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Gefährlicher Griff zum Glas

Alkohol und Drogen
Gefährlicher Griff zum Glas

Ein Bierchen beim Betrieb­s­fest, ein Glas Sekt oder Rotwein mit den Kol­le­gen am Geburt­stag: Rund zehn Prozent aller Beschäftigten in Deutsch­land gel­ten als alko­holkrank oder sind erhe­blich gefährdet. Andere beruhi­gen sich bei der Arbeit mit Medika­menten und Dro­gen oder putschen sich auf.

Fast 95 Prozent aller Erwach­se­nen gaben im Jahr 2000 bei ein­er Umfrage an, Alko­hol zu trinken. In den meis­ten Betrieben gilt zwar ein Alko­holver­bot, aber per Gesetz gibt es kein generelles Ver­bot von Alko­hol bei der Arbeit. Und selb­st wer nicht bei der Arbeit trinkt, kann betrunk­en zur Arbeit kom­men. Denn um 0,5 Promille abzubauen – das entspricht etwa einem hal­ben Liter Pils – braucht die Leber fast dreiein­halb Stun­den. Wer also nachts um 23 Uhr 1,5 Promille hat, hat mor­gens um sechs immer noch 0,5. Da hil­ft kein Kaf­fee oder Wass­er. Nichts beschle­u­nigt den Abbau oder „verdün­nt“ den Alko­hol­ge­halt im Blut. Schon ab 0,2 Promille ver­schlechtert sich die Sehleis­tung und bewegliche Lichtquellen wer­den falsch eingeschätzt. So wer­den etwa Lichter von Fahrzeu­gen im Dunkeln schlechter erkan­nt. Aber auch die Konzentrations‑, Kri­tik- und Urteils­fähigkeit lassen schon nach weni­gen Schluck­en Alko­hol nach. Die Risikobere­itschaft steigt und die Reak­tion­szeit verzögert sich.
Bei 0,5 Promille lassen die Hell-Dunkel-Anpas­sung, die Geschwindigkeit­sein­schätzung und das Hörver­mö­gen nach. Man kann erste Anze­ichen von Enthem­mung erken­nen. Wer die erste Promille über­schrit­ten hat, dessen Sehleis­tung ist um 25 Prozent reduziert. Die Reak­tion­szeit ist um mehr als 50 Prozent ver­langsamt. Auch das Sprechen fällt nun schwer.
Durch ver­längerte Reak­tion­szeit­en, ver­min­derte sinnliche Wahrnehmung und enthemmtes Entschei­dungsver­hal­ten erhöht sich das Unfall­risiko. Man geht davon aus, dass min­destens zehn Prozent der tödlichen Arbeit­sun­fälle auf Alko­hol zurück­zuführen sind.
Betrunk­en bei der Arbeit
Wer betrunk­en zur Arbeit kommt oder sich am Arbeit­splatz betrinkt, gefährdet sich und andere. Ein alko­holisiert­er Mitar­beit­er sollte deshalb vom Vorge­set­zten nach Hause geschickt wer­den. Damit er sich­er und ohne Schaden dort ankommt, sollte eine Begleit­per­son mit­geschickt oder auf Kosten des Mitar­beit­ers ein Taxi beauf­tragt werden.
Wenn ein Arbeit­nehmer wegen Alko­hol bei der Arbeit auf­fällt, kann er eine Abmah­nung und im wieder­holten Falle eine frist­gemäße ver­hal­tens­be­d­ingte Kündi­gung erhal­ten. Bei Arbeit­nehmern wie Beruf­skraft­fahrern, Bagger‑, Kran­führern aber auch Ärzten oder Piloten kann schon der ein­ma­lige Ver­stoß gegen das Alko­holver­bot die Kündi­gung recht­fer­ti­gen. Denn Trunk­en­heit stellt bei ihren Tätigkeit­en eine beson­dere Gefahr für andere dar.
Rund 1,5 Mil­lio­nen Men­schen in Deutsch­land gel­ten als medika­menten­ab­hängig, mehr als zwei Drit­tel davon sind Frauen. Am Arbeit­splatz sind Medika­mente geset­zlich nicht verboten.
Zuge­dröh­nt und vollgepumpt
Laut ein­er Umfrage der Deutschen Angestell­ten Krankenkasse (DAK) nehmen gut zwei Prozent der Erwerb­stäti­gen Pillen oder Tropfen, um den Stress am Arbeit­splatz zu ertra­gen oder um die Leis­tung zu steigern. Aber auch als Folge der Arbeit wer­den Medika­mente ein­genom­men, Schlafmit­tel zum Beispiel nach der Nachtschicht. Bere­its geringe Men­gen an Medika­menten oder Dro­gen erhöhen die Reak­tion­szeit und die Risikobere­itschaft. Bis die Wirkung abge­baut ist, dauert es Stun­den. Bei jun­gen Leuten wirkt sich etwa der Rauschmit­telkon­sum am Woch­enende bis in den Anfang der Arbeitswoche aus. Unfälle und Arbeit­saus­fall­t­age nehmen zu.
Ob Alko­hol, Medika­mente oder Rauschmit­tel – die Gefahr der Sucht ist ein ständi­ger Begleit­er. Was einem ein­mal hil­ft, kann zur Gewohn­heit wer­den. Abhängigkeit kann aus ver­schiede­nen Grün­den begin­nen, bei der Arbeit etwa Über- oder Unter­forderung, unregelmäßige Arbeit­szeit­en, man­gel­nde Wertschätzung oder Mob­bing. Kom­men zum beru­flichen Stress Sor­gen und Prob­leme im pri­vat­en Bere­ich, kann das eine Abhängigkeit auslösen.

„Alkoholproblem sofort ansprechen“

Inter­view

Dr. Mar­i­on Reuß, Fachärztin für Arbeitsmedi­zin und Lei­t­erin des Insti­tuts für Arbeits- und Sozial­hy­giene (IAS) in Stuttgart, beschäftigt sich seit Jahren mit der Wiedere­ingliederung von suchterkrank­ten Mitar­beit­ern. SB-Mitar­bei­t­erin Bet­ti­na Bruck­er unter­hielt sich mit ihr über die Möglichkeit­en und Gren­zen im Betrieb.
Frau Dr. Reuß, wie wichtig ist es, dass sich der Betrieb ein­mis­cht, wenn ein Mitar­beit­er auffällt?
Dr. Mar­i­on Reuß: Sehr wichtig, schon wegen der Arbeitssicher­heit. Aus rechtlich­er Sicht darf jemand nur arbeit­en, wenn er für die Tätigkeit geeignet ist. In einem Rauschzu­s­tand ist das nicht mehr gewährleistet.
Wann und wie sollte die Suchterkrankung the­ma­tisiert werden?
Dr. Mar­i­on Reuß: Der Vorge­set­zte hat die Ver­ant­wor­tung für seine Mitar­beit­er. Wenn ihm auf­fällt, dass jemand am Arbeit­splatz eine Fahne hat, muss er das sofort ansprechen. Meist ist das nicht das erste Mal, dass die Per­son getrunk­en hat. Bis ein Alko­holkranker auf­fällt, gehen Monate, oft sog­ar Jahre ins Land.
Der Vorge­set­zte sollte sagen, was er wahrn­immt: Ich rieche eine „Fahne“, ich sehe glasige Augen oder ich beobachte ein verän­dertes Ver­hal­ten. Damit spiegelt er die Per­son. Vor­würfe oder Rückschlüsse wie: „Sie sind ja total betrunk­en“, sind fehl am Platz und helfen niemandem.
Wenn der Mitar­beit­er wieder nüchtern ist, muss der Vorge­set­zte zeit­nah zum Vor­fall ein Gespräch mit ihm führen. Dabei sollte der Besuch ein­er Sucht­ber­atung angeregt und ein weit­er­er Gespräch­ster­min nach vier bis sechs Wochen vere­in­bart werden.
Ist der Mitar­beit­er weit­er auf­fäl­lig, sollte beim zweit­en Gespräch jemand von der Per­son­al­abteilung, der Betrieb­sarzt oder der Betrieb­srat dabei sein. Der Betrof­fene bekommt unter anderem aufer­legt, die Sucht­ber­atung aufzusuchen. Danach muss er seinem Arbeit­ge­ber eine Anwe­sen­heits­bestä­ti­gung vor­legen. Viele Unternehmen haben ihre Vorge­hensweise in ein­er Betrieb­svere­in­barung festgehalten.
Welche Möglichkeit­en hat die betriebliche Wiedere­ingliederung speziell bei Suchtkranken?
Dr. Mar­i­on Reuß: Heute gibt es die ver­schieden­sten For­men, Sucht zu behan­deln. Das geht von der ambu­lanten bis hin zur mehrwöchi­gen sta­tionären Therapie.
