25. April 1889 – Fünfundvierzig jugendliche „Schlepper“ einer Bochumer Zeche weigern sich einzufahren. Erst 20 Pfennig mehr Lohn pro Schicht lassen sie die Arbeit wieder aufnehmen. Danach ist Ruhe – aber nur kurz! Am 4. Mai legen die Kumpel auf der Zeche Hibernia bei Gelsenkirchen die Arbeit nieder. Als einige daraufhin die „Abkehr“ (Kündigung) erhalten, kommt es zu Tumulten. Die Polizei reagiert mit Härte, am 5. Mai rückt Militär zur Verstärkung an.
Nach einer Woche Arbeitskampf auf der Straße sind mindestens 15 Tote und 20 Schwerverletzte zu beklagen. Doch die Bergleute lassen sich nicht einschüchtern. Bald streiken von den 104.000 Ruhrbergarbeitern 90.000. Ihre Forderungen:
- Verkürzung der Schichtzeit auf 8 Stunden einschließlich Ein- und Ausfahrzeit
- Abschaffung von Überschichten
- Anlieferung des Grubenholzes durch besondere Arbeiter
- Verbesserte Wetterführung (Luftzufuhr)
- wettergeschützte Wege von der Kaue zum Schacht
- Lohnerhöhungen
Unternehmerstandpunkte
Die „Kohlenbarone“ an der Ruhr zeigten sich unnachgiebig: Alle Forderungen der aus ihrer Sicht vertragsbrüchigen Bergleute wurden abgelehnt. Diese Haltung konnte sich der Verein für bergbauliche Interessen leisten, schließlich – so die Hoffnung – würden Polizei und Militär die Lage – wie in der Vergangenheit auch – in ihrem Sinne „bereinigen“. Der preußische Innenminister erklärte jedoch am 11. Mai überraschend, die Regierung werde nicht länger gegen die Arbeiter Partei ergreifen, sondern halte es für die richtige Politik, „den Streik als einen Interessenkampf der Arbeiter gegen die Arbeitgeber zu behandeln, der gesetzlich zulässig sei, und in den sie sich nur insoweit einzumischen habe, als ihr die pflichtmäßige Sorge für die Aufrechterhaltung und strenge Befolgung des Gesetzes seitens beider Teile obliege.“
Kaiserdonnerwetter mit Folgen
Kaiser Wilhelm II. ließ den Worten seines Innenministers Taten folgen. Am 12. Mai, angesichts zehntausender streikender Kumpel, erging die kaiserliche Order an den westfälischen Oberpräsidenten, die Bergwerksunternehmer zu zwingen, Lohnerhöhungen zuzustimmen. Zwei Dinge hatten den Kaiser zur Parteinahme bewogen:
- Wilhelm II. wollte sich nicht gleich zu Beginn seiner Regierungszeit durch ein Blutbad unbeliebt machen und soziale Unruhen provozieren.
- Ihm missfiel, dass die Unternehmer ihr Profitinteresse über das Gemeinwohl stellten.
Und das Gemeinwohl forderte eindeutig ein Ende des Streiks. Schließlich lieferte die Kohle die Energie für Wirtschaft und Transport. Ohne Kohle drohten schnell Betriebsstillegungen und Massenarbeitslosigkeit.
Zu Besuch beim Kaiser
Damit nicht genug: Demonstrativ empfing der Kaiser am 14. Mai eine Deputation der Bergleute (siehe Kasten), um sich ihre Beschwerden anzuhören und nach Auswegen zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 90 % aller deutschen Bergleute im Streik. Zwei Tage nach der Audienz bei Wilhelm II. trafen die „Kaiserdeputierten“ im Reichstag dann Dr. Friedrich Hamacher, den Vorsitzenden des Unternehmerverbandes des Ruhrbergbaus – mit einem für die Zeit erstaunlichen Ergebnis.
Unter erheblichem kaiserlichem Druck verfassten beide Parteien das so genannte „Berliner Protokoll“. Darin wird den Forderungen der Bergleute im Wesentlichen nachgegeben – die Bergleute konnten einen Sieg verzeichnen! Ausschlaggebend dafür war die Regierung, welche die Arbeitgeber zu Verhandlungen mit den streikenden Bergarbeitern genötigt hatte. Das hatte es bis dahin noch nie gegeben – und kam bis 1918 auch nicht wieder vor!
Hintergründe: Das alte und das neue Bergrecht
Warum haben sich die Kumpel in ihrer Not eigentlich an den Kaiser gewandt? Was hatte der damit zu tun? Ein Blick in die Geschichte gibt Antwort. So fand der Steinkohlenbergbau in Preußen seit dem 18. Jahrhundert unter staatlicher Regelung und Kontrolle statt. Die staatlichen Bergämter
- kontrollierten die Bergwerksunternehmen,
- erhoben Abgaben,
- legten die Fördermengen fest,
- bestimmten die Lohnhöhe und die Arbeitsbedingungen.
Bei Arbeitskonflikten besaßen die Bergleute das Recht, den König als obersten Bergherrn als Schlichter anzurufen. Dieser suchte in der Regel nach einvernehmlichen Lösungen, galt sein Interesse doch den Einkünften aus den Bergwerken, die sich nur mit zufriedenen Kumpeln erzielen ließen. Deren Zufriedenheit gewann der König mit Privilegien, die er gewährte. Bergleute
- verfügten über einträgliche Löhne,
- waren meistens unkündbar,
- waren von Leibeigenschaft und Wehrdienst befreit,
- genossen Freizügigkeit,
- besaßen eine eigene Gerichtsbarkeit,
- hatten das Recht Knappschaftsvereine zu gründen, die im Notfall Hilfe boten.
Dann gab der Staat 1851 den Forderungen der großen Bergwerksunternehmen nach einer Liberalisierung des Bergbaus nach. Er ersetzte das alte Bergrecht bis 1865 durch eine Neuregelung des Bergbaus. Danach oblag ihm zwar die Oberaufsicht des Bergbaus, aber Abbau und Vermarktung der Kohle war Sache der Zechen. Das blieb nicht folgenlos für die Kumpel: Ab1860 galt auch im Bergbau der „freie Arbeitsvertrag“, das heißt die Zechenherren konnten einseitig Arbeitsbedingungen und Entlohnung bestimmen. Sicherheitsstandards wurden danach ebenso wie die Löhne gesenkt, unzufriedenen Bergleuten wurde gekündigt. Streiks gegen diese Arbeitsbedingungen nahmen ebenso zu wie die Zahl der tödlichen Unfälle. Für weitere Unzufriedenheit sorgten nach 1880 Schichtzeitverlängerungen, Überstunden und Leistungsdruck.
Bergarbeiterlied (1889)
Der Bunte, Schröder, Siegel
Die gaben uns die Lehr’,
Wir wack’re Knappen kämpfen
Für Bergmanns Recht und Ehr.
Wir stehen fest und halten heut’,
Zusammen und für alle Zeit,
Zum Wohl des Bergmannsstand’s.
Wir haben lang gelitten
Des Kapitales Druck,
Bis plötzlich uns’re Ketten
Zerriß ein kräft’ger Ruck.
Wir standen um die „Drei“ geschart
Und haben unser Recht gewahrt,
Zum Wohl des Bergmannsstand’s.
Nicht fürder soll uns trennen
Glaube und Religion,
Mög’ jeder selig werden
Nach eigener Facon.
Was kümmert uns der Priester Schrei’n.
Wir wollen ein’ge Brüder sein!
Zum Wohl des Bergmannsstand’s.
Kam’raden, haltet scharf die Wacht
Und seit auf Eurer Hut;
Damit der Feinde List und Macht
Zerschellt an unser’m Mut.
Und schließt Euch Mann für Mann
Dem Bergarbeiterbunde an;
Zum Wohl des Bergmannsstand’s.
Gute, alte Zeit …
Am 10. Mai 1889 – es ist ein Freitag – findet in der Kneipe „Schemann“ in Dortmund-Dorstfeld eine Bergarbeiterversammlung statt. Der Wirt schlägt vor, eine Deputation zum Kaiser zu schicken, damit dieser die Sache der Bergleute wie in der „guten, alten Zeit“ regele, also vor der Liberalisierung des Bergbaus. Schnell sind die drei Bergleute Schröder, Bunte und Siegel gewählt, die am 14. Mai tatsächlich vom Kaiser empfangen werden. Es handelt sich um politisch engagierte „Kumpel“. Einer von ihnen, Schröder, ist seit 15 Jahren Sozialdemokrat. Wilhelm II., auf Beendigung des Streiks bedacht, antwortet wohlwollend, allerdings nicht ohne deutliche Warnung:
- „Ihr habt den Kontrakt gebrochen und dadurch die Werksbesitzer schwer geschädigt. Ich habe alle meine Regierungsorgane beauftragt, die Sache genau untersuchen zu lassen, wen die Schuld trifft. Sollte die Sache aber eine Parteiverschiebung werden, hauptsächlich zur Sozialdemokratie – ein Sozialdemokrat ist bei mir ein Reichs- und Vaterlandsfeind –, so werde Ich alle Meine Macht einsetzen, und meine Macht ist stark. Sollte das aber nicht sein, so seid Ihr Meines Kaiserlichen Wohlwollens und Schutzes sicher.“
Die Sache war mit dem „Berliner Protokoll“ noch nicht ausgestanden. Einzelne Zechenbesitzer an der Ruhr hielten sich nicht daran. Am 24. Mai 1889 erfolgte deshalb der erneute Streikaufruf. Und nun war es der Staat, der mit Verhaftungen von Bergleuten, Hausdurchsuchungen, Ausweisungen, Versammlungsverboten usw. das Ende des Streiks erzwang. Des Kaisers Geduld hatte Grenzen…
Trotzdem: Die Vermittlungstätigkeit des Staates blieb das besondere Merkmal dieses größten Arbeitskampfes im 19. Jahrhundert. Und er blieb nicht folgenlos: Unter dem Eindruck von 1889 wurde 1891 eine Novelle zur Gewerbeordnung verabschiedet. Diese brachte einen erheblichen Ausbau der staatlichen Aufsicht über die Arbeitsbedingungen mit sich. Und auch die Bergleute konnten trotz der massiven staatlichen Repressionen den Streik als Erfolg verzeichnen: Die Lohnerhöhungen nach dem Streik betrugen immerhin 5 – 10 Prozent.
Und die Bergleute hatten dazugelernt: Wer seine Interessen erfolgreich vertreten will, benötigt ein hohes Maß an koordiniertem Handeln. Ab 1889 setzten die Bergleute diese Erkenntnis um und gründeten eigene Gewerkschaften. Damit schufen die Kumpel organisatorische Voraussetzungen für die Verbesserung ihrer Lage.
Autor: Michael Fiedler
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