenreihe 120 „Organisation der Prüfung von Arbeitsmitteln“ und die Schriftenreihe 129 „Internes Risikomanagement“).
Elektriker, Du sollst auf Dich und Deine Mitmenschen aufpassen! lautet die Botschaft von MEBEDO-Geschäftsführer und Horst-Produzent Thorsten Neumann.
Unsere Webinar-Empfehlung
15.06.23 | 10:00 Uhr | Maßnahmenableitung, Wirksamkeitsüberprüfung und Fortschreibung – drei elementare Bausteine in jeder Gefährdungsbeurteilung, die mit Blick auf psychische Belastung bislang weniger Beachtung finden.
Teilen: