Beim Müllsortieren greift Marc in eine Glasscherbe. Aus der Wunde tropft Blut. Sein Kollege Werner kommt schon mit dem Verbandszeug. Er ist Ersthelfer im Betrieb und weiß, was zu tun ist. Der Schnitt ist zum Glück nicht sehr tief. Er versorgt die Schnittwunde und trägt den Vorfall ins Verbandbuch ein.
2010 ereigneten sich rund 955.000 gemeldete Arbeitsunfälle in Deutschland, so die DGUV. Wichtig bei einem Unfall ist für die Betroffenen schnelle Hilfe. Manchmal reicht ein Pflaster. Manchmal kann es aber auch sein, dass der Helfende vor allem die Ruhe bewahrt, etwa wenn ein Verletzter eingeklemmt ist oder eine Person bewusstlos da liegt, und erst dann handelt.
Egal ob leichte oder schwere Verletzungen: jeder ist laut § 323 des Strafgesetzbuches verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten. Gemeint sind medizinische, organisatorische oder betreuende Maßnahmen, um akute Gesundheits- oder Lebensgefahr abzuwenden.
Das ist zu tun
Hat sich ein Unfall ereignet, sollten die Maßnahmen ruhig und besonnen durchgeführt werden. Dafür muss als Erstes geklärt werden, was genau passiert ist. Danach ist zu entscheiden, ob man die medizinische Versorgung selbst durchführen kann. Anschließend kann es notwendig sein, den Mitarbeiter zum Durchgangsarzt zu schicken, damit dieser eine ärztliche Behandlung durchführt. Auf alle Fälle muss der Vorfall ins Verbandbuch eingetragen werden. Nur so ist gewährleistet, dass bei möglichen Folgeschäden die berufliche Unfallversicherung einspringt. Bei einer kleinen Schnittverletzung scheint das zunächst vielleicht überzogen. Entzündet sich die Wunde aber und ist deshalb eine umfassendere Heilbehandlung notwendig, wird aus dem Bagatellfall eine teure Angelegenheit. Dann ist es wichtig, dass der Versicherungsschutz greift.
Bei einem Notfall sollte wie folgt vorgegangen werden:
- Die Unfallstelle absichern, z. B. Maschinen abstellen, Ventile schließen usw.,
- Hilfe holen, z. B. Ersthelfer oder Rettungsdienst,
- Kollegen alarmieren, die noch gefährdet sein könnten,
- Verletzte retten und erst versorgen.
Ist das Unfallopfer nicht ansprechbar, ist sofort zu prüfen, ob Atmung und Herzschlag vorhanden sind. Wenn nicht, ist unverzüglich mit Wiederbelebungsmaßnahmen zu beginnen und ein Notruf abzusetzen. Schnelle und professionelle Hilfe braucht es auch, wenn schwere Verletzungen vorgefunden werden. Dann ist besonders wichtig, dass sich der Verletzte gut betreut und in Sicherheit fühlt. Neben der Versorgung der Verletzungen ist der Betroffene zu beruhigen und zu betreuen, bis ärztliche Hilfe vor Ort ist. Oft kann es die Situation auch erfordern, eine Schocklagerung vorzunehmen.
Notruf 112 – einen Unfall melden
- Wo ist es passiert?
- Was ist passiert?
- Wie viele Personen sind verletzt?
- Welche Arten von Verletzungen sind es?
- Warten auf Rückfragen!
Reanimation – die wichtigen Griffe der Wiederbelebung
Ist bei einer leblosen Person die Atmung nicht normal, sollte sofort mit der Herzmassage begonnen werden. Nur dann ist gewährleistet, dass Herz und Gehirn mit Sauerstoff versorgt wird.
- In der Mitte des Brustkorbes wird
- 100mal pro Minute mindestens
- fünf Zentimeter tief gedrückt und dann
- vollständig entlastet.
(Quelle: Herz-Lungen-Wiederbelebung nach den ERC Leitlinien 2010 des deutschen Rats für Wiederbelebung)
Zur Wiederbelebung können auch Defibrillatoren eingesetzt werden. In vielen Betrieben sind solche Geräte angeschafft worden. Den Umgang damit sollte mit den Mitarbeitern regelmäßig geschult werden. Nur so trauen sie es sich im Notfall zu, schnell und sicher zu helfen.
Erstversorgung nach einem Unfall mit abgetrenntem Körperteil
Ob die Bandsäge einen Finger abtrennt oder bei einem Maschinenunfall ein Bein amputiert wird – bei solchen Unfällen ist schnelle Hilfe und gekonnte Erstversorgung extrem wichtig. Dann sind sie Chancen gut, dass die Körperteile in einer Spezialklinik, wie etwa der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen, wieder erfolgreich angenäht werden können. Das ist aber nur möglich, wenn das Körperteil nach dem Unfall richtig aufbewahrt und zusammen mit dem Unfallopfer in die Klinik eingeliefert wird. Und zwar so schnell wie möglich.
Das sollte der Ersthelfer am Unfallort machen:
- den Verletzten in eine stabile Seitenlage bringen,
- Rettungsdienst informieren,
- Blutung mit einem Druckverband stoppen,
- Wundfläche steril abdecken,
- abgetrenntes Körperteil suchen,
- in ein trockenes, steriles Tuch einschlagen,
- dann dicht in einem Plastikbeutel verpacken,
- verschlossenen Plastikbeutel in Eiswasser bei plus vier Grad Celsius lagern.
Grundsätzlich ist jeder zur Ersten Hilfe verpflichtet. Zusätzlich muss es in jedem Betrieb ab zwei Beschäftigten einen ausgebildeten Ersthelfer geben. Bei mehr als 20 anwesenden Beschäftigten in Verwaltungs- und Handelsbetrieben müssen fünf Prozent der Beschäftigten als Ersthelfer ausgebildet sein, bei sonstigen Betrieben zehn Prozent. In Betrieben mit gefährlichen Arbeitsstoffen oder für Elektrobetriebe ist eine Zusatzausbildung notwendig, da besondere Maßnahmen bei Unfallverletzten zu beachten sind (§ 26 BGV A1).
Die Aus- und Fortbildung von Ersthelferinnen und Ersthelfern kostet Geld. Der Betrieb muss die Beschäftigten für die Dauer der Ausbildung freistellen und für die Fahrtkosten aufkommen. Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung übernehmen die Lehrgangskosten. Eine Fortbildung (ein Tag alle zwei Jahre) ist kürzer als die Erstausbildung (zwei Tage/16 Stunden) und dadurch deutlich günstiger. Deshalb lohnt es sich, wenn eine Person die Aufgabe für mehrere Jahre übernimmt.
Auf der Suche nach möglichen Ersthelfern hört man sich am besten im Betrieb um. Vielleicht ist jemand ehrenamtlich im Rettungsdienst oder bei der Feuerwehr. Sonst schickt man am besten Freiwillige auf einen zielgruppenspezifischen Erste-Hilfe-Lehrgang. Dort stehen praktische Übungen im Vordergrund, die sich an den betrieblichen Gefährdungen orientieren. Die Schulungen vermitteln auch soziale Handlungskompetenz. So lernen die Ersthelfer folgende Grundlagen für eine Notfallsituation:
- Sensibel auf die Bedürfnisse eines Verletzten eingehen,
- eine Notlage erkennen,
- den Notruf tätigen,
- die hilfsbedürftige Person betreuen,
- einen Betroffenen nicht alleine lassen.
Unterweisung – Erste Hilfe lässt sich lernen
Erste Hilfe ist kein Hexenwerk. Trotzdem haben viele Angst davor, in einer Notsituation zu versagen oder nicht zu wissen, was zu tun ist. Dagegen lässt sich etwas machen. Regelmäßige Schulungen zu Erste-Hilfe-Themen bieten Sicherheit und stärken das Vertrauen ins eigene Können. Außerdem müssen sie laut Arbeitsschutzgesetz sowieso mindestens einmal pro Jahr durchgeführt werden.
Neben vielen praktischen Übungen sollten die Schulungen auch immer wieder auf rechtliche Aspekte eingehen. Denn auch hier besteht Unsicherheit und oft sogar Unwissenheit. Dabei gilt:
Ersthelfer haben das Recht auf ihrer Seite!
Immer wieder zögern Kolleginnen und Kollegen, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen. Der größte Fehler allerdings ist es, nichts zu machen.
Wenn jemand Erste Hilfe leistet und dabei der verletzten Person Körperschäden zufügt oder Sachbeschädigungen herbeiführt, hat das keine rechtlichen Folgen für den Ersthelfer. Denn manchmal ist es notwendig, ein Kleidungsstück zu zerschneiden, um eine Wunde zu versorgen oder jemanden wieder zu beleben, trotz des Risikos, dabei eine Rippe zu brechen. Und auch wer zu schnell fährt, um dringend benötigte fachliche Hilfe zu holen, die etwa telefonisch nicht erreichbar ist, muss mit keinen strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.
Wer sich als Ersthelfer verletzt oder wem bei der Hilfe etwas beschädigt wird, hat selbst Ansprüche auf Schadenersatz. Im Betrieb, beim Weg von oder zur Arbeit sowie auf Dienstwegen sind Körperschäden über den Unfallversicherungsträger des Verletzten abgedeckt. Sachschäden können gegenüber dem verpflichteten Unternehmer geltend gemacht werden. Sollte der Ersthelfer bei der Hilfeleistung zu Tode kommen, haben die Hinterbliebenen Anspruch auf Rente und Sterbegeld.
Strafbar macht sich also nur, wer eine Hilfeleistung vorsätzlich unterlässt und damit in Kauf nimmt, dass der Verletzte oder Erkrankte keine Hilfe erhält.
Berufsspezifische Verbandkästen
Jeder Beruf birgt eigene Risiken und Gefahren. Schnittverletzungen mit scharfen Papierkanten ereignen sich überwiegend in Büros. Verätzungen passieren dagegen eher in der chemischen Industrie und Quetschungen oder Prellungen auf Baustellen. So gibt es für die individuellen Berufsrisiken speziell ausgestattet Verbandskästen. Basis ist immer der durch die Unfallverhütungsvorschrift vorgeschriebene Betriebsverbandskasten nach DIN 13 157. Ergänzt wird das Grundmodell mit berufsspezifischem Zusatzmaterial. Neben dem Erste-Hilfe-Zeichen ist jeder Koffer berufsbezogen mit einem Piktogramm gekennzeichnet und beschriftet. Fast dreißig verschiedene Modelle werden angeboten zum Beispiel für Baustellen, Banken, Elektrotechnik, Landwirtschaft & Forst, Labor & Chemie, Öffentlicher Dienst oder Werkstatt. Je nach Unfallgefährdung gehören zur Ausstattung Augen-Sofortspülung, Beatmungsmaske, Kühlspray, Kältekissen, Desinfektion, Replantatbeutel, Spezialverbände oder Instrumente.
Weitere Informationen erhalten Sie unter anderem im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) unter § 10 Erste Hilfe und sonstige Notfallmaßnahmen, in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) sowie in den Technischen Regeln für Arbeitsstätten ASR A 4.3 Erste-Hilfe-Räume, Mittel und Einrichtungen zur Ersten Hilfe. Informations- und Schulungsmaterialien zur Ersten Hilfe im Betrieb sowie die entsprechenden Aushänge gibt es bei den Berufsgenossenschaften.
Bettina Brucker
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