War ein Mitar­beit­er für län­gere Zeit krank geschrieben, ist es wichtig, dass der Betrieb­sarzt über die Rück­kehr informiert wird. Er kann bei Bedarf die anderen Mitar­beit­er über die Sit­u­a­tion aufk­lären. Dazu kön­nen auch Ansagen gehören wie: Wer den Kol­le­gen zum Trinken ani­miert, bekommt eine Abmah­nung. Sin­nvoll ist es, wenn der Mitar­beit­er an seinem Arbeit­splatz bleiben bzw. wieder in seine Abteilung, also in sein nor­males Umfeld zurück­kehren kann. Ein trock­en­er Alko­ho­lik­er ist ein sehr wertvoller Mitar­beit­er. Er hat hohe soziale Kom­pe­tenz. Oft ist er zudem inner­be­trieblich als Suchthelfer tätig.
Und wo sind die Grenzen?
Dr. Mar­i­on Reuß: Eine Sucht kann auch zu kör­per­lichen Beein­träch­ti­gun­gen führen. Durch Alko­holkon­sum kön­nen zum Beispiel die Ner­ven in den Füßen geschädigt wer­den. Der medi­zinis­che Fach­be­griff dafür ist Polyneu­ropathie. Wer daran lei­det, kann keine Fahrtätigkeit mehr aus­führen. Deshalb muss nach ein­er Suchterkrankung geprüft wer­den, inwieweit Fähigkeit­en und Arbeit­splatz zusammenpassen.
Wie sieht es mit Dro­gen aus?
Dr. Mar­i­on Reuß: Cannabis ist ein The­ma bei jun­gen Leuten. Ein gutes und erfol­gre­ich­es Beispiel zum Umgang mit dem The­ma gibt es bei BASF. Das Unternehmen bildet Azu­bis zu Tutoren aus, die über Sucht informieren. So wird die Eigen­ver­ant­wortlichkeit der Jugendlichen gestärkt und die Aufk­lärung kommt nicht von oben herab.
Welche Rolle spielt das Führungsver­hal­ten, wenn es um Sucht geht?
Dr. Mar­i­on Reuß: Eine ganz zen­trale. Der dro­hende Ver­lust des Arbeit­splatzes ist oft der einzige Hebel, der bei Alko­holkranken wirkt. Die Arbeit zu ver­lieren, das ist gefürchtet und wirkt sich sozial ein­schnei­dend aus. Die Unternehmen haben hier eine große Ver­ant­wor­tung und die besten Voraus­set­zun­gen, erkrank­ten Mitar­beit­ern zu helfen. Die Chance, einen erwerb­stäti­gen Mitar­beit­er aus der Sucht zu holen, liegt bei 50 Prozent. Lei­der haben einige Betriebe die Wirtschaftkrise genutzt, um betrof­fe­nen Mitar­beit­ern zu kündi­gen. Doch das löst das Prob­lem wed­er gesellschaftlich noch auf Dauer betrieb­sin­tern. Alko­hol­sucht ist immer wieder ein aktuelles Thema.

Alkoholverbot
Alko­holver­bote beste­hen nach lan­desrechtlichen Vorschriften im Berg­bau, für Werkss­chutz- und Bewachung­sun­ternehmen sowie bei der Ver­ar­beitung von Kleb­stof­fen. Per Verord­nung gilt die Null-Promil­le­gren­ze auch für Unternehmen im Per­so­n­en­verkehr. Und auch das Jugen­dar­beitss­chutzge­setz (JArb­SchG) ver­bi­etet Alkohol.
